Patientenrechtegesetz

Noch nicht gut genug

Vor zehn Jahren trat das Patientenrechtegesetz in Kraft. Zeit für eine kritische Bilanz.

Durch jede ärztliche Behandlung entsteht automatisch ein Behandlungsvertrag. Das Patientenrechtegesetz, das im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert ist, regelt seit 2013 die juristischen Ansprüche von Patientinnen und Patienten gegenüber Ärztinnen, Ärzten, Zahnärztinnen und Zahnärzten, Heilpraktikern, Hebammen, Psycho- und Physiotherapeuten. Aufklärungsgespräche, eine Beteiligung an wichtigen Entscheidungen zur Gesundheitsversorgung und die Einsicht in die Patientenakte sind durch das Patientenrechtegesetz verbindlich geregelt. Mehr Transparenz und Rechtssicherheit war das Ziel. Die zehnjährige Praxis zeigt, dass sich diese Rechte und damit auch Schadensersatzansprüche zum Teil nur schwer durchsetzen lassen.

Die Ampel-Parteien haben den Reformbedarf des Gesetzes zwar erkannt und diesen im Koalitionsvertrag verankert, passiert ist bisher aber nichts. Dies sollte sich aus Sicht von Patientenverbänden und der AOK NordWest schnell ändern.

„Der Gesetzgeber muss die Normen im Patientenrechtegesetz dringend nachjustieren. Für die Stärkung der Patientenrechte muss der Nachweis der Kausalität von Behandlungsfehlern erleichtert werden, die Dauer des Verfahrens verkürzt, sowie eine Haftpflichtversicherung verpflichtend für alle Behandelnden im Gesundheitswesen eingeführt werden “

Manuela Rothöft

Fachbereichsleiterin Ersatzleistungen der AOK NordWest

Rund 13.000 Verdachtsfälle auf Medizinschäden, die der Medizinische Dienst (MD) im Jahr 2021 im Auftrag der Krankenkassen zu prüfen hatte, sind bundesweit bekannt. In Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe begutachtete der MD insgesamt 522 Fälle (siehe Grafik). Eine hohe Dunkelziffer wird vom MD vermutet. Er geht davon aus, dass nur drei Prozent der tatsächlichen Fälle nachverfolgt werden, weil der Patient den Behandlungsfehler nicht erkennt. Behandelnde sollten deshalb gesetzlich dazu verpflichtet werden, Patientinnen und Patienten über Umstände, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, generell ohne Nachfrage zu informieren.

Wird ein Behandlungsfehler vermutet, liegt die Beweislast grundsätzlich beim Behandelten. Patientinnen und Patienten müssen demnach beweisen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dadurch ein Gesundheitsschaden eingetreten ist. Nur bei groben Behandlungsfehlern gilt die Beweislastumkehr. Dann hat der Behandelnde den Nachweis zu erbringen, dass sein Fehler nicht ursächlich für den gesundheitlichen Schaden ist. Um das bestehende prozessuale Ungleichgewicht zu Gunsten der Patienten aufzuheben, sollte nach Ansicht von Expertinnen und Experten der Beweis für die Kausalität zwischen Fehler und Schaden künftig als geführt gelten, wenn diese überwiegend wahrscheinlich ist. In vielen Ländern, etwa Großbritannien und Österreich, ist dies längst umgesetzt. Außerdem sind zumindest dann Sanktionen erforderlich, wenn Patienten ihre bereits gesetzlich verankerten Rechte noch immer nicht oder nur erschwert durchsetzen können, wie unter anderem bei der Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen oder auch bei grundloser Verzögerung der Regulierung berechtigter Schadensersatzansprüche. Zusätzlich sind Standards und Qualitätskriterien für die erforderlichen medizinischen Sachverständigengutachten zwingend notwendig.

„Bei den Medizinproduktschäden muss ebenfalls nachgebessert werden“, meint Rothöft. Aktuell werden explantierte Medizinprodukte häufig entsorgt, sodass das Beweismittel zur Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen nicht mehr zur Verfügung steht. Weiterhin ist wichtig, dass die Produktin­formationen ausreichend zur Verfügung stehen. Die elektro­nische Patientenakte kann künftig eine Erleichterung sein. Die AOK NordWest unterstützt ihre Versicherten bei der Durchsetzung von Behandlungs- und Pflegefehlern, sowie bei Medizinproduktschäden. Die Erfahrungen machen deut­lich, dass an vielen Stellen Handlungsbedarf besteht und der Gesetzgeber gefordert ist.

Auch aufgrund der rasant fortschreitenden Entwicklung der gesundheitlichen Versorgung, des Gesundheitssystems und der Digitalisierung ist eine Überprüfung des Patientenrech­tegesetzes angezeigt. In einem Dossier hat die AOK-Gemein­schaft konkrete Vorschläge erarbeitet, wie die Rechte von Patientinnen und Patienten gestärkt werden könnten.  

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