Reform mit Risiken
Mit einem neuen Teilhabegesetz will Baden-Württemberg die Pflege entbürokratisieren. Doch die Entlastung der Einrichtungen sollte nicht auf Kosten der Bewohner gehen.
Pflegeeinrichtungen arbeiten am Limit: Teams dokumentieren viel, leisten Mehrarbeit unter Zeitdruck und kämpfen mit Personalmangel. Die Landesregierung will mit dem Gesetz für Teilhabe- und Pflegequalität (TPQG) das bisherige Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG) ablösen. Der Plan: Verfahren vereinfachen, digitale Abläufe stärken und die Heimaufsicht vom „Routine-TÜV“ hin zu gezielten, anlassbezogenen Prüfungen umsteuern. Einrichtungen sollen spürbar aufatmen. Das begrüßen Träger wie Pflegekassen. Entlastung schafft Zeit für Menschen. Doch wie gelingt das, ohne Schutz und Qualität zu gefährden?
Zwei Punkte sorgen für intensive Debatten. Erstens: die ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Der Entwurf nimmt diese Wohnform komplett aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes heraus. Kritiker, darunter die Pflegekassen, warnen: Fallen Vorgaben und Kontrollen für ambulant betreute Wohngemeinschaften weg, geraten Qualitätsmängel aus dem Blick. Und das bei oft hochvulnerablen Gruppen wie Menschen in außerklinischer Intensivpflege. Die AOK mahnt zudem: Wenn stationäre Angebote in ambulante Strukturen „umgeparkt“ und ambulante Leistungsansprüche „gestapelt“ werden – und genau das ermöglicht die Herausnahme der ambulanten Wohngemeinschaften – , umgehen Träger womöglich Vorgaben.
„Dieses sogenannte Stapelmodell kann Personalpräsenz senken, die Versorgungskontinuität schwächen und dadurch auch negative Auswirkungen auf die Qualität haben, und das bei höheren Gesamtkosten. Mehr Rettungseinsätze oder Krankenhauseinweisungen könnten die Folge sein“, sagt Michael Klink, Pflegeexperte bei der AOK Baden-Württemberg.
„Entlastungen müssen bei den Menschen ankommen.“
Plegeexperte bei der AOK Baden-Württemberg
Zweitens stehen die Mitwirkungsrechte der Bewohnerinnen und Bewohner in der Kritik. Der Entwurf will die bisherige Verordnung ablösen und die Mitwirkung schlanker, praxistauglicher direkt im Gesetz regeln. Das Ziel überzeugt. Doch Verbände wie der BIVA-Pflegeschutzbund fordern eine klare, verbindliche Ausgestaltung, damit Beiräte verlässlich verankert bleiben. Die Kassen pochen auf Kohärenz: Das Leistungsrecht verlangt laut Sozialgesetzbuch XI eine Bewohner-Interessenvertretung. Das Ordnungsrecht muss das spiegeln, sonst entstehen Lücken.
„Wir wollen Entlastung, die auf den Stationen und bei den Menschen ankommt. Aber sie darf nicht zulasten von Qualität und Mitbestimmung gehen. Ambulante Wohngemeinschaften brauchen einen klaren Schutzrahmen und die Bewohner-Vertretungen müssen verlässlich im Gesetz stehen“, sagt AOK-Experte Michael Klink. Das Gesetz ist im Oktober in den Landtag eingegangen und soll Anfang des Jahres in Kraft treten.
Standpunkt: Teilhabegesetz - Entlasten mit Augenmaß
Entbürokratisierung – das klingt gut, und wir stehen dem positiv gegenüber. Aber nicht um jeden Preis. Wenn Regelungen gestrichen werden und so Einrichtungen Vorgaben und Kontrollen ungehindert umgehen können, entsteht ein Risiko. Bei vielen Einrichtungen wird das gut gehen. Doch es gibt auch „schwarze Schafe“. Deshalb müssen grundlegende Regelungen und Vorgaben erhalten bleiben.
Besonders problematisch sehen wir die geplante Herausnahme der ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Als Pflegekasse haben wir dort keine Handhabe: Wir haben keine Einflussmöglichkeiten auf die ambulanten Wohngemeinschaften, maximal auf die Pflegedienste. Fällt der heimrechtliche Schutz weg, sind die Bewohnerinnen und Bewohner allein. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass stationäre Einrichtungen aus wirtschaftlichen Gründen zu ambulanten umgemünzt werden – mehr Abrechnungsmöglichkeiten, weniger Kontrollen, mehr Freiheit. Das kann nach hinten losgehen, wenn jemand mehr als profitabel sein will. Für uns ist deshalb klar: Die ambulanten Wohngemeinschaften müssen im Gesetz bleiben. Sonst wäre das ein Freifahrschein für unkontrollierte Ambulantisierung.
Wichtig ist auch eine bessere Harmonisierung zwischen Ordnungsrecht und Leistungsrecht. Heute prüft erst die Heimaufsicht, dann der Medizinische Dienst. Das ist doppelter Aufwand für die Einrichtungen. Das Gesetz soll die Grundlagen angleichen und nicht weitere Hürden schaffen. Das entlastet wirklich. Auch in der Frage der Mitwirkungsrechte der Bewohnerinnen und Bewohner. Unser Ziel bleibt: Entlastung ja, aber mit sicherem Netz.