Interview Prävention

„Frankreich ist wesentlich weiter”

23.10.2023 Frank Brunner 4 Min. Lesedauer

Nach einer Knie- oder Hüftgelenksoperation können Bakterien den Halt der Prothese gefährden. Volker Alt erläutert Ursachen und Heilungschancen – und wie unser Nachbarland auf diese Gefahr reagiert hat.

Darstellung eines künstlichen Hüftgelenks
Bei Gelenkersatz-Operationen können sich Knochen entzünden.
Porträt von Prof. Dr. Dr. Volker Alt, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie und Notfallmedizin
Prof. Dr. Dr. Volker Alt ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie und Notfallmedizin. Er leitet die Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Regensburg.

Herr Professor Alt, bei ein bis zwei Prozent der Patientinnen und Patienten kommt es nach Gelenkersatz-Operationen zu Entzündungen der prothesentragenden Knochen. Warum ist das ein so großes Problem?

Professor Volker Alt: Weil in Deutschland jährlich etwa 500.000 Knie- und Hüftgelenkprothesen implantiert werden. Ein bis zwei Prozent heißt: Jedes Jahr leiden 5.000 bis 10.000 Menschen unter Protheseninfektion, meist aufgrund einer Staphylokokken-Infektion.

Was machen diese Keime im Körper?

Alt: Staphylokokken und andere Bakterien vermehren sich besonders gut an Fremdkörpern, weil sie dort keiner Immunabwehr ausgesetzt sind. Sie bilden an den Prothesen einen Biofilm, der sie von ihrer Umgebung abschirmt. Spätestens jetzt sind Abwehrzellen chancenlos und Antibiotika können den chronischen Biofilm nicht durchdringen. Das Gelenk wird schmerzhaft und kann nicht mehr richtig belastet werden.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Alt: In der Regel müssen wir die Patienten erneut operieren. Tritt die Infektion zeitnah nach einer Knie- oder Hüftgelenk-OP auf, kann es genügen, das Implantat zu spülen. Bei chronischen Infektionen bleibt zumeist nur ein aufwendiger Implantat-Wechsel.

Wie lässt sich eine Infektion verhindern?

Alt: Generell besteht bei Übergewicht und Diabetes ein erhöhtes Infektionsrisiko. Diese Risiken können minimiert werden, zum Beispiel durch Gewichtsreduktion und guter Einstellung des Blutzuckerwertes vor der Operation. Die Antibiotikagabe bei der Implantation der Prothese gewährleistet einen guten Infektionsschutz. Oft erfolgt aber die Antibiotikagabe zu kurz vor dem Eingriff, erst wenn der Patient in den OP-Saal geschoben wird – meist dem Zeitdruck im Klinikalltag geschuldet. Weitere wichtige Faktoren sind die Operationszeit und Operationstechnik. Je länger die OP, desto größer das Infektionsrisiko. Eine muskel- und weichteilschonende OP-Technik ist ebenfalls notwendig, um Infektrisiken zu minimieren, genauso wie ein Besuch beim Zahnarzt zur Zahnsanierung vor der Prothesen-Operation.

Was haben Zähne mit Knie- oder Hüftgelenken zu tun?

Alt: Durch unbehandelte Infektionsherde, etwa eine Zahnwurzeleiterung, können Bakterien in die Blutbahn geraten. Von dort suchen sie sich eine Nische, in der sie am besten überleben können, und das sind nicht durchblutete Regionen, also beispielsweise Gelenk-Prothesen.

„Kooperationen verbessern die Lebenserwartung.“

Prof. Dr. Dr. Volker Alt

Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie und Notfallmedizin

Wie lange halten Prothesen im Körper?

Alt: Wenn es gut läuft zwischen 20 und 25 Jahre, je nachdem wie stark das Gelenk belastet wird. Irgendwann lockern sich die Verbindungen zwischen Knochen und Prothese und eine erneute Operation ist nötig. Die Komplikationsrate bei diesen Revisions-OP ist jedoch um ein Vielfaches höher als bei der Erstimplantation.

Wie realisieren Sie in Regensburg solche komplexen Operationen?

Alt: Wir behandeln jährlich rund 80 periprothetische Infektionen und haben dafür ein sogenanntes interdisziplinäres „Board“ etabliert, in dem wir uns als Ärzte fachübergreifend austauschen – Chirurgen, Mikrobiologen, Infektiologen und Radiologen. Studien zeigen, dass diese Kooperationen die Lebenserwartung der Patienten verbessern und weniger Folge-Operationen nötig sind. Allerdings fehlen hierzulande Strukturen, die solche Modelle institutionalisieren. Frankeich ist wesentlich weiter.

Was machen unsere Nachbarn besser?

Alt: In Frankreich ließ die Politik vor 15 Jahren über das Land verteilt spezielle Referenzzentren für komplexe Knochen- und Gelenkprotheseninfektionen, abgekürzt CRIOAc (Centres de Référence pour la prise en charge des Infections ostéoarticulaires complexes), zur interdisziplinären Behandlung einrichten.

Gab es dafür einen Anlass?

Alt: Das französische Gesundheitssystem erkannte bereits Anfang der 2000er-Jahre die Notwendigkeit einer interdisziplinären Therapie bei komplexen Infektionen. Anekdotisch wird erzählt, dass der Sohn des Schauspielers Gérard Depardieu nach Motorradunfall an einer komplexen Knieprotheseninfektion litt, die in einer Amputation mündete. Sein Vater beklagte, dass in einem hochentwickelten Land wie Frankreich niemand in der Lage sei, solche Infektionen zu behandeln und wandte sich an die Politik.

Was ist das Besondere an den CRIOAc Häusern?

Alt: Hier werden diese Infektionen zur Erstellung eines optimalen Therapieplans mit den wichtigsten Fachdisziplinen besprochen. Weiterhin besonders ist, dass in Frankreich die Behandlungskosten von den Krankenkassen nur übernommen werden, wenn sich Patienten zunächst in einem dieser Zentren vorgestellt haben. Denn klar ist: Bessere medizinische Behandlung vergrößert Heilungschancen und verringert so die Kosten für das Gesundheitssystem.

Mitwirkende des Beitrags

1 Kommentar

Meine Tante hat vor kurzem eine Prothese an der Schulter bekommen. Ich wusste nicht, dass Bakterien sich besonders gut an Fremdkörpern und damit auch an Prothesen vermehren. Ich glaube, das werde ich ihr nicht erzählen.

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