Jedes siebte Kind ist armutsgefährdet
Armut betrifft in Deutschland weiterhin viele Kinder – und die aktuellen Daten zeigen einen erneuten Anstieg. Laut Statistischem Bundesamt wächst ein erheblicher Teil der Minderjährigen unter Bedingungen auf, die ihre Chancen auf Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe einschränken.
In Deutschland waren 2024 gut 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche armutsgefährdet – ein Anteil von 15,2 Prozent. Das zeigen aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zum Internationalen Tag der Kinderrechte am 20. November. 2023 lag die Quote noch bei 14 Prozent.
Minderjährige mit Migrationshintergrund sind mit 31,9 Prozent rund viermal so häufig armutsgefährdet wie Gleichaltrige ohne Einwanderungsgeschichte, deren Quote bei 7,7 Prozent liegt. Auch bei der sogenannten kinderspezifischen Deprivation zeigen sich deutliche Belastungen. 11,3 Prozent der unter 16-Jährigen lebten 2024 in Haushalten, in denen zentrale altersgerechte Bedürfnisse nicht erfüllt werden konnten. Zwölf Prozent der Kinder konnten aus finanziellen Gründen nicht verreisen, fünf Prozent nahmen nicht an regelmäßigen Freizeitaktivitäten teil. Drei Prozent verfügten nicht über zwei Paar intakte Alltagsschuhe.
Fehlende Teilhabe
Das Kinderhilfswerk Unicef beschreibt in einem aktuellen Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland ähnliche Zustände. Demnach fehlten „mehr als einer Million Kinder“ wesentliche Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe. Die wissenschaftliche Leiterin des Berichts, Sabine Walper, betont, Armut wirke sich „auf wirklich alle Lebensbereiche von Kindern nachteilig“ aus. „Das zeigt sich in den Bildungschancen, der Gesundheit, der gesellschaftlichen Teilhabe und selbst in den sozialen Beziehungen.“ Umso wichtiger sei es, Strukturen so zu reformieren, dass alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft faire Chancen auf ein gutes Aufwachsen haben.
Die Unicef-Analyse verweist zudem auf gesundheitliche Einschränkungen. Rund 40 Prozent der 11- bis 15-Jährigen berichteten regelmäßig von körperlichen oder psychischen Beschwerden. Die psychische Gesundheit zeigt deutliche Unterschiede nach sozialer Lage. Für finanziell schlechter gestellte Mädchen wird ein durchschnittlicher Wert von 51 von 100 Punkten genannt und knapp oberhalb eines Bereichs eingeordnet, der auf depressive Symptome hindeutet. Auch die familiäre Unterstützung fällt im internationalen Vergleich geringer aus; nur 54 Prozent der 15-jährigen Mädchen berichten von hoher Unterstützung durch ihre Familien.
Folgen für die Gesundheit
Der Gesundheitssoziologe Matthias Richter beschreibt die Auswirkungen sozialer Unterschiede im Gespräch mit G+G-Digital. Richter sagte: Ihn beschäftige die Frage, „warum arme Menschen früher sterben und häufiger erkranken als sozial besser gestellte Personen“. Eine zentrale Ursache sieht er in den Lebens- und Arbeitsbedingungen sozial benachteiligter Milieus, die „direkt auf den Körper einwirken und krank machen“. Sie beeinflussten zudem das Gesundheitsverhalten, „das sozial ungleich verteilt“ sei.
Richter weist zudem auf strukturelle Herausforderungen hin. Wissenschaftlich hochwertige Interventionen seien nach wie vor schwer zu entwickeln und zu evaluieren. Er kritisiert, dass der politische Wille, entsprechende wissenschaftliche Förderstrukturen aufzubauen, „immer noch gering“ sei. Gleichzeitig beobachte er auf lokaler Ebene einen Rückgang des Austauschs zwischen Wissenschaft und Politik.
Sport als Ausweg
In der Studie „Kindergesundheit in Deutschland aktuell“ (KIDA) des Robert Koch-Instituts (RKI) berichten die Autoren von beengten Wohnverhältnissen, finanziellen Einschränkungen und einem erhöhten psychosozialen Unterstützungsbedarf in armutsgefährdeten Familien. Die psychische Gesundheit der Kinder werde seltener als sehr gut bewertet; gesundheitliche Probleme wie Adipositas träten häufiger auf.
Das RKI empfiehlt, Bewegungs- und Sportangebote stärker an Schulen und Kitas zu verankern, da diese niedrigschwelligen Strukturen alle Kinder erreichen. Schulische Sport-AGs sollten ausgebaut werden, weil sie armutsgefährdete Kinder nachweislich ebenso gut einbinden wie Gleichaltrige aus besser gestellten Familien. Kommerzielle Sportangebote seien dagegen für viele Familien aufgrund von Kosten und Scham-Barrieren kaum zugänglich.
So heißt in der RKI-Studie: Förderleistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket würden oft nicht in Anspruch genommen, da dies „als stigmatisierend erlebt wird“. Zusätzlich führten Unkenntnis über den Leistungsanspruch sowie die als kompliziert empfundene Antragstellung häufig zur Nicht-Inanspruchnahme der Förderleistungen. Deshalb priorisiere das RKI kostenfreie Sportangebote im öffentlichen Raum.
Woher stammen unterschiedliche Zahlen zu Kinderarmut?
Die abweichenden Angaben verschiedener Institutionen resultieren aus unterschiedlichen Messkonzepten. Das Statistische Bundesamt berechnet die amtliche Armutsgefährdungsquote ausschließlich anhand des Haushaltseinkommens und bezieht alle unter 18-Jährigen ein. So ergibt sich die Zahl von rund 2,2 Millionen armutsgefährdeten Kindern.
Unicef verwendet dagegen bedarfsspezifische Indikatoren, die über das Einkommen hinausgehen. Die Formulierung „mehr als eine Million Kinder“ bezieht sich auf Heranwachsende, denen konkrete Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe fehlen, etwa ausreichende Ernährung, passende Kleidung, Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten oder altersgerechte Entwicklungsbedingungen. Diese Gruppe ist enger gefasst, weil sie nicht alle einkommensarmen Kinder umfasst, sondern nur jene, bei denen finanzielle Knappheit bereits sichtbare Einschränkungen im Alltag verursacht.
Die RKI-KIDA-Studie wiederum arbeitet mit Stichproben von Drei- bis 15-Jährigen und misst vor allem gesundheitliche und psychosoziale Belastungen. Diese Werte sind daher methodisch nicht direkt mit amtlichen Bevölkerungszahlen vergleichbar.
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