Weniger Hürden, mehr Vielfalt

Baden-Württemberg stärkt das Ehrenamt in der Pflege. Im Ostalbkreis sind die freiwillig Helfenden beim gerade entstehenden Einsamkeitsnetzwerk willkommen.

Baden-Württemberg ist Ehrenamtsland. In keinem anderen Bundesland engagieren sich laut aktuellem Freiwilligensurvey mehr Menschen: nämlich rund 46 Prozent der über 14-Jährigen, also rund 5,3 Millionen Personen. Um das zu würdigen und zu motivieren, hat Baden-Württemberg seine Verordnung für Unterstützungsangebote im Dezember 2024 angepasst. Pflegebedürftige können den monatlichen Entlastungsbetrag der Pflegeversicherung (aktuell 131 Euro) nun auch für Unterstützung durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus dem Nachbarschafts-, Freundes- oder Bekanntenkreis einsetzen – nicht mehr nur für professionelle Anbieter oder organisierte Gruppen. Zudem erfolgt die Anerkennung ehrenamtlicher Einzelhelfer jetzt über ein vereinfachtes, wenig bürokratisches Verfahren. Eine Qualifizierung müssen die Ehrenämtler nicht mehr zwingend absolvieren.

„Der Einstieg ist bürokratiearm und entsteht oft durch eine persönliche Beziehung.“

Manuel Gillner

Projektmanager, Landratsamt Ostalbkreis

Auch für die Menschen im Ostalbkreis ist das eine gute Nachricht. Jede vierte Person im Landkreis sei älter als 65 Jahre, dies entspreche rund 85.000 Personen, berichtet Manuel Gillner vom Landratsamt. 2023 war der Ostalbkreis eine Modellregion für die Ehrenamtskarte, die es seitdem gibt. Wer im Jahr mindestens 200 Stunden ehrenamtlich tätig ist, kann damit verschiedene Vergünstigungen erhalten, wie Rabatte bei kulturellen Veranstaltungen, Freizeitangeboten oder öffentlichen Verkehrsmitteln. „Bisher haben wir schon rund 5.400  Ehrenamtskarten ausgestellt“, berichtet Projektleiterin Ursula Winkler. Durch die Verordnungsanpassung wird die Freiwilligenarbeit noch attraktiver – und niedrigschwelliger. „Das ist eine Chance, denn der Einstieg ist bürokratiearm und entsteht oft durch eine persönliche Beziehung“, so Winkler.

Doch ehrenamtliches Engagement braucht auch professionelle Strukturen, besonders dort, wo Beziehungen fehlen. Einen Beitrag leistet das neueste Projekt des Landkreises: das Einsamkeitsnetzwerk „Ostalb gemeinsam“. „Wir möchten unsere älteren Menschen nicht allein lassen“, sagt Manuel Gillner. Im Aufbau befindet sich ein breit angelegtes Bündnis aus Verwaltung, Kommunen, Seniorenvertretungen, Vereinen und Ehrenamtlichen. Das Konzept wird auch aus Mitteln der sozialen und privaten Pflegeversicherung gefördert. In regelmäßig stattfindenden Einsamkeitskonferenzen stimmen die Kooperationspartner ihre Angebote ab. In der Pilotkommune Neresheim läuft die Arbeit an. Unter anderem werden Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit erhalten, „Sozialrezepte“ auszustellen, die zur kostenlosen Teilnahme an kulturellen oder sportlichen Angeboten der Kommune berechtigen. „Wenn ich schon in der Einsamkeit bin, brauche ich dafür aber eine Begleitung“, sagt Projektleiter Gillner. „Eine ehrenamtlich tätige Person kann hier eine große Unterstützung sein.“

Standpunkt: Der Wert des Ehrenamts

Nina Schäuble, Spezialistin Pflege, AOK Baden-Württemberg

Mit der Anpassung der Unterstützungsangebote-Verordnung (UstA-VO) stellt Baden-Württemberg die Weichen für ein zukunftsfähige, alltagsnahe Pflegeversorgung. Die absolute Mehrheit der Pflegebedürftigen wird in häuslicher Umgebung versorgt – nicht nur durch professionelle Dienste. Diese oft unbezahlte und unterschätzte Care-Arbeit ist eine tragende Säule und ein unverzichtbares Puzzleteil der Versorgungslandschaft. Die erneuerte UstA-VO erkennt die Bedeutung des Ehrenamts verstärkt an und trägt durch niedrigschwellige und bedarfsgerechte Hilfen vor Ort zur Entlastung der pflegenden Personen bei. Denn: Viele Pflegebedürftige wollen keine fremde Hilfe im Haus, wünschen sich aber Unterstützung durch vertraute Personen. Diese dürfen nun offiziell im Alltag entlasten – ein wichtiger Schritt, um den Entlastungsbetrag von 131 Euro sinnvoll einsetzen zu können. Gerade die neue Leistung „Ehrenamtliche Einzelhelfer“ zeigt: Bedarf und Nachfrage sind da. Allein bei der AOK Baden-Württemberg haben in den ersten Monaten schon viele Menschen die Leistung in Anspruch genommen.

Die Herausforderung bleibt: Wie gelingt es, diese vielfältigen Angebote besser zu vernetzen und bekannter zu machen? Pflegekassen, Kommunen und Land stehen hier gemeinsam in der Verantwortung. Durch den Fachkräftemangel wird immer deutlicher, wie wichtig ehrenamtliche Strukturen für die Sicherstellung der Pflege sind. Die Vernetzung der einzelnen Versorgungs- und Unterstützungsangebote ist der Schlüssel dazu. Nur so kann eine gute Versorgung im Sinne des Pflegebedürftigen von morgen gelingen.