BGM: Nicht von der Stange

Betriebliches Gesundheitsmanagement lohnt sich, das haben viele Arbeitgeber erkannt. Wenn ein Unternehmen allerdings 70 Standorte hat, kann es zur Herausforderung werden. Nicht mit einem Partner, der gesund und nah ist.

Für die Beschäftigten der Alphartis entwickelte die AOK Workshops zur Rückengesundheit.

Es ist einer der ersten Sommertage des Jahres, als Olaf Kaps durch die verglaste Fassade der ahg-Filiale in Pforzheim tritt. Mit zwei Kisten unterm Arm passiert der AOK-Gesundheitsexperte ein halbes Dutzend Neuwagen und steuert die „Isetta-Bar“ an, den Wartebereich des BMW-Autohauses, benannt nach dem kultigen Oldtimer. Kaps trifft dort auf seinen AOK-Kollegen Gerd Grossmann und auf Markus Bodenmiller und Gerd Braun vom Autohandelskonzern Alphartis, Muttergesellschaft der ahg. Die Männer kennen sich. Alle zwei Monate sprechen sie über die Gesundheit der rund 2.200 Alphartis-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter.

Markus Bodenmiller ist Personalchef und auf gesunde Beschäftigte angewiesen, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und besonders im Autoland Baden-Württemberg. Als 2017 ein Firmenkundenberater der AOK im Gespräch mit Bodenmiller die Möglichkeit erwähnte, eine Fehlzeitenanalyse durchzuführen, willigte der Personaler ein. Krankheitsbedingte Fehlzeiten lassen sich nie komplett vermeiden. „Sie sollten jedoch beobachtet und evaluiert werden“, sagt der AOK-Experte Gerd Grossmann. So könne man beispielsweise analysieren, ob und wo im Unternehmen es Belastungen für die Gesundheit der Angestellten gibt. „Die AOK-Zahlen waren für uns extrem repräsentativ, weil sehr viele Mitarbeitende bei uns ein grünes Versichertenkärtle haben“, sagt Markus Bodenmiller. Und tatsächlich zeigt der Fehlzeitenreport Auffälligkeiten: Die Arbeit am Auto geht auf den Rücken. „Ein Großteil der Mitarbeitenden arbeitet in der Werkstatt“, erklärt Bodenmiller. Das ist harte körperliche Arbeit. „Besonders beansprucht sind die Kolleginnen und Kollegen in der Reifenwechsel-Saison, die zwei bis drei Monate andauert.“ 

Die Alphartis-Gruppe wollte ihren Angestellten gezielt bei der Erhaltung ihrer Gesundheit helfen und entschloss sich 2018, in Kooperation mit der AOK ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) aufzubauen. Ein Steuerkreis wurde einberufen, besetzt mit Verantwortlichen der Alphartis und Fachleuten der AOK. Seitdem treffen sich Gerd Grossmann, Markus Bodenmiller und Gerd Braun regelmäßig – sie sind Teil des Gremiums.

Mehr Bewegung im Arbeitsalltag

BGM-Partner: Olaf Kaps, Gerd Grossmann, Markus Bodenmiller und Gerd Braun

Nach einem Espresso und einem kurzen Hallo schnappt sich Olaf Kaps seine beiden Kisten und läuft am Empfangsbereich vorbei nach hinten in den Teile-Vertrieb. Als er die Tür öffnet, lässt er den Neuwagenduft hinter sich. Hier im Lager herrscht geschäftiges Treiben. Metallregale voller Flüssigkeiten, Schrauben, kleiner und großer Teile reichen bis zur Decke – ein Gitterboden, der den Raum in zwei Etagen aufteilt. Oben lagern frische Reifensätze. Es riecht nach Gummi. „Den kenne ich doch“, ruft Olaf Kaps und steuert Chrizantus Nehring an, einen gut eins achtzig großen, durchtrainierten Mann. Nehring lächelt und erinnert sich. „Na klar, Herr Kaps, wir kennen uns vom Workshop“, sagt der Teilefachverkäufer. Olaf Kaps ist Bewegungsfachkraft bei der AOK Nordschwarzwald und hat im vergangenen Jahr Workshops für die gut 60 Mitarbeitenden in Pforzheim durchgeführt. Für die Beschäftigten in den Werkstätten gab es Übungen und Hinweise zum richtigen Tragen und Heben. Und für Mitarbeitende mit sitzenden Tätigkeiten gab es Tipps zur richtigen Ergonomie am Arbeitslatz. „Sitzen ist das neue Rauchen“, weiß Chrizantus Nehring jetzt. „Bei der Bestellung, Planung und Koordination von Teilelieferungen sitzen wir viel vorm PC und sind den klassischen Belastungen ausgesetzt. Gerade im Schulter-Nacken- Bereich zwickt es öfter“, sagt der Autoteile-Spezialist.

Gesundheitsexperte Olaf Kaps (l.) gibt Chrizantus Nehring Tipps für mehr Bewegung am Arbeitsplatz.

Der AOK-Bewegungsexperte Kaps hat ihm praktische Übungen gezeigt und vor allem viele Möglichkeiten mitgegeben, wie er mehr Bewegung in seinen Arbeitsalltag bringen kann. „Ich würde mir wünschen, dass das keine einmalige Aktion bleibt, sondern es in regelmäßigen Abständen eine Auffrischung oder kleine Reminder gibt“, sagt der Angestellte. Genau deswegen ist Olaf Kaps heute hier. Er lädt seine beiden Kisten auf Nehrings Schreibtisch ab und öffnet eine. Darin sind Mappen, die die Inhalte aus den Trainings noch einmal zusammenfassen und viele weitere Tipps für den Alltag bereithalten. Er überreicht Chrizantus Nehring eine davon. „Damit ich Ihnen in Erinnerung bleibe“, sagt Kaps und grinst.

„Wichtig ist uns, dass wir das Betriebliche Gesundheitsmanagement nachhaltig umsetzen und es nicht bei Einzelaktionen bleibt.“

Markus Bodenmiller

Abteilungsleiter Personal, Alphartis SE

Eine echte Gemeinschaftsleistung

Gesundheitsförderung im betrieblichen Umfeld gehört seit mehr als 25 Jahren zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Richtlinien zur Umsetzung sind in einem GKV-Leitfaden festgeschrieben. „Trotzdem gibt‘s bei uns kein Angebot von der Stange“, betont Präventionsprofi Gerd Grossmann. Jede der 14 AOK-Bezirksdirektionen hat ein eigenes Team von Gesundheitsförderern wie Grossmann und Kaps, die Firmenkunden vor Ort im Verbund mit regionalen Partnerinnen und Partnern betreuen.

„Seit Jahrzehnten begleiten wir Unternehmen individuell mit geeigneten Maßnahmen“, berichtet Grossmann. Aber Alphartis wäre für ihn und sein Team eine neue Herausforderung, gibt er zu. Die Automobilhandelsgruppe mit Sitz in Horb am Neckar ist eine der größten in Deutschland. Zur Alphartis zählen unter anderem die ahg Autohandelsgesellschaft mbH, die seit 1986 die Marken BMW und MINI, Land Rover und Peugeot sowie Alpina und BMW Motorrad vertreibt, und die bhg Autohandelsgesellschaft mbH, die seit 2010 Vertriebspartner der Marken Volkswagen, Volkswagen Nutzfahrzeuge, Audi, ŠKODA, SEAT und CUPRA ist. Zwischen Pforzheim und Freiburg, vom Schwarzwald bis zur Schwäbischen Alb: Insgesamt gehören rund 70 Betriebe zum Konzern, verteilt auf etwa 50 Standorte, erläutert Pressechef Gerd Braun.

Was für die Kundinnen und Kunden praktisch ist, stellt für den Aufbau eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements einen erheblichen Aufwand dar. Denn dem Unternehmen ist wichtig, dass die Maßnahmen allen 2.200 Mitarbeitenden gleichermaßen zugutekommen. „Das war die große Kunst in diesem Projekt“, erinnert sich Grossmann: „Ein Konzept zu entwickeln, das in allen Betrieben ausgerollt werden kann, aber dennoch die besonderen Anforderungen der Berufsbilder und der jeweiligen Standorte berücksichtigt.“ Keine leichte Aufgabe. Aber eine, bei der die Kooperation von der breiten AOK-Präsenz in der Region profitiert. Gesund und nah – das kommt Alphartis zugute. Sieben von insgesamt 14 AOK-Bezirksdirektionen arbeiten eng zusammen, um die Autohandelsgruppe über ihr Filialnetz hinweg zu beraten und zu begleiten. Neben der AOK Nordschwarzwald sind auch die AOKs Stuttgart- Böblingen, Mittlerer Oberrhein, Südlicher Oberrhein, Schwarzwald-Baar-Heuberg, Neckar-Alb und Neckar-Fils mit im Boot. Nur durch die Gemeinschaftsleistung der einzelnen Teams aus den Regionen kann der Prozess aufs ganze Unternehmen ausgerollt werden.

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Prävention nach Lehrbuch

Olaf Kaps (r.) legt Wert auf Ergonomie am Arbeitsplatz.

„Besonders ist bei Alphartis auch, dass wir quasi einen BGM-Prozess nach Lehrbuch durchführen konnten“, sagt Gerd Grossmann und berichtet aus der Arbeit des Steuerkreises: Der Vorstand steht voll hinter der Sache und lässt sich als Erstes ausführlich zum Thema Betriebliche Gesundheit informieren. Dann folgt eine Sensibilisierung der Führungskräfte – von den Geschäftsbereichsleitern bis zu den Filialleitern. Sie lernen, was für ein großer Hebel die Gesunderhaltung der Beschäftigten ist, und sie bekommen Mittel und Methoden an die Hand, um die Mitarbeitenden in ihrer Gesundheit zu unterstützen. „Wenn BGM-Aktivitäten das Arbeitsumfeld verbessern, leistet das einen wichtigen Beitrag zur positiven Unternehmenskultur“, sagt Diplom-Psychologe Uwe Renz von der AOK Nordschwarzwald, der von Anfang an Teil des Alphartis-Steuerkreises gewesen ist und die Führungskräfte-Workshops initiiert hat.

Schließlich folgen Workshops für die Angestellten im operativen Geschäft, in Werkstatt und Verkauf. „Wichtig ist uns jetzt, dass wir das BGM nachhaltig umsetzen, damit es nicht bei Einzelaktionen bleibt“, sagt Markus Bodenmiller. „Deswegen haben wir unter anderem unseren Filialleitern die Gesundheitsförderung ins Lastenheft geschrieben. Sie können nun selbstständig Unterstützung von der AOK anfordern oder Maßnahmen umsetzen – ganz nach Bedarf ihres Standortes und ihrer Mitarbeitenden“, so der Personalchef. Und das ist auch wichtig, denn die Gesundheitskasse konzipiert zwar, begleitet die Unternehmen und setzt wichtige Impulse. Die dauerhafte Umsetzung von Maßnahmen ist dagegen nicht ihr Auftrag.

Olaf Kaps verabschiedet sich aus dem Teile-Vertrieb und dreht nun weiter seine Runde durch die Pforzheimer Filiale, beide Kisten unterm Arm. Er wird an diesem Tag noch die Kolleginnen und Kollegen in der Werkstatt und der Motorrad-Sparte besuchen und sie zum Dranbleiben motivieren. Und er war nicht zum letzten Mal hier. Bald stehen Azubi-Workshops zum Thema Bewegung, Stress und Ernährung an.