Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz - GVSG)

 

Darum geht’s

Ende Juni 2023 wurde der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in den Kommunen (Gesundheitsversorgungs-stärkungsgesetz – GVSG) bekannt. Mit dem Gesetz soll die Versorgung vor Ort verbessert und sozial benachteiligten Gruppen ein besserer Zugang zu medizinischen Leistungen und Angeboten der Prävention über niederschwellige Beratungsangebote verschafft werden. Der Entwurf enthält im Wesentlichen Regelungen zu Gesundheitskiosken, zu Primärversorgungszentren und zu Gesundheitsregionen. Mit dem Kabinettsbeschluss ist nach der Sommerpause zu rechnen.

Folgende Regelungen sind geplant:

Gesundheitskioske
  • Einführung in benachteiligten Regionen und Stadtteilen als niedrigschwellige Beratungsangebote für Behandlung und Prävention
  • Das Initiativrecht liegt bei den Kommunen (Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen werden dann verpflichtet, gemeinsam mit den Kommunen und der PKV Verträge zu den Kiosken zu schließen)
  • Veranschlagte Kosten von 400.000 Euro pro Jahr je Gesundheitskiosk (Finanzierung: 74,5 Prozent durch die GKV, 5,5 Prozent durch die PKV und 20 Prozent durch die Kommunen)
  • Aufgaben der Gesundheitskioske können sein:
    • Vermittlung von Leistungen der medizinischen Behandlung, Prävention und Gesundheitsförderung und Anleitung zu deren Inanspruchnahme
    • Allgemeine Beratungs- und Unterstützungsleistungen zur medizinischen und sozialen Bedarfsermittlung
    • Koordinierung der erforderlichen Gesundheitsleistungen und Anleitung zu deren Inanspruchnahme einschließlich ambulanter telemedizinischer Leistungen
    • Unterstützung bei der Klärung gesundheitlicher und sozialer Angelegenheiten
    • Durchführung einfacher medizinischer Routineaufgaben
  • Perspektivisch sollen insb. Pflegefachkräfte mit Heilkundekompetenz im Sinne von Community Health Nursing die Leitung der Gesundheitskioske übernehmen
Gesundheitsregionen
  • Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen können gemeinsam mit einer oder mehreren Kommunen auf deren Antrag hin einen Gesundheitsregionenvertrag schließen
  • Ziel ist es den Zugang zur regionalen Versorgung durch eine regional vernetzte, kooperative Gesundheitsversorgung zu verbessern
  • Versicherte müssen sich nicht einschreiben und behalten die freie Arzt- und Leistungserbringerwahl
  • Aufgaben einer Gesundheitsregion:
    • Bildung von Netzwerken und Kooperationen der regionalen Versorger und des ÖGD
    • Sicherstellung einer vernetzten und koordinierten Versorgung über Sektorengrenzen hinweg. Berücksichtigung der gewachsenen Strukturen regionaler Bedarfe
    • Ausbau von Dienstleistungen zur Erhöhung von Mobilitätsangeboten
  • Finanzierung der Investitions- und Betriebskosten der Organisation zu gleichen Teilen zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen sowie der beteiligten Kreise oder kreisfreien Städte
Primärversorgungszentren
  • Schaffung einer Rechtsgrundlage und Ergänzung der regulären hausärztlichen Versorgung zur besonderen hausärztlichen Versorgung (berufsgruppenübergreifend, koordiniert, versorgungssteuernd)
  • Können nur in Regionen eingerichtet werden, für die gemäß § 100 Abs. 1 SGB V eine (drohende) Unterversorgung festgestellt wurde
  • Anerkennung nach Antrag durch KV (d.h. kein Vertragsabschluss zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen/Ersatzkassen und den Kommunen)
Weitere geplante Regelungen
  • Erhöhung der Leistungs- und Servicequalitätstransparenz von Kranken- und Pflegekassen durch Errichtung eines niederschwelligen, übersichtlichen digitalen Informations- und Vergleichsangebots über die Servicequalität der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen
  • Stärkung der Mitwirkungsrechte von Vertretern von Pflege und Patienten im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) durch Antrags- und Mitberatungsrecht
  • Erleichterungen bei der Gründung kommunaler medizinischer Versorgungszentren durch Begrenzung der Höhe der gesetzlich vorgesehenen Sicherheitsleistungen
  • Beschleunigung von Bewilligungsverfahren der Hilfsmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen
  • Land bestimmt bei Entscheidungen der Zulassungsausschüsse mit besonderer Versorgungsrelevanz mit (Einvernehmen)

 

So steht die AOK Baden-Württemberg dazu

Der vorliegende Referentenentwurf adressiert mit der Förderung der Versorgung von Menschen in strukturschwachen Regionen sowie dem Blick auf die speziellen Bedürfnisse vulnerabler Gruppen ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Die Unterstützung sozial und/oder strukturell benachteiligter Regionen und Stärkung der Gesundheitskompetenz in der breiten Bevölkerung sind Ziele, die wir unterstützen. Die passgenaue Gestaltung der Versorgung vor Ort gehört seit Langem zur Philosophie der AOK Baden-Württemberg. Mit unserer koordinierten Versorgung im Rahmen der Haus- und Facharztverträge haben wir hier bereits Maßstäbe gesetzt. Die im Entwurf enthaltene Ausrichtung hin zu einer stärker regional vernetzten Gesundheitsversorgung geht grundsätzlich in die richtige Richtung.

Um den Gesetzesentwurf hinreichend finanzier- und umsetzbar zu gestalten, das Risiko teurer Doppelstrukturen zur verringern und sicherzustellen, dass die Intentionen des GVSG umgesetzt werden können, sind jedoch Schärfungen des Gesetzesentwurfs notwendig.

Gesundheitskioske

Grundsätzlich zu begrüßen ist die stärkere Berücksichtigung sozialer Faktoren beim Blick auf die Gesundheit.

Jedoch kann das alleinige Initiativrecht in Verbindung mit geringen Finanzierungsanteilen bzw. der Finanzierungspflicht der GKV institutionelle Fehlanreize setzen. Einen regionalen, partizipativen Ansatz, orientiert am konkreten Bedarf, erachten wir als dem Konzept Gesundheitskiosk („vernetzt“, „kooperativ“, vgl. Referentenentwurf) angemessener und erfolgsversprechender. Die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure von Beginn an mindert zudem das Risiko eines Aufbaus von Doppelstrukturen in Beratung und Versorgung. 

Der Gesetzgeber sollte zudem die Zielgruppen von Gesundheitskiosken beschreiben, um wirksam das Ziel des Referentenentwurfs verfolgen zu können. Die Formulierung „besonders benachteiligte Regionen“ sollte konkretisiert werden und messbar (z.B. Deprivationsindex) sein. Die Messbarkeit sollte am regionalen Bedarf anhand von Strukturdaten gemeinsam als Bestandteil der Verträge festgemacht werden. Dies schafft gleichzeitig den Rahmen für eine aussagekräftige Evaluation, die auf regional definierten Erfolgsparametern fußt.

Die Aufnahme von medizinischen Routineaufgaben als Auftragsleistung der Gesundheitskioske sehen wir kritisch. Die Schaffung einer neuen, zusätzlichen Struktur kann zu einer weiteren Segmentierung der Versorgung beitragen. Besser wären integrierte Lösungen in die bereits bestehende Versorgung.

Grundsätzlich ist die weit überwiegend zu Lasten der GKV vorgesehene Finanzierung für eine größtenteils gesamtgesellschaftliche und öffentliche Aufgabe zu kurz gedacht. Statt die Beitragszahlenden immer weiter über Gebühr zu belasten, müssen hier die Kommunen sowie die anderen Sozialleistungsträger im Rahmen der Vertragsgestaltung stärker in die finanzielle Mitverantwortung genommen werden.  Auch um die postulierte Erwartung von Minderausgaben für die GKV belastbar abzubilden, sind zunächst Erfahrungen mit den neuen Ansätzen als lernendes System – beispielsweise in Verbindung mit Pflegestützpunkten und regionalen Modellprojekten – sowie die Ergebnisse der Evaluation der Gesundheitskioske abzuwarten.

Gesundheitsregionen

Die im Entwurf angelegte Umsetzung über ein alleiniges Initiativrecht der Kommunen und damit verbundene anspruchsvolle Voraussetzungen für Vertragsverhandlungen untergraben notwendige Impulse zu einer nutzer- und patientenorientierten Weiterentwicklung der Versorgung. Zielführender sind hier partizipative Lösungsansätze, die den regionalen Akteuren und damit auch den Kassen mehr Handlungsspielraum zur Gestaltung der Versorgung geben und auch die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen einbeziehen.

Primärversorgungszentren

Die geplanten Primärversorgungszentren (PVZ) können einen Beitrag zur Sicherung der regionalen Versorgung leisten, sofern Hausärzte in diesem Konstrukt eher bereit sind, sich in unterversorgten Regionen niederzulassen. Viele Aspekte, die im Gesetzestext zu § 73a SGB V angesprochen werden, erfüllt die AOK Baden-Württemberg bereits durch die Hausarztzentrierte Versorgung in Verbindung mit dem FacharztProgramm (z.B. koordinierend, versorgungssteuernd, berufsgruppenübergreifend). Insgesamt bleibt der mit dem Referentenentwurf vorgesehene rechtliche Rahmen für die PVZ jedoch hinter den Möglichkeiten zurück und schöpft die Potenziale anderer Gesundheitsprofessionen sowie einer sektorenübergreifenden Versorgungslösung nicht aus. Ziel sollte sein, eine interdisziplinäre Teamarbeit auf Augenhöhe zu ermöglichen.

Weitere Regelungen

Zu begrüßen sind die Erhebung einheitlicher Kennzahlen und Informationen zur Service- und Leistungsqualität der Krankenkassen. Die AOK ist hier mit ihren Transparenzberichten bereits vorangegangen.