Interview Gesundheitssystem

„Wir haben ein Strategiemangelproblem"

12.05.2025 Ines Körver 3 Min. Lesedauer

Die Krankenhausreform dürfte als die größte gesundheitspolitische Leistung der abgewählten Ampelregierung gelten. Sie sorgt unter anderem für Strukturveränderungen im stationären Sektor und geht mit baulichen Veränderungen an Klinikgebäuden einher. Mit Tom Guthknecht, Architekt mit Pflegeausbildung und Lehrauftrag an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, sprach G+G.

Blick von oben auf eine Lobby in der Ärztinnen und Ärzte sich unterhalten.
Krankenhausgebäude müssen viele unterschiedliche Anforderungen erfüllen.
Foto: Tom Guthknecht, Architekt mit Pflegeausbildung und Lehrauftrag an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich.
Tom Guthknecht, Architekt mit Pflegeausbildung und Lehrauftrag an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich

Im Zusammenhang mit der Krankenhausreform sind auch die Architekten gefragt. Wie steht es um die deutschen Bestandsbauten?

Tom Guthknecht: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) spricht davon, dass wir allein in den letzten zehn Jahren einen Investitionsstau von 30 Milliarden Euro haben. Das ist schon eine ziemliche Ansage. Man muss allerdings auch berücksichtigen, dass die Betriebskosten in den Krankenhäusern in Deutschland niedriger sind als im europäischen Vergleich. In Deutschland liegen sie bei rund 6.000 Euro pro Fall, in Dänemark bei 7.000 und in der Schweiz bei 8.000 Euro pro Fall und mehr – nach Angaben der DKG. Die Akutbettendichte in Deutschland ist aber extrem hoch. Wir haben eine Akutbettendichte von 6,0 pro 1.000 Einwohner. In der Schweiz sind es 3,5 pro 1.000 Einwohner und in Dänemark 2,5 pro 1.000 Einwohner. Das bedeutet für Deutschland, dass die Fallkosten niedriger liegen mögen, aufgrund des Überangebotes an Betten kommt es dennoch zu hohen Mehrkosten.

Zur Infrastruktur selber: Krankenhäuser sind in Deutschland nach wie vor Individualbauten und damit jeweils ein Kind ihrer Zeit. Diese Bauten sind extrem schlecht anpassbar. Das Paradigma des sogenannten Tower on Podium – also der Breitfuß (Konzeptidee: 1935) mit unten wenigen hohen Geschossen für Untersuchung und Behandlung und oben drauf ein Bettenturm mit niedrigen Geschossen – ist nach wie vor nicht überwunden. Damit ist keine Umnutzung möglich. Der Gedanke, mit weniger Geschosshöhe Geld zu sparen, ist falsch. Denn das schränkt Umnutzbarkeit und Nachhaltigkeit ein

„Der Kardinalfehler liegt darin, dass Baukosten einmalig, Betriebskosten aber wiederkehrend sind.“

Tom Guthknecht

Architekt

Umnutzungsbedarf gab es bisher auch schon. Wie hoch war der in den vergangenen Jahren?

Guthknecht: Die Faustregel lautet: In einem neuen Funktionsbau mit Schwerpunkt Untersuchung und Behandlung bauen Sie in den ersten zehn Nutzungsjahren rund 60 Prozent der Fläche um. Die Politik meint immer: „Jetzt haben wir doch dieses neue Krankenhaus, dann ist erst mal für zehn Jahre Ruhe.“ Das stimmt nicht. Der Kardinalfehler liegt darin, dass Baukosten einmalig, Betriebskosten aber wiederkehrend sind. Das heißt, man spart bei einmaligen Baukosten ein und verursacht damit bei den wiederkehrenden Kosten einen hohen Mehraufwand.

Im Rahmen der Krankenhausreform werden Häuser oder zumindest Abteilungen umgewidmet oder zusammengelegt. Wie sollte man da vorgehen?

Guthknecht: Ich betrachte das aus drei Perspektiven. Aus Krankenhaussicht sollten auf keinen Fall die alten Ideen weitergebaut werden. Die heutigen Strukturen verursachen einen überhöhten Personalbedarf mit hohen Kostenfolgen, der nicht mehr realisiert werden kann. Die Krankenhäuser sollten in strategische Planung investieren.

Aus Architektensicht würde ich den Büros empfehlen, jedes Projekt daraufhin zu überprüfen, ob der Betrieb auch mit 20 Prozent weniger Personal funktionieren kann. Das ist kein Schreckensszenario, sondern heute bereits Realität. Dazu kommt, dass die Planungsbüros bei jedem Projekt das Planungsteam zwei Wochen in den Einrichtungen volontieren lassen sollten, dann könnten die Planer die Probleme und Abläufe plötzlich viel, viel besser verstehen.

Aus Politikersicht sollte man nicht blauäugig glauben, dass man mit Neubauten strukturelle und organisatorische Probleme lösen kann. Wir haben kein Infrastrukturproblem, wir haben ein Strategiemangelproblem. Das heißt: nicht überstürzt einen Bau beginnen, weil sonst vielleicht das Geld aus dem aktuellen Jahreshaushalt verfällt, sondern grundlegende Strategiekonzepte entwickeln und erst dann diese im Bau umsetzen. Diese Planungszeit am Anfang kostet nicht etwa mehr Zeit und Geld, sondern spart viel Zeit und Geld.

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Aufgrund der Reform werden einige Kliniken stillgelegt, mancherorts entstehen Neubauten. Was raten Sie den Planern?

Guthknecht: Ich denke, wir müssen weg von dem Gedanken einer sogenannten medizinischen Monokultur. Wir brauchen eine Start-up-Kultur für unbeachtete gesellschaftlich-medizinische Probleme. Wenn man sich dazu informieren will, kann man nach Singapur oder Skandinavien schauen. Dort kann eine vormalige Einrichtung mit vielen unterschiedlichen Geschäftsmodellen eine neue Chance bekommen – je nach den Bedürfnissen des Einzugsgebietes.

Wir betrachten die aktuelle Strukturkrise in den Krankenhäusern viel zu isoliert auf die Akutversorgung. Es sollte eigentlich darum gehen, dass wir das Modell einer integralen Krankenversorgung umsetzen. Denn vielfach können die Krankenhäuser die oft älteren Patienten nicht nach beispielsweise fünf Tagen entlassen, und zwar deswegen, weil sie zu Hause allein sind. Wir brauchen also Auffangeinrichtungen, die günstiger sind als ein verlängerter Aufenthalt im hochpreisigen Akutkrankenhaus. Damit schaffen wir die Möglichkeit, aus bestehenden Einrichtungen, die nicht mehr als Akutkrankenhäuser fungieren sollen, etwas zu machen.

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