Urteil: Karlsruhe kippt Triage-Vorgaben
Das Bundesverfassungsgericht hat heute die bundeseinheitliche Regelung zur Priorisierung medizinischer Behandlungen für verfassungswidrig erklärt. Damit fehlt dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für Triagevorgaben. Die Ausgestaltung liegt künftig bei den Ländern. Die 2022 eingeführte Vorschrift enthielt einen Kriterienkatalog und untersagte die sogenannte Ex-post-Triage, also das Abbrechen einer laufenden Behandlung zugunsten eines anderen Patienten. Seinerzeit hatte der Gesetzgeber auf einen früheren Beschluss des Bundesverfassungsgerichts reagiert.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Dezember 2021 entschieden, dass Menschen mit Behinderungen bei Triage-Entscheidungen vor Diskriminierung zu schützen seien. Der Erste Senat entschied nun, dass diese Regeln kein Teil der Infektionsbekämpfung sind , sondern die ärztliche Berufsausübung und das Krankenhauswesen betreffen – also Ländersache sind.
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken sagte: „Die Bundesregierung wird dieses Urteil sehr genau prüfen und zusammen mit den Ländern die notwendigen Schlüsse daraus ziehen.“ Die CDU-Politikerin fügte hinzu: „Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber seiner Bevölkerung. Dies gilt ohne jegliche Einschränkung, auch für Menschen mit einer Behinderung.“
Die Ärzteschaft begrüßte das Urteil. Felix Walcher, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), sagte: „Die Karlsruher Entscheidung schafft Klarheit und stärkt die ärztliche Therapiefreiheit.“ Ärzte bräuchten in Extremsituationen Orientierung, „aber keine politisch verordneten Entscheidungstabellen“. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, betonte, das Urteil stärke „die verfassungsrechtliche Stellung der Ärztinnen und Ärzte und gibt ihnen Rechtssicherheit auch für ihr Handeln in medizinischen Krisenlagen.“ Andrej Michalsen, Sprecher der Mediziner, die erfolgreich gegen die bisherige Regelung geklagt hatten, unterstrich: „Dieser Beschluss betont die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung auch während Versorgungskrisen.“ Die Anwendung der jetzt verworfenen Regelung hätte keine gerechtere Verteilung der Ressourcen in Knappheitssituationen zur Folge gehabt.
Kritik kam aus der Opposition im Bundesstag. Sören Pellmann, Vorsitzender der Partei Die Linke, befürchtet: „Dass das Gericht mit Verweis auf die fehlende Zuständigkeit des Bundes das Gesetz gekippt hat, dürfte bei vielen Menschen mit Behinderungen für Verunsicherung und Angst sorgen“. Der Deutsche Ethikrat betonte, dass bei den Landesgesetzgebern das „Ziel eines diskriminierungsfreien Zugangs zur Intensivmedizin nicht aus dem Blick geraten“ dürfe. (fb)
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