Interview Prävention

Gesunde Ernährung: Hinweise zum Erfolg von Nudging

25.03.2024 Änne Töpfer 4 Min. Lesedauer

Schnitzel mit Pommes oder eine Kartoffel-Gemüse-Pfanne: Wenn die gesündere Alternative oben auf der Karte steht, entscheiden sich Menschen eher dafür. Voraussetzung ist, dass sie die Wahlfreiheit behalten und die Intervention für wirksam halten. Das hat eine Umfrage von Ernährungsforscher Dominic Lemken und seinem Team ergeben.

Foto: Zwei Teller mit Essen stehen auf einem Tisch – auf dem einen ist mehr Gemüse, auf dem anderen mehr teighaltiges Essen. Die Hände zweier Menschen mit Gabeln essen von dem Teller mit Gemüse.
Bei der Ernährung verhalten sich Menschen Forschungen zufolge viel stärker impulsiv als bei anderen Entscheidungen.

Herr Professor Lemken, woher kommt der Begriff Nudging und was hat er mit gesunder Ernährung zu tun?

Prof. Dr. Dominic Lemken: Beim Nudging geht es darum, aus einem bestehenden Angebot bestimmte Optionen näherzulegen und damit einen Anstoß zu einer Entscheidung zu geben. Dazu verändert man zielgerichtet die Entscheidungsumgebung. Das kann die Präsentation der Lebensmittel im Supermarkt betreffen, die Gestaltung der Einkaufswagen oder in der Gastronomie die Speisekarte. Welches Gericht steht ganz oben? Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat empfohlen, vegetarische Gerichte zuerst zu nennen. Bei der Ernährung verhalten sich Menschen viel stärker impulsiv als bei anderen Entscheidungen. Gleichzeitig bestimmen Gewohnheiten die Lebensmittelauswahl. Menschen reflektieren und evaluieren ihre Entscheidungsprozesse in der Ernährung also weniger als in anderen Bereichen, verhalten sich weniger rational. Deshalb funktioniert Nudging im Ernährungsbereich besonders gut, einschließlich der privatwirtschaftlichen Nudging-Strategien.

Supermärkte sollten deshalb im Kassenbereich besser Obst und Gemüse anstelle von Süßigkeiten, Schnaps und Zigaretten anbieten?

Lemken: In anderen Ländern gibt es tatsächlich schon solche Regulierungen. In Großbritannien beispielsweise hat der Gesetzgeber die Quengelware von den Kassen verbannt. Darüber hinaus können ungesunde Lebensmittel mit Labeln gekennzeichnet werden. Auch da gibt es Beispiele aus Südamerika und aus Israel. Deutschland ist in dem Bereich alles andere als ein Vorreiter.

Welche Erfahrungen gibt es mit Nudging im Ernährungsbereich?

Lemken: Die Effektivität ist davon abhängig, in welchem Setting Nudging stattfindet, ob beispielsweise in der Außer-Haus-Gastronomie, in einem Restaurant, einer Kantine oder im Supermarkt. Nudging wirkt, das ist klar, aber in unterschiedlichem Ausmaß. Noch offen ist die Frage der Akzeptanz, inwiefern man die Menschen mitnimmt, wenn man das Nudging transparent macht.

Das haben Sie erforscht. Was hat Ihre Onlinebefragung von 451 Erwachsenen ergeben?

Lemken: Wir haben uns zum Beispiel angeguckt, warum Menschen so eine Intervention ablehnen oder befürworten. Das eigene Verhalten ist nach Ergebnissen unserer Befragung gar nicht so entscheidend, wie wir vorher dachten. Wenn beispielsweise die Butter an einem Buffet nur auf Nachfrage gereicht wird, beurteilen die Befragten diese Form von Nudging nicht danach, ob sie selbst gerne Butter essen. Das hatte weniger Auswirkungen als die wahrgenommene Wahlfreiheit. Das ist die Idee des Nudgings: dass man die Wahlfreiheit erhält, gleichzeitig aber eine bestimmte Verhaltensweise näher legt. Außerdem müssen die Menschen das Gefühl haben, dass die Regulierung etwas bringt. Schweden hatte vor ein paar Jahren, als die Milchquote wegfiel und die Milchbauern finanziell unter Druck gerieten, eine freiwillige Abgabe für jedes heimische Milchprodukt eingeführt. Darüber kam schnell sehr viel Geld für die Milchbauern zusammen. Hier waren Wirksamkeit und Freiwilligkeit, also Wahlfreiheit gegeben, und das hatte einen enormen Erfolg.

Wie wichtig war den Befragten beim Nudging die Transparenz?

Lemken: Wir unterteilen das in zwei Aspekte von Transparenz: Transparenz der Intervention und Transparenz über die Alternative zur nahegelegten Option. Ich erläutere das an einem Beispiel aus Belgien. Dort gab es einen Nudge in den Schulkantinen, der weitreichend vorab kommuniziert wurde: Am Donnerstag wurde ein vegetarisches Gericht das Standardangebot. Wer an dem Tag für seine Kinder ein Fleischgericht wollte, musste kurz per Telefon oder schriftlich Bescheid geben. Betroffene haben also die Möglichkeit sich die Veränderung bewusst zu machen. Daraus ergibt sich eine Transparenz über die Intervention. Und es gibt die Transparenz über die Alternativen, insoweit Personen wissen, dass sie auch am Donnerstag, wie gewohnt, ein Fleischgericht erhalten könnten.

 

Foto: Eine Früstücksbox mit Obst, Gemüse und Vollkornbrot steht geöffnet auf einem Tisch, daneben liegen ein Apfel und eine Flasche Orangensaft.
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Foto: Porträt von Jun.-Prof. Dr. Dominic Lemken, Juniorprofessur für die Sozioökonomie der nachhaltigen Ernährung an der Universität Bonn, Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik.
Jun.-Prof. Dr. Dominic Lemken ist Juniorprofessur für die Sozioökonomie der nachhaltigen Ernährung an der Universität Bonn, Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik.

Welche Chancen hat das Nudging in Richtung einer gesunden Lebensmittelauswahl gegenüber den Werbestrategien der Lebensmittelindustrie?

Lemken: Es kann nicht darum gehen, das Feld komplett der Industrie zu überlassen. Vielmehr geht es darum, eine Strategie zu entwickeln, die etwas dagegensetzt. Unsere Forschung bringt der Thematik zunächst mehr Aufmerksamkeit für das, was bereits passiert, auch auf privatwirtschaftlicher Seite. Daraus lassen sich Strategien zur Vorbeugung entwickeln. Das kann auch darin bestehen, dass man eine aktive Wahl oder Reflexion fördert. Es ist immer leichter im Kleinen anzufangen. Eine kleine Gruppe von Menschen lässt sich schneller zur Akzeptanz des Nudging bewegen und steht dann auch den Folgen offen gegenüber. Das könnte eine Kooperative sein, die einen Supermarkt betreibt, oder ein Restaurant mit Entscheidungshoheit über diese Fragen oder ein Kantinenverbund, der sich Gesundheit auf die Fahnen geschrieben hat.

Was erwarten Sie vom Gesetzgeber, um Nudging so anzuwenden, dass es der Gesundheit der Menschen dient?

Lemken: Wir brauchen staatliche Pilotprojekte. Zum einen wäre es wichtig, die internationalen Erfahrungen systematisch auszuwerten, um Best Practices zu finden. In Deutschland könnten Pilotprojekte in öffentlichen Einrichtungen laufen. Zum Teil gibt es schon kleinere Sachen in der Gemeinschaftsgastronomie. Ich hoffe, dass das nach einer Projektphase zu bleibenden Veränderungen führt. Bisher bleiben noch viele Fragezeichen. Aus Gesetzgebersicht ist es schwierig, allen vorzuschreiben, wie eine Entscheidungsumgebung gestaltet sein soll. Erstmal liegt das in der Hoheit des Anbieters. Gleichzeitig hätte so ein Nudging bei wenig Einbußen auf Anbieterseite, gegebenenfalls sogar Win-win-Potenzialen bei einzelnen Maßnahmen, einen großen Effekt auf die Gesundheitskosten. Das müssen wir in der Wissenschaft noch mehr herausstellen, und das muss Einzug finden in Pilotprojekte.

Welche Vorteile hätte das Nudging in der Gemeinschaftsverpflegung gegenüber einer insgesamt gesunden Speiseplan-Gestaltung?

Lemken: Kurz gesagt: keinen. Bei einer Zertifizierung einer öffentlichen Kantine durch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung beispielsweise werden sehr ungesunde Gerichte aus den Speiseplänen komplett verbannt. Das ist, wenn wir jetzt über Eingriffe in die Wahlfreiheit reden, ein drastischer Schritt, der es nach unserer Theorie schwieriger macht, Menschen mitzunehmen. Hinter der Zertifizierung steht die Idee, dass man das Angebot verbessert, und hinter dem Nudging die Idee, dass Menschen unter dem gesamten Angebot die besseren Optionen nutzen. Dabei gibt es einen Gewöhnungs- und Anpassungseffekt. Das gilt grundsätzlich für ernährungspolitische Maßnahmen.

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