Interview Versorgung

„Es fehlen finanzielle Anreize“

19.12.2023 Frank Brunner 6 Min. Lesedauer

Viele Kliniken wollen nachhaltiger wirtschaften, kämpfen aber gleichzeitig mit knappen Budgets. Der Krankenhausexperte Wilfried von Eiff über die Wiederaufbereitung von OP-Instrumenten, schwierige politische Rahmenbedingungen und warum der Staat nachhaltige Medizinprodukte temporär subventionieren sollte.

Foto: Ein Krankehausflur mit zwei Pflegenden von hinten und einem großen grünen Fußabdruck auf dem Fußboden.
Umweltschutz ist auch im Klinikalltag ein großes Thema

Herr Professor von Eiff, Sie haben sich bereits 2015 mit dem Thema Umweltschutz im Klinikalltag beschäftigt. Unter der Überschrift „Aufbereitung und Reparatur im Spannungsfeld zwischen Qualitätsanspruch und Kostendruck“ haben Sie seinerzeit Möglichkeiten einer kostensparenden Wiederaufbereitung medizinischer Produkte analysiert. Was hat sich seitdem verändert?

Prof. von Eiff: Verändert hat sich in den vergangenen Jahren unter anderem die politische Landschaft, genauer gesagt die regulatorischen Anforderungen. Seit 2015 haben Deutschland und die EU Gesetze erlassen, die auch Krankenhäuser verpflichten, mehr für das Thema Nachhaltigkeit zu tun.

Welche Gesetze beispielsweise?

Prof. von Eiff: Das sind dieselben Vorschriften, die auch die übrige Industrie betreffen – etwa Einsparungen beim Kohlendioxidausstoß, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Das Lieferkettensorgfaltsgesetz schreibt die Einhaltung bestimmter Umweltstandards vor. Außerdem müssen Kliniken in Deutschland im Jahr 2026 erstmalig einen Nachhaltigkeitsreport vorlegen.

Sie betonen, dass jede Nachhaltigkeitsmaßnahme auf ökologische, soziale und ökonomische Effekte, aber auch auf medizinische, das Patientenwohl betreffende Wirkungen beurteilt werden muss. Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Prof. von Eiff: Bleiben wir beim Therma Patientenwohl: Der hohe Energieverbrauch eines Medizingeräts, eines Magnetresonanztomographen (MRT) etwa, darf kein Grund sein, Untersuchungen mit diesem Gerät zu rationieren. Stattdessen sind die Hersteller gefragt, stromsparendere Modelle zu entwickeln. Ein anderes Beispiel: Maßnahmen, die zwar Ressourcen schützen, aber gleichzeitig Ausgaben in die Höhe treiben, werden Sie der kaufmännischen Leitung eines Krankenhauses nur schwierig vermitteln können.

Wie lautet die Lösung für dieses Dilemma?

Prof. von Eiff: Umweltschutz bei gleichzeitiger Senkung der Betriebskosten.

Foto: Porträtbild von Professor Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Ökonom, Humanbiologe und Akademischer Direktor am Center for Health Care Management and Regulation der Leipzig Graduate School of Management.
Professor Dr. Dr. Wilfried von Eiff ist Ökonom, Humanbiologe und Akademischer Direktor am Center for Health Care Management and Regulation der Leipzig Graduate School of Management.

Erinnert an die Quadratur des Kreises…

Prof. von Eiff: …ist aber möglich. Ein Beispiel sind Ablationskatheder, die Ärzte bei Herzrhythmusstörungen einsetzen, um elektrische Erregungsherde zu veröden. Bis zu vier Katheder kommen pro Patienten zum Einsatz. Kostenpunkt für die Einmal-Katheder im Maximalfall: Um die 3.500 Euro. Eine Wiederaufbereitung wäre deutlich umweltfreundlicher und würde mit rund 800 Euro zu Buche schlagen.

Was hindert Kliniken daran, diesem Modell zu folgen?

Prof. von Eiff: Manche Hersteller haben wenig Interesse daran, dass ihre Produkte mehrmals verwendet werden und geben Geräte nur zur einmaligen Verwendung frei.

Mit welcher Begründung?

Prof. von Eiff: Aus Sicherheitsgründen. Einmalprodukte seien hygienischer, heißt es.

Klingt plausibel…

Prof. von Eiff: …ist aber oft vorgeschoben. Es existieren chemische und thermische validierte Verfahren, die eine sichere Aufbereitung garantieren und von sogenannten „Benannten Stellen“ wie dem TÜV regelmäßig überprüft werden. Diese Verfahren versetzen solche Produkte in einen zu einhundert Prozent keimfreien Zustand. Das heißt: Die Klinik wirtschaftet effizienter, erreicht ökologische Ziele und mindert gleichzeitig nicht die medizinische Qualität und den Therapieerfolg.

Das ist aber nur ein Beispiel. In wie vielen Klinikbereichen kann ein solcher Spagat gelingen?

Prof. von Eiff: Ich bin der Meinung, wir müssen uns auf Handlungen und Gestaltungsbereiche fokussieren, die es ermöglichen, sowohl ökologische Ziele als auch wirtschaftliche Ziele zu erreichen ohne Qualitätsstandards zu verletzen.

Welche Bereiche könnten das noch sein?

Prof. von Eiff: Ich empfehle seit Jahren die Einführung sogenannter LPU-Produkte. LPU steht für Limited Patient Use – das sind Instrumente, die von vornherein so konstruiert sind, dass sie fünf, zehn oder auch 20 Mal risikolos verwendet werden können. Auf EU-Ebene existieren mittlerweile Gesetze, die eine Wiederaufbereitung grundsätzlich gestatten, vorausgesetzt es gibt im jeweiligen Land eine entsprechende Regelung. Trotzdem ist bisher nichts geschehen. Obwohl das in einem anderen Kontext, nämlich der Sterilisation, seit Jahren funktioniert.

Inwiefern?

Prof. von Eiff: Viele OP-Instrumente wie Skalpelle, Nadelhalter oder Zangen sind so gestaltet, dass man sie mehrfach wieder aufbereiten kann. Nach Gebrauch durchlaufen sie die klinikeigene Sterilisationsanlage werden anschließend bei der nächsten Operation wiederverwendet.

Warum überträgt man das Prinzip nicht auf andere Instrumente, etwa Katheder?

Prof. von Eiff: Komplexere Instrumente können Sie nicht in der hauseigenen ZSVA, der Zentralen Sterilgutversorgungsabteilung, aufbereiten. Dazu braucht es zertifizierte Spezialfirmen.

Was können die Kliniken tun?

Prof. von Eiff: Einkaufsgemeinschaften bilden, damit eine stärkere Marktposition erreichen und dann entschlossen mehrfach verwendbare Produkte von den Medizinprodukteherstellern fordern.

Einkaufsgemeinschaften? Das wirkt wenig ambitioniert.

Prof. von Eiff: Angesichts schwieriger Rahmenbedingungen in vielen Kliniken ist das ein erster Schritt.

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Was meinen Sie mit „schwierigen Rahmenbedingungen“?

Prof. von Eiff: Ich habe mit Kollegen unseres Instituts eine Umfrage zum Thema „Einkauf und Logistik in Krankenhäusern“ durchgeführt. Wir haben unter anderem nach dem Stellenwert des Kriteriums Nachhaltigkeit gefragt. Von den Klinikleitungen hören Sie sinngemäß immer: „Das ist uns unheimlich wichtig, wir kümmern uns darum.“ Von Beschaffungsmanagern erfahren Sie aber, dass Nachhaltigkeit in der Unternehmensagenda einen nachrangigen Stellenwert hat. Und das resultiert aus den Rahmenbedingungen: Es fehlen Anreize, grüne Produkte zu einzukaufen. Gleichzeitig haben viele Kliniken schon jetzt Liquiditätsengpässe. Das heißt, die haben gerade ganz andere Probleme als Nachhaltigkeit. Einige wissen nicht, ob ihre Klinik in zwei Jahren überhaupt noch existiert.

Also eine ausweglose Situation?

Prof. von Eiff: Auf keinen Fall! Der Staat könnte regeln, dass bei Ausschreibungen das Kriterium „Nachhaltigkeit“ einen besonderen Stellenwert bei Beschaffungsentscheidungen bekommt. Auch über befristet subventionierte „grüne Preise“ könnten Anreize geschaffen, werden, damit Kliniken auch bei knappen Kassen Mehrwegprodukte nachfragen.

Erfahrungsgemäß ist es schwierig, einmal gewährte Subventionen zu streichen.

Prof. von Eiff: Hätten sich solche Geräte im Markt etabliert, weil sich Entwicklungskosten amortisiert haben, und Hersteller höhere Stückzahlen erzielen, könnten die öffentlichen Zuschüsse wieder zurückgefahren werden. Das könnte der Gesetzgeber problemlos festlegen.

Dass dieses Prinzip nicht funktioniert, sehen Sie bei E-Autos. Seit die hohen Subventionen gesenkt wurden, bricht der Verkauf massiv ein.

Prof. von Eiff: Sie können E-Autos nicht mit Krankenhäusern vergleichen. Bei der Elektromobilität befinden wir uns momentan in einer technologischen Entwicklungskurve. Viele potentielle Käufer sind verunsichert, weil sie die Gefahr sehen, heute ein Auto zu kaufen, dass in fünf Jahren mit veraltetem Batteriesystem fährt. Zudem gewährleisten Reichweiten und Ladeinfrastruktur noch nicht die Mobilität eines Verbrenners. Der Fahrzeugmarkt befindet sich in einer Transformation, verbunden mit Unsicherheiten. Bei medizinischen Produkten würden wir in bestehende Technologien investieren.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Prof. von Eiff: Sicher. Nehmen Sie Krankenhauskleidung. Es gibt mittlerweile kompostierbare Textilien, die lassen sich bis zu 80 Mal aufbereiten. Anschließend zerfällt das Textil umweltfreundlich und dient als Bodendünger. Klassische Kreislaufwirtschaft. Allerdings sind solche Produkte zwischen 30 und 50 Prozent teurer als herkömmliche Kleidung – einfach, weil die Herstellung kostenintensiver ist. Um diese umweltfreundlichen Produkte dennoch am Markt zu etablieren, könnte man sie für eine Übergangszeit subventionieren. Das nenne ich einen „grünen Preis“.

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