Interview Gesundheitssystem

„Die Bundesländer sind sich in vielen Punkten einig“

24.07.2025 Änne Töpfer 5 Min. Lesedauer

Es geht ihr darum, Unterschiede auszuhalten und Gemeinsamkeiten in den Fokus zu stellen: Katharina Schenk (SPD) ist Gesundheitsministerin in der „Brombeer-Koalition“ in Thüringen. Für einen starken Öffentlichen Gesundheitsdienst hat sie als Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz die Länder ins Boot geholt.

Frau Schenk schaut frontal in die Kamera, hinter ihr ist ein Fenster.
Gesundheit sollte in allen Politikbereichen mitgedacht werden, findet Thüringens Sozialministerin Katharina Schenk.

Frau Ministerin Schenk, als Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz tragen sie zum Start ins Amt große Verantwortung. Wie war die Stimmung beim ersten GMK-Treffen?

Katharina Schenk: Ich fand die Stimmung gut und habe mich gefreut, die Beteiligten persönlich kennenzulernen. Einige hatte ich vorher nur in Videokonferenzen gesehen. Auch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken hat sich viel Zeit genommen.

Wie einig sind sich die Bundesländer in gesundheitspolitischen Schlüsselfragen? Woran entzünden sich Kontroversen?

Schenk: Die Bundesländer sind sich in vielen Punkten einig, zum Beispiel bei der Krankenhausreform. Die Corona-Pandemie hat eine gute Zusammenarbeit zwischen den Ministerinnen und Ministern etabliert. Viele kennen sich lange und teilen die politischen Ziele. Strittig ist manchmal der Weg dahin. Alle Länder haben ähnliche Probleme. Bei der Krankenhausreform ist es die Finanzierungsfrage: Wie schnell kommt das Geld und wie kommuniziert man Schließungen oder Umgestaltungen politisch wirksam?

„Wir werden keine große Schließungswelle haben, sondern die Frage wird sein, wie sich die Klinikstandorte neu aufstellen.“

Katharina Schenk

Gesundheitsministerin von Thüringen (SPD)

Eine echte Kontroverse gab es also nicht?

Schenk: Wir haben über viele Punkte lange diskutiert, zum Beispiel über die Frage, wie man mit psychisch kranken Menschen umgeht, die ein Fremdgefährdungspotenzial mitbringen. Mir ist wichtig, dass wir psychisch Erkrankte nicht unter Generalverdacht stellen. Und trotzdem müssen wir die Bevölkerung vor Gewalttaten schützen. Einige Länder sind für ein Register. Viele andere sehen das skeptisch, weil es um sehr sensible Daten geht. Das ist aber keine Konfliktlinie, an der sich die Argumente des anderen nicht nachvollziehen lassen.

Frau Schenk sitzt in einem blauen eckigen Stuhl vor einer Schrankwand.
„Aktuell ist die Grundversorgung überall sichergestellt“, sagt Ministerin Schenk.

Sie wollten sich auf der Gesundheitsministerkonferenz vor allem um das Thema Prävention und Gesundheitsförderung kümmern. Haben Sie damit Gehör gefunden?

Schenk: Ich habe die Prävention zum Leitantragsthema gemacht und mich gefreut, dass alle Länder diesem Antrag beigetreten sind. Wir haben zwei Punkte herausgestellt. Das eine ist die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Während der Pandemie hat er an Bedeutung gewonnen, ist jetzt aber wieder ein bisschen aus dem Fokus gerückt. Der zweite Punkt ist „Health in all Policies“, also Gesundheit in allen Politikbereichen mitzudenken – vom Betreuungsschlüssel in der Kita bis zur Stadtentwicklung.



Wie wollen Sie den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken?

Schenk: Noch haben wir in Thüringen kein ÖGD-Gesetz, nur eine 30 Jahre alte Richtlinie als Grundlage für die Arbeit. Deswegen wollen wir noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf ins Kabinett bringen, der zu dem passt, was wir in der Pandemie gelernt haben. In einem Workshop haben wir Vertreterinnen und Vertreter von Gesundheitsämtern und weitere Praktiker beispielsweise gefragt, was bei der Digitalisierung prägend war und wie die Personalstrukturen aussehen müssen. Die Frage ist auch, wie es mit den Dauerstellen weitergeht, die wir über den ÖGD-Pakt geschaffen haben. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot steht, dass Bund, Länder und Kommunen den ÖGD finanzieren müssen. Es ist aber unklar, wer mit welchem Anteil dabei ist. Ich bin ein großer Fan des ÖGD und habe alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeschrieben, um ihnen das Signal zu senden: Wir sehen Euch als dritte Säule des Gesundheitssystems.

Ein Schild mit der Aufschrift: Treppe statt Aufzug
Katharina Schenk will Menschen für Bewegung
begeistern – im Ministerium und im ganzen Land.

Eine große gesundheitliche Herausforderung ist die Adipositas. Was kann Prävention im Hinblick darauf leisten?

Schenk: Ich spreche ungern in einem anklagenden Tonfall über Krankheitsbilder. Ich finde es sinnvoll, die Begeisterung für Bewegung zu fördern. Die Thüringer Landesregierung hat sich vorgenommen, ein Sportstättenprogramm aufzulegen. Wir wollen öffentliche Bereiche für Bewegung zugänglich machen, frei von Kommerzialisierung, mit Trimm-Dich-Pfaden, Spielplätzen und anderem mehr. Es geht darum, Menschen vor Augen zu führen, was sie selbst in der Hand haben, um präventiv etwas für Körper und Psyche zu tun. Da müssen wir auch mit den Krankenkassen gemeinsam aktiv werden – schon wegen der Folgekosten von Bewegungsmangel.

Bei der gesundheitlichen Versorgung auf dem Land ist die Zukunft der Kliniken ein wichtiges Thema. Wo muss der Bund nachsteuern, damit die Klinikreform Akzeptanz findet?

Schenk: Viele Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Krankenhäuser haben sich bereits auf den Weg gemacht. So hat sich beispielsweise das Eichsfeld Klinikum entschieden, aus drei Standorten einen zu machen und die Bettenzahl um 20 Prozent zu reduzieren. Bei den Thüringen-Kliniken in Saalfeld wird der Standort in Pößneck umstrukturiert. Die Akzeptanz hängt an der finanziellen Last, die damit einhergeht. Ich finde es wichtig, dass die Bundesregierung im Koalitionsvertrag zugesagt hat, die aktuellen Defizite der Kliniken aufzufangen. Dafür sollen im Herbst vier Milliarden Euro ausgezahlt werden.

„Es geht darum, Menschen vor Augen zu führen, was sie selbst in der Hand haben, um präventiv etwas für Körper und Psyche zu tun.“

Katharina Schenk

Gesundheitsministerin (SPD) in der „Brombeer-Koalition“ in Thüringen

Wie viele der 42 Krankenhäuser mit 48 Standorten in Thüringen bleiben erhalten?

Schenk: Wir werden keine große Schließungswelle haben, sondern die Frage wird sein, wie sich die Klinikstandorte neu aufstellen. Ein Gutachten zur Weiterentwicklung der Klinikplanung in Thüringen aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass bei einigen Leistungsgruppen ein Drittel der Leistungserbringer die meisten Fälle abdeckt. Beispielsweise bei der Knie- und Hüftendoprothetik teilen sich etwa 20 Kliniken dann noch zehn Prozent der Fälle. Das kann für die Qualität der Eingriffe nichts Gutes bedeuten. Da wird es sicherlich eine Bereinigung geben, in dem Sinne, dass Kliniken ihren Fokus verändern.

Inwiefern können Level-1i-Kliniken, also ambulant-stationäre Zentren, einen Beitrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum leisten?

Schenk: Sie können helfen, eine Basisversorgung zu gewährleisten. Aber momentan haben wir in Thüringen noch keine Versorgungslücken. Wir fragen uns allerdings, wie die Geburtshilfe oder der Rettungsdienst sichergestellt werden können, wenn irgendwo ein Haus vom Netz geht, wie das in Schleiz passiert ist. Dann fehlt ein Ankerpunkt in der Rettungskette. Die Grundversorgung ist aber aktuell überall im Land sichergestellt.

Dass in Thüringen jeder in 20 Minuten Autofahrzeit eine Arztpraxis erreichen können soll, erstaunt mich – ist das ein Ziel oder Realität?

Schenk: Das ist Realität. Der Plan ist, das zu erhalten. Es gibt schon ein paar Eckchen im Land, wo es
30 Minuten sind. Das große Hemmnis ist momentan, dass manche Praxen keine neuen Patienten mehr aufnehmen können und die Wartezeiten für Fachärzte lang sind.

Frau Schenk steht an einem Fenster und blickt hinaus, auf der Fensterbank stehen beige Blumentöpfe
Ministerin Schenk hat die Prävention zum
Leitantragsthema gemacht und auch die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes auf die Agenda gesetzt.

In Thüringen sind 115 Hausarztsitze nicht vergeben. Wie lassen sie sich wieder besetzen?

Schenk: Das Land gibt über eine sogenannte Niederlassungsförderung Geld dazu, wenn sich jemand in einer besonders dünn besiedelten Region niederlässt. Um die Anreizfunktion für eine Niederlassung in kleineren Gemeinden zu erhöhen, steigt die maximale Fördersumme mit abnehmender Einwohnerzahl. Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung betreiben wir außerdem sogenannte Stiftungspraxen, um Ärztinnen und Ärzten die Sorge vor der Niederlassung und dem bürokratischen Überbau zu nehmen. Sie können in einer fertig eingerichteten, barrierefreien Praxis starten. Darüber hinaus betreiben wir Ärzte-Scouting, um Nachwuchs für entlegene Standorte zu gewinnen. Damit werden wir die Lücke von 115 Sitzen aber nicht schließen können. Es geht auch darum, ärztliche Ressourcen zu schonen und verstärkt nicht-ärztliche Fachkräfte, wie beispielsweise Community Health Nurses, einzusetzen oder telemedizinische Konzepte umzusetzen.

Welchen Beitrag zur Versorgung können Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in kommunaler Trägerschaft leisten?

Schenk: Wir haben in unseren Koalitionsvertrag geschrieben, dass wir kommunale MVZ ermöglichen wollen. Doch ein kommunales MVZ zu betreiben, ist ein hohes finanzielles Risiko. Festzuhalten bleibt: Für einen Arzt, der aus der Niederlassung weggeht, werden statistisch gesehen 1,5 neue Ärzte benötigt, weil die ärztliche Arbeitszeit sinkt. Wir müssen die Niederlassung fördern, zeigen, dass es schön ist, eine eigene Praxis auf dem Land zu haben, wo Ärztinnen und Ärzte enorm wertgeschätzt werden.

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Welche Erfahrungen liegen aus den vier in Thüringen etablierten Gesundheitskiosken vor?

Schenk: Die Thüringer Gesundheitskioske haben nichts mit dem Modell von Karl Lauterbach zu tun, das an verdichtete Räume angepasst ist. In Thüringen mit seiner geringen Einwohnerdichte geht es darum, mit Gesundheitskiosken den Zugang zur medizinischen Versorgung zu verbessern. Für die vier Prototypen gibt es viel Unterstützung. Wir müssen sie konsequent weiter begleiten und schauen, ob sie ihre Ziele erreichen und sich dann andere Kreise diesem Modell anschließen. Das hängt auch von den Strukturen vor Ort ab: Gibt es beispielsweise ein Klinikum, das sich mit Medizinischen Versorgungszentren in die Fläche verbreitet hat? Oder geht es um die Gesundheitsversorgung in einer verdichteten Kernstadt, wo viele aus dem Umland hinfahren?

Kommen wir zum Thema Pflege. Sie haben ein Votum für das Familienpflegegeld als Lohnersatzleistung abgegeben. Was versprechen Sie sich davon?

Schenk: Wir haben darüber hier lange diskutiert. In unserem Koalitionsvertrag steht, dass wir pflegende Angehörige unterstützen wollen. Sie leisten eine bedeutsame und schwere Arbeit. Meistens sind es Frauen, die dadurch ein hohes Risiko tragen, in Altersarmut zu geraten. Sie gehen raus aus ihrem Beruf und hinterher kommt das dicke Ende – das darf so nicht sein. Mal abgesehen davon, dass unser Pflegesystem zusammenbrechen würde, wenn die pflegenden Angehörigen ihre Arbeit einstellen. Deswegen war ich Bundesfamilienministerin Karin Prien dankbar, als sie die Idee einer Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige ins Spiel brachte.

Gleichzeitig treten Sie dafür ein, die Eigenanteile im Heim zu senken. Dazu wollen Sie der Bundesregierung die Thüringer Perspektiven nahebringen. Was heißt das?

Schenk: Wir würden uns gern an den Investitionskosten beteiligen, um Pflegebedürftige zu entlasten. Wir reden da über zweistellige Millionenbeträge im Haushalt – bei einem strukturellen Defizit von 1,3 Milliarden Euro. Da muss sich der Bund beteiligen, denn die steigenden Selbstkostenanteile im Heim sind ein bundesweites Problem.

Sie haben mit der Koalition aus CDU, SPD und BSW schwierige Regierungsverhältnisse. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Koalitionspartnern und mit der AfD in der Opposition?

Schenk: Für mich ist der Kooperationspartner in der Opposition die Linkspartei und nicht die AfD, weil ich die Zusammenarbeit mit nicht-demokratischen Kräften ablehne. Das war ein wesentlicher Grund für meine Partei, in die Brombeer-Koalition einzusteigen. Ich bin froh, dass Ministerpräsident Mario Voigt es geschafft hat, die drei ungleichen Partner zusammenzubringen. Das ist manchmal ein Kraftakt, der aber auch schon viel Positives gezeitigt hat. Es geht darum, Unterschiede auszuhalten und die Gemeinsamkeiten in den Fokus zu stellen.

Zur Person

Katharina Schenk (SPD) ist seit Dezember 2024 Thüringer Ministerin für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie. Sie studierte Sozial- und Politikwissenschaften sowie Philosophie. Schenk arbeitete zunächst im Journalismus und in der öffentlichen Verwaltung. Von 2020 bis 2024 war sie Staatssekretärin im Thüringer Innenministerium. Seit 2022 ist Schenk stellvertretende Vorsitzende der SPD in Thüringen. Die 37-Jährige hat zwei Kinder und lebt in Gotha.

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