Wenn 14-Jährige legal zum Glas greifen
In Deutschland dürfen Jugendliche in Begleitung Erwachsener legal Alkohol trinken. Die Gesundheitsministerkonferenz sowie Bundesjugendministerin Karin Prien (CDU) fordern nun die Streichung der umstrittenen Ausnahmeregelung.

Freitagabend, ein Biergarten am Stadtrand. Ein 14-Jähriger prostet seinem Vater mit einem Weizenbier zu. Verstoß gegen den Jugendschutz? Keineswegs. „Begleitetes Trinken" erlaubt es 14- und 15-Jährigen in Anwesenheit ihrer Eltern oder anderer Erziehungsberechtigter Alkohol (Bier, Wein, Sekt) in der Öffentlichkeit und in Gaststätten zu konsumieren. Diese Regelung basiert auf Paragraf 9 Jugendschutz-Gesetz (JuSchG). Was manche als pädagogisch begleitetes Heranführen betrachten, ist für Fachleute eine Risikoverharmlosung. Studien belegen inzwischen, dass selbst geringe Mengen Alkohol dem menschlichen Organismus schaden können. Oder um es mit den Worten des ehemaligen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu sagen: „Immer klarer zeigen Studien, dass das Krebsrisiko schon mit dem ersten Glas Alkohol steigt“, mahnte er bei X.
Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz
Bereits 2024 hatte sich die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) einstimmig für die Abschaffung des begleiteten Trinkens ausgesprochen. Im Juni 2025 setzte die GMK das Thema nun erneut auf ihre Agenda: Sie forderte den Bund auf, Paragraf 9 Absatz 2 Jugendschutzgesetzt (JuSchG) zu streichen und damit das begleitete Trinken gesetzlich zu verbieten. Unterstützt werden die Länder-Ressortchefs von Lauterbachs Nachfolgerin, Nina Warken (CDU), und dem neuen Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Hendrik Streeck (CDU). Auch Jugendministerin Karin Prien (CDU) äußerte sich auf G+G-Nachfrage: „Jeder Alkoholkonsum schadet. Erst recht in der Lebensphase, in der Gehirn und Körper sich noch entwickeln.“ Sie begrüße und unterstütze die Debatte sowie die Forderungen nach einer Abschaffung des sogenannten begleiteten Trinkens.
Die GMK forderte die Bundesregierung mit ihrem Beschluss auf, die Ausnahmeregelung zu streichen, genauer die „Abschaffung der in Paragraf 9 Absatz 2 JuSchG enthaltenen Erlaubnis zur Abgabe und Gestattung des Verzehrs von alkoholischen Getränken im Sinne des Paragrafen 9 Absatz 1 Nummer 1 JuSchG an Jugendliche in Begleitung einer personensorgeberechtigten Person“.
„Jeder Alkoholkonsum schadet. Erst recht in der Lebensphase, in der Gehirn und Körper sich noch entwickeln.“
Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen
Parallel brachte Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) eine eigene Bundesratsinitiative ein. In ihrem Antrag hieß es aber nicht weniger deutlich: „Gerade während der Pubertät befindet sich das menschliche Gehirn in einer vulnerablen Reifungsphase und Jugendliche reagieren auf die nachweislich schädlichen Wirkungen von Alkohol empfindlicher als Erwachsene, was sich insbesondere negativ auf die Gehirnentwicklung auswirkt und wichtige Gehirnfunktionen beeinträchtigt. Zudem ist ein früher Erstkonsum von Alkohol nachweislich mit späteren riskanten Konsummustern von Alkohol und anderen Substanzen sowie dem Entwickeln einer Abhängigkeitserkrankung assoziiert.“
Mehrheit der Bürger für 18 Jahre als Mindestalter für Alkoholkonsum
Die Bevölkerung steht mehrheitlich hinter der Forderung: Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) sprechen sich 65 Prozent der Befragten für die Abschaffung der Ausnahmeregelung aus. 52 Prozent wünschen sich sogar ein generelles Mindestalter von 18 Jahren für alle alkoholischen Getränke.
Tatsächlich handelt es sich bei der Regelung zum begleiteten Trinken um ein Relikt aus den 1950er Jahren, die laut Bayerns Gesundheitsministerin Gerlach „völlig aus der Zeit gefallen“ ist. Streeck merkte an: „Alkohol wird nicht weniger schädlich, nur weil die Erwachsenen dabeisitzen.“ Das sieht auch Anja Weisgerber so. Die CSU-Abgeordnete ist Mitglied im Ausschuss für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Wir reden über eine Ausnahmeregelung im Jugendschutzgesetz von 1952. Heute wissen wir, dass das Gehirn und die Organe von Jugendlichen viel empfindlicher reagieren auf Alkohol und andere Suchtstoffe als die von Erwachsenen“, erklärte sie gegenüber G+G.
Studien: Begleitetes Trinken schützt nicht
Daran ändert auch das begleitete Trinken nichts. Im Gegenteil: Studien belegen, dass Jugendliche, die in Gegenwart ihrer Eltern Alkohol trinken dürfen, im Schnitt früher, mehr und riskanter als Gleichaltrige trinken denen klare Regeln gesetzt werden. So führen früher Alkoholkonsum und elterliche Einwilligung laut Deutscher Hauptstelle Sucht (DHS) nicht zu „Erziehung zur Mäßigung", sondern zu einer frühzeitigen Normalisierung riskanten Konsumverhaltens. Die Idee, durch begleitete Einführung eine Art Schutzwirkung zu erzeugen, ist widerlegt. Das zeigen unter anderem die „Parental Risk“-Studie sowie eine Studie der Universitäten Passau und Linz zum sozialen Umfeld und Alkoholkonsum. Zudem verdeutlichen neurowissenschaftliche Studien, dass das Gehirn Heranwachsender besonders empfindlich auf Alkohol reagiert: Regelmäßiger Konsum beeinträchtigt Gedächtnis, Impulskontrolle und emotionale Entwicklung.
„Alkohol ist ein höchst gesundheitsgefährdendes Produkt. Das gilt im Kinder- und Jugendalter umso mehr.“
Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen
Rauschtrinken bei Jugendlichen
Das erste Glas Alkohol tranken 12- bis 25-Jährige laut einer Befragung des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) von 2023
- im Schnitt mit 15,1 Jahren.
- von den 12- bis 17-Jährigen gaben 9,7 Prozent an, dass sie regelmäßig, mindestens einmal pro Woche, Alkohol trinken.
- von den 18- bis 25-Jährigen trinken sogar 28,9 Prozent regelmäßig.
- 13,8 Prozent der Jugendlichen erklärten, dass sie sich mindestens einmal im vergangenen Monat in einen Rausch getrunken haben (mehr als fünf Gläser Alkohol). Das Rauschtrinken bei männlichen 12- bis 17-Jährigen (17,1 Prozent) weiter verbreitet als bei gleichaltrigen Mädchen (10,4 Prozent).
- Bei den 18- bis 25-Jährigen haben sich 46,2 Prozent der männlichen und 25,1 Prozent der weiblichen jungen Erwachsenen in einen Alkoholrausch getrunken.
Befragt wurden 7.001 junge Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren im Zeitraum April bis Juni 2023. Unter „Kenn dein Limit“ informiert das BIÖG unter anderem über kurzfristige und dauerhafte Schäden aufgeklärt, die Alkohol im Gehirn verursachen kann. Der Drogenbeauftragte Streeck forderte kürzlich in einem Interview einen generellen „Kulturwandel“ beim Alkohol. „Erstmal muss das begleitete Trinken ab 14 weg, weil es für Kinder und Jugendliche schädlich ist“, erklärte er. Dann wolle man „mehr über die Gefahren aufklären und den Zugang zu Alkohol erschweren“. Denkbar wäre, so Streeck, Alkohol „von Supermarktkassen in der sogenannten Quengelgasse zu entfernen“ und „den Verkauf von Alkohol an Tankstellen einzuschränken“.
Internationale Perspektive: Deutschland ist ein Sonderfall
Im europäischen Vergleich ist die deutsche Regelung eine Ausnahme. Die meisten anderen Staaten setzen klare Grenzen und verbieten zum Beispiel auch Werbung:
- Frankreich: Mindestalter 18 Jahre, laut Évin-Gesetz keine Werbung für alkoholische Getränke im Fernsehen und Kino, keine Werbung, die sich an junge Menschen richtet oder diese zum Konsum anregen könnte
- Schweden und Norwegen: 18 bis 20 Jahre, staatlich kontrollierter Verkauf, hohe Steuern auf Alkohol, Werbeverbote, in Norwegen strikt und umfassend inklusive Social Media
- Niederlande: Konsum und Verkauf erst ab 18 Jahren erlaubt – wie in den meisten EU-Staaten, Werbung darf sich nicht an Jugendliche richten, Werbeverbote in einigen Städten
- Litauen: Erhöhte das Mindestalter von 18 Jahren auf 20 Jahre und senkte damit den Alkoholkonsum unter Jugendlichen, Werbeverbot für Alkohol
- Island: Striktes Verbot (auch im privaten Bereich) bis zum Alter von 20 Jahren, ein staatliches Abgabemonopol, das gerade erst durch beginnenden privaten Online-Handel ausländischer Anbieter durchbrochen wird, Werbeverbot für Alkohol, zugleich Investitionen in Prävention und Ausbau kommunaler Freizeitangebote, enge Zusammenarbeit von Eltern, Schule, Behörden
Insbesondere das isländische Modell zeigt Wirkung: Hier sind es weniger als fünf Prozent der Jugendlichen, die angeben, regelmäßig zu trinken. Entscheidend war dort die Kombination aus gesetzlichen Verboten, Aufklärung und aktiver Freizeitförderung.
Was Alkohol im jugendlichen Körper anrichtet
Peter Raiser, Geschäftsführer der DHS, betonte gegenüber G+G: „Alkohol ist ein höchst gesundheitsgefährdendes Produkt. Das gilt im Kinder- und Jugendalter umso mehr.“ Für Kinder und Jugendliche sei Alkoholkonsum mit zusätzlichen, und zum Teil „erheblichen Risiken für die körperliche, soziale und psychische Entwicklung“ verbunden. Sie sollten daher, so Raiser, keinen Alkohol trinken. „Zudem haben Kinder ein besonderes Recht auf Schutz vor jeglichen Folgen des Alkoholkonsums."
Die Folgen frühen Alkoholkonsums sind gravierend. Ein früher Konsum wird in der Wissenschaft in Verbindung gebracht mit:
- Gedächtnis und Lernen: Alkohol kann die Bildung synaptischer Verbindungen im Hippocampus beeinträchtigen, das erschwert nachhaltiges Lernen.
- Impulskontrolle: Die Entwicklung des präfrontalen Cortex, der für Planung und Selbstkontrolle zuständig ist, kann gebremst werden.
- Psychische Gesundheit: Früher Alkoholkonsum steht in Zusammenhang mit erhöhter Depressions- und Suizidgefahr.
- Körperliche Folgen: Erhöhtes Risiko für Fettleber, Leberschäden, Bluthochdruck und hormonelle Störungen.
- Zelluläre Ebene: Alkohol wirkt zelltoxisch und erhöht bereits in niedrigen Dosen das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen.
Prävention stärken
Krankenkassen und Suchtfachstellen setzen auf Präventionsarbeit, die nicht bei der Verbotsfrage aufhört. Unterstützt werden auch Angehörige alkoholabhängiger Menschen, die oft mitleiden, Aggressionen und finanziellem Druck ausgesetzt sind. „Die sozialen Folgen des Alkohols können schwerwiegend sein und sich durch Gewaltbereitschaft und Vernachlässigung negativ auf Partnerschaft, Kinder und Freundeskreis auswirken“, erklärte Anja Debroth, Ärztin im Stab Medizin beim AOK-Bundesverband, gegenüber G+G. Die AOK engagiert sich in vielfältigen Initiativen zur Alkoholprävention – wie etwa mit dem Schulprojekt „Power statt Promille“ der AOK Rheinland/Hamburg.
Volkswirtschaftlicher Schaden
Die volkswirtschaftlichen Kosten, die Alkoholkonsum verursacht, liegen laut DHS bei rund 57,04 Milliarden Euro pro Jahr. Dem standen im Jahr 2018 Einnahmen von 3,185 Milliarden Euro aus alkoholbezogenen Steuern gegenüber. Ginge es nach der CSU-Abgeordneten Weisgerber, so sei es „nur folgerichtig“, wenn CDU/CSU nicht nur die Cannabislegalisierung rückgängig machten, sondern auch Anreize für frühes Trinken abschafften. „Das kann in einem geregelten und auch mit unserem Koalitionspartner abgestimmten Verfahren sogleich nach der Sommerpause angegangen werden.“
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