Duales Pflegestudium als Antwort auf den Fachkräftemangel?
Immer mehr Menschen benötigen im Alter Hilfe, gleichzeitig fehlt es an gut ausgebildetem Pflegepersonal. Seit 2004 gibt es den „Bachelor of Nursing“ – ein duales Studium, das junge Menschen mit erweiterten Pflegekompetenzen ausstattet. Nun bietet auch die Universitätsmedizin Essen erstmals eine solche Ausbildung an. Welche Perspektiven sich für die Absolventen eröffnen und welche Maßnahmen die Politik ergreifen sollte, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, erläutert die Essener Pflegedirektorin, Andrea Schmidt-Rumposch, im Interview mit G+G.


Frau Schmidt-Rumposch, wie viele Studierende in der Pflege bilden Sie pro Jahrgang aus und seit wann gibt es das duale Studium in Essen?
Andrea Schmidt-Rumposch: Der grundständige, duale Studiengang Bachelor of Nursing (B.Sc.) ist neu: Wir starten erstmals im kommenden Semester – also zum Wintersemester 2025/26. Pro Jahr stellen wir 30 Studienplätze zur Verfügung. Diese Plätze werden in einem eigenständigen Auswahlverfahren durch uns, das Universitätsklinikum Essen, vergeben.
Welche Voraussetzungen brauchen Anwerberinnen und Anwerber für das duale Studium?
Schmidt-Rumposch: Wer diese duale Ausbildung machen möchte, braucht einen Ausbildungsvertrag mit uns. Das sichert den praktischen Teil ab. Der Studiengang ist zulassungsfrei, aber ohne Ausbildungsvertrag ist die Einschreibung an der Universität Duisburg-Essen nicht möglich. Zudem müssen Bewerberinnen und Bewerber die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife nachweisen. Wer aus dem Ausland kommt, muss einen vergleichbaren, anerkannten Abschluss sowie Deutschkenntnisse auf dem Niveau C1 haben, da die Lehrsprache Deutsch ist. Es besteht auch die Möglichkeit, mit einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung in das Studium einzusteigen. Der Quereinstieg erfolgt dann in der Regel im dritten Semester.
Bachelor of Nursing
Das erste duale Pflegestudium führte die Evangelische Hochschule Berlin 2004 ein. Das Studium, das mit dem Abschluss „Bachelor of Nursing“ und mit der Anerkennung als Pflegekraft endet, dauert in Deutschland sieben bis acht Semester. Studierende erhalten seit 2023 eine Praxisvergütung. Kooperationspartner sind Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Sie unterstützen den Theorie-Praxis-Transfer. Zum Wintersemester 2025/26 hat die Universitätsklinik Essen 30 zulassungsfreie Studienplätze geschaffen, um Auszubildenden in der Pflege parallel zum bezahlten Ausbildungsvertrag ein Studium zu ermöglichen. Der theoretische Teil findet im sogenannten SkillsLab der Universität Duisburg-Essen statt, der Praxisteil in den Fachabteilungen des Klinikums – zum Beispiel in der Onkologie, Herz-Kreislauf-Medizin oder Transplantation. Nach dem Abschluss können Absolventen gleichermaßen in Kliniken, Pflegeheimen oder im ambulanten Dienst arbeiten oder sich in einem Masterstudium weiterbilden.
Was sind die Vorteile eines dualen Studiums in der Pflege?
Schmidt-Rumposch: Ein duales Studium bietet von Beginn an und durchgängig das Beste aus – sozusagen – „beiden Welten“. Damit meine ich: die Verbindung aus akademischer Qualifikation beziehungsweise wissenschaftlicher Reflexion und tariflich vergüteter klinischer Berufspraxis während des gesamten Studiums. Theorie und Praxis greifen dabei vom ersten Semester an ineinander. Am Ende der Ausbildung können unsere Absolventinnen und Absolventen eine akademisch fundierte Ausbildung mit einem Bachelor of Science vorweisen und sind zugleich staatlich anerkannte Pflegefachpersonen. Damit stehen ihnen weitere Berufswege offen. Entweder sie steigen voll in den Beruf ein oder entscheiden sich für die Weiterqualifikation zum Beispiel im Bereich Advanced Practice Nursing. Der Abschluss ermöglicht aber auch eine Fortsetzung der akademischen Laufbahn in einem Masterstudium.
Was macht die Universitätsmedizin Essen bei diesem dualen Studium anders als andere? Gibt es ein Alleinstellungsmerkmal?
Schmidt-Rumposch: Anders als an vielen Hochschulen findet das Studium nur an zwei Lernorten statt: An der Universität Duisburg-Essen und im Universitätsklinikum Essen als alleinigem Träger der praktischen Ausbildung. Dadurch besteht ein besonders enger Austausch zwischen Theorie und Praxis. Die Studierenden lernen bei uns, einem Maximalversorger mit universitärem Forschungsauftrag. Sie können somit in hochspezialisierten Bereichen wie onkologischer Pflege, Intensiv-, Transplantations- und Notfallpflege tätig sein. Der Studiengang wurde entsprechend den neuesten gesetzlichen Vorgaben entwickelt, die seit 2025 gelten. Er beinhaltet daher alle verpflichtenden Inhalte zu heilkundlichen Tätigkeiten. Im sechsten Semester besteht die Möglichkeit, sich zwischen einem Auslandspraktikum oder einem Wahlpflichtmodul zum Schwerpunkt „Klimawandel und Digitalisierung“ zu entscheiden. Und beruflich Qualifizierte erhalten zudem die Möglichkeit, eine akademische Qualifizierung zur Praxisanleitung zu absolvieren.
Ist den Studierenden nach dem Studium ein Arbeitsplatz bei Ihnen sicher?
Schmidt-Rumposch: Wir bieten unseren Absolventinnen und Absolventen gerne eine Perspektive bei uns. Das ist unser strategisches Ziel, denn wir betrachten den dualen Studiengang auch als nachhaltiges Rekrutierungsinstrument. Die Studierenden lernen unser Haus intensiv kennen. Umgekehrt erleben und begleiten wir ihre fachliche und persönliche Entwicklung über vier Jahre hinweg. Für den Berufseinstieg sicher zusätzlich interessant: Neben dem direkten Berufseinstieg in einen bevorzugten Fachbereich steht am Universitätsklinikum Essen auch ein Traineeprogramm zur weiteren beruflichen Orientierung der Absolventinnen und Absolventen zur Verfügung.
„Pflegefachkompetenz spiegelt sich aktuell nicht ausreichend in Verantwortung wider.“
Pflegedirektorin Universitätsmedizin Essen
Werden wir es noch schaffen, den Fachkräftemangel in der Pflege aufzufangen?
Schmidt-Rumposch: Erfreulich ist es, dass die Ausbildungszahlen 2024 in Deutschland wieder gestiegen sind. Zur Abfederung des Fachkräftemangels reicht das aber nicht aus. Der demografische Wandel stellt uns hier vor besondere Herausforderungen. Einerseits müssen wir dafür sorgen, mehr junge Menschen für die Pflege als Beruf zu begeistern. Hierfür ist es notwendig, den wachsenden Ansprüchen an den Pflegeprozess und dem Wunsch nach attraktiven pflegefachlichen Karriereperspektiven vermehrt mit akademischen Angeboten wie unserem neuen Studiengang nachzukommen. Andererseits müssen wir an verschiedenen Stellen ansetzen und sofort und konsequent nachhaltige Wege zur Entlastung des medizinischen und pflegerischen Fachpersonals gehen. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen insgesamt nachhaltig verbessert werden, neben der Weiterentwicklung von Kompetenz- und Aufgabenbereichen vor allem auch durch Digitalisierung und Entbürokratisierung.
Was fordern Sie von der Politik, um die Ausbildungssituation in der Pflege und den Fachkräftemangel zu verbessern?
Schmidt-Rumposch: Es braucht grundsätzlich eine politische Strategie, die Ausbildung, Studium und berufliche Entwicklung der Profession Pflege zusammendenkt – und nicht nebeneinander herlaufen lässt. Also ein Mehr an Investitionen in die Ausbildung und in differenzierte Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Pflegefachkompetenz spiegelt sich aktuell nicht ausreichend in Verantwortung wider. Eine Weiterentwicklung und Neuverteilung der Aufgaben- und Verantwortungsbereiche in den medizinischen Professionen sind zwingend notwendig. Unser Leistungsrecht ist immer noch rückschrittlich und minimiert unter anderem die Attraktivität des Pflegeberufs. Sinnvoller und zielführender wäre es doch, eine differenzierte Pflege mit einer interessanten pflegefachlichen Entwicklung gesetzlich zu verankern. Auf diesem Weg können wir uns weiter an ein international längst übliches Niveau annähern.
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