Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) verabschiedet

 

Darum geht’s

In seiner Sitzung am Freitag, 23.06.2023 hat der Bundestag das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsgesetz (ALBVVG) mit insgesamt 31 Änderungsanträgen verabschiedet. Wesentliches Ziel des Gesetzes ist es Lieferengpässe in der Versorgung mit patentfreien Arzneimitteln zu bekämpfen und die Versorgung mit Kinderarzneimitteln zu verbessern. Darüber hinaus enthält das Gesetz auch zahlreiche weitere fachfremde Regelungen. 

Folgende Maßnahmen mit Blick auf die Arzneimittelversorgung wurden beschlossen:

  • Stärkung der Transparenz: Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen bei Arzneimitteln eingerichtet. Die Auskunftspflichten der Hersteller gegenüber dem BfArM werden ausgeweitet und umfassen Daten zu verfügbaren Beständen, zur Produktion, einschließlich der Herstellungsstätte der bei der Herstellung des Arzneimittels tatsächlich verwendeten Wirkstoffe, und zur Absatzmenge sowie Informationen zu drohenden Lieferengpässen
  • Erhöhte Bevorratungspflichten:
    • Für Kinderarzneimittel wird die Vorratshaltung durch den Arzneimittelgroßhandel von zwei auf vier Wochen erhöht
    • Apotheken müssen bestimmte, in der Apotheke hergestellte Krebsarzneimittel für mindestens vier Wochen vorrätig halten
    • Krankenhausversorgende Apotheken und Krankenhausapotheken müssen bestimmte Medikamente für die intensivmedizinische Versorgung sowie Antibiotika für sechs Wochen vorrätig halten
    • Im Rahmen von Arzneimittelrabattverträgen werden die pharmazeutischen Hersteller zu einer sechsmonatigen Lagerhaltung verpflichtet
  • Bei den Arzneimittelrabattverträgen gelten neue Regelungen mit dem Ziel der Diversifizierung von Lieferketten. So müssen zunächst bei Antibiotika die Hälfte der Rabattverträge mit Herstellern vereinbart werden, die die Wirkstoffe für diese Arzneimittel in der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft herstellen. Für die andere Hälfte gilt die verpflichtende Mehrfachvergabe, das heißt es müssen Zuschläge für mindestens zwei Hersteller vorgesehen sein. Die neuen Regeln zur Diversifizierung werden auf weitere Arzneimittel ausgeweitet, wenn das BMG auf Empfehlung des BfArM diese als Arzneimittel mit drohender oder bestehender versorgungsrelevanter Marktkonzentration eingestuft hat. 
  • Bei Kinderarzneimitteln werden Rabattverträge verboten und die Festbeträge (maximaler Betrag, den die Krankenkasse erstattet) aufgehoben. Der Preis für diese Arzneimittel wird um 50 Prozent angehoben.
  • Für als versorgungskritisch eingestufte Arzneimittel kann das BMG auf Empfehlung des BfArM die Anhebung der Festbeträge um 50 Prozent veranlassen.
  • In Apotheken gelten vereinfachte Austauschregelungen für Rabattarzneimittel. Beim Austausch eines Arzneimittels aufgrund von Nichtverfügbarkeit erhält die Apotheke einen Zuschlag in Höhe von 50 Cent. Krankenkassen können nur noch in sehr begrenztem Ausmaß und in ganz bestimmten Fällen Geld von den Apotheken zurückverlangen (sog. Retaxation), wenn diese Fehler bei der Abgabe von Arzneimitteln gemacht haben. Das betrifft auch die Abgabe von Rabattarzneimitteln.
  • Der Festzuschlag für den Großhandel wird von 70 Cent auf 73 Cent je Packung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels erhöht.
  • Bei Vorliegen eines Versorgungmangels können Arzneimittel zwischen öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken weitergegeben werden.
  • Beim Austausch von Arzneimitteln in der Apotheke gibt es Erleichterungen bei der Zuzahlung für die Versicherten. So muss beispielsweise bei Abgabe von mehreren Einzelpackungen die Zuzahlung nur einmal geleistet werden.
  • Bei Reserveantibiotika mit neuen Wirkstoffen entfallen die Erstattungsbetragsverhandlungen: der bei Markteinführung durch das pharmazeutische Unternehmen gewählte Abgabepreis kann damit über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus beibehalten werden. 

Weitere Maßnahmen

  • Die telefonische Krankschreibung wird regelhaft ermöglicht
  • Der Bund kann COVID-19-Impfstoffe bis zum 31. Dezember 2027 beschaffen, lagern und in den Verkehr bringen und die Vergütung der Apotheken und der pharmazeutischen Großhändler für die Abgabe dieser Impfstoffe wird bis zum 31. Dezember 2027 verlängert
  • Die Genehmigungsfrist der Krankenkassen vor der erstmaligen Verordnung von medizinischem Cannabis wird auf zwei Wochen verkürzt
  • Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter erhalten mehr Handlungsspielräume und dürfen mit der Gabe von Betäubungsmitteln eine optimale medikamentöse Versorgung der Patientinnen und Patienten in Notfallsituationen ohne Zeitverzug sicherstellen

So steht die AOK Baden-Württemberg dazu:

Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) enthält einige sinnvolle Ansätze zur Bekämpfung von Lieferengpässen, greift aber insgesamt zu kurz und belastet die Beitragszahlenden, ohne zu einer echten Verbesserung der Versorgung zu führen.  

Erfreulich sind insbesondere die Regelungen für mehr Transparenz und eine stärkere Bevorratung. Beides fordert die AOK seit Jahren. Bei den Rabattverträgen ist die AOK-Gemeinschaft hier bereits vorangegangen und hat entsprechende Bevorratungspflichten umgesetzt. Auch das Frühwarnsystem zur Erkennung von Lieferengpässen ist überfällig. Statt der bloßen Reaktion auf die Anfragen des BfArM im Einzelfall wäre hier allerdings eine generelle Pflicht zur Meldung angezeigt.  

Gut gemeint, aber letztlich zu kurz gegriffen und in der Ausgestaltung kritisch sind die Vorgabe zur Diversifizierung von Lieferketten bei den Arzneimittelrabattverträgen. Rabattverträge stabilisieren die Lieferkette und stärken nachweislich die Versorgungssicherheit. Durch wirksame und sichere Arzneimittelrabattverträge werden jedes Jahr außerdem Milliardenbeträge für die Gemeinschaft der Beitragszahlenden eingespart. Die jetzt beschlossenen Regelungen schwächen die Rabattverträge in ihrer versorgungssichernden und wirtschaftlichen Wirkung und führen entgegen den Beteuerungen der Ampel-Fraktionen und des BMG zu Mehrbelastungen der Beitragszahlenden ohne konkrete Verbesserung der Versorgung. Eine Diversifizierung bei der Arzneimittelproduktion ist zwar ein sinnvolles Anliegen. Das europaweite Problem der Lieferengpässe kann aber letztlich nicht im nationalen Sozialrecht gelöst werden, sondern muss auf europäischer Ebene konsequent angegangen werden. Die Erfahrungen der AOK-Gemeinschaft haben gezeigt, dass es unter anderem eine entsprechende Verankerung im EU-Vergaberecht braucht. Darüber hinaus gehört es nicht zur Aufgabe von Krankenkassen, Wirtschaftspolitik durch Standortförderung mit Mitteln der Beitragszahlenden zu betreiben.

Völlig fehlgeleitet sind die im Gesetz verankerten pauschalen Preiserhöhungen für Arzneimittel zu Lasten der Beitragszahlenden. Lieferengpässe sind nicht vom Preisniveau abhängig – sie treten in anderen Ländern mit höheren Arzneimittelpreisen als in Deutschland sogar noch häufiger auf und sind ein europäisches Problem. 

Insgesamt ist es daher aus Sicht der AOK Baden-Württemberg nicht sachgerecht, zur Lösung der komplexen Problematik der Lieferengpässe einfach nur weitere Gelder in den Markt zu geben und die GKV-Mitglieder und ihre Arbeitgeber mit einem hohen dreistelligen Millionenbetrag zusätzlich zu belasten. Damit das zusätzliche Geld nicht einfach verpufft, müssen die pharmazeutischen Unternehmen zum Beispiel durch die Verknüpfung höherer Preise mit geringeren Lieferausfällen stärker in die Pflicht genommen werden.