Artikel Prävention

„Extrem gefährlich“: Experten sehen bei neuen Drogen Politik in der Pflicht

26.04.2024 Irja Most 5 Min. Lesedauer

Eine Welle synthetischer Drogen mit großen Gesundheitsgefahren schwappt auch durch Deutschland. Besonders kleinere Städte und Flächenländer sind laut Verbänden nicht darauf vorbereitet. Im Gespräch mit G+G zeigen sie auf, welche Maßnahmen in der lokalen Drogenpolitik erforderlich sind.

Auf einem Tisch liegen ein Löffel mit weißen Pulver, eine Spritze und weitere Utensilien für den Drogenkonsum.
Immer neue synthetische Drogen mit massiven Folgen für die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten schwemmen den Markt. Vor allem Crack und Fentanyl bereiten derzeit Probleme.

Die Zahl der Drogentoten steigt in Deutschland seit Jahren kontinuierlich an. Besonders die dramatischen Folgen von Crack und Fentanyl beherrschen aktuell die Schlagzeilen und bereiten Expertinnen und Experten Sorgen. Bei beiden handele es sich um synthetische Drogen, die „hochpotent sind“, was die Gefährlichkeit dieser Substanzen für Konsumentinnen und Konsumenten stark erhöhe, erklärt Eva Egartner, Geschäftsführerin des Fachverbands Drogen- und Suchthilfe, gegenüber G+G.

„Grundsätzlich sind immer wieder neue chemische, das heißt synthetische Drogen auf dem Markt, die uns Probleme bereiten. Zusammensetzungen, Nebenwirkungen und vor allem Wechselwirkungen mit anderen Rauschmitteln sind dann nicht bekannt“, erläutert die Suchtexpertin. Das mache diese Drogen „extrem gefährlich". Denn hochpotente synthetische Drogen machten sehr schnell süchtig und könnten „im schlimmsten Fall sehr schnell zu Atemstillstand und/oder Organversagen führen“.

Maßnahmen wie Drug-Checking „extrem wichtig“

In einem aktuellen Positionspapier fordert die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) daher von der Politik flächendeckend im gesamten Bundesgebiet Maßnahmen vorzuhalten, die sich in deutschen und internationalen Großstädten bereits bewährt hätten. Denn Kommunen und Städte, die diese Entwicklung bislang nicht kannten, stünden nun mit der Welle dieser gefährlichen Drogen vor der Herausforderung, Lösungsansätze in der kommunalen Drogenpolitik zu finden. „Grundsätzlich helfen alle niedrigschwelligen und aufsuchenden Hilfemaßnahmen“, so Egartner, die auch Vorstandsmitglied im DHS ist. Es gelte Konsumentinnen und Konsumenten früh zu erreichen und zu schützen. „Vor allem Aufklärung zu synthetischen Stoffen und Drug-Checking-Maßnahmen sind extrem wichtig“, um auf die Gefahren dieser Drogen aufmerksam zu machen. 

Insgesamt 16 Punkte listet das Papier zu „Schadensminderung und Überlebenshilfen“ auf. Unter anderem seien Notschlafstellen für wohnungslose Konsumenten erforderlich, daneben „aufsuchende Hilfen“ wie Straßensozialarbeit und mobil und stationär medizinische Notfallversorgung. Außerdem sei die Mitgabe von Naloxan und Schulungen zur Anwendung erforderlich. Denn das Notfallmedikament könne „tödliche Verläufe von Überdosierungen verhindern“. Zum Hintergrund heißt es: „Eine Wirkung von Opioiden ist die Herabsetzung der Atmung. Naloxon kann diese Atemunterdrückung rückgängig machen.“

Politik nicht immer offen für niedrigschwellige Hilfen

Problematisch bei der Einführung solcher Angebote sei es laut Expertin, dass zum Teil niedrigschwellige Hilfemaßnahmen aus politischen Gründen nicht umgesetzt würden. Beispielsweise gebe es kein Drug-Checking und keine Drogenkonsumräume in Bayern, weil hier davon ausgegangen werde, dass diese einen Anreiz für den Konsum darstellten. Das „Bündnis Drug-Checking in Bayern“ hatte sich erst im Februar an die Staatsregierung gewandt, diese neue, vom Bundestag im vergangenen Jahr erlaubte Methode ebenfalls anzuwenden. Die von Berlin und anderen Bundesländern genutzte Möglichkeit, Drogen auf nicht ersichtliche Beimischungen zu überprüfen, sei ein „wirksames Instrument zur Förderung der Gesundheit (…), das dazu dient, Vergiftungen und Überdosierungen durch Substanzen präventiv zu verhindern“, argumentiert der Zusammenschluss bayerischer Verbände. Neben Anlaufstellen zur Analyse von Drogen veröffentlicht das Land Berlin auf einer eigenen Homepage die Befunde.

Ein überfordertes Hilfesystem und einen drohenden Versorgungsengpass in der Substitutionsmedizin beklagten auch jüngst Sucht- und Gesundheitsexperten in einem Fachgespräch des Gesundheitsausschusses zu konkreten Strategien gegen Crack und Fentanyl. Die Lage sei vergleichbar mit der Heroin-Epidemie Ende der 1990er Jahre, warnte Facharzt Thomas Peschel von Patrida, einer Einrichtung zur Behandlung von Drogenkonsumenten. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung (ISFF) der Frankfurt University of Applied Sciences forderte Schlüsselstrategien, um sich auf die Auswirkungen eines wachsenden Marktes vorzubereiten. Hierzu zählten Frühwarnsysteme und E-Health-Angebote.

Alkohol, Tabak und Medikamente weiterhin größtes Problem

Neben der derzeit laut DHS vielerorts beobachteten Ausbreitung von Crack und Fentanyl bereiteten Arzneimittel wie Pregabalin – ein Wirkstoff, der bei neuropathischen Schmerzen, generalisierter Angststörung und Epilepsie verschrieben wird – und das Narkosemittel Ketamin Schwierigkeiten. Medikamenten- sowie Alkohol- und Tabakmissbrauch seien gesamtgesellschaftlich bereiteten nach wie vor weit gravierendere Probleme als der Konsum von illegalen Drogen. „Sie sind weit verbreiteter und führen zu den größeren Folgeschäden“, weiß die Geschäftsführerin des Fachverbands Drogen- und Suchthilfe, Eva Egartner. Das Erkennen von Medikamentenmissbrauch sei sehr schwierig, weil der Übergang von dringend benötigter Einnahme zu sinnvollem Medikamentengebrauch bis hin zum Missbrauch fließend sei. Hier werde zudem eine sehr hohe Dunkelziffer vermutet.

Mitwirkende des Beitrags

Irja Most

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