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EU-Ticker September 2025

30.09.2025 AOK-Bundesverband 7 Min. Lesedauer

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht Europa in der globalen Gesundheitspolitik in einer Führungsrolle. Sie kündigte EU-Unterstützung für eine neue internationale Initiative zur Stärkung der weltweiten Gesundheitsvorsorge an. Weitere Themen sind die Sorge um ein Aufweichen des „Critical Medicines Act“, eine Initiative gegen Antibiotika-Resistenz und der „Europäische Plan für die Gesundheit von Herz und Kreislauf“.

Die blaue Europafahne mit den gelben Sternen flattert im Wind.

EU soll in der Gesundheitspolitik Führung übernehmen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Unionsländer aufgefordert, in der globalen Gesundheitspolitik Die Gesundheitspolitik ist ein facettenreiches Gebiet, das weit über die in der Öffentlichkeit mit… eine Führungsrolle zu übernehmen. Im Europaparlament warnte sie am 10. September vor „einer neuen globalen Gesundheitskrise“. „Als ausgebildete Ärztin bin ich entsetzt über die Desinformation, die den globalen Fortschritt zum Beispiel bei der Bekämpfung von Seuchen wie Masern oder Polio bedroht“, sagte von der Leyen in ihrer ersten Rede zur Lage der Union in der neuen Amtsperiode

Sie kündigte EU-Unterstützung für eine neue internationale Initiative zur Stärkung der weltweiten Gesundheitsvorsorge an. Zudem wolle die Kommission 500 Millionen Euro in ein Projekt stecken, das darauf abziele, „die besten Köpfe aus Wissenschaft und Forschung nach Europa zu holen und hier zu halten“. „Wissenschaft hat keinen Preis, kein Geschlecht, keine ethnische Zugehörigkeit oder politische Farbe. Sie ist eines der wertvollsten globalen Güter“, so die Kommissionspräsidentin.

Kassen befürchten Aufweichen des „Critical Medicines Act“

Die deutschen Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… warnen vor einem Verwässern der geplanten EU-Maßnahmen für eine sichere Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln. Die Kritik richtet sich gegen eine mögliche Erweiterung des sogenannten „Critical Medicines Act“.

Der Vorschlag von EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi zielt darauf ab, im Vorgriff auf die komplexe Reform des EU-Arzneimittelrechtes die Versorgung der EU-Staaten mit besonders wichtigen Medikamenten zu sichern. In seiner Vorlage für den Gesundheitsausschuss des Europaparlamentes (SANT) sprach sich der zuständige Berichterstatter Tomislav Sokol Anfang September dafür aus, den CMS-Geltungsbereich über „kritische Arzneimittel“ hinaus auf Medikamente „von gemeinsamem Interesse“ auszuweiten.

„Wenn – wie im Bericht gefordert – Orphan Drugs oder neuartige antimikrobielle Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… in strategische Projekte und öffentliche Förderungen einbezogen werden, drohen Fehlallokationen und eine Verwässerung des Ziels des CMA“, heißt es dazu in der Stellungnahme der Europavertretung der deutschen Sozialversicherungen (DSV). Die Regelungen sollten sich deshalb „auf eine klar begrenzte Anzahl von Arzneimitteln mit unmittelbarer, kritischer Versorgungsrelevanz“ konzentrieren.

Die DSV bekräftigt in ihrer Reaktion auf den Sokol-Bericht auch die Kritik an verpflichtenden Vorgaben für Arzneimittelausschreibungen. Während die Várhelyi-Vorlage in dieser Frage vage bleibt, empfiehlt Sokol EU-weit geltende Vergabekriterien über den Preis hinaus. Bei den Ausschreibungsverfahren müsse die Arzneimittelproduktion in Europa deutlich stärker als geplant berücksichtigt werden. „Zwar können zusätzliche Kriterien wie Resilienz oder EU-Produktion grundsätzlich zur Versorgungssicherheit beitragen“, stellt die DSV fest. „Das EU-Vergaberecht Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen… bietet jedoch bereits heute Gestaltungsspielräume, die auch genutzt werden.“ So seien etwa in Deutschland die Krankenkassen bereits verpflichtet, bei ihren Rabattverträgen bestimmte Arzneimittel aus europäischer Produktion zu berücksichtigen.

„Eine verpflichtende Anwendung weiterer Kriterien würde die Flexibilität öffentlicher Auftraggeber – insbesondere der Krankenkassen – einschränken und in Kombination mit der vorgesehenen Mehrfachvergabe zu erheblichen Kostensteigerungen führen, ohne die Versorgungssicherheit tatsächlich zu verbessern“, betont die DSV. Entsprechende Kriterien sollten deshalb optional bleiben. Dagegen begrüßen die Kassen den Sokol-Vorschlag, Pharmaunternehmen, die trotz öffentlicher Förderung ihre Lieferpflichten nicht erfüllen, künftig mit Sanktionen zu belegen: „Fördergelder dürfen nur gegen echte Gegenleistungen vergeben werden.“

Die Mitglieder des SANT-Ausschusses konnten bis zum 19. September ihre Änderungsvorschläge zum Sokol-Bericht einbringen. Jetzt laufen interfraktionelle Beratungen. Voraussichtlich am 2. Dezember entscheidet der Gesundheitsausschuss dann über seine Position zum CMA-Entwurf. Dieses Votum wiederum ist die Grundlage für die Abstimmung im Europaparlament. Die dänische Gesundheitsministerin Sophie Løhde ist nach eigenen Angaben bestrebt, das Projekt bis zum Ende der dänischen EU-Ratspräsidentschaft am 31. Dezember entscheidend voranzubringen.

EU startet globale Initiative gegen Antibiotika-Resistenz

Die Europäische Union will in den nächsten zehn Jahren 253 Millionen Euro in eine internationale Partnerschaft zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen investieren. Die EU-Kommission informierte am 23. September über die Gründung eines entsprechenden Zusammenschlusses von 53 Organisationen aus 30 Ländern. Im Sinne eines One-Health-Ansatzes gehe es um das Verringern des Einsatzes antimikrobieller Mittel und der Resistenz.

Die Aktivitäten des Projektes sollen von einem schwedischen Forschungsrat koordiniert werden. Die Partnerschaft „stärkt die Forschungskapazitäten, fördert Verbundforschung, unterstützt die politische Umsetzung und verbessert die Datennutzung“, so die Kommission. „Europa ist bereit, im weltweiten Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen eine Führungsrolle zu übernehmen“, sagte EU-Forschungskommissarin Ekaterina Sachariewa. Laut Kommission sind Antibiotikaresistenzen für jährlich 35.000 Todesfälle in der EU verantwortlich.

Union nimmt Herz und Kreislauf in den Blick

Die EU-Kommission rechnet bis 2050 mit einem erheblichen Anstieg von Todesfällen durch Herz-/Kreislauferkrankungen (HKE) in der EU. Bereits jetzt seien kardiovaskuläre Erkrankungen mit jährlich mehr als 1,7 Millionen Sterbefällen die häufigste Todesursache in den 27 Unionsstaaten und der Grund für niedrigere Lebenserwartung und weniger Lebensqualität. Neben den persönlichen Folgen verweist die Kommission auch auf wirtschaftliche Konsequenzen. Der mit körperlichen Einschränkungen, Fehlzeiten und vorzeitigem Ruhestand durch HKE verbundene Rückgang der Produktivität und der Wirtschaftsleistung koste die EU jährlich rund 280 Milliarden Euro.

Um gegenzusteuern, arbeitet die Kommission an einem „Europäischen Plan für die Gesundheit von Herz und Kreislauf“. In Anlehnung an das Programm „Europas Kampf gegen den Krebs“ will Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi dem Europaparlament und dem Rat noch in diesem Jahr ein Konzept für bessere Prävention Prävention bezeichnet gesundheitspolitische Strategien und Maßnahmen, die darauf abzielen,… , Früherkennung Im Rahmen der Prävention dienen Maßnahmen der Früherkennung dazu, Krankheiten bereits im Frühstadium… und Therapie von HKE vorlegen. Verbände und Organisationen aus dem Gesundheitswesen Das Gesundheitswesen umfasst alle Einrichtungen, die die Gesundheit der Bevölkerung erhalten,… , die Wirtschaft, Gesundheitsdienstleister, Forschungseinrichtungen, nationale Behörden und Patientenvertretungen konnten dazu bis zum 17. September Stellungnahmen einreichen. Über den aktuellen Stand informierte Várhelyi den Rat der EU-Gesundheitsminister bei dessen informeller Tagung am 16. September in Kopenhagen.

Aus Sicht der Europavertretung der deutschen Sozialversicherungen (DSV) sollte bei dieser EU-Initiative „die Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensumstände“ Vorrang haben, „ergänzt durch evidenzbasierte Vorsorgeangebote und eine hochwertige Versorgung einschließlich Rehabilitation Die Weltgesundheitsorganisation versteht unter Rehabilitation alle Maßnahmen, die darauf abzielen,… und Wiedereingliederung“. „Der wirksame Ansatz liegt nicht in einer weiteren Medikalisierung durch zusätzliche Screenings oder eine Ausweitung von Arzneimittelverschreibungen, sondern in einem konsequenten Ansatz zur Stärkung von Verhältnis- und Verhaltensprävention sowie Gesundheitskompetenz“, heißt es im DSV-Feedback zur Sondierung der Kommission.

Prävention müsse vor allem auf „veränderliche Risikofaktoren wie Rauchen, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum und psychosoziale Belastungen“ abzielen, stellt die DSV klar. Zudem dürften sich die Maßnahmen nicht auf den Gesundheitssektor beschränken, sondern müssten im Sinne eines „Health in All Policies“-Ansatzes auch Umwelt-, Verkehrs-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik einbeziehen. „Klimawandel und Umweltfaktoren wie Hitzeperioden, Luftverschmutzung und Extremwetterereignissen stellen zentrale Risikofaktoren dar.“

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten gebe es bereits zahlreiche Initiativen, die es zu verknüpfen gelte. Die DSV plädiert deshalb für einen EU-Plan, der „gemeinsame Zielsetzungen, evidenzbasierte Prioritäten sowie Transparenz- und Vergleichbarkeitsstandards fördert und so Anreize für wirksame Maßnahmen schafft“. Dazu zählen aus Sicht der Europavertretung „eine wirksame Tabak- und Alkoholpolitik, Maßnahmen zur Reduzierung von Salz-, Zucker- und Fettgehalt in Lebensmitteln, die Förderung aktiver Mobilität sowie eine systematische Stärkung von Ernährungs- und Bewegungsangeboten über alle Lebensphasen hinweg“. Die Förderung der Gesundheitskompetenz sollte bereits in Bildungseinrichtungen beginnen, „um auch sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen wirksam zu erreichen“.

Ein EU-Plan müsse überdies „die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit“ in den Blick nehmen, heißt es im DSV-Feedback. 2023 seien HKE-Diagnosen in rund 15 Prozent der Fälle Grund für neue Erwerbsminderungsrenten gewesen.

EU-Rechnungshof analysiert Arzneimittel-Engpässe

Ein Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes (ECA) zur Arzneimittelversorgung erhöht den Handlungsdruck auf die politischen Institutionen der EU. Die am 17. September veröffentliche Analyse liefert zwar keine grundlegend neuen Erkenntnisse zur Versorgungssituation, benennt aber in kompakter Form die strukturellen Probleme. Danach mangelt es in der EU vor allem an relevanten und rechtzeitigen Informationen über drohende Arzneimittel-Engpässe. Bei Bekämpfung der Engpass-Ursachen stehe die Gemeinschaft „noch ganz am Anfang“.

Laut ECA-Bericht wurden 2023 und 2024 von Pharmaunternehmen in 1.718 Fällen Lieferengpässe gemeldet – mehr als die Hälfte davon gingen erst nach dem aufgetretenen Engpass bei den nationalen Behörden ein. Nur 56 Prozent erreichten auch die für die Koordination auf EU-Ebene zuständige Europäische Arzneimittelagentur Die EMA (früher EMEA) ist als Agentur der Europäischen Union für die Zulassung und Überwachung von… (EMA) in Amsterdam. Verantwortlich für die unzureichenden Informationen ist aus Sicht des ECA die aktuelle Gesetzeslage. Sie verpflichte Industrie und Mitgliedstaaten nur im Fall einer offiziell ausgerufenen Gesundheitskrise – Beispiel Corona-Pandemie – dazu, Daten zu Produktionskapazitäten, Lagerbeständen, Nachfrage und alternativen Medikamenten an die EMA zu liefern. Die Autoren empfehlen eine Berichtspflicht auch abseits akuter Krisen und wünschen sich eine deutlich stärkere Koordination durch die EMA.

Der Bericht begrüßt die angelaufenen Maßnahmen für mehr Versorgungssicherheit. Die im Dezember 2023 veröffentlichte Liste „kritischer Arzneimittel“ sei ein wichtiger Schritt, garantiere aber alleine noch keine bessere Verfügbarkeit. Bei einigen der dort aufgeführten Präparate gebe es weiterhin einen „bedrohlichen Mangel“. Als Hauptursachen nennt der Sonderbericht Bekanntes: empfindliche Lieferketten und die weiterhin große Abhängigkeit von der Wirkstoffproduktion in Asien. Die Prüfer attestieren der EU auch hausgemachte Probleme, darunter eine unzureichende Harmonisierung des EU-Binnenmarktes für Arzneimittel. Kritisch bewertet der ECA-Bericht auch die Verfügbarkeit neuer Medikamente in den einzelnen EU-Staaten. Laut Analyse sind von 629 seit 2015 in der EU neu zugelassenen Arzneimitteln in Malta nur 107 verfügbar, in Deutschland dagegen 521.

Krankenkassen warnen vor Ethanol-Beschränkungen

Die gesetzlichen Krankenkassen sind gegen Einschränkungen bei der Verwendung von ethanolhaltigen Desinfektionsmitteln im Gesundheitsbereich. Hintergrund ist die laufende Neubewertung von Ethanol durch die Europäische Chemikalienagentur (Echa). Alle vor 2013 in der EU auf den Markt gekommenen Biozide müssen gemäß EU-Biozidprodukteverordnung daraufhin überprüft werden, ob sie Krebs verursachen, das Erbgut verändern oder die Fortpflanzung gefährden könnten (CMR-Gefahrstoffe). Das betrifft auch Hygieneprodukte wie Handdesinfektionsmittel und Desinfektionsmittel.

In ihrem Feedback zum Verfahren setzt sich die Europavertretung der deutschen Sozialversicherungen (DSV) für „verhältnismäßig, wissenschaftlich differenzierte und praktikable Lösungen“ ein. Ethanolhaltige Desinfektionsmittel seien „in der Pflege Kann die häusliche Pflege nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden, besteht Anspruch auf… , in Krankenhäusern und in anderen medizinischen Einrichtungen unverzichtbar, da sie Patientinnen, Patienten und Beschäftigte effektiv vor Infektionen schützen“, betont die DSV. Derzeit gebe es keine geeigneten Alternativen mit vergleichbarer Wirksamkeit und Verfügbarkeit.

Eine mögliche Neuklassifikation könne Verwendungsbeschränkungen mit weitreichenden Folgen für Arbeitswelt, Gesundheitsversorgung und Wirtschaft nach sich ziehen, warnt die DSV. Sichere Arbeitsabläufe dürften jedoch nicht durch unverhältnismäßige Auflagen beeinträchtigt werden. Bei sachgemäßer Anwendung seien Tätigkeiten mit ethanolhaltigen Desinfektionsmitteln aus Sicht des Arbeitsschutzes unbedenklich.

Auch der Bundesverbandes Medizintechnologie, die Pharmaindustrie und weitere Organisationen aus dem Gesundheitsbereich warnen vor Einschränkungen. „Im Gesundheitsbereich und in allen anderen Industriezweigen ist die Verwendung von Ethanol sicher und gut geregelt“, heißt es in ihrem gemeinsamen Positionspapier.