Wenn die Online-Nutzung für Kinder gefährlich wird
Smartphones, Tablets und Spielekonsolen gehören für viele Kinder und Jugendliche zum Alltag. Doch aktuelle Studien warnen vor den Risiken einer zu hohen Bildschirmzeit für die körperliche und seelische Gesundheit. Fachleute sehen diese Entwicklung mit Sorge. Dr. Sylvia Böhme, Psychologin und Psychotherapeutin bei der AOK, gibt Tipps, wie Eltern den Internetkonsum ihrer Kinder sinnvoll begrenzen können.
Bereits in jungen Jahren ein eigenes Smartphone
Chatten, streamen, spielen, lernen – dass Kinder und Jugendliche viel Zeit online verbringen, ist längst normal. Viele besitzen bereits in jungen Jahren ein Smartphone. Laut der OECD-Studie „Besser leben – Kindliches Wohlergehen in einer digitalen Welt“ haben 98 Prozent der 15-Jährigen in den 38 OECD-Ländern ein eigenes Gerät. Auch bei jüngeren Kindern ist das Smartphone allgegenwärtig: 70 Prozent der Zehnjährigen besitzen ein eigenes Smartphone. In Finnland und Norwegen sind es sogar fast alle. Deutschland liegt im Mittelfeld.
Mindestens 30 Stunden pro Woche online
Mehr als die Hälfte der 15-Jährigen nutzt digitale Geräte über 30 Stunden pro Woche. Eine „signifikante Mehrheit“ sogar mehr als 60 Stunden. Sechs von zehn 15-Jährigen überschreiten an Schultagen häufig das empfohlene Zwei-Stunden-Limit für Bildschirmzeit „allein durch ihre Freizeitnutzung“, heißt es in der Studie.
Kinder und Jugendliche immer häufiger psychisch auffällig
Psychologin Böhme beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. „Wir sehen bei Kindern und Jugendlichen einen Anstieg psychischer Erkrankungen“, sagt die AOK-Expertin. Und: „Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und psychischer Gesundheit. Je mehr Zeit ein Kind am Bildschirm verbringt, desto wahrscheinlicher werden psychische Belastungen.“ Kinder und Jugendliche würden heutzutage einen Großteil ihrer Freizeit online verbringen – mit allen positiven und negativen Folgen, so Böhme weiter. „Digitale Medien beeinträchtigen die psychische Gesundheit direkt, zum Beispiel durch Cybermobbing oder Konfrontation mit unangemessenen Inhalten, und indirekt durch schlechteren Schlaf, weniger körperliche Aktivität und fehlende soziale Kontakte. Diese Risikofaktoren stellen häufige Auslöser für Depressionen oder Angstzustände bei Kindern dar.“
Die OECD-Studie warnt ebenfalls: Bei Kleinkindern könne übermäßige und passive Bildschirmnutzung ohne Aufsicht die neurokognitive Entwicklung und den Erwerb von Sprachfähigkeiten behindern, heißt es in der Studie. Böhme dazu: „Mit der Richtschnur ‚Bildschirmfrei bis 3‘ und der Orientierung von täglich maximal zehn Minuten pro Lebensjahr fährt man gut.“
Wie den Internetkonsum der Kinder regulieren?
Eltern spielen eine Schlüsselrolle beim Umgang mit Smartphone & Co. „Sie müssen ihren Kindern ein Vorbild sein“, sagt AOK-Psychologin Böhme. Kinder lernen von ihnen: Wer selbst andauernd aufs Smartphone starrt, wirkt unglaubwürdig, wenn er seinen Kindern die Smartphone-Nutzung verbietet oder einschränkt. Ein weiterer Aspekt: „Wer den eigenen Kindern zu wenige alternative Beschäftigungen anbietet, den muss es nicht verwundern, wenn sie sich mit leicht verfügbaren Medien beschäftigen“, so Böhme weiter.
Wichtig sind zudem eine gezielte Medienbildung und die Förderung digitaler Kompetenz an Schulen, die zeigt, welche guten Informationen das Internet und Social Media bieten und wie man sich sicher im Internet bewegt. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) betont dies in einem Themenheft. Digitale Geräte haben auch positive Seiten, etwa beim Lernen – wenn sie richtig eingesetzt werden. Das bestätigt auch die OECD-Studie. Böhme betont: „Digitale Geräte sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Dennoch sollten Kinder und Jugendliche nicht zu viel Zeit online verbringen – schließlich ist es für eine gesunde kognitive und körperliche Entwicklung unabdingbar, Erfahrungen in der analogen Welt zu machen.“
Rufe nach politischer Regulierung
Ob freiwillige Beschränkung und elterliches Vorbild ausreichen, um Kinder und Jugendliche vor Gefahren wie Cybermobbing, sexualisierter Gewalt, Pornografie, Desinformation oder Scam zu schützen, bleibt fraglich. Die OECD-Studie fordert „wirksame regulatorische Rahmenbedingungen“ und die Förderung von Technologien und Dienstleistungen, „die das Wohlergehen von Kindern in den Vordergrund stellen“. In Schleswig-Holstein gilt seit dem Schuljahr 2023/24 ein Verbot privater Handynutzung an Grundschulen, das nun auf weiterführende Schulen ausgeweitet werden soll. In Brandenburg, Hessen und Bremen sind ebenfalls kürzlich solche Handyverbote erlassen worden.