Allgemeiner Krankenstand 2023 weiterhin auf sehr hohem Niveau
Post-Covid und Long-Covid: Sinkende Zahl von Krankschreibungen, aber weiterhin lange berufliche Fehlzeiten der Betroffenen
Stuttgart. Die Zahl der Menschen, die nach einer akuten Covid-19-Infektion wegen Post-Covid, Long-Covid oder eines chronischen Erschöpfungssyndroms in Baden-Württemberg krankgeschrieben werden mussten, lag im vergangenen Jahr deutlich niedriger als in den vorangegangenen „Pandemie-Jahren“ 2021 und 2022. Die Betroffenen haben aber weiterhin sehr lange Fehlzeiten. Das zeigt eine aktuelle Analyse des Wissenschaftlichen Instituts (WIdO). Laut der Auswertung sind im Südwesten seit Beginn der Pandemie bis einschließlich Dezember 2023 mehr als ein Drittel aller durchgehend erwerbstätigen AOK-Versicherten mindestens einmal im Zusammenhang mit einer akuten Covid-19-Infektion krankgeschrieben worden. Die Gesamtbilanz der Krankmeldungen für das Jahr 2023 zeigt erneut einen sehr hohen Krankenstand, auch wenn gegenüber dem Rekordwert von 2022 ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist.
Zwischen März 2020 und Dezember 2023 wurden 38,77 Prozent (n = 506.837) der insgesamt 1.307.262 durchgehend erwerbstätigen Versicherten der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… Baden-Württemberg aufgrund einer akuten Covid-19-Erkrankung mindestens einmal arbeitsunfähig geschrieben. 1,52 Prozent (n = 19.782) aller AOK-versicherten Beschäftigten im Südwesten erhielten mindestens eine Krankschreibung wegen Long-Covid, Post-Covid oder wegen des chronischen Fatigue-Syndroms CFS.
Die Analyse der Entwicklung im Zeitverlauf zeigt einen positiven Trend: So wurden in Baden-Württemberg zuletzt deutlich weniger Menschen wegen Post-Covid, Long-Covid oder CFS krankgeschrieben als in den Jahren 2021 und 2022. Der Spitzenwert des vergangenen Jahres wurde mit 171 Betroffenen je 100.000 AOK-versicherten Beschäftigten im März 2023 erreicht; die Zahl der Betroffenen sank dann im weiteren Jahresverlauf kontinuierlich bis auf 89 je 100.000 Beschäftigten im Dezember 2023 ab. Zum Vergleich: Im März 2022 wurde der Spitzenwert von 377 erwerbstätigen AOK-Versicherten je 100.000 Beschäftigten verzeichnet.
Eine Detail-Analyse zur Dauer der Krankschreibung von Beschäftigten, die von den Spätfolgen einer Covid-19-Infektion betroffen waren, zeigt auch weiterhin sehr lange Ausfallzeiten im Südwesten. So lag die Dauer der Arbeitsunfähigkeit liegt nach der Definition des Gemeinsamen Bundesausschusses dann vor, wenn der Versicherte aufgrund… bei Long-Covid-Erkrankungen in Baden-Württemberg im Durchschnitt bei 36,8 Tagen je AU-Fall. Wenn die vorangegangene akute Covid-19-Infektion mit einbezogen wird, ergibt sich eine durchschnittliche Krankheitsdauer von 64,8 Tagen. Bei Post-Covid-Erkrankungen waren es 32,6 Tage je Fall, bei CFS 27,5 Tage je Fall. Langzeit- bzw. AU-Bescheinigungen, die 43 Tage oder länger ausgestellt wurden, wurden in Baden-Württemberg bei etwa einem Fünftel (20,4 Prozent) aller Long-Covid-Betroffenen, bei 13 Prozent aller Post-Covid-Betroffenen und bei 11,4 Prozent aller CFS-Betroffenen dokumentiert. „Dies sind im Vergleich zu anderen Erkrankungen sehr lange berufliche Ausfallzeiten. Offenbar ist es in vielen Fällen eine Herausforderung, den Betroffenen wieder den Weg in den betrieblichen Alltag zu ebnen“, kommentiert Jochen Michl, Spezialist Betriebliches Gesundheitsmanagement bei der AOK Baden-Württemberg.
Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist zu beachten, dass eine realitätsgetreue Abbildung der langfristigen Folgen von Covid-19-Infektionen durch die Verteilung des Krankheitsgeschehens auf diverse Abrechnungsdiagnosen, unterschiedliche Dokumentationsgewohnheiten bei den Leistungserbringern und die Vielzahl unterschiedlicher Folgeerkrankungen von akuten Covid-Infektionen erschwert wird. „Auch das Robert-Koch-Institut kritisiert in diesem Zusammen-hang den Mangel an bevölkerungsrepräsentativen, kontrollierten Studien mit ausreichender Nachbeobachtungszeit, die einen Vergleich von Personen mit und ohne akute Covid-19-Infektion ermöglichen“, sagt WIdO Das WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) liefert als Forschungs- und Beratungsinstitut der… -Geschäftsführer Helmut Schröder. Zudem berücksichtigten bisherige Meta-Analysen methodische Unterschiede zwischen den einzelnen Studien nur begrenzt, was häufig zu Überschätzungen der Gesamtprävalenz von Covid-19-Spätfolgen führe. „Unsere Analysen der Arbeitsunfähigkeitsdaten erlauben daher trotz aller Limitationen immer noch die bestmögliche Quantifizierung der Spätfolgen von Covid-19-Infektionen in der erwerbstätigen Bevölkerung. Die tatsächliche Anzahl der betroffenen Beschäftigten ist aber möglicherweise höher, als es die vorliegenden Zahlen vermuten lassen. So muss nicht jeder von Spätfolgen betroffene Beschäftigte in der Praxis mit den berücksichtigten Diagnosen arbeitsunfähig geschrieben werden“, betont Schröder.
Wie frühere Auswertungen zeigt auch die aktuelle Analyse des WIdO, dass sowohl akute Covid-19-Infektionen als auch deren Spätfolgen am häufigsten unter Beschäftigten in Sozial- und Gesundheitsberufen diagnostiziert wurden. Bei den akuten Erkrankungen lagen im Südwesten Berufe in der Kinderbetreuung und -erziehung an der Spitze: Die Hälfte der Angehörigen dieser Berufsgruppe (50,1 Prozent) war zwischen März 2020 und Dezember 2023 mindestens einmal wegen einer akuten Covid-19-Infektion krankgeschrieben. Damit lagen sie deutlich über dem Durchschnittswert von 31,9 Prozent. Krankschreibungen aufgrund von Long-Covid, Post-Covid oder chronischem Erschöpfungssyndrom kamen in der Berufsgruppe der Ergotherapeuten mit 3,02 Prozent am häufigsten vor. „Die vielen sozialen Kontakte in diesen Berufen dürften der Hauptgrund für die besondere Betroffenheit der Sozial- und Gesundheitsberufe sein“, erläutert Jochen Michl.
Der allgemeine Krankenstand Der Krankenstand beziffert die Zahl der arbeitsunfähig geschriebenen Kranken bezogen auf 100… lag 2023 in Baden-Württemberg mit 5,9 Prozent unter dem historischen Höchststand von 6,4 Prozent aus dem Jahr 2022, aber erneut deutlich über den Durchschnittswerten der vergangenen Jahre. Nachdem die Corona-Pandemie im Jahr 2022 für einen Spitzenwert bei den beruflichen Fehlzeiten aufgrund von Atemwegserkrankungen gesorgt hatte, sind diese im Jahr 2023 wieder etwas rückläufig. „Die Erkältungswellen hatten Deutschland aber auch 2023 wieder fest im Griff – sowohl am Anfang als auch am Ende des Jahres“, so Jochen Michl.
Während 2019, also im Jahr vor der Pandemie, jeder vierte Beschäftigte im Südwesten (28,7 Prozent) wegen einer Atemwegserkrankung krankgeschrieben werden musste, war 2023 mehr als jeder dritte Beschäftigte (39,5 Prozent) davon betroffen. Damit hat sich die Betroffenheit der Beschäftigten mit Atemwegserkrankungen in diesem Zeitraum um 38 Prozent erhöht. Die Dauer der Krankschreibungen pro Fall nahm bei den Atemwegserkrankungen im Südwesten zuletzt etwas ab (von 6,8 AU-Tagen je Fall im Jahr 2022 auf 5,6 Tage je Fall im Jahr 2023).
Auch bei den psychischen Erkrankungen gab es von 2019 bis 2023 einen Anstieg um 9 Prozent. Die AU-Quote aufgrund psychischer Erkrankungen lag 2023 bei 7,4 Prozent. Das ist im Vergleich zum Vorjahr 2022 (AU-Quote: 7,0 Prozent) ein Plus von 5,7 Prozent. „Die psychischen Erkrankungen sorgten somit für wesentlich weniger Krankschreibungen als die Atemwegserkrankungen, aber die damit verbundenen Ausfallzeiten sind deutlich länger“, berichtet Jochen Michl. Die durchschnittliche Dauer der Krankschreibungen aufgrund von psychischen Erkrankungen war zwar mit 27,5 Tagen im Vergleich zu 2022 (28,4Tage) zuletzt etwas rückläufig, lag aber immer noch höher als 2019 (25,5 Tage), also dem Jahr vor der Pandemie. „Der langjährige Trend bei den psychischen Erkrankungen ist ungebrochen. Sowohl die Anzahl der Betroffenen als auch die damit verbundenen Ausfalltage in den Betrieben Deutschlands steigen seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend nochmals beschleunigt“, so Michl.
Bei der AU-Quote der Muskel-Skelett-Erkrankungen war zwischen 2019 und 2023 ebenfalls ein Anstieg um 7,7 Prozent zu verzeichnen. Gleichzeitig zeigt sich bei den damit verbundenen Ausfallzeiten je Fall ein leichter Trend nach unten: Während die Beschäftigten 2019 noch durchschnittlich 15,6 Tage pro Fall krankgeschrieben waren, waren es 2023 14,9 Tage je Fall.
Methodische Hinweise zu den Covid-Auswertungen
Um eine bestmögliche Schätzung der langfristigen Folgen von Covid-bedingten Erkrankungen zu ermöglichen und eine Unterschätzung des Erkrankungsgeschehens zu minimieren, wurden in den Analysen der Arbeitsunfähigkeitsdaten zusätzlich zur expliziten Diagnose „Post-Covid-Zustand“ (Diagnose-Code U07.4, U09 und U09.9) die Diagnosen Long-Covid und CFS berücksichtigt. Von einer Long-Covid-Erkrankung wird gesprochen, wenn die Beschwerden der Patientinnen und Patienten länger als 28 Tage andauern und im Zusammenhang mit einer Diagnose stehen, die vornehmlich zur Attestierung akuter Covid-Erkrankungen genutzt wird (Diagnose-Codes U07.1, U07.2, U07.3, U7.5, U08, U08.9, U10 und U10.9). Long-Covid-Erkrankungen werden in den Arztpraxen nicht als eigenständige Abrechnungsdiagnose dokumentiert. Vor diesem Hintergrund wurden bei der Berechnung der Falldauer von Long-Covid-Erkrankungen jeweils 28 Tage pro Fall abgezogen.
Zusätzlich ist in den Analysen auch die Diagnose „Chronische Fatiguesyndrom/Myalgische Enzephalopathie“ (Diagnose-Code G93.3) berücksichtigt. Sie gilt als häufig spezifisch postvirale, langjährige und in Analysen zu den Folgen der Covid-19-Pandemie bisher vernachlässigte Erkrankung. In einer Analyse der AU-Tage aufgrund dieser Diagnose zeigt sich seit 2018 ein Anstieg von über 350 Prozent – bei allen anderen Erkrankungen waren es dagegen nur 20,1 Prozent. Darüber hinaus werden Post-Covid-Erkrankungen teilweise über die Diagnosen Fatigue (ICDs: G93, F43, F48), Dyspnoe (ICDs: R06, J96, F45) oder kognitive Störungen (ICDs: F06, F07) abgerechnet. Die Spätfolgen einer akuten Covid-19-Infektion können sich zudem in organspezifischen Erkrankungen sowie unterschiedlichen psychosomatischen und psychiatrischen Beschwerden äußern. Da jedoch nicht alle Betroffenen dieser Erkrankungen im Zusammenhang mit einer Covid-Infektion stehen müssen, kann man den Anteil der Betroffenen in diesen Diagnosegruppen auf Basis von Routinedaten auch Sekundärdaten genannt, sind Daten, die routinemäßig von der gesetzlichen Krankenversicherung… nicht erfassen.