„Patientensteuerung muss zielgenau und unbürokratisch sein“
Eine Patientensteuerung muss einfach und unbürokratisch sein. Das sagt die Geschäftsführerin Versorgung im AOK-Bundesverband, Dr. Sabine Richard. Eine Neuauflage der früheren Praxisgebühr lehnt sie ab.
Frau Dr. Richard, es wird derzeit wieder verstärkt über ein „Revival der Praxisgebühr“ spekuliert. Was halten Sie davon?
Richard: Gar nichts. Wir haben in den Jahren 2004 bis Ende 2012 keine guten Erfahrungen mit der pauschalen Praxisgebühr Die Praxisgebühr ist mittlerweile abgeschafft und wird seit dem 1. Januar 2013 nicht mehr… gemacht. Sie war bürokratisch und hatte keinen steuernden Effekt. Im Gegenteil, sie hatte sogar Barrierewirkungen und hielt vulnerable Gruppen vom notwendigen Arztbesuch ab. Die unzweifelhaften Orientierungs- und Kapazitätsprobleme in der ambulanten Versorgung bekommen wir damit jedenfalls nicht in den Griff.
Allerdings hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken neulich in einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschlands ein „kluges Anreizsystem“ zur Patientensteuerung gefordert. Dabei komme auch ein Bonus in Frage, wenn man sich an den Hausarztpfad halte. Oder es falle eine Extra-Gebühr an, wenn man doch direkt zum Facharzt möchte. Ist das im Sinne der AOK, die sich ja auch für ein Primärversorgungssystem einsetzt?
Richard: Wir sind uns mit der Gesundheitsministerin einig, dass es mehr Orientierung beziehungsweise mehr Steuerung für Patienten und Leistungserbringer Unter diesem Sammelbegriff werden alle Personengruppen zusammengefasst, mit denen die Krankenkassen… braucht und dass ein Primärversorgungssystem nach allen internationalen Erfahrungen eine richtige Lösung ist. Auch spricht Frau Warken neuerdings explizit von einem Primärversorgungs- statt von einem Primärarztsystem. Sie hat erkannt, dass gerade die Eintrittsstufe in die Versorgung breit aufgestellt sein muss, also arbeitsteilig und interprofessionell funktionieren muss. Will man die Patientenwege auch mit finanziellen Hebeln flankieren, dann müssen diese zielgenau, finanzierbar und unbürokratisch sein. Daran muss sich jeder Vorschlag messen lassen. Boni sind teuer und steuern nicht, wo die meisten ohnehin schon jetzt die hausärztliche Versorgung nutzen oder auch eine telefonische oder digitale Ersteinschätzung in Anspruch nehmen würden. Viele sehen eine solche Ersteinschätzung als Unterstützung beim Weg durch die Versorgung an, weniger als Einschränkung.
Aber negative finanzielle Konsequenzen für das Ignorieren der Primärversorgung sieht Ihr Ansatz doch auch vor?
Richard: Wenn Patientinnen und Patienten direkt den Facharzt Will ein Arzt nach erfolgter Approbation eine Fachgebietsbezeichnung (zum Beispiel Arzt für… aufsuchen und nicht vorher in einer Primärversorgungspraxis eine diagnosebasierte Überweisung bekommen haben, sollten sie diesen Facharztbesuch aus eigener Tasche zahlen – also Selbstzahlung statt Facharztgebühr. Das ist aufwandsarm und dürfte den erwünschten Steuerungseffekt haben.
Bewerten Sie die Äußerungen von Frau Warken als Vorfestlegung auf dem Weg zur Einführung eines Primärversorgungssystems?
Richard: Ich denke nicht. Es ist gut, dass sich Politik, Ärzteschaft und Kassen grundsätzlich einig sind, dass ein solches Primärversorgungssystem demnächst kommen muss. Hierzu ist es auch notwendig, die konkreten Steuerungsinstrumente auf ihre Tauglichkeit und Finanzierbarkeit hin zu bewerten. Schließlich hängt daran auch die Akzeptanz der neuen Versorgung.