Sicher, bezahlbar und nachhaltig

Die Bereitstellung von Arzneimitteln wird zunehmend schwieriger. Neben der Finanzierbarkeit gewinnen Themen wie Sicherheit und Umweltverantwortung an Bedeutung. Auch für die AOK Baden-Württemberg und ihre Partner, wie ein Beispiel aus Ulm zeigt.

Hersteller mit Sinn für Nachhaltigkeit: Andreas Burkhardt zeigt die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach von Teva in Ulm.
Im Einsatz für Nachhaltigkeit: Andreas Burkhardt im Gespräch mit Nina Schnürer (re.), Managerin
Corporate Affairs, und Katja Maier, duale Studentin bei Teva.

Kurz nach 13 Uhr im Ulmer Donautal. Wir treffen Andreas Burkhardt, Deutschland-Chef des israelischen Konzerns Teva. Seit 2021 lenkt er die Geschicke des Unternehmens, das einer der größten Generikaanbieter weltweit ist und täglich Millionen Patientinnen und Patienten erreicht, unter anderem mit den Marken ratiopharm und AbZ-Pharma. In Ulm und Blaubeuren-Weiler entstehen über 1.800 Medikamente aus verschiedenen Therapiebereichen, darunter Generika und Biopharmazeutika, also biotechnologisch aus lebenden Zellen oder Bakterien hergestellte Medikamente, deren Patentschutz abgelaufen ist. Diese Nachahmer nennt man Biosimilars. Auch patentgeschützte Medikamente wie Copaxone gegen Multiple Sklerose und das Biopharmaka Ajovy gegen Migräne verkauft der Pharmariese.

Als Teva-Chef und Vorstandsvorsitzender von Pro Generika e.V. steht Andreas Burkhardt vor vielen Herausforderungen. An erster Stelle fragt er sich, wie er die Arzneimittelversorgung sichern kann. Er sieht Diskussionsbedarf und wünscht sich einen konstruktiven Austausch mit allen Akteuren. „Ich freue mich auf den Dialog mit der AOK Baden-Württemberg, um Lösungen zu finden, die allen Interessen gerecht werden“, sagt der 49-Jährige. Die aktuelle Preisregulierung im Pharmamarkt bereite ihm Sorgen. Es werde immer schwieriger, nachhaltige Lieferketten zu sichern. Der Preis als dominantes Kriterium zwinge zur kostengünstigen Produktion, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Die Konkurrenz mit Unternehmen, die beispielsweise in China günstiger produzieren, ist enorm und setzt deutsche Produktionsstätten stark unter Druck“, sagt er. Weniger strikte Vorgaben der Politik wären wichtig, um deutsche Produktionsstandorte zu sichern, Lieferketten zu diversifizieren und Innovationen zu fördern.

„Es wird immer schwieriger, nachhaltige Lieferketten zu sichern. Der Preis als dominantes Kriterium zwingt uns zur kostengünstigen Produktion.“

Andreas Burkhardt

General Manager, Teva Deutschland und Österreich

Verantwortung für die Umwelt

Auch Nachhaltigkeit spielt für Teva eine zentrale Rolle. Andreas Burkhardt führt auf die Dächer des Unternehmens und zeigt die beiden Photovoltaik-Anlagen. 3.580 PV-Module erzeugen eine Million Kilowattstunden Strom im Jahr. „Damit können wir jährlich über 700 Tonnen CO2 einsparen“, erklärt Burkhardt. Mit dem Strom der Anlage betreibt Teva unter anderem die firmeneigene E-Auto- Flotte. Seit 1996 arbeitet das Unternehmen im Rahmen seiner EMAS-Zertifizierung nach dem höchsten europäischen Umweltstandard daran, seine Treibhausgasemissionen systematisch zu steuern und zu verringern. Als produzierendes Unternehmen ist Teva auf verschiedene Materialien und Ressourcen angewiesen. „Eine besondere Rolle spielt für uns der verantwortungsvolle Umgang mit Wasser und Abwasser sowie die Nutzung von Wertstoffen“, sagt Burkhardt. Teva engagiert sich freiwillig über die gesetzlichen Vorgaben hinaus im Rahmen der internationalen AMR-Initiative gegen Antibiotika-Resistenzen, die auch durch pharmazeutische Rückstände in Abwässern entstehen können. 

Problematisch sieht er die kommunale Abwasserrichtlinie der EU von 2025. Die EU-Mitgliedstaaten haben 30 Monate Zeit, um sie in nationales Recht umzusetzen. Große kommunale Kläranlagen ab 150.000 Einwohnern sollen schrittweise mit einer vierten Klärstufe ausgestattet werden, um chemische Stoffe, etwa Rückstände von Medikamenten und Kosmetika, zu entfernen. Burkhardt hält es für nicht gerechtfertigt, dass die Pharma- und Kosmetikindustrie 80 Prozent der Kosten tragen soll. Es gehe nicht um das Abwasser der Fabriken. „Wir klären schon alles. Das Wasser ist top“, stellt er fest. Seiner Meinung nach ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dieses Problem zu lösen. Das Preisniveau für Generika würde durch solche Auflagen weiter steigen und damit die Versorgung unnötig gefährden, ist er sich sicher.

Impulse für gemeinsame Lösungen

Arzneimittel als Wirtschaftsfaktor: Landesgesundheitsminister Manne Lucha betont bei der AOK-Netzwerkveranstaltung die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft im Südwesten

Drei Wochen später in der AOK-Hauptverwaltung in Stuttgart: Andreas Burkhardt erläutert beim „Netzwerktreffen für nachhaltige Arzneimittelversorgung“ seine Positionen. Auf dem Podium sitzt auch auch Manne Lucha, Mitglied des Landtages und Minister für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg. Auch er hebt die Bedeutung einer sicheren und bezahlbaren Arzneimittelversorgung hervor. „Versorgungssicherheit ist ein zentrales soziales Anliegen“, so Lucha. Sie erfordere verlässliche Lieferketten, eine Diversifizierung der Produktionsstandorte und eine europäische Strategie zur Stärkung der heimischen Produktion. 

„Regionale Produktionskapazitäten sichern die Versorgung in Krisenzeiten und stärken Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Land.“

Manne Lucha, MdL

Minister für Soziales, Gesundheit und Integration, Baden-Württemberg

„Arzneimittelversorgung gehört zur kritischen Infrastruktur“, fügt der Minister an. Deshalb seien klare Bevorratungsstrategien für wichtige Arzneimittel und eine stärkere Integration von Nachhaltigkeitskriterien in die öffentliche Beschaffung nötig. „Regionale Produktionskapazitäten sichern nicht nur die Versorgung in Krisenzeiten, sondern stärken auch Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Land.“ Eine nachhaltige Arzneimittelversorgung bedeute auch langfristige wirtschaftliche Stabilität. „Wir müssen unsere Vorreiterrolle bei Nachhaltigkeitsstrategien ausbauen.“

Diskutierten in Stuttgart: Johannes Bauernfeind, Manne Lucha, Dr. Susanne Bublitz, Moderatorin
Maxana Baltruweit, Andreas Burkhardt, Sebastian Zirfas

Sebastian Zirfas, Head of Policy & Public Affairs und Mitglied der Geschäftsleitung bei Pfizer in Deutschland, skizziert seine Vision für den Pharma- Standort Deutschland bis 2040. „Wenn wir eine klare Vision für Forschung, Produktion und Versorgung entwickeln, kann Deutschland 2040 zu einem weltweit führenden Standort für medizinische Innovationen werden“, sagt Zirfas. Er sieht ein Land, in dem klinische Studien schneller starten, Patientinnen und Patienten die besten Therapien zuverlässig erreichen und nachhaltige, CO2-neutrale Produktion zum Standard wird. „Deutschland kann der weltweit innovativste Pharma- und Biotechnologiestandort sein – unter Berücksichtigung ökologischer und gesellschaftlicher Aspekte.“ Für Zirfas ist dies keine Utopie, sondern eine strategische Notwendigkeit: „Der Standort braucht zukunftsfähiges Wachstum durch eine Leitindustrie wie die pharmazeutische Industrie, eine gesunde Gesellschaft und eine bessere Anerkennung von Innovationen.“ Nachhaltigkeit sei dabei kein Selbstzweck, sondern Teil der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsstrategie. Entscheidend dabei: Zusammenarbeit. „Alle schwierigen Punkte auf dem Weg dorthin lösen wir nur gemeinsam.“

„Wenn wir eine klare Vision für Forschung, Produktion und Versorgung entwickeln, kann Deutschland 2040 zu einem weltweit führenden Standort für medizinische Innovationen werden.“

Sebastian Zirfas

Head of Policy & Public Affairs und Mitglied der Geschäftsleitung, Pfizer Deutschland

Susanne Bublitz, Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg, hebt die zentrale Rolle der Ärztinnen und Ärzte für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung hervor. „Nachhaltige Versorgung ist Kern ärztlicher Verantwortung“, sagt Bublitz. „Unsere Verordnungen beeinflussen Therapieerfolg, Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung.“ Für sie beginnt Nachhaltigkeit im Sprechzimmer: „Nur so viel wie nötig und so zielgerichtet wie möglich – das heißt, Indikationen prüfen, Medikamente nur bei klarem Nutzen verschreiben und bei fehlendem Nutzen absetzen.“ Patientenaufklärung und Zusammenarbeit mit Apotheken seien entscheidend.

„Zeit für Wissenserwerb, Dokumentation und Kommunikation muss honoriert werden. Digitale Lösungen können helfen.“

Dr. Susanne Bublitz

Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg

„Patienten müssen den Nutzen verstehen, bevor sie ein Medikament einnehmen. Begleitung und Kommunikation sind unerlässlich.“ Auch der richtige Umgang mit Arzneimitteln gehöre zur Verantwortung: „Wenn mehrere Medikamente gleich wirksam sind, sollte das umweltfreundlichere gewählt werden. Lagerung und sachgerechte Entsorgung sind wichtig. Studien zeigen, dass 30 Prozent der Bevölkerung Arzneimittelreste falsch entsorgen.“ Green Prescribing wird so zu einer ärztlichen Kompetenz. Bublitz fordert, Wissen über umweltresistente Wirkstoffe in Leitlinien und Fortbildungen zu integrieren und Nachhaltigkeit in der Vergütung zu berücksichtigen. „Zeit für Wissenserwerb, Dokumentation und Kommunikation muss honoriert werden.“ Digitale Lösungen wie die elektronische Patientenakte könnten helfen, den Überblick über Verordnungen zu behalten.“
 

Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, betont die Notwendigkeit einer nachhaltigen Arzneimittelversorgung in allen Dimensionen. „Die Arzneimittelversorgung bleibt nur stabil, wenn sie ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltig ist“, sagt Bauernfeind. Er fordert, dass das Land dieses Thema konsequent auf europäischer Ebene voranbringt: „Ein einheitlicher Rechtsrahmen auf EU-Ebene ist nötig, um mit der europäischen Marktmacht mehr Diversifizierung sowie bessere Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit zu erreichen.“ Die derzeitigen Möglichkeiten der Krankenkassen, etwa über Arzneimittelrabattverträge, seien begrenzt. „Das EU-Pharma-Paket geht in die richtige Richtung, etwa um Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen, die jährlich weltweit über eine Million Menschen töten. Doch es reicht nicht aus, um die Probleme an der Wurzel zu packen.“ Bauernfeind fordert verbindlichere Lösungen, um europaweite Lieferengpässe und ökologische Herausforderungen zu begegnen. So sollten verpflichtende Umweltkriterien eingeführt und konsequent überprüft werden. Für die Versorgungssicherheit sei Transparenz und ein umfassendes Frühwarnsystem für alle GKV-abrechnungsfähigen Arzneimittel entlang der gesamten Wertschöpfungskette unerlässlich.

„Ein einheitlicher EU-Rechtsrahmen ist nötig, um mehr Diversifizierung und bessere Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit zu erreichen.“

Johannes Bauernfeind

Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg

„Zudem ist es entscheidend, mit allen Akteuren im Land und im Bund im Gespräch zu bleiben und den Dialog kontinuierlich zu vertiefen, um nachhaltige Lösungen gemeinsam zu gestalten.“ Das sieht Andreas Burkhardt genauso. Die Veranstaltung habe gezeigt, wie wichtig der Dialog zwischen Krankenkassen, Politik und Industrie sei. „Viele Lösungen liegen auf dem Tisch. Wichtig ist, dass alle Akteure weiterhin im Gespräch bleiben und es zu Win-win-Ergebnissen kommt.“

Mehr über Liefersicherheit und Nachhaltigkeit in der Arzneimittelversorgung hören Sie im AOK-Podcast

Zwei Hände halten ein Smartphone, auf dessen Display der Unternehmens-Podcast der AOK Baden-Württemberg zu sehen ist.
Wir wollen neue Wege gehen und die Menschen mit Informationen zu Gesundheit, Prävention, Versorgung, Pflege und Gesundheitspolitik dort erreichen, wo sie sind – mitten im Leben. Deshalb produziert die AOK Baden-Württemberg jetzt einen gesundheitspolitischen Unternehmens-Podcast. Jede Episode widmet sich einem Thema, das uns gesundheitspolitisch am…

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