Interview Prävention

Gefährlicher Trend: Vapen unter Zehnjährigen nimmt zu

02.10.2025 Ulrike Serbent 5 Min. Lesedauer

Seit Markteinführung der Einweg-E-Zigarette konsumieren nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche die sogenannten Vapes. Wie ein Berliner Präventionsprogramm jungen Süchtigen helfen kann, erläutert Prof. Dr. Gertraud Stadler, Professorin für geschlechtersensible Präventionsforschung der Charité - Universitätsmedizin Berlin, im Interview.

Foto: Ein Junge, etwa 11 Jahre alt, sitzt auf einer Mauer und raucht eine E-Zigarette.
Je früher junge Menschen mit Nikotinprodukten in Kontakt kommen, desto höher ist das Risiko für langjährige Nikotinabhängigkeit und nikotin-assoziierte chronische Erkrankungen.
Foto: Porträt von Prof. Dr. Gertraud (Turu) Stadler Professorin für geschlechtersensible Präventionsforschung der Charité - Universitätsmedizin Berlin, Direktorin Forschungsgruppe Prävention.
Prof. Dr. Gertraud (Turu) Stadler, Professorin für geschlechtersensible Präventionsforschung der Charité - Universitätsmedizin Berlin sowie Direktorin der Forschungsgruppe Prävention

Frau Professor Stadler, warum ist Vapen gefährlich für Kinder und Jugendliche?

Prof. Dr. Gertraud Stadler: Die Gesundheitsrisiken des Vapens sind groß. Nikotin, die Hauptsubstanz in E-Zigaretten, hat bei Kindern und Jugendlichen besonders schwerwiegende Auswirkungen, da sich deren Körper, Organe und Gehirn noch in der Entwicklungsphase befinden. Je früher Kinder und Jugendliche mit Nikotinprodukten in Kontakt kommen, desto höher ist das Risiko für langjährige Nikotinabhängigkeit und nikotin-assoziierte chronische Erkrankungen. Unmittelbar kann Nikotinkonsum zu Konzentrationsstörungen und einer eingeschränkten Lernfähigkeit führen. Und Vapes gelten als ein Einstiegsprodukt für Suchtverhalten. Darüber hinaus sind die langfristigen Folgen des Vapens bislang nur unzureichend erforscht.

Geben Sie uns einen Überblick über das nachvorn"-Programm und welche Ziele es verfolgt?

Stadler:  Das „nachvorn"-Programm gibt es seit 2022. Es ist ein umfassendes Vaping- und Rauchpräventionsprojekt für Kinder und Jugendliche. Unser Ziel ist es, das Bewusstsein für die Risiken des Vapens und Rauchens zu schärfen und Jugendliche zu einem nikotinfreien Leben zu motivieren. Da wir einen alarmierenden Anstieg des E-Zigarettenkonsums bei Kindern feststellen, insbesondere in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen, sind Interventionen an besonders belasteten Schulen von großer Bedeutung. Es ist bekannt, dass Nikotinkonsum eine der Hauptursachen für schlechtere Gesundheitschancen und geringere Lebenserwartung bei Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status ist.

Prävention an Berliner Schulen

Seit der Markteinführung der Einweg-E-Zigarette im Jahr 2021 steigt insbesondere bei Kindern und Jugendlichen der Konsum von Vapes. Dies belegen etliche Studien. Laut Daten des Präventionsradars 2023 hat bereits fast jedes vierte Schulkind (24 Prozent) der Klassen fünf bis zehn schon einmal eine E-Zigarette konsumiert. Dabei sind Kinder mit niedrigerem sozioökonomischen Status besonders gefährdet.

Wie dringend die Intervention ist, zeigt auch eine Evaluationsstudie, die Präventionsforscherinnen und -forscher der Charité unter Leitung von Prof. Dr. Gertraud Stadler in Kooperation mit der Herzstiftung bei über 1.700 Fünftklässlerinnen und -klässlern an 42 Berliner Grundschulen durchgeführt hat. Sieben Prozent der befragten Kinder im Alter von zehn Jahren hatten bereits Erfahrung mit Nikotin. Die erste Begegnung mit Nikotinprodukten erfolgt inzwischen in den allermeisten Fällen mit Vapes (oft aromatisierten E-Zigaretten). Vier von zehn Kindern sind nach eigenen Angaben anfällig für Rauchen oder Vapen. Dabei zeigte sich: Vapen und Rauchen sind nach wie vor stark sozial bedingt und treten gehäuft an Schulen mit einem schwierigeren sozialen Umfeld auf.

Das von einem interdisziplinären Team um Prof. Dr. Gertraud Stadler, Marina Hinßen und Julia Kohn entwickelte „nachvorn-Programm" zur Vaping- und Nikotinprävention setzt genau hier an. Es adressiert das drängende Problem des gestiegenen E-Zigarettenkonsums und entwickelt passgenaue Präventionsangebote für Schülerinnen und Schüler. Das Programm wurde seit 2022 durch das Team Präventionsforschung der Charité sukzessive an Berliner Schulen etabliert.

 

Wie ist das Programm strukturiert und welche Methoden kommen zum Einsatz?

Stadler: Wie haben das „nachvorn"-Programm evidenzbasiert und partizipativ entwickelt – gemeinsam mit Berliner Schulklassen, Schülerinnen und Schülern, Expertinnen und Experten und Stakeholdern. Dazu gehörenauch die Suchtprävention der Berliner Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie, Präventionsanbieter im Bereich Sucht- und Extremismusprävention, Forschende in der Suchtprävention und Schulintervention.

Das Programm umfasst interaktive Unterrichtsmodule, die gezielt auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler zugeschnitten sind. Hierbei setzen wir unter Einbindung von Rollenvorbildernauf Methoden wie kritisches Denken und Medienkompetenz, um die Jugendlichen dazu zu befähigen, Informationen aus sozialen Medien, Spitzensport, Film und Fernsehen zu hinterfragen. Zudem bieten wir Module zu Achtsamkeit und Resilienzstärkung an, die den Schülerinnen und Schülern helfen sollen, besser mit Stress und unangenehmen Emotionen umzugehen.

„Vapes gelten als ein Einstiegsprodukt für Suchtverhalten.“

Prof. Dr. Gertraud (Turu) Stadler

Professorin für geschlechtersensible Präventionsforschung der Charité - Universitätsmedizin Berlin

Welche Rolle spielen soziale Ungleichheiten in Ihrem Programm?

Stadler: Soziale Ungleichheiten spielen eine zentrale Rolle in unserer Präventionsarbeit. Unsere Forschung hat gezeigt, dass Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen ein höheres Risiko haben, mit Nikotin in Kontakt zu kommen. Gründe sehen wir darin, dass Schulen in privilegierterem Umfeld mehr Ressourcen haben, um die Gesundheitskompetenz der Kinder und ihrer Familien zu stärken. Menschen in einem sozial benachteiligten Umfeld sind stärker chronischem Stress ausgesetzt und so ist Substanzkonsum zur Stressbewältigung verbreiteter.

Deshalb legen wir besonderen Wert darauf, Schulen in einem sozial benachteiligten Umfeld in unsere Programme einzubeziehen und gemeinsam mit den Kindern sowie den Lehrkräften und Schulen Maßnahmen zu entwickeln, um ihre Anfälligkeit zu verringern. Wir betonen dabei die Vorteile eines nikotinfreien Lebens statt den Kindern zu sehr Angst zu machen. Wir haben sehr viele interaktive Elemente eingebaut, so dass Kinder mit unterschiedlichen Hintergründen bei der Stange bleiben. Insbesondere bei Rollenspielen und bei der Foto-Challenge haben die Kinder viel Spaß.

Ihr Programm läuft bislang nur in Berlin?

Stadler: Bislang haben wir unsere Facherhebung an Berliner Schulen gemacht und bieten hier unser Programm an. Aber das Interesse ist groß. Unser Angebot ist bisher weitgehend alleinstehend in Deutschland. Uns erreichen bundesweit wirklich viele Anfragen, die Programmmaterialien zur Verfügung zu stellen oder Fortbildungen anzubieten. Die Anfragen kommen aus der Schulprävention von Lehrkräften, Präventionsbeauftragten, aus der Sozialen Arbeit, aus Gesundheitsämtern und Jugendeinrichtungen. Das zeigt den drängenden Bedarf an den Inhalten des Programms.

Statement des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Prof. Dr. Hendrik Streeck

„Kaum ein anderes Verhalten kostet uns jedes Jahr so viele Menschenleben wie das Rauchen. Mehr als 131.000 Menschen sterben allein in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums. Zwar rauchen immer weniger Jugendliche klassische Zigaretten – doch dieser Fortschritt droht durch den Trend zu Einweg-E-Zigaretten zunichtegemacht zu werden. Eine aktuelle Studie zeigt, dass schon Grundschulkinder auf Vapes aufmerksam werden. In der Tat konsumieren teils bereits Zehnjährige regelmäßig E-Zigaretten. Das ist alarmierend. Mit bunten Verpackungen und fruchtigen Aromen werden Kinder gezielt angesprochen. Produkte, die nach Kaugummi oder Wassermelone schmecken, wirken harmlos, obwohl sie es nicht sind. Denn Nikotin macht in jeder Form abhängig, schädigt Herz und Gefäße und gefährdet die Gehirnentwicklung – gerade bei Kindern und Jugendlichen. Als Gesellschaft dürfen wir nicht zulassen, dass die nächste Generation so früh in die Sucht rutscht. Wir brauchen mehr Aufklärung in Schulen und Familien, strengere Regeln für jugendaffine Produkte und eine offene Diskussion über weitere Maßnahmen, um den Tabak- und Nikotinkonsum weiter zurückzudrängen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Produkte wie Vapes Kindern und Jugendlichen den Einstieg in die Abhängigkeit ebnen.“

 

Welche Maßnahmen sollen langfristige Effekte des Programms sicherstellen?

Stadler: Wir sind seit November 2023 in einer umfassenden Evaluationsstudie. Bis Mai 2026 werden wir die Auswirkungen unseres Programms auf die Motivation der Kinder, nikotinfrei zu sein, sowie ihre Konsumanfälligkeit genau untersuchen und in das Programm einfließen lassen. Zusätzlich ist die Entwicklung einer digitalen Lernplattform vorgesehen, die Lehrkräften Schulungsmaterialien zur Verfügung stellt. Wir wollen ein Konzept anbieten, das bundesweit und flächendeckendend Schulen mit Vaping- und Rauchprävention mit medizinisch-wissenschaftlicher Fundierung versorgt. Hier fließen die Ergebnisse aus einer Pilotierung des Regelunterrichts mit Lehrkräften, Klassen und Kindern ein. Um das Programm ab 2026 systematisch verbreiten und umsetzen zu können, benötigen wir allerdings finanzielle Unterstützung und eine Anschlussfinanzierung .

Welche Herausforderungen sehen Sie in der Prävention von Vaping und Rauchen bei Kindern und Jugendlichen?

Stadler: Eine der größten Herausforderungen ist die weit verbreitete Verfügbarkeit und die Attraktivität von E-Zigaretten, insbesondere die Einweg-Varianten. Oft ist der Konsum für Heranwachsende eine Experimentierphase, und viele sind sich der gesundheitlichen Risiken nicht bewusst. Insbesondere bei aromatisierten Vapes unterschätzen Kinder das Abhängigkeits- und Gesundheitsrisiko. Natürlich spielt auch der Gruppendruck in der Schule und die Beeinflussung durch Social Media eine Rolle. Auch in den Familien wird Vapen und Nikotin oft nicht oder zu wenig kritisch thematisiert. Die Tatsache, dass Präventionsmaßnahmen häufig nicht flächendeckend in den Schulen implementiert werden, erschwert unsere Arbeit. Es ist entscheidend, dass wir weiterhin auf die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieser Themen aufmerksam machen. Das Thema darf nicht verharmlost oder bagatellisiert werden. Wir brauchen einen Schulterschluss in der Vaping- und Nikotinprävention.

Foto: Junger Mann mit E-Zigarette in der Hand – sein Gesicht ist von Rauch verdeckt.
Jeder siebte Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren konsumiert E-Zigaretten. Wolfram Windisch, Chefarzt der Lungenklinik Köln und Professor für Pneumologie an der Universität Wittten/Herdecke, weist auf das hohe Suchtpotenzial von Nikotinprodukten hin und fordert einen wirksamen Jugendschutz.
24.07.2025Wolfram Windisch2 Min

Mitwirkende des Beitrags

Optionale Felder sind gekennzeichnet.

Beitrag kommentieren

Alle Felder sind Pflichtfelder.

Datenschutzhinweis

Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.

Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.