Interview Gesundheitssystem

„Es ist wichtig, eine Entscheidung zu Lebzeiten zu treffen“

18.03.2024 Otmar Müller 3 Min. Lesedauer

Seit dem 18. März ist das vor vier Jahren beschlossene Organspende-Register online. Damit kann die Bereitschaft zur Organ- oder Gewebespende erstmals digital gespeichert werden. Ebru Yildiz, Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation der Universitätsmedizin Essen, erläutert, welche Konsequenzen das neue Register mit sich bringt.

Zwei Hände ragen ins Bild, die Handflächen sind nach oben geöffnet und die Hände berühren sich. In der sich daraus ergebenden Handmulde liegt eine aus Papier ausgeschnittene Abbildung von zwei Nieren.
Aktuell stehen in Deutschland pro Jahr rund 8.400 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan.
Foto: Porträt von Dr. Ebru Yildiz, Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation der Universitätsmedizin Essen.
Dr. Ebru Yildiz, Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation der Universitätsmedizin Essen

Frau Dr. Yildiz, was genau ändert sich durch das neue Online-Register im Bereich der Organspende?

Dr. Ebru Yildiz: Nach langer Verzögerung wird es nun endlich ein zentrales Online-Organspende-Register geben, in dem Erklärungen zur Spendenbereitschaft gesammelt sind. Ich denke, es wird helfen, Zeit zu sparen und bei allen Beteiligten für mehr Rechtssicherheit sorgen. Den seit Jahren in Deutschland herrschenden Organspende-Mangel wird auch das neue Register nicht sofort beheben. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass die Online-Registrierung dazu führen wird, dass mehr Menschen zu Lebzeiten eine Entscheidung treffen werden – vor allem, wenn die Registrierung mit der Gesundheitskarte oder über eine App künftig noch einfacher möglich ist. Das ist aktuell für den Sommer geplant.

Entlastet das Angehörige im Ernstfall von einer schweren Entscheidung?

Dr. Yildiz: Das ist meiner Meinung nach ein sehr entscheidender Punkt. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass die Mehrzahl der Deutschen einer Organspende gegenüber sehr aufgeschlossen ist, der Wille zur Organspende wird jedoch nicht annähernd so häufig dokumentiert. Angehörige müssen dann eine Entscheidung im Sinne des Verstorbenen treffen. Und das in einem Zustand der Trauer, also in einer sehr emotionalen Situation, in der rationale Entscheidungen schwer sind, erst recht, wenn es nicht um einen selbst geht. Deshalb appelliere ich immer wieder, diese Entscheidung zu Lebzeiten zu treffen – ob nun für oder gegen eine Organspende – vor allem auch, um die eigenen Angehörigen zu entlasten.

Ein Mensch wird nach einem Unfall ins Krankenhaus gebracht, seine Überlebenschancen sind nur noch sehr klein – bitte erklären Sie doch einmal den weiteren Ablauf, wenn dieser Mensch als Organspender infrage kommt.

Dr. Yildiz: Vorab möchte ich einmal kurz betonen: Leben und Überleben stehen immer an erster Stelle. Ziel aller medizinischen Maßnahmen ist es stets, Leben zu retten. Das wird im Zusammenhang mit einer potenziellen Organspende nicht selten angezweifelt, deshalb ist es mir so wichtig. Erst wenn jede ärztliche Hilfe ausgeschöpft ist und der Patient nicht mehr gerettet werden kann, stellt sich die Frage einer Organspende. Dazu müssen die Durchblutung und die Funktionen des Gehirns vollständig ausgefallen und unumkehrbar sein. Der Hirntod muss eingetreten sein. Wir sprechen hier von einem vollständigen, irreversiblen Hirnversagen. Erst dann ist die medizinische Voraussetzung für eine Organspende gegeben. Kreislauf und Atmung dürfen nur noch künstlich durch Beatmung und Medikamente möglich sein. Die Bundesärztekammer hat für diesen Fall Richtlinien festgelegt, wie der Hirntod genau festgestellt werden muss. Zwei eigens dafür qualifizierte Ärzte müssen zunächst unabhängig voneinander prüfen, ob der Hirntod in beschriebener Art eingetreten ist. Es muss eine zweite Untersuchung erfolgen, wiederum müssen zwei dafür qualifizierte Ärzte die Unumkehrbarkeit des Hirnfunktionsausfalls bestätigen. Erst nach dieser zweiten Phase werden die Organe zur Spende freigegeben. Wichtig ist, dass diese überprüfenden Ärzte weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe beteiligt sein dürfen. Sie dürfen noch nicht einmal der Weisung eines beteiligten Arztes unterstehen.

Foto: Eine Hand mit einem blauen Einmalhandschuh übergibt ein rotes Gummiherz an eine offen gehaltene Hand.
Zu viele Menschen warten lange oder vergeblich auf ein Spenderorgan, sagt Axel Rahmel. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) erläutert, wie sich die Situation verbessern ließe.
20.03.2024Axel Rahmel4 Min

Aktuell stehen pro Jahr rund 8.400 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Demgegenüber spenden aber gerade einmal 965 Menschen jährlich ein oder mehrere Organe. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären?

Dr. Yildiz: Meiner Erfahrung nach fehlt es noch zu vielen Menschen an Informationen. Und im Zweifel neigt man dann dazu, lieber gar nichts zu entscheiden. Das ist menschlich absolut nachvollziehbar. Nach deutschem Recht müssen dann, wenn also keine Entscheidung dokumentiert ist, Angehörige befragt werden, die sich damit verständlicherweise sehr schwertun.

Ist das ein typisch deutsches Problem?

Dr. Yildiz: In den meisten europäischen Ländern gibt es tatsächlich im Verhältnis zu den Einwohnern deutlich mehr dokumentierte Organspender als in Deutschland. Die Widerspruchslösung ist die verbreitetste Regelung in Europa. Sie sieht vor, dass jeder ein potenzieller Organspender ist, sofern er nicht aktiv widersprochen hat. Tatsächlich hat die Widerspruchslösung Einfluss auf die Spendenbereitschaft, denn langfristig führt sie zu einer „Kultur der Organspende“. Organspende ist dann normal. Deswegen sind im europäischen Ausland die Zahlen eben deutlich höher.

Der Bundesrat möchte erneut eine Gesetzesinitiative zur Widerspruchslösung starten. Die Einführung einer solchen Widerspruchslösung bekam jedoch bereits vor vier Jahren keine Mehrheit im Bundestag. Wird die Widerspruchslösung auf der Fachebene genauso kontrovers diskutiert?

Dr. Yildiz: In der Tat ist man sich hinsichtlich der Widerspruchslösung, die ja bereits einmal gescheitert ist, aus politischer Sicht nicht einig. Ich betrachte das aus Sicht einer Transplantationsmedizinerin. Wir in der Transplantationsmedizin sind uns überwiegend einig, dass wir für einen Kulturwandel die Widerspruchlösung dringend benötigen. Ob es nun Widerspruchs-, Zustimmungs- oder Entscheidungslösung heißt, ist dabei unerheblich – wichtig ist aus meiner Sicht, dass zu Lebzeiten eine Entscheidung getroffen und dokumentiert wird. Darauf sollte der Fokus liegen. Dazu bedarf es mehr Aufklärung und die Dokumentation sollte so einfach wie möglich sein. Nicht zuletzt deshalb haben das Westdeutsche Zentrum für Organtransplantation (WZO) und die Universitätsmedizin Essen die Kampagne #ruhrentscheidetsich ins Leben gerufen.

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