Kritik an Selbstzahlerleistungen in der Arztpraxis
Patientenverbände, Verbraucherschützer und der Medizinische Dienst (MD) Bund haben die Politik aufgefordert, strengere Regeln für den Verkauf von sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) einzuführen. Hintergrund sind neueste Analysen des MD Bund zu Selbstzahlerleistungen in der orthopädischen Praxis. So kritisiert etwa die Deutsche Stiftung Patientenschutz, das Geschäftsmodell der Ärzte setze auf Überrumpelung. Sie fordert eine Karenzzeit zwischen Angebot und Durchführung der Leistung.

Individuelle Gesundheitsleistungen sind Diagnose- und Behandlungsmethoden, die nicht zum Leistungskatalog Als Leistungskatalog werden die Leistungsarten der Krankenkassen bezeichnet, auf die ihre… der gesetzlichen Krankenversicherung gehören und deshalb von den Versicherten aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. Der Markt für diese IGeL-Angebote wächst seit Jahren und ist für die Ärzteschaft äußerst lukrativ – der Medizinische Dienst Bund geht davon aus, dass die Arztpraxen jährlich mindestens 2,4 Milliarden Euro mit individuellen Gesundheitsleistungen umsetzen. Dies war unter anderem das Ergebnis des „IGeL-Monitors“, der Ende 2024 vom Medizinischen Dienst (MD) Bund veröffentlicht wurde.
Das Team des „IGeL-Monitors“ hat nun erneut vor unnützen und sogar potenziell schädlichen Selbstzahlerleistungen gewarnt. Expertinnen und Experten des MD Bund hatten zuletzt speziell IGeL-Angebote im Bereich der Orthopädie genauer unter die Lupe genommen. Ihr Fazit: Die Wirkung von Hyaluronsäure-Injektionen bei Knie- und Hüftgelenksarthrose werden mit „negativ“, die Stoßwellentherapie bei Tennisarm und Kalkschulter mit „unklar“ bewertet. „Die jüngsten Bewertungsergebnisse des IGeL-Monitors zeigen erneut, dass viele IGeL nicht halten, was sie versprechen: Viele Selbstzahlerleistungen schaden mehr als sie nützen. Uns besorgt, dass die Patientinnen und Patienten in den ärztlichen Praxen oftmals nicht über das Schadensrisiko aufgeklärt werden. Die Praxen sollten verpflichtet werden, unabhängig erstellte wissenschaftsbasierte Bewertungen und Informationen regelhaft anzubieten“, so Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des MD Bund.
AOK fordert gesonderte IGeL-Sprechstunde
Es sei bedenklich, dass in Arztpraxen so viele medizinische Leistungen verkauft würden, „die aus guten Gründen nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung sind“, kritisiert auch die Geschäftsführerin Versorgung des AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Bundesverbandes, Dr. Sabine Richard. Trotz Gegenwind aus der Ärzteschaft erneuert die AOK ihre Forderung nach einer Extra-Sprechstunde für IGeL: „Die normalen Sprechstunden sollten frei sein von Verkaufsgesprächen, zumal diese missbräuchliche Verwendung der ärztlichen Arbeitszeit auch direkt auf Kosten der GKV und ihrer Versicherten geht.“ Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte im Vorfeld die Politik aufgefordert, den Vertrieb von privat zu zahlenden ärztlichen Leistungen in der Kassensprechstunde zu verbieten.
Ärzte setzen auf „Überrumpelung“
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU): „Was für Haustürgeschäfte gilt, hat auch für IGeL zu gelten: Zwischen dem ärztlichen Angebot und der Leistung braucht es eine Bedenkzeit von 14 Tagen.“ Werde die Frist nicht eingehalten, könne der Patient die Zahlung verweigern, so Brysch gegenüber „Gesundheit und Gesellschaft“ (G+G). Das bisherige Geschäftsmodell setze viel zu oft auf Überrumpelung.
Das Wissenschaftsteam des „IGeL-Monitors“ bewertet seit mehr als zehn Jahren evidenzbasiert den Nutzen und Schaden von Individuellen Gesundheitsleistungen und bereitet die Informationen für die Versicherten einfach verständlich auf. Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten eine wissenschaftsbasierte Entscheidungshilfe für oder gegen den Kauf einer IGeL anzubieten. Der „IGeL-Monitor“ hat aktuell 60 IGeL bewertet – davon 31 Leistungen entweder mit „tendenziell negativ“ oder „negativ“. 26 IGeL haben das Ergebnis „unklar“ − das heißt, für ihren Nutzen gibt es meistens keine ausreichende Evidenz. Mit „tendenziell positiv“ schneiden lediglich 3 Selbstzahlerleistungen ab. Keine Leistung konnte mit „positiv“ bewertet werden.
Einer früheren Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO Das WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) liefert als Forschungs- und Beratungsinstitut der… ) zufolge geht die Initiative zur Inanspruchnahme von Selbstzahlerleistungen in der Mehrzahl der Fälle (74,7 Prozent) vom Arzt Die ärztliche Berufsausübung, die Ausübung der Heilkunde, setzt nach der Bundesärzteordnung eine… aus. Etwa drei Viertel der Patientinnen und Patienten (71,6 Prozent), die ein IGeL-Angebot erhalten haben, nahmen dieses dann auch in Anspruch.