Kleines Karo statt mutiger Reform
Jacobs' Weg: Für die neue Bundesregierung hat die Gesundheits- und Pflegepolitik keinen hohen Stellenwert. Ihr Koalitionsvertrag gleicht in diesem Bereich einem Offenbarungseid.


Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung trägt die Überschrift „Verantwortung für Deutschland“. Er ist mit dem Anspruch verbunden, Lösungskompetenz der demokratischen Mitte für die dringendsten Probleme des Landes zu vermitteln und damit Vertrauen in die Demokratie zurückzugewinnen.
In der Gesundheits- und Pflegepolitik gelingt dies nicht einmal ansatzweise. Der gesundheits- und pflegepolitische Teil des Koalitionsvertrags ist erschreckend ambitions- und hilflos. Für wichtige Gestaltungsfragen der krisengeschüttelten Kranken- und Pflegeversicherung sollen erst einmal Kommissionen gebildet werden. Als ob es noch Erkenntnisdefizite gäbe! Damit wird wertvolle Zeit verschenkt.
Aber auch bei der Versorgungsgestaltung bleiben die angekündigten tiefgreifenden Strukturreformen aus. Stattdessen gibt es Luftbuchungen: Laut Finanztableau der Arbeitsgruppe „Gesundheit und Pflege“ sollen mehr Prävention und ein verbindliches Primärarztsystem bereits ab 2026 viel Geld sparen. Wie soll das gehen? Im Übrigen sind die Kassen schon seit 20 Jahren zu einem flächendeckenden Angebot der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) verpflichtet. Dabei ist das besonders erfolgreiche Modell der AOK Baden-Württemberg gar kein reines HzV-Modell, sondern mit einer Reihe von Facharztverträgen verknüpft, die – neben vielen Strukturvorgaben – auch bei Terminvergaben helfen. Die Idee, dieses sehr voraussetzungsvolle Vertragskonstrukt per Gesetz „auszurollen“, ist völlig realitätsfern.
„Ein gutes Primärarztsystem ist sehr voraussetzungsvoll.“
Volkswirt und ehemaliger Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)
Geplant ist zudem eine Vergütungsreform für ambulante Fachärzte. Diese Absicht hatte bereits die letzte schwarz-rote Bundesregierung, die ein modernes Vergütungssystem für die gesetzliche und private Krankenversicherung schaffen wollte. Eine eigens gebildete Kommission legte Ende 2019 einen umfangreichen Bericht vor, der seitdem in der Schublade liegt. Jetzt kommt die private Krankenversicherung, deren Existenz der Hauptgrund für die Wartezeit-Problematik ist, nicht einmal mehr vor.
Das alles klingt leider nach ganz kleinem Karo für die nächsten vier Jahre und nicht nach den erforderlichen tiefgreifenden Strukturreformen.
Mitwirkende des Beitrags

Autor
Datenschutzhinweis
Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.
Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.