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Zahlmeister GKV: Wenn der Staat zur Kasse bittet

17.05.2024 AOK-Bundesverband 8 Min. Lesedauer

Der AOK-Bundesverband schätzt die zusätzlichen Belastungen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) durch die Reformpläne der Ampel in den nächsten Jahren auf mindestens 30 Milliarden Euro. Vieles ist aber noch gar nicht genau zu beziffern.

Foto: Gestapelte und verstreute Geldmünzen
Symbolbild

Finanz- und Strukturreform der Kliniklandschaft, rückwirkende und künftige Anhebung der Landesbasisfallwerte, Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen werden nach unterschiedlichen Systemen vergütet. Die… : Das ist nur eine kleine Auswahl der finanzwirksamen Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Insgesamt drohen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach Berechnung des AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Bundesverbands durch diese Maßnahmen in den nächsten Jahren zusätzliche Belastungen von rund 30 Milliarden Euro. Die Folgen anderer Maßnahmenpakete wie etwa der Einführung vertraulicher Erstattungspreise für Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… sind hier noch nicht einmal eingerechnet, da sie kaum zu beziffern sind. Über all dem steht Lauterbachs Wort von der „Entökonomisierung“ der Gesundheitsversorgung, die sich vor allem im Geldbeutel der Leistungserbringer Unter diesem Sammelbegriff werden alle Personengruppen zusammengefasst, mit denen die Krankenkassen… niederschlägt, aber nicht in einer besseren Versorgung der Patientinnen und Patienten.

Am 15. Mai wurde das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) per Kabinettsbeschluss auf den Weg gebracht. Die Kabinettsfassung sieht einen Transformationsfonds in Höhe von 50 Milliarden Euro vor, mit dem die Folgen der Krankenhausstrukturreform abgefedert werden sollen. 25 Milliarden sollen die Bundesländer beisteuern, in deren Planungshoheit die Krankenhäuser fallen und die für die Investitionskosten der Kliniken verantwortlich sind. 25 Milliarden Euro gehen dem Entwurf zufolge zu Lasten der Beitragszahlenden. Nach geltendem Recht fallen aber lediglich die Betriebskosten der Krankenhäuser in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… . 2023 waren das laut den vorläufigen Finanzergebnissen (KV 45) 93,6 Milliarden Euro, fast ein Drittel der GKV-Gesamtausgaben. Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, erkennt in dem Vorgehen „ein fatales Muster, staatliche Aufgaben und Finanzverantwortlichkeiten systematisch weiter in Richtung GKV zu verschieben“.

Gutachten: Transformationsfonds im KHVVG „rechtlich unzulässig“

Ein Rechtsgutachten zur geplanten Krankenhausreform der Universität Hamburg für den GKV-Spitzenverband Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurden die Organisationsstrukturen in der gesetzlichen… (GKV-SV) macht deutlich, dass dieses Muster auch juristisch angreifbar ist. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die vorgesehene Finanzierung des Transformationsfonds „rechtlich unzulässig“ sei. Sozialbeiträge seien laut Bundesverfassungsgericht „streng zweckgebunden“ und dienten nicht zur „Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates“. Eine leistungsfähige Klinikversorgung sei im Interesse aller Bürger und als Daseinsvorsorge eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, betont die Gutachterin und Sozialrechtsexpertin Prof. Dr. Dagmar Felix. Sozialbeiträge dürften nicht zur Finanzierung des allgemeinen Staatshaushaltes verwendet werden. „Der Zugriff auf Sozialversicherungsbeiträge zur Umsetzung der Reform ist insoweit nicht zulässig.“ Die Klinikreform müsse daher aus Steuern finanziert werden.

Damit stützt das Gutachten die Kritik der Krankenkassen. „Mit dem Griff nach den Beitragsgeldern wäre endgültig eine rote Linie überschritten“, warnte Uwe Klemens, Verwaltungsratsvorsitzender des GKV-SV, zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Ob es eine Klage geben wird, ist noch nicht entschieden. Die Kassen hoffen noch auf eine politische Lösung.

Die Haltung der AOK-Gemeinschaft bezüglich der Finanzierung des Transformationsfonds ist eindeutig: Dass die Hälfte der Kosten zum Umbau der Kliniklandschaft im Volumen von 25 Milliarden Euro von GKV-Mitgliedern und Arbeitgebern gestemmt werden soll, breche „alle geltenden Regeln für die Finanzierung der Kliniken“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer, anlässlich der Verbändeanhörung im Bundesgesundheitsministerium am 29. April. „Die GKV ist nicht für die Investitionskosten zuständig, hier dürfen Bund und Länder ihre Verantwortung nicht an die Beitragszahlenden abdrücken“, unterstrich Hoyer.

Länder fordern mehr Kassenfinanzierung

Geht es nach den Wünschen der Bundesländer, so würden die Betriebskosten erheblich steigen. So fordern diese beispielsweise eine Erhöhung der Landesbasisfallwerte – am besten rückwirkend für 2022 und 2023 um jeweils vier Prozent und 2024 auf den vollen Orientierungswert Mit der Honorarreform 2009 ist in der vertragsärztlichen Vergütung ein bundesweiter… . Der AOK-Bundesverband beziffert die daraus resultierenden zusätzlichen Kosten auf knapp vier bis 5,3 Milliarden Euro. Zumindest wollen die Länder eine Anhebung des Landesbasisfallwerts auf den vollen Orientierungswert für 2024 erreichen, was die GKV mit rund einer Milliarde belasten würde. Hier dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, denn das parlamentarische Verfahren hat erst begonnen.

Als sichere Ausgabenerhöhungen enthält der aktuelle Kabinettsfassung des KHVVG die Anpassung der Regelungen zur Tarifrefinanzierung, die Anpassung der Ermittlung des Veränderungswertes für das Jahr 2025 und die Einführung von zusätzlichen Finanzierungstatbeständen in einer Höhe von über 750 Millionen Euro jährlich ergänzend zur Vorhaltefinanzierung zulasten der GKV. Hierbei geht es um Koordinierungs- und Vernetzungsaufgaben (125 Millionen Euro), spezielle Vorhaltung von Hochschulkliniken (75 Millionen Euro), Pädiatrie (288 Millionen Euro), Geburtshilfe (120 Millionen Euro), Stroke Unit (35 Millionen Euro), Spezielle Traumatologie (65 Millionen Euro), Intensivmedizin (30 Millionen Euro) und Notfallversorgung (33 Millionen Euro). Und schließlich wird auch die jüngst vom Bundesrat gebilligte neue Personalbemessungsrichtlinie PPR 2.0 zu höheren GKV-Ausgaben führen. Wie hoch, ist laut AOK-Bundesverband nicht zu beziffern.

Vergütungssteigerung statt Versorgungsverbesserung

Kommende Woche, am 22. Mai, steht zudem das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts. Das inzwischen inhaltlich ziemlich entkernte Gesetz droht für die GKV nicht minder kostspielig zu werden. Zwar sind der von Karl Lauterbach geplante Medizinstudienplatz-Förderfonds und die Gesundheitskioske, die in weiten Teilen von den Kassen finanziert werden sollten, nicht mehr Teil des Gesetzentwurfes, jedoch schlagen die darin vorgesehene Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung mit mindestens 300 Millionen Euro für die GKV zu Buche. Der Bonus für die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) in Höhe von 30 Euro je Versicherten wird die GKV nach AOK-Angaben zusätzlich rund 270 Millionen Euro pro Jahr kosten.

Dazu kommen gegebenenfalls noch Mehrausgaben für die hausärztliche Jahrespauschale für chronisch Erkrankte, die die vierteljährliche Vergütung ablösen soll, deren Höhe sich aber auch noch nicht abschätzen lässt. Außerdem ist eine hausärztliche Vorhaltepauschale geplant. „Alle vielversprechenden neuen Versorgungsansätze wurden gestrichen. Übrig bleibt eine hausärztliche Honorarreform“, kritisierte AOK-Vorständin Reimann bereits die letzte Fassung des Referentenentwurfs. „Das Gesetz könnte auch als ‚Vergütungssteigerungsgesetz' in den Deutschen Bundestag eingebracht werden“, legte ihr Vize Jens Martin Hoyer anlässlich der Verbändeanhörung am 6. Mai nach.

In ihrem Mitte April veröffentlichten Positionspapier „Gesundheitsregionen: Sektorenunabhängige Versorgung gestalten“ zeigt die AOK-Gemeinschaft dagegen neue und finanzierbare Wege für die notwendige regionale Transformation auf. „Was wir brauchen, ist ein funktionierender rechtlicher Hebel für dezentrale, flexible Lösungsansätze vor Ort, um der Bevölkerung weiterhin sichere und verlässliche Versorgungsangebote machen zu können. Zu diesem Zweck möchten wir wieder mehr regionale Handlungsspielräume eröffnen. Das wäre eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die regionalen Akteure Verantwortung übernehmen und Verunsicherungen abgebaut werden können“, so AOK-Vorständin Carola Reimann.

Geheimpreise und mehr Arzneimittelbürokratie

Bereits verabschiedet hat das Bundeskabinett das Medizinforschungsgesetz (MFG). Es steht am 17. Mai erstmals auf der Tagesordnung des Bundesrates und wird voraussichtlich Anfang Juni in den Bundestag eingebracht. Durch weniger Bürokratie und schnellere Verfahren soll das MFG die Bedingungen für Unternehmen verbessern und den Pharmastandort Deutschland stärken. Gleichzeitig nutzt die Ampel aber auch die Chance, den von einigen Pharmaunternehmen lang gehegten Wunsch nach vertraulichen Erstattungspreisen für neue Medikamente zu erfüllen. Die bisher öffentlich gelisteten Erstattungsbeträge für neue Arzneimittel sollen durch vertrauliche Rabatte auf den vom Hersteller frei gewählten Preis ersetzt werden; die Höhe der tatsächlichen Preise wären damit nur für wenige Insider, nicht aber für Ärztinnen und Ärzte, Apotheken oder Versicherte transparent. AOK-Vize Jens Martin Hoyer hatte bereits vor dem Pharmagipfel der Bundesregierung Ende November 2023 davor gewarnt, „die Preismechanismen des AMNOG-Verfahrens aufzuweichen und die Beitragszahlenden zusätzlich zu belasten“. Die Folge seien mehr Intransparenz bei der Preisbildung und die Anhebung des ohnehin hohen Preisniveaus, da die offiziellen Listenpreise Anker für die Markt-Einstiegspreise von Nachfolgeprodukten blieben. Dies hätte gravierende Folgen für das bestehende, auf Preisvergleichen basierende System zur Festlegung von Erstattungsbeträgen und die Sicherung der Wirtschaftlichkeit.

„Die von der Bundesregierung geplanten Verbesserungen für den Forschungsstandort Deutschland sind zwar zu begrüßen“, räumte Carola Reimann mit Blick auf den Kabinettsentwurf vom März 2024 ein. „Allerdings sehen wir keinerlei Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die zu erwartenden erheblichen finanziellen Belastungen für die Solidargemeinschaft durch vertrauliche Preise.“ Das Preisniveau in Deutschland sei europaweit bereits das Höchste, die Nettokosten für den Markt patentgeschützter Arzneimittel hätten sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt. Mit 50,3 Milliarden Euro waren die Arzneimittel-Ausgaben laut KV 45 im Jahr 2023 der zweitgrößte Ausgabenposten der GKV.

Teure Maßnahmen der Ampel-Regierung

Die Ampel-Regierung und ihr Bundesgesundheitsminister haben die GKV bereits in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren finanziell nicht geschont. Die Finanzreserven wurden per Gesetz weiter abgeschmolzen, die im Koalitionsvertag von der Ampel gemachten Zusagen, die Beitragszahler zu entlasten, sind nicht eingehalten worden. So werden etwa für Bürgergeldbeziehende immer noch keine auskömmlichen Beiträge aus Bundesmitteln zur Verfügung gestellt. „Da sind jährlich zehn Milliarden Euro offen“, rechnete Reimann Anfang März im Interview mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ vor. Stattdessen erhöhte der Bundesgesundheitsminister zweimal den durchschnittlichen Zusatzbeitrag Seit 2009 erhalten die gesetzlichen Krankenkassen zur Deckung ihrer Ausgaben Zuweisungen aus dem… zur GKV: für 2023 um 0,3 Punkte auf 1,6 Prozent und für 2024 nochmals um 0,1 Punkte auf 1,7 Prozent. In der Folge stiegen die kassenindividuellen Zusatzbeiträge mitunter noch stärker.

Und das ist noch nicht alles: Andere, teils bereits beschlossene, teils geplante Maßnahmen der Ampel und weitere Ausgabeneffekte werden die GKV zusätzlich belasten. Die Verlagerung der Ausgaben medizinischer Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen in die GKV, Kosten für das Erstanlegen der elektronischen Patientenakte (ePA), die 2025 mit der Opt out-Regelung hinzukommen, die Aufnahme der Meningokokken B-Impfung in den GKV-Leistungskatalog Als Leistungskatalog werden die Leistungsarten der Krankenkassen bezeichnet, auf die ihre… sowie absehbar die RSV-Prophylaxe, die Unterstützung der Raucherentwöhnung oder die Einführung der Hybrid-DRGs - all das könnte sich auf weitere Milliarden Euro aufsummieren. Hinzu kommen etwaige, zurzeit schwer abschätzbare Kosten im Zuge der Reform der Notfallversorgung oder der Apothekenreform.