Recht: Bundessozialgericht stärkt Versicherte
Ein aktuelles Urteil zeigt, unter welchen Voraussetzungen Krankentransporte auch ohne Vorabgenehmigung erstattet werden können.

Ein Schlaganfallpatient mit Pflegegrad 3 und Sauerstoffpflicht klagte gegen seine Krankenkasse, um rückwirkend die Kosten für elf Krankentransportfahrten erstattet zu bekommen. In dem Streitfall verlangte der an Krebs erkrankte Versicherte und später seine Witwe von der Krankenkasse die Übernahme der Kosten für Fahrten mit einem Krankentransportwagen. Der Mann hatte einen Schlaganfall überstanden, litt zudem an einer chronischen Lungenkrankheit und war dauerhaft auf Sauerstoff angewiesen. Ihm wurden Pflegegrad 3 und ein Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen „G“ und „aG“ zuerkannt. Das heißt, der Mann war erheblich gehbehindert und in seiner Mobilität im Straßenverkehr schwerwiegend beeinträchtigt.
Urteil vom 20. Februar 2025 (Bundessozialgericht)
Streitfall Kostenübernahme
Damit der Patient die Chemotherapie in Anspruch nehmen konnte, verordneten ihm die behandelnden Ärzte für den Zeitraum vom 30. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 zweimal wöchentlich Krankenbeförderung in einem Krankentransportwagen – ausweislich der Bescheinigung des Onkologen aus medizinischen Gründen im Tragstuhl unter Nutzung einer Sauerstoff-Inhalationseinheit.
Am 23. November 2020 beantragte der Patient die Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse. Diese bewilligte die Kostenübernahme ab dem Tag der Antragstellung, lehnte sie jedoch für die zurückliegenden elf Fahrten ab. Die Kasse argumentierte, die Kostenübernahme hätte vorab beantragt werden müssen; für einen Krankentransport sei stets eine vorherige Genehmigung einzuholen. Dagegen hatte der Patient erfolglos Klage eingereicht und auch im Berufungsverfahren verloren. Sozialgericht und Landessozialgericht bestätigten die Sicht der Krankenkasse, dass für Krankentransportfahrten zu einer ambulanten Behandlung eine Vorabgenehmigung eingeholt werden müsse.
Fahrt oder Transport
Nachdem der Patient verstorben war, legte seine Witwe Revision beim Bundessozialgericht ein. Die Richter bestätigten ihr im Grundsatz einen Kostenübernahmeanspruch auch für die abgelehnten elf Fahrten. Einer vorherigen Genehmigung bedürfe es in dem Fall nicht. Das oberste Sozialgericht führte aus, dass eine vorherige Genehmigung für Krankentransporte zur ambulanten Behandlung zwar grundsätzlich notwendig sei. Dies habe der Gesetzgeber ausdrücklich in Paragraf 60 Absatz 1 des Fünften Sozialgesetzbuches vorgesehen.
Die Genehmigung sahen die obersten Richter und Richterinnen nicht im Wege der Fiktion gemäß Paragraf 60 Absatz 1 Satz 5 des Fünften Sozialgesetzbuches als erteilt an. Die Genehmigung gelte danach unter bestimmten Voraussetzungen für Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung als erteilt. Es sei zu unterscheiden zwischen Krankenfahrten und Krankentransporten. Die Genehmigungsfiktion finde auf Krankentransporte keine Anwendung.
„Das Landessozialgericht muss gegebenenfalls über die Höhe der von der Krankenkasse zu übernehmenden Kosten entscheiden. “
Justiziarin im AOK-Bundesverband.
Zweck ist Rechtssicherheit
Zu klären bleibe, ob es sich bei den Fahrten des später verstorbenen Patienten um Fahrten zur ambulanten Behandlung handelte, durch die eine an sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt worden oder diese nicht ausführbar gewesen wäre. In diesem Fall wäre eine vorherige Genehmigung nicht erforderlich. Deshalb konnte das Bundessozialgericht den Rechtsstreit nicht endgültig entscheiden, sondern musste an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Bestätige sich dies nicht, so das Bundessozialgericht weiter, dürfe die Krankenkasse dem Versicherten das Fehlen der Vorabgenehmigung jedoch nicht entgegenhalten, wenn wie hier im Falle des Verstorbenen alle anderen Anspruchsvoraussetzungen unstreitig vorliegen. Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck der Regelung, der nicht ins Gegenteil verkehrt werden dürfe. Das Genehmigungserfordernis vor Fahrtantritt soll Rechtssicherheit für Versicherte und Leistungserbringer schaffen.
Mit einer Genehmigung könnten Versicherte ohne eigenes Kostenrisiko Fahrten in Anspruch nehmen. Da sie mit den Kosten in Vorleistung treten, wirke sich das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung zu ihren Gunsten aus. Eine rein formale Betrachtung der fehlenden Vorabgenehmigung widerspräche überdies dem Auftrag, die Verwirklichung der materiell-rechtlichen Ansprüche der Versicherten sicherzustellen. Insofern müsste das Landessozialgericht gegebenenfalls noch über die Höhe der von der Krankenkasse zu übernehmenden Kosten entscheiden.
Gesundheitsrecht im Blick
Im Rahmen der wissenschaftlichen ineges-Tagung der Goethe-Universität „Schnittstellen im Gesundheitsrecht“ am 26. September 2025 in Frankfurt am Main soll Schnittstellenproblemen im deutschen Sozialleistungssystem nachgegangen, ihre Entstehung erläutert und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Beantwortet werden soll unter anderem die Frage, ob punktuelle Schnittstellenbereinigungen genügen oder ob es einer Reform des Sozial- und Gesundheitsrechts bedarf.
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