Digitalisierung: Theoretisch besser versorgt
Das Klinikum Darmstadt, das Berliner Vivantes-Netzwerk und das Diakonie-Klinikum Stuttgart haben bei der Vorstellung der Ergebnisse des Digitalradars Ende Juni die Entwicklung ihrer Häuser präsentiert. G+G hat nachgefragt: Kommen die Fortschritte auch in der Versorgung an?

Die Ergebnisse der zweiten Erhebung des DigitalRadar zur digitalen Reife deutscher Krankenhäuser zeigen Fortschritte in allen Dimensionen. Gegenüber der ersten Erhebung 2021 ist die durchschnittliche Punktzahl von 33 auf 42,1 Punkte von 100 erreichbaren Punkten gestiegen. Auch beim versorgungsrelevanten Informationsaustausch (um 10,8 Prozent gestiegen auf 35,9 Punkte), der die Kommunikation externen Akteuren und das Thema Interoperabilität abbildet, haben sich die Kliniken verbessert. Technische Lösungen wie Zuweiser-Portale und Telematikinfrastruktur (TI) mit E-Rezept, E-Arztbrief und Lösungen aus dem Bereich KIM (Kommunikation im Medizinwesen) sind für entsprechende Szenarien verfügbar.
Geteilte Verantwortung und fragmentierte Systeme

Von flächendeckendem Einsatz könne allerdings noch keine Rede sein, sagt Friedhelm Brinkmann, IT-Leiter am Diakonie-Klinikum Stuttgart: „Diese Technologien müssen sich in den Kliniken erst noch etablieren.“ Ähnlich sieht es Gerhard Ertl, CIO und IT-Abteilungsleiter vom Maximalversorger Klinikum Darmstadt: „Der Datenaustausch hat sich etwas verbessert, aber er müsste noch wesentlich besser sein.“
Der geschmeidige Datenfluss im deutschen Gesundheitswesen, er liegt noch in weiter Ferne. Dafür sorgen geteilte Verantwortung und fragmentierte Systeme, die das IT-Umfeld der Krankenhäuser prägen. Die Kommunikation von Gesundheitsdaten ist von Bundesland zu Bundesland anders reguliert. Ob Fachgesellschaft, Institut für die Entgeltentwicklung im Krankenhaus (InEK), Qualitätssicherung, Gesundheitsamt oder Implantateregister: „Jeder hat seine eigene Schnittstelle und sein eigenes Übergabeformat", sagt Brinkmann. Zusätzlich machen die Strategien der Hersteller den Verantwortlichen das Leben schwer. So gebe es Hersteller von Krankenhaus-Informations-Systemen, die zum Beispiel ein Pathologie-System als Subsystem anbieten, es aber nicht integrieren – Schnittstellen müssen extra bezahlt werden. „Und wenn man dann noch die Molekularpathologie integrieren möchte, läuft man erneut dem Hersteller hinterher“, so der IT-Leiter aus Stuttgart.
Kommen wir besser durch die nächste Pandemie?

Wären also die Kliniken heute besser auf Pandemienvorbereitet als 2020? Zu Beginn der Corona-Pandemie imponierten vor allem die britischen Kliniken mit Studien zur Behandlung von Covid-19-Erkrankten, die binnen Wochen veröffentlicht werden konnten. Der britische National Health Service (NHS) sei mit den Strukturen im deutschen Gesundheitssystem nicht uneingeschränkt vergleichbar, meint Mina Baumgarten, die beim größten deutschen kommunalen Klinikträger Vivantes in Berlin das Ressort Geschäftsprozesse und Versorgungsinnovation leitet. „Anders als im britischen Gesundheitssystem hatten aber viele deutsche Krankenhäuser damals relevante Informationen gar nicht digital vorliegen.“ Etliche Rollen und Rechte rund um das Erheben und Weiterleiten von Daten mussten erst geklärt werden. „In diesem Punkt haben wir seit der Pandemie viel gelernt. Viele Daten werden heute automatisiert erhoben“, sagt Baumgarten. Auch sind die Häuser besser darauf vorbereitet, Daten in unterschiedlichen Formaten zu verarbeiten: „Wo Standards für die klinische Dokumentation fehlen, können die KI-Systeme aus verschiedenen Dokumentationen inzwischen strukturierte Daten erzeugen“, berichtet Brinkmann. Die deutschen Krankenhäuser seien heute besser aufgestellt, meint Ertl: „In der aktuellen Situation könnten die Kliniken sicher mehr Daten liefern als zu Beginn der Pandemie. “
Fax und Papier behaupten sich

Doch selbst für digital gut entwickelte Häuser endet die Kommunikation mit dem Umfeld schnell an analogen Strukturen. „Wo ein Akteur am Ende noch Papier benutzt, können Sie den ganzen Prozess nicht digitalisieren“, so Baumgarten. Wie das Web-Magazin „Krankenhaus-IT“ im April schreibt, haben Gesundheitsdienstleister noch immer nicht zuverlässig das nötige Know-how oder die personellen Ressourcen, um etwa Interoperabilitätsstrategien effektiv umzusetzen; „Dateninseln“ erschwerten die sektorenübergreifende Versorgung. „Nur etwa die Hälfte der klinikexternen Gesundheitseinrichtungen ist im digitalen Datenaustausch“, bestätigt Gerhard Ertl. So liegen auch im Endspurt der Einführung der elektronischen Patientenakte noch „große Aufgaben“ vor allen Beteiligten, sagt Mina Baumgarten: „Arztpraxen sind sehr heterogen in ihren Informationssystemen – und mitunter auch in ihrer Bereitschaft, sich auf den Datenaustausch mit anderen Akteuren der Versorgung einzulassen.“ Viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte frustriert der störungsanfällige TI-Betrieb, etliche bekämpfen auch öffentlich die elektronische Patientenakte, mit der andere Ärzte, Kliniken, Apotheken, Pflegedienste und Therapeuten auf die Akte zugreifen könnten.
Verbesserungen vor allem in der Theorie
Vom E-Arztbrief seien indes auch die meisten Kliniken noch weit entfernt, berichtet IT-Leiter Brinkmann: „Der Dienst muss in den Kliniken noch eingeführt und etabliert werden.“ Bei der Definition des E-Arztbriefes sei man stark von Arztpraxen, aber nicht vom Krankenhaus ausgegangen. Infolge von Schichtdiensten und häufigen personellen Wechseln entstehen dort etliche Fragen rund um Rollen und Rechte: Wer ist der Absender: der Chefarzt, die Abteilung, das Krankenhaus? Wer darf auf elektronische Heilberufeausweise zugreifen? Wie werden E-Arztbriefe empfangen und verteilt? Prozesstechnische Themen wie diese würden sich erst in den nächsten Monaten klären lassen, so der IT-Experte.
Beim Entlassmanagement der Krankenhäuser haben TI und KIM die Lage zwar theoretisch verbessert. „Insbesondere beim Überleitungsmanagement helfen digitale Plattformen, auf denen Kliniken mit ihren Anschlussversorgern zusammenarbeiten“, berichtet Gerhard Ertl. Praktisch werden einer aktuellen Studie zufolge noch immer nur wenige Hausärzte kontaktiert, wenn eine Patientin oder ein Patient der eigenen Praxis aus der Klinik entlassen wird. Das ergab die Befragung von 10.000 Hausarztpraxen durch eine Arbeitsgruppe aus Köln und Witten, über die das „Ärzteblatt“ berichtet hat. Pflegeheime wiederum stehen bei der Digitalisierung zumeist noch ganz am Anfang. So bleibt die Reichweite der neuen, digitalen Klinikinfrastruktur begrenzt.
Versorgung finanzieren statt Technik
Vivantes hat es Baumgarten zufolge mit dem Krankenhaus-Zukunftsgesetz geschafft, seine Versorgungssteuerung zu verbessern. Das Unternehmen sei beim DigitalRadar auf relativ hohem Niveau gestartet, eine papierlose Dokumentation zum Beispiel schon weit fortgeschritten gewesen. „Deshalb konnten wir unsere Projekte und Prozesse im Hinblick auf weitere Verbesserungen in der Versorgung gestalten und zum Beispiel über eine bessere Patientensteuerung nachdenken“, sagt Mina Baumgarten, doch „allein die digitale Infrastruktur macht noch keine bessere Versorgung. Im Prinzip wäre es besser, konkrete Versorgungsszenarien und die Umsetzungsaufwände dafür zu finanzieren.“
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