Chirurgie im Wandel: mehr Präzision und Sicherheit mit roboter-assistiertem Operieren
In den vergangenen Jahren hat roboter-assistiertes Operieren weltweit und auch in Deutschland erheblich zugenommen. Angesichts nachweislich positiver Effekte für Patientinnen und Patienten etabliert sich diese Methode immer öfter bei zahlreichen Eingriffen.

Die roboter-assistierte Chirurgie ist auf dem Vormarsch. Analysen des StuDoQ|Robotik-Registers und begleitende DRG-Daten über das Bundesstatistikamt (Destatis) zeigen, dass Roboterassistenzsysteme immer häufiger eingesetzt werden. Besonders die operative Behandlung von Erkrankungen des Dick- und Mastdarms hat von dieser Technologie profitiert: Knapp ein Drittel der kolorektalen Resektionen erfolgen heute demnach roboter-assistiert. Diese Methode ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung entzündlicher Darmerkrankungen und der Darmkrebsbehandlung. Im Jahr 2010 wurden hierzulande laut des Klinikkompasses etwa 5.000 Menschen roboter-assistiert (laut OPS-Code 5-987) operiert. Bis 2023 stieg die Zahl dieser Eingriffe auf rund 82.400. Weltweit sind 2025 geschätzt 6.700 chirurgische Robotiksysteme im Einsatz.
Roboter-assistierte Chirurgie: Präzision durch technische Unterstützung
Der Begriff Roboterchirurgie führt häufig in die Irre: Kein System operiert selbstständig. Bei roboter-assistierter oder computer-assistierter Chirurgie wird der Operateur durch ein Robotersystem unterstützt, nicht aber ersetzt. Die Systeme führen keine Entscheidungen selbstständig durch und funktionieren nach dem sogenannten Master-Slave-System: Der Operateur steuert das System und die Roboterarme führen seine Bewegungen aus.
Komplexität trifft Innovation
In der Viszeralchirurgie, die oft komplexe Eingriffe an Organen wie Leber, Magen und Darm umfasst, ist maximale Präzision erforderlich. Diese chirurgische Disziplin profitierte zunächst von der minimalinvasiven oder Schlüsselloch-Chirurgie (Laparoskopie), die eine Minimierung der Operationsschnittgröße ermöglichte, was mehrheitlich die Erholungszeit der Operierten verkürzt und postoperative Schmerzen reduziert. 1983 wurde die weltweit erste laparoskopische Appendektomie (Entfernung des Wurmfortsatzes) durch den Kieler Gynäkologen Kurt Semm durchgeführt.
Die robotisch-assistierten Verfahren sind Weiterentwicklungen der minimalinvasiven Chirurgie auf hohem technischen Niveau: Mit mehr Präzision und einer besseren Sicht auf das OP-Feld. Dies macht die Viszeralchirurgie zu einem idealen Anwendungsfeld für die robotische Hilfe am OP-Tisch. In kaum einem Gebiet wird die robotische Technik heutzutage so intensiv genutzt wie in der Viszeralchirurgie.
Die Anfänge der Robotik in der Chirurgie
Eine der ersten teilrobotischen Operationen wurde mit dem Robodoc in der Orthopädie vorgenommen. Er kam von 1994 bis 2004 auch in deutschen Kliniken zum Einsatz. Der angepasste Industrieroboter konnte bei der Implantation von künstlichen Hüftgelenken die notwendigen Knochenfräsungen vornehmen. Studien zeigten, dass mit dem System präzisere Fräsungen und eine bessere Passform der Implantate möglich wurden. Allerdings traten vermehrt Komplikationen auf. Der damalige Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen wertete 60 medizinische Publikationen über Robodoc aus. Mit dem Ergebnis, dass das Verfahren keine beweisbare Überlegenheit gegenüber der handgefrästen Implantation hat und sogar eine Häufung von operationsspezifischen Komplikationen nachgewiesen werden konnte. Viele Patientinnen und Patienten litten nach dieser Roboter-OP zum Beispiel am „Robodoc-Hinken“ und reichten zahlreich Klagen ein – was zu dazu führte, dass er vom Markt genommen wurde.
Parallel zum Robodoc wurde 1997 durch Jacques Himpens in Dendermonde (Belgien) die erste Entfernung der Gallenblase mit dem Prototypen Mona Lisa durchgeführt. Diesem Prototypen folgten weitere, die schließlich zum heutigen Marktführer DaVinci Surgical System (seit 2000) führten.
Bei den neuen Roboticsystemen wie zum Beispiel dem DaVinci-Robotiksystem oder dem Konkurrenzprodukt Senhance (Asensus Surgical) sitzt der Operierende mit einigen Metern Entfernung vom OP-Tisch an einer Konsole. Von dort aus bedient er mit sogenannten Handels drei oder mehr Greifarme und eine hochauflösende 3D-HD-Kamera für eine vergrößerte Sicht auf das Operationsfeld. Über Hand- und Fußpedale steuert er die Instrumente.
Die heutigen Systeme bieten Chirurgen zahlreiche Vorteile. In Deutschland sind geschätzt 300 DaVinci-Geräte im Einsatz. „Besonders bei komplexen Eingriffen wie Speiseröhren-, Magen- und Darmkrebsoperationen ermöglichen Robotic-Systeme eine exakte Tumorresektion, selbst in schwer zugänglichen Bereichen“, sagt Prof. Dr. Ludger Staib, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Esslingen, anlässlich des Deutschen Chirurgie Kongresses (DCK 2025).
Von der Entwicklung zur Kassenleistung: Wie neue Verfahren finanziert werden
Bevor ein neues medizinisches Gerät in Deutschland und in der EU in den klinischen Einsatz kommt, muss es ein umfassendes Bewertungsverfahren durchlaufen. Je nach Risikoklasse des Produktes gibt es unterschiedliche Anforderungen. Das Verfahren stellt sicher, dass grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllt sind. Am Ende des Verfahrens stehen die klinische Bewertung und Betreiberpflichten. Ist die Zulassung erteilt, unterliegt das Gerät der Marktüberwachung und kann eingesetzt werden. In Europa ist die CE-Kennzeichnung ein weiteres wichtiges Kriterium für die Zulassung.
„Besonders bei komplexen Eingriffen ermöglichen Robotic-Systeme eine exakte Tumorresektion, selbst in schwer zugänglichen Bereichen.“
Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Esslingen
Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) sind medizinische Verfahren oder Technologien, die noch nicht im deutschen DRG-System abgebildet sind. Mittelfristig werden diese Produkt- und Verfahrensinnovationen in dem jährlich aktualisierten G-DRG-System berücksichtigt, dürfen aber nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausgeschlossen werden (Verbotsvorbehalt). Es dauert etwa drei Jahre, bis das neue Verfahren mit einem neuen Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) abgerechnet werden kann. Damit Innovationen rascher in die klinische Praxis kommen, gibt der Gesetzgeber (Paragraf 6 Abs. 2 KHEntgG) den Vertragsparteien die Möglichkeit, auf ein Jahr befristete Vergütungen zu vereinbaren. Dazu stellt das Krankenhaus beim Institut für das Entgeltsystem (InEK) einen sogenannten NUB-Antrag, wobei die Entgelte für Innovationen sachgerecht kalkuliert werden sollen. Das Institut prüft die bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres eingehenden Anträge der Krankenhäuser und bewertet diese in Hinsicht auf die zusätzliche Finanzierung zu einer DRG. Bei einer positiven ökonomischen Bewertung können die antragstellenden Krankenhäuser mit den gesetzlichen Krankenkassen sogenannte NUB-Entgelte aushandeln, die zusätzlich zu den regulären Fallpauschalen der DRGs gelten.
Robotisch operieren: Einführung, Training und „Führerschein“
Die Assistenzsysteme sind in der Anwendung nur so gut und sicher, wie die Chirurginnen und Chirurgen sie bedienen können. Deshalb gibt es spezielle Trainings. Minimalinvasive Chirurgie ist seit mehr als 30 Jahren in der Viszeralchirurgie flächendeckend eingeführt und fester Bestandteil jeder Aus- und Weiterbildung. Robotische Chirurgie ist dagegen erst seit circa zehn Jahren zunehmend etabliert.
Die Patientensicherheit in der robotisch-assistierten minimalinvasiven Chirurgie hängt vor allem von der Lernkurve der Operierenden, der technischen Ausstattung des Zentrums, der Supervision durch erfahrene Chirurginnen und Chirurgen und standardisierten Schulungskonzepten ab. Chirurgische Nachwuchsmediziner seien heute zunehmend in minimalinvasiven als in offenen Operationstechniken ausgebildet. Sie operierten bereits im ersten Jahr ihrer chirurgischen Ausbildung laparoskopisch, so Staib.
Für jeden operativen Eingriff muss in Deutschland der chirurgische Facharzt-Standard vom verantwortlichen Chefarzt gewährleistet werden. Assistenzärztinnen und -ärzte arbeiteten zunächst als Kameraführer oder als „Erster Tisch-Assistent“, bevor sie selbst operieren dürften. Dies gelte für minimalinvasive und für robotisch assistierte Operationen gleichermaßen und auch für das ganze Team einschließlich der Pflege, erläuterte Staib.
Aus- und Weiterbildung zum robotisch-assistierten Operieren
Das Erlernen der Laparoskopie ist in der sechsjährigen Weiterbildung zum Facharzt für (Viszeral)Chirurgie verankert. Die Weiterbildungsordnung sieht das Erwerben von Kompetenzen ohne Festlegung verschiedener oder neuer OP-Methoden vor. Die Vermittlung von Methoden, Verfahren und Techniken, also auch Robotik, obliegt den von der Ärztekammer ernannten Befugten, die die Weiterbildung in den Weiterbildungsstätten vor Ort anhand eines individuellen Weiterbildungsplans und gemäß dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse strukturieren und anleiten.
Robotisch operieren dürfen nur Fachärzte nach ihrer Ausbildung und erworbenem Zertifikat. Für den geübten Facharzt umfasst die Lernkurve zum Beispiel bei dem DaVinci-System laut Staib etwa 20 bis 30 Eingriffe. Ein Projektplan, hausinterne „Standard Operating Procedures“ (SOPs), stellten ferner sicher, dass die medizinischen Abläufe mit allen anerkannten Qualitäts- und Sicherheitsstandards durchgeführt würden. Strukturierte Trainingsprogramme, Simulatoren, Supervision sowie digitale Recordingsysteme zur Sicherung der Lernkurve seien tragende Elemente einer praxisnahen Ausbildung. Auch die Technikhersteller legten im Vertrag fest, welche Voraussetzungen Operateure brauchten, um das robotische System bedienen zu können. Jeder trainierte Operateur mache seine ersten Eingriffe zunächst unter Kontrolle eines Erfahrenen (Proctoring). Derzeit erstelle meist jede Klinik für sich und in Absprache mit dem Hersteller ihre Standards für die Aus- und Weiterbildung in der robotisch-assistierten Chirurgie, so Staib weiter. Immer mehr Zentren bieten mittlerweile strukturierte Programme an, etwa CAMIC über die Deutsche Gesellschaft für Allgemein und Viszeralchirurgie (DGAV).
Robotertechnologie im OP – Chancen gezielt nutzen
Roboterassistierte Chirurgie ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern gelebte Realität in den OP-Sälen – besonders in der Viszeralchirurgie. In Zukunft werden nach Meinung Staibs Operationen am Darm, an der Speiseröhre, bei Bauchwandbrüchen, an Gallenblase, Bauchspeicheldrüse, Leber und Magen bei geeigneten Patienten zunehmend robotisch-assistiert durchgeführt.
Die „bessere“ Chirurgie sei, unabhängig von der Methode, immer die für den Patienten komplikationsärmere Chirurgie mit rascher Genesung. Die Vorteile der chirurgischen Robotik werden kontrovers beurteilt. Laut Literatur sei die roboter-assistierte Chirurgie mit der der minimalinvasiven Chirurgie etwa gleichwertig, in einigen Parametern jedoch vorteilhafter als die offene Chirurgie.
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