Mehr strategisches Denken und Nachhaltigkeit würden Geld sparen

Die Krankenhausreform sorgt für Strukturveränderungen und geht mit baulichen Veränderungen an Klinikgebäuden einher. Tom Guthknecht von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich sagt, worauf es aus Architektensicht ankommt.

Engagiert: Prof. Tom Guthknecht plädiert für durchdachte Klinikbauten.

Erst einmal: Wie steht es überhaupt um die Bestandsbauten im stationären Sektor?

Krankenhäuser sind in Deutschland nach wie vor Individualbauten und damit jeweils ein Kind ihrer Zeit. Ein oft umgesetzter Bautyp ist der sogenannte Breitfuß, auch bekannt als Tower on Podium, mit unten wenigen hohen Geschossen für Untersuchung und Behandlung und oben drauf ein Bettenturm. In diesem Modell ist kaum eine Umnutzung möglich.

Deutsche Krankenhäuser sind also wenig nachhaltig. Hat das noch weitere Gründe?

Durchaus. Nachhaltigkeit wird von den Kliniken selbst oft als Luxus empfunden. Das Beispiel München-Bogenhausen zeigt jedoch, dass man mit Nachhaltigkeit sogar Geld verdienen kann. Investitionen amortisieren sich in solch einem Projekt innerhalb der ersten Jahre und dann klingelt die Kasse. Die größte Hürde für die Nachhaltigkeit ist aber die mangelnde Konsistenz. Es gibt viele teure Einzellösungen, die nicht miteinander vernetzt sind, sich gegenseitig widersprechen und damit den Investitionsaufwand komplett unwirksam machen.

Umnutzungsbedarf gab es bisher auch schon. Wie hoch war der in den vergangenen Jahren?

Die Faustregel lautet: In einem neuen Funktionsbau mit Schwerpunkt Untersuchung und Behandlung bauen Sie in den ersten zehn Nutzungsjahren rund 60 Prozent der Fläche um. Die Politik meint aber oft: „Jetzt haben wir doch dieses neue Krankenhaus, dann ist erst mal für zehn Jahre Ruhe.“ Das stimmt leider nicht. Der Kardinalfehler liegt darin, dass Baukosten einmalig, Betriebskosten aber wiederkehrend sind. So spart man zwar bei den Baukosten ein aber verursacht bei den wiederkehrenden Betriebskosten hohen Mehraufwand.

„Die größte Hürde für die Nachhaltigkeit ist die mangelnde Konsistenz.“

Gibt es Vorbilder für nachhaltige Klinikarchitektur?

Ja, das Ospedale Maggiore di Milano des Architekten Filarete von 1456, das 500 Jahre als Spital funktionierte. Mit fünf Grundregeln kommen Sie da zum Erfolg. Erstens weniger Geschosse, bestenfalls weniger als sechs. Zweitens hohe Geschosshöhen in allen Geschossen, nichts unter 4,40 Meter. Drittens angemessene Gebäudetiefe, das heißt, nichts unter rund 25 Metern. Viertens Lichthöfe. Fünftens keine innen liegenden Steig-und Fallschächte; dadurch haben wir eine offene Produktionsplattform, die beliebig verändert werden kann.

Lassen sich Krankenhäuser schlauer bauen, sodass auch das Personal profitiert?

Ja, wir haben uns in den Projekten, die wir begleiten dürfen, das Ziel gesetzt, eine sogenannte Peace-of-Mind-Architecture umzusetzen. Der Rücken einer Pflegekraft trägt durch die Hebelwirkung rund siebeneinhalb Tonnen pro Tag. Nach 15 Jahren sind diese Leute daher in der Umschulung, verlassen den Job oder gehen in Rente. Nötig ist eine auf den unmittelbaren Arbeitsplatz zugeschnittene Architektur, die das Personal mental entlastet, physisch unterstützt und somit gesundheitsförderlich ist.

Kann man auch für die Patientinnen und Patienten etwas besser gestalten?

Da gilt: Mobilisierung führt zur Verkürzung der Aufenthaltszeiten. Deshalb brauchen wir Patienten-Lounges auf den Kassenstationen mit Internet, Sitzgruppen und Getränken. Holland macht das so. Das ist kein Luxus, sondern eine Investition zur Kostensenkung. Wir müssen die Patienten ab Tag eins aus dem Bett locken. Mit mehr Bewegung atmen sie besser Narkosegas ab, stärken sich und verkürzen damit die Aufenthaltsdauer. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Demografie. Untersuchungen zeigen, dass in internistischen Akutstationen der Anteil an Demenzbetroffenen 20 Prozent und größer sein kann. Wir müssen eine altersgerechte Akutkrankenhausstruktur aufbauen.

„Wir haben kein Infrastrukturproblem, wir haben ein Strategiemangelproblem.“

Im Rahmen der Krankenhausreform werden Häuser oder zumindest Abteilungen umgewidmet oder zusammengelegt. Wie sollte man da vorgehen?

Ich betrachte das aus drei Perspektiven. Aus Krankenhaussicht sollten unbedingt nicht die alten Ideen weitergebaut werden. Die heutigen Strukturen verursachen einen überhöhten Personalbedarf mit hohen Kostenfolgen, der nicht mehr realisiert werden kann. Die Krankenhäuser sollten in strategische Planung investieren. Aus Architektensicht würde ich den Büros empfehlen, jedes Projekt daraufhin zu überprüfen, ob der Betrieb auch mit 20 Prozent weniger Personal funktionieren kann. Man sollte zudem bei jedem Projekt das Planungsteam zwei Wochen in Einrichtungen volontieren lassen, um die Probleme besser zu verstehen. Aus Politikersicht sollte man nicht glauben, dass man mit Neubauten strukturelle Probleme lösen kann. Wir haben kein Infrastrukturproblem, wir haben ein Strategiemangelproblem. Das heißt: nicht überstürzt einen Bau beginnen, weil sonst vielleicht das Geld aus dem aktuellen Jahreshaushalt verfällt, sondern grundlegende Strategiekonzepte entwickeln und die im Bau umsetzen. Diese Planungszeit am Anfang kostet nicht etwa mehr Zeit und Geld, sondern spart viel Zeit und Geld.

Aufgrund der Krankenhausreform werden einige Kliniken stillgelegt, mancherorts entstehen aber auch Neubauten. Was raten Sie den Planern?

Wir brauchen eine Start-up-Kultur für unbeachtete gesellschaftlich-medizinische Probleme. Wir betrachten die aktuelle Strukturkrise in den Krankenhäusern viel zu isoliert mit Fokus auf die Akutversorgung. Ziel sollte eine integrale Krankenversorgung sein. Denn vielfach können die Krankenhäuser die oft alten Patienten nicht etwa nach fünf Tagen entlassen, und zwar deswegen, weil sie zu Hause allein sind. Wir brauchen Auffangeinrichtungen, die günstiger sind als ein verlängerter Aufenthalt im hochpreisigen Krankenhaus. Damit schaffen wir die Möglichkeit, aus bestehenden Einrichtungen, die nicht mehr als Akutkrankenhäuser fungieren sollen, etwas zu machen.

Was kann oder muss die Politik ändern, um nachhaltiges Bauen von Kliniken zu fördern?

Das große Vorbild haben wir in Deutschland mit den Berufsgenossenschaften, die die Vollkostenrechnung umgesetzt haben. Hier wird alles finanziert von der unmittelbaren medizinischen Versorgung nach einem Unfall bis hin zur Umschulung und Rentenanspruch und Sterbegeld. Was die Politik aufheben muss, ist die Trennung durch die duale Finanzierung. Dies verhindert strategische Investitionen, weil die bauliche Seite vor allen Dingen günstig bauen will, aber nicht auf die betrieblichen Folgekosten achtet. Am schlimmsten sieht es aus bei der Erstellung der Rahmenbedingungen für die Krankenhausprojekte. Aktuell sind die Institutionen, die diese Dokumente erstellen sollen, völlig überfordert. Die Folge ist eine rückwärtsgewandte Krankenhaus-Architektur, die mit Antworten von gestern die Probleme von morgen bewältigen soll. Die Politik muss einen runden Tisch der strategischen Positionierung von Gesundheitsbauten initiieren, und das lange vor den ersten Bauprojekten dazu

Zur Person

Professor Tom Guthknecht hat Architektur in Karlsruhe und Health Facility Planning in London studiert. Er erwarb für seine Architektentätigkeit wertvolle Praxiserfahrung als OP-Pfleger, promovierte 1996 an der Universität Stuttgart und habilitierte sich 2011 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich.
Seit 2005 unterrichtet er an verschiedenen Hochschulen in der Schweiz. 2012 wurde er Dozent für „Planung von Gesundheitsbauten“ an der ETH. Im eigenen Unternehmen plant und begleitet er Klinikprojekte in Europa und Übersee. Diese sollen möglichst nachhaltig, heilungsförderlich und personalschonend sein.

Pressekonferenz

Vorstellung des neuen Public Health Index

Wo steht Deutschland beim Thema Prävention im internationalen Vergleich?