Angst vor wirtschaftlichem Abstieg wächst
Der Anteil der Menschen, die in Armut leben, hat in Deutschland den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung 1990 erreicht. Das geht aus dem heute veröffentlichten „Verteilungsbericht 2024“ des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor.
2021 mussten demnach 17,3 Prozent der Bevölkerung mit einem Einkommen von weniger als 1.346 Euro – bezogen auf einen Singlehaushalt – auskommen. 2020 waren es 14,2 Prozent. Angesichts politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit strahle die Abstiegsangst inzwischen „in die Mitte der Gesellschaft“ aus, erläuterte WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. Das spiegele sich längst nicht mehr nur bei den Ärmeren in wachsendem Misstrauen gegenüber Demokratie und staatlichen Institutionen.
Während der 2010er-Jahre seien die unteren Einkommensgruppen weiter zurückgefallen, sagte Kohlrausch. „Von prosperierender Wirtschaft mit geringen Arbeitslosenzahlen haben sie wenig abbekommen.“ „Der Anteil der Menschen in strenger Armut ist – relativ gesehen – noch stärker gestiegen als die Armutsquote: von 7,8 Prozent auf 11,3 Prozent“, ergänzte Lars Brülle, Mitautor des Reports. Fast 43 Prozent der Armen und über 20 Prozent der Menschen mit prekärem Einkommen könnten keine Rücklagen bilden. „Rund zehn Prozent der Armen waren finanziell nicht in der Lage, abgetragene Kleidung zu ersetzen“, so Brülle. Das knappe Geld schränke bei immer mehr Menschen soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten ein.
Kohlrausch warnte vor gesellschaftlicher Polarisierung, die Statuskämpfe fördere. „Darauf haben die Feinde der Demokratie mit migrationsfeindlichen Erzählungen und der Behauptung von Konflikten zwischen Faulen und Fleißigen immer sehr erfolgreich aufgesetzt“, sagte die WSI-Direktorin. Sie bezog sich dabei auch auf die Diskussion um das Bürgergeld und das „Wirtschaftswende“-Papier von Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Der WSI-Report bezieht sich auf den Zeitraum 2010 bis 2021. Basis sind die Daten des „Sozioökonomischen Panels“ (SOEP) mit jüngsten Daten für 2022. Die vom SOEP definierte Grenze zwischen den unteren und oberen Einkommenshälften (Median) lag 2021 bei 2.244 Euro Monatseinkommen für eine alleinstehende Person. Einkommen darunter bis 1.795 Euro werden der „unteren Mitte“ zugeordnet, es folgen „prekäre“ Einkommen bis zur aktuellen Armutsgrenze von 1.346 Euro. Während die Zahl der Menschen in der unteren Einkommenshälfte seit 2010 deutlich zunahm, blieben die Werte in den obersten Einkommensgruppen fast unverändert. 2021 verfügten acht Prozent der Bevölkerung über „Reichtum“ und 2,3 Prozent über „großen Reichtum“. (toro)
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