Artikel Finanzierung

Gesundheitsdaten gegen Gebühr

19.11.2025 Miriam Hack 4 Min. Lesedauer

Anfang 2024 hat der Gesetzgeber den Weg zur Nutzung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken frei gemacht. Die Kosten für Erhebung und Bereitstellung tragen überwiegend die gesetzlich Versicherten. Die Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten sollten sich mit einer Nutzungsgebühr daran beteiligen.

Ein Smartphone liegt auf einer Fläche. Drumherum sind verschiedene Graphen eingeblendet.
Gesundheitsdaten werden aufwendig erhoben und aufbereitet.

Es war eine Zäsur: Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) hat den Weg für die breite Nutzung von Daten aus Gesundheits- und Pflegeversorgung für die Öffentliche Gesundheit, Forschung, Innovation und die Weiterentwicklung der Versorgung freigemacht. Das GDNG, im März 2024 in Kraft getreten, fand breiten Widerhall. Insbesondere die Industrie begrüßte es. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller schrieb in seiner Stellungnahme: „Am Ende sollte das Gesundheitsdatennutzungsgesetz als Startschuss für eine langfristige ‚Zeitenwende‘ in der Gesundheitsdatenpolitik verstanden werden. Die Chancen sind groß, nun gilt es, sie zu nutzen.“ 

Pharma- und Medizinproduktehersteller versprechen sich von der Gesundheitsdatennutzung, das Risiko bei klinischen Studien mit Real-World-Evidence zu senken und die Kosten für die Arzneimittel- und Produktentwicklung zu minimieren. Doch Gesundheitsdaten müssen aufwendig erhoben und aufbereitet werden, bevor sie als Ausgangsprodukt für unterschiedliche Zwecke fungieren. Die Finanzierung dieses Vorgehens obliegt derzeit vor allem den Versicherten der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (GKV und SPV). Sie tragen die Kosten der Dateninfrastruktur, beispielsweise für die elektronische Patientenakte (ePA) und die Telematikinfrastruktur (TI), sowie die Sach- und Personalkosten des Forschungsdatenzentrums Gesundheit, das Anträge zur Datennutzung entgegennimmt.

Industrie in der Pflicht

Gesundheitsdaten werden im Rahmen einer solidarisch finanzierten Gesundheitsversorgung generiert. Deshalb ist es nur folgerichtig, die Industrie an den Kosten ihrer Nutzbarmachung zu beteiligen. Derzeit ist das Gegenteil der Fall: Die Versicherten werden gleich zweimal zur Kasse gebeten: einmal für die Bereitstellung der notwendigen Dateninfrastruktur und anschließend erneut für die Finanzierung der daraus resultierenden Innovationen. Die Kosten für die Infrastruktur werden kommunalisiert, während die Gewinne der Privatwirtschaft zugutekommen.

Das nationale Recht sieht bis dato keine ausreichenden Regelungen vor, um dieses Ungleichgewicht aufzulösen. Dabei ermöglicht die European-Health-Data-Space-Verordnung (EDHS)  Gebührenregelungen (Artikel 62 EHDS-Verordnung). Zwar schließt die EHDS-Verordnung aus, dass öffentliche Stellen die Kosten der initialen Datenerhebung über Nutzungsgebühren refinanzieren. Allerdings erlaubt die Verordnung sehr wohl eine grundsätzliche Beteiligung an den Kosten, die für die Bereitstellung, Zusammenstellung und Aufbereitung der Daten entstehen, sofern diese nicht „ungerechtfertigt oder intransparent sind oder in einem unangemessenen Verhältnis zu den Kosten stehen“ (Erwägungsgrund 69). 

„Was nützt eine durch Gesundheitsdaten entwickelte Innovation, wenn GKV und SPV sie nicht mehr finanzieren können?“

Miriam Hack, Referentin Politik beim AOK-Bundesverband

Miriam Hack

Referentin Gesundheitspolitik beim AOK-Bundesverband

Grundlage für Gebühren

Technische Systeme, wie ePA und TI, dienen – wenn auch nicht vordergründig – der strukturierten Bereitstellung und Nutzbarmachung von Gesundheitsdaten. Im Gegensatz zur Speicherung von Befunden sind sie nicht Teil der originären Datenerhebung im Versorgungskontext, sondern Voraussetzung für die sekundäre Datennutzung. Die hybride Nutzung der TI war bereits bei ihrer Einrichtung Anliegen des Gesetzgebers. In der Begründung zum E-Health-Gesetz im Jahr 2015 heißt es: „Die Telematikinfrastruktur ist geeignet, über den Anwendungsbereich des Satzes 1 hinaus (Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte) weitere Anwendungen im Gesundheitswesen […] zu unterstützen, wie zum Beispiel […] Systeme für den sicheren Datenaustausch zwischen Versorgung und Gesundheitsforschung […].“ Demnach kann argumentiert werden, dass zumindest ein Teil der Kosten der TI als Grundlage für eine verhältnismäßige und zweckgebundene Gebührenerhebung herangezogen werden kann.

Anders als bei ePA und TI, die sowohl der Primär- als auch der Sekundärdatennutzung dienen, wurde das Forschungsdatenzen­trum ausschließlich für den Zweck der Sekundärdatennutzung ins Leben gerufen. Doch selbst hier nutzt der Gesetzgeber den durch die EHDS-Verordnung geschaffenen Spielraum bei der Erhebung von Gebühren nicht ausreichend. In Paragraf 303 f. Sozialgesetzbuch V ist zwar eine Gebühr zur Deckung des Verwaltungsaufwandes des Forschungsdatenzentrums vorgesehen. Nicht berücksichtigt werden allerdings die Betriebskosten sowie Aufwände für die Datenaufbereitung, Qualitätssicherung und technische Schnittstellen. Diese Kosten verbleiben zu großen Teilen bei GKV und SPV.

Nahaufnahme überlappender Geldscheine.
Zahlen, bitte! Gesundheitsdaten sind ein wertvolles Gut.

Gemeinwohl im Blick

Die Industrie hält sich bei der Positionierung zu Nutzungsgebühren bedeckt. Sie betont allerdings regelmäßig, dass ihr Zugriff auf Gesundheitsdaten durch die Aussicht auf Versorgungsinnovationen bereits ausreichend abgegolten sei. 

Eine bloße Innovationsabsicht ersetzt jedoch keinen realen Gegenwert. Für die derzeit schlechte Finanzlage der GKV sind die immer stärker steigenden Preise für solche Innovationen mitverantwortlich. Deshalb stellt sich die Frage, inwieweit es sich ein Solidarsystem leisten kann, ein wertvolles Gut wie die Gesundheitsdaten ohne eine Kompensation zu verschenken. Was nützt eine durch Gesundheitsdaten entwickelte Innovation, wenn GKV und SPV sie nicht mehr finanzieren können?

In seiner Begründung des GDNG hat der Gesetzgeber betont, dass die Verarbeitung von Gesundheitsdaten dem Gemeinwohl dienen soll. Eine Gemeinwohlorientierung betrifft nicht nur die Nutzungszwecke, sondern auch die materielle Sicherung der GKV. Die Begründung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2025 zur Pharma-Beschwerde gegen Kostendämpfungsmaßnahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes hat unterstrichen, „dass es sich bei dem mit den angegriffenen Regelungen verfolgten Ziel der finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung um ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel handelt, dessen Erreichung erheblich gefördert wird, und dass die pharmazeutischen Unternehmer als Nutznießer des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung in erhöhtem Maße den Einwirkungen sozialstaatlicher Gesetzgebung unterliegen“ (1 BvR 1507/23).

Angesichts dieser besonderen Verantwortung ist es an der Zeit, die regulatorische Lücke zu schließen und die Nutzung von Gesundheitsdaten auch finanziell gemeinwohlorientiert zu gestalten. 

Forschungsdatenzentrum Gesundheit eröffnet

Das im Oktober 2025 eröffnete Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit ermöglicht die Erschließung der Abrechnungsdaten aller gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland. Das FDZ erhält die Abrechnungsdaten jährlich in pseudonymisierter Form vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Es liegen bereits Abrechnungsdaten aller gesetzlich Versicherten zwischen 2009 und 2023 vollständig vor. Neuere Daten werden nach Bereinigung und Aufarbeitung ergänzt. Zusätzlich werden voraussichtlich ab Oktober 2026 die Daten, die Versicherte freiwillig aus der elektronischen Patientenakte bereitstellen, zur Verfügung gestellt. 

Das FDZ Gesundheit hat das Ziel, die medizinische Forschung zu fördern, um die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Es ist eine Weiterentwicklung der früheren Datenaufbereitungsstelle, die seit 2013 am ehemaligen Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) angesiedelt war. Im Jahr 2019 wurde das DIMDI aufgelöst und der Aufbau des FDZ Gesundheit gestartet. Das FDZ übernimmt alle Aufgaben der ehemaligen Datenaufbereitungsstelle und ersetzt diese vollständig.

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