Wie lässt sich soziale Gerechtigkeit in der Krebsbekämpfung fördern?
Jedes Jahr erkranken rund 500.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs. In vielen Gegenden ist die Anzahl der Krebsfälle zwar rückläufig, jedoch hängt ihr Auftreten deutlich vom sozioökonomischen Status der Region ab. Was das für die gesundheitliche Chancengleichheit bedeutet und wie Prävention sowie medizinische Versorgung gezielt gestärkt werden können, macht Dr. Lina Jansen vom Deutschen Krebsforschungszentrum im Gespräch mit G+G deutlich.

Dass soziale Unterschiede die Häufigkeit von Krebserkrankungen bedingen, ist schon länger bekannt. Verschiedene Studien aus Deutschland und anderen Ländern belegen dies, unter anderem eine Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Ein Team um Forscherin Dr. Lina Jansen vom Epidemiologischen Krebsregister Baden-Württemberg am DKFZ hat nun untersucht, wie sich die altersbereinigte Krebsrate im Laufe der Zeit verändert hat. „Es war bekannt, dass für Krebs insgesamt, aber auch für die meisten häufigen Krebsarten die Krebsinzidenz in den letzten Jahren zurückgegangen ist, wenn man die Alterung der Bevölkerung herausrechnet“, erklärt Jansen im Gespräch mit G+G. Wie sich dieser Trend allerdings auf die sozioökonomischen Ungleichheiten in der Krebsinzidenz, also die Krebshäufigkeit, ausgewirkt habe, sei bislang nicht erforscht gewesen. „Aus unserer Forschung ergab sich leider, dass die soziale Ungleichheit in der Krebsinzidenz über die Jahre zugenommen hat.“
Informierter Patient als Ideal

Dass Armut Krebs bedinge, sei aber aus Jansens Sicht zu „leicht gesagt“. „Nicht die Armut an sich führt zu Krebs, sondern die Lebensbedingungen, die damit verknüpft sind“, machte sie deutlich. So sei beispielsweise bekannt, dass Personen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status im Durchschnitt einen ungesünderen Lebensstil hätten und seltener an Screening-Programmen teilnähmen. „Dadurch hat diese Gruppe ein höheres Risiko für eine Krebserkrankung beziehungsweise dafür, dass eine Krebserkrankung später diagnostiziert wird.“ Bei einer Vorstellung und anschließenden Diskussionsrunde zu Jansens Studie, die auch den Wissenschaftspreis „Regionalisierte Versorgungsforschung 2024“ des Zentralinstituts Kassenärztliche Versorgung (ZI) gewonnen hat, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Berufsverbands der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland, Prof. Dr. Wolfgang Knauf, dass ein höherer Bildungsstand und Ausbildungsgrad oftmals auch mit einem anderen Bewusstsein für den Körper einhergehe. Dieses Bewusstsein – und damit die Gesundheitskompetenz – müsse trainiert und ausgebildet werden. Knauf brachte in diesem Zusammenhang den Pflichtunterricht eines Schulfachs Gesundheitslehre ins Spiel. „Mein Wunsch ist der informierte Patient“, folgerte er.
„Nicht die Armut an sich führt zu Krebs, sondern die Lebensbedingungen, die damit verknüpft sind.“
Epidemiologisches Krebsregister Baden-Württemberg am Deutschen Krebsforschungszentrum
Regionale Unterschiede in der Krebsinzidenz
Das Team um Jansen hat die Entwicklung der Krebsdiagnosen für acht deutsche Bundesländer mit insgesamt rund 48 Millionen Einwohnern für den Zeitraum von 2007 bis 2018 untersucht. Das entspricht einem Anteil von etwa 60 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung. Nicht berücksichtigt wurden die Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg, Berlin und die fünf ostdeutschen Bundesländer. Grund ist die schlechtere Datenlage für diese Gebiete. „Es ist bekannt, dass es allgemeine Unterschiede in der Krebsinzidenz zwischen den östlichen und westlichen Bundesländern gibt. Aber es wurde noch nicht geschaut, ob Ungleichheiten in der Krebsinzidenz regional unterschiedlich groß sind. Deswegen kann ich derzeit nur sagen, dass es zumindest keine Hinweise darauf gibt, dass die Entwicklungen der Ungleichheiten in der Krebsinzidenz in den ostdeutschen Bundesländern anders sind“, fügte Jansen hinzu.
Sozial benachteiligte Gebiete profitieren weniger von Krebsrückgang
Die Studie glich die Krebsdiagnosen auf Kreisebene mit dem jeweiligen sozioökonomischen Index ab. Das Ergebnis: Zwischen 2007 und 2018 ist die altersbereinigte Zahl der Krebserkrankungen insgesamt und bei fast allen Krebsarten – mit Ausnahme von Lungenkrebs bei Frauen – in allen sozialen Gruppen zurückgegangen. Der Rückgang war aber in sozial benachteiligten Regionen oft schwächer, was zu wachsenden Unterschieden geführt hat – besonders bei Darmkrebs, Lungenkrebs und Krebs insgesamt. Im Jahr 2007 hatte die Krebsrate in den am stärksten benachteiligten Kreisen um sieben Prozent höher gelegen als in den am wenigsten benachteiligten. Bis 2018 wuchs dieser Unterschied auf 23 Prozent bei Männern und auf 20 Prozent bei Frauen. Die größten Unterschiede gab es bei Lungenkrebs: Diese Krebsart trat 2018 in den sozioökonomisch schwächsten Regionen im Vergleich zu den wohlhabendsten Gegenden bei Männern um 82 Prozent und bei Frauen sogar um 88 Prozent häufiger auf.
Andere Länder sind bei Forschung und Prävention wesentlich weiter
Von der Politik und Öffentlichkeit wünscht sich Jansen „generell mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen für das Thema Krebs“. In anderen Ländern, wie Dänemark und England, seien mittlerweile feste Arbeitsgruppen und Institute entstanden, die sich auf die Thematik spezialisiert hätten und langfristig mit Mitteln gefördert werden würden. „Durch diese festen Strukturen können zeitliche Entwicklungen kontinuierlich bewertet und Interventionen sorgfältig evaluiert werden.“ In Deutschland jedoch stammten die meisten Erkenntnisse derzeit aus befristeten Forschungsprojekten, bemängelte sie. „Hier muss sich noch einiges tun.“
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