Artikel Prävention

OECD sieht Handlungsbedarf: Wie digitale Medien die Gesundheit junger Menschen beeinflussen

26.09.2025 Tim Ende 3 Min. Lesedauer

Smartphone & Co. gehören für viele Kinder und Jugendliche zum Alltag. Eine aktuelle OECD-Studie weist auf mögliche Risiken von zu viel Bildschirmzeit für die körperliche und seelische Gesundheit hin. Politik und Fachwelt suchen nach Lösungen – doch die Einschätzungen über sinnvolle Maßnahmen gehen auseinander.

Eine Schülerin schaut während des Unterrichts gelangweilt auf ein Smartphone.
Vielen Kindern und Jugendlichen fällt es zunehmend schwer, sich vom Smartphone zu lösen.

Chatten, streamen, spielen, lernen: Dass Kinder und Jugendliche viel Zeit im Netz verbringen, ist nichts Neues. Viele besitzen schon in jungen Jahren ein Smartphone. In den 38 OECD-Ländern haben 98 Prozent der 15-Jährigen ein eigenes Gerät. Das ergab die Studie „Besser leben – Kindliches Wohlergehen in einer digitalen Welt“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD. Dort sind Staaten wie Deutschland, Großbritannien, die USA, Japan und Australien zusammengeschlossen.

Auch bei Kindern ist das Smartphone allgegenwärtig, wie die Studie zeigt. 70 Prozent der 10-Jährigen in den OECD-Ländern haben ein eigenes Smartphone. In Finnland und Norwegen sind es bis zu 100 Prozent. Deutschland liegt im Mittelfeld.

Der Besitz digitaler Geräte führt zu mehr Internetkonsum. Die OECD-Studie betont, dass Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Freizeit online verbringen. Mehr als die Hälfte der 15-Jährigen nutzt digitale Geräte über 30 Stunden pro Woche. Eine „signifikante Mehrheit“ sogar mehr als 60 Stunden. Sechs von zehn 15-Jährigen überschreiten an Schultagen häufig das empfohlene Zwei-Stunden-Limit für Bildschirmzeit „allein durch ihre Freizeitnutzung“.

Kinder und Jugendliche immer häufiger psychisch auffällig

Nico Charlier, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Berlin, beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. „Wir sehen in der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis einen massiven Anstieg an psychiatrischen Erkrankungen“, sagte er bei einer Diskussionsrunde anlässlich der Vorstellung der OECD-Studie. Und: „Das Thema Smartphone ist eigentlich überall dabei, wir reden täglich darüber.“ Es gebe großen Interessenverlust und wachsende Unfähigkeit, sich auf „langweilige Dinge“ zu konzentrieren. Charlier: „Es gibt massive Konflikte in den Familien. Die Eltern schaffen die Regulierung nicht, weil es den Kindern schwerfällt, sich vom Smartphone zu lösen.“

Auch Alexander Kraft vom Ministerium für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur in Schleswig-Holstein sieht Probleme. Kinder und Jugendliche könnten selbst im Unterricht nicht vom Handy lassen, spielten heimlich oder tauschten Nachrichten aus. Das widerspreche dem Ziel, „gemeinsam am Unterrichtsstoff zu arbeiten“. Kraft sagte in der Diskussionsrunde, es gebe offenbar keinen gesellschaftlichen Konsens mehr. „Früher war es klar, dass im Unterricht nicht geredet wird, wenn jemand anderes redet.“ Heute werde während der Schulstunde am Handy gespielt.

In Schleswig-Holstein gilt seit dem Schuljahr 2023/24 deswegen ein Verbot privater Handynutzung an Grundschulen. Bis spätestens zum Schuljahr 2025/26 soll es auch an weiterführenden Schulen gelten. In Hessen und Bremen sind ebenfalls kürzlich solche Handyverbote erlassen worden. Bayern plant, bestehende Handyverbote bis zu 7. Klasse auszuweiten.

„Natürlich müsste es Altersgrenzen geben, das ist gar keine Frage.“

Nico Charlier

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Handyverbote an Schulen: Eine umstrittene Maßnahme

Andere zweifeln am Nutzen solcher Maßnahmen. Stefan Düll, Schulleiter und Präsident des Deutschen Lehrerverbands (DL), meint, Handyverbote kämen zu spät. „Die Kinder haben ihre Entwicklung schon gemacht, bis sie überhaupt in die Schule reinkommen.“ Eltern müssten ihren Kindern Medienbildung mitgeben und Vorbild sein. „Ist es nicht vielleicht eher so, dass in Familien manches schiefläuft und man sich zu wenig um seine Kinder kümmert und die Kinder sich deswegen mit dem Internet beschäftigen?“, fragte er bei der Veranstaltung.

Nötig sei gezielte Medienbildung an Schulen, die zeigt, welche guten Informationen das Internet und Social Media bieten. „Wir könnten das Rad nicht noch mal anhalten und alles rückwärts abwickeln“, so der Lehrerpräsident. Kontrolle sei nötig, nicht aber Verbote und Zensur. Zudem gebe es auch einen positiven Nutzen von digitalen Geräten, etwa beim Lernen. Dem stimmt auch die OECD-Studie ausdrücklich zu.

Foto: Blick in einen Hörsaal, in dem viele Studierende sitzen. Vorne steht ein Mikrofon.
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Ungeschützter Raum Internet

Kinder- und Jugendpsychiater Charlier hält solche Maßnahmen für ungenügend. Er warnt in der Diskussionsrunde vor den Gefahren im Netz. „Wir gehen mittlerweile davon aus, dass Kinder, die ein Smartphone bekommen, innerhalb der ersten zwei Jahre alles gesehen haben.“ Von pornografischen bis gewalttätigen Inhalten. Es sei schwer, Smartphones und das Internet zu regulieren, weil sie „nicht dafür gemacht“ seien. „Natürlich müsste es Altersgrenzen geben, das ist gar keine Frage“, so Charlier.

Auch die OECD-Studie warnt. Digitale Medien können die psychische Gesundheit „direkt beeinträchtigen, zum Beispiel durch Online-Missbrauch und Cybermobbing, und indirekt durch schlechteren Schlaf, weniger körperliche Aktivität und fehlende soziale Kontakte“. Bei Kleinkindern könne übermäßige und passive Bildschirmnutzung ohne Aufsicht die „neurokognitive Entwicklung“ und den „Erwerb von Sprachfähigkeiten“ behindern.

Ruf nach politischer Regulierung

Ein Eingreifen der Politik sei nötig, so die Studienautoren. Es müssten „wirksame regulatorische Rahmenbedingungen“ geschaffen und „die Entwicklung von Technologien und Dienstleistungen gefördert“ werden, „die das Wohlergehen von Kindern in den Vordergrund stellen“.

Anbieter digitaler Dienste müssten zudem „den Schutz der Privatsphäre sicherstellen, die Verbreitung unangemessener Inhalte bekämpfen und klare, einfach zugängliche Meldemechanismen für Kinder“ einrichten, heißt es in dem Bericht weiter.

Damit schließen sie sich Forderungen nach Regulierung an, die zuletzt in Deutschland lauter geworden sind: Handyverbote an Schulen oder Altersgrenzen für Social Media.

Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Hendrik Streeck, hatte sich zuletzt für ein Mindestalter ausgesprochen. Experten der Leopoldina empfehlen eine gestaffelte Altersgrenze: Bis etwa 13 Jahre soll Social Media strikt verboten sein. In einer vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Auftrag gegebenen Umfrage sprach sich eine Mehrheit der Befragten sogar für ein Mindestalter von 12 Jahren für den Besitz eines eigenen Smartphones aus.

Bundesbildungsministerin Karin Prien hat zudem eine Expertenkommission eingesetzt, die Strategien für ein sicheres digitales Umfeld erarbeiten soll. Aus ihrer Sicht werde es bei Altersgrenzen und Altersverifikation nicht ohne verbindliche Regulierung gehen.

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