EU-Ticker Dezember 2026
Zum Jahresende hat die EU gesundheitspolitisch noch einmal Gas gegeben: Europaparlament und Rat einigten sich auf die Kernpunkte des Pharma-Pakets. Und EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi präsentierte Vorschläge für eine schlankere Medizinprodukte-Verordnung, den Entwurf für ein Biotech-Gesetz und einen Plan für mehr Herzgesundheit.
Medizinprodukte-Verordnung soll schlanker werden
Die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) und die Verordnung Einige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bedürfen einer schriftlichen Anweisung durch… über In-vitro-Diagnostika (IVDR) werden 2026 überarbeitet. Am 16. Dezember präsentierte EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi im Europaparlament in Straßburg entsprechende Vorschläge. Er erfüllte damit einen Auftrag, den ihm EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu Beginn der neuen Amtsperiode im Dezember 2024 in sein 100-Tage-Pflichtenheft geschrieben hatte. Diese Frist reichte dann zwar nur für eine Absichtserklärung, doch hielt Várhelyi sein zwischenzeitlich im Europaparlament abgegebenes Versprechen, bis Jahresende ein Konzept vorzulegen. Dieses basiert nun auch auf den Ergebnissen eines öffentlichen Beteiligungsverfahrens.
In den Vorschlägen spiegelt sich in erster Linie die Kritik der Medizinprodukte Medizinprodukte sind Apparate, Instrumente, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder… -Hersteller an den seit 2017 nach und nach eingeführten neuen Regeln für die Zulassung Die Berechtigung, zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Leistungen zu erbringen, setzt… neuer und das Überprüfen älterer Produkte. So soll künftig die regelmäßige Re-Zertifizierung von Bestandsprodukten entfallen. Digitale Prozesse sollen den Zulassungs- und Verwaltungsaufwand reduzieren. Zudem will die Kommission den Unternehmen durch verbindliche Zertifizierungsfristen das Planen erleichtern. Für „bahnbrechende Innovationen“ und dringend benötigte Nischenprodukte soll es Sonderregeln geben. Die Kostenersparnis bezifferte Várhelyi auf rund 3,3 Milliarden Euro pro Jahr. Die EU-Arzneimittelagentur soll enger in die Risikobewertungen einbezogen werden und die Versorgungssituation engmaschig überwachen.
Europaparlament und die EU-Gesundheitsminister hatten sich bereits vor zwei Jahren die Argumentation der Wirtschaft zu eigen gemacht. Für Ärger sorgte vor allem die Arbeit der sogenannten Benannten Stellen. Sie sind in den einzelnen EU-Ländern für die Zertifizierung von einfachen Skalpellen und Rollstühlen über künstliche Hüftgelenke oder Defibrillatoren bis hin zu Herzschrittmachern und intensivmedizinischen Geräten zuständig. In Deutschland arbeiten vor allem der TÜV und die Dekra als Benannte Stellen.
Nach Scharfschalten der MDR gab es lange zu wenig dieser Stellen, durch die Pandemie verschärfte sich die Situation. In Deutschland warnte der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) regelmäßig, dass Hersteller „wegen hoher Kosten und zu strenger Anforderungen“ insbesondere Nischenprodukte vom Markt nehmen. Das Konzept zur Überarbeitung bezeichnete der BVMed jetzt als wichtigen Schritt der Kommission, doch reichten die Vorschläge „noch nicht aus, um den Medizintechnik-Standort Europa insgesamt wieder wettbewerbsfähig zu machen“.
Der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Bundesverband erinnerte an das Grundanliegen der jahrelang diskutierten neuen MDR: mehr Patientensicherheit. In diesem Punkt weise das Várhelyi-Konzept eine „Leerstelle“ auf. Vorstandschefin Carola Reimann forderte die Kommission auf, bei der Überarbeitung eine Hersteller-Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung „mit einer angemessenen Mindestdeckungssumme“ vorzusehen: „Wenn durch Bürokratieabbau künftig auch Regeln zum Schutz von Patientinnen und Patienten abgebaut werden, dann muss gleichzeitig das Kostenrisiko für jene Herstellerfirmen steigen, die mangelhafte Produkte auf den Markt bringen.“
Die Europavertretung der Deutschen Sozialversicherungen (DSV) hatte im Beteiligungsverfahren Maßnahmen begrüßt, die zur Beschleunigung der Zertifizierungsprozesse beitragen und Herstellern Anreize bieten, auf dem europäischen Markt präsent zu bleiben. Jedoch dürfe es keine Abstriche bei bei Patientensicherheit und bei der Qualität ist ein zentrales Versorgungsziel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Im Rahmen der… klinischer Daten geben. Voraussetzungen für neue Produkten müssten weiterhin „belastbare Evidenz“ und eine „nachhaltig sichere und bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten“ bleiben.
Parlament, Rat und Kommission einigen sich auf Pharma-Paket
Dänemarks Gesundheitsministerin Sophie Løhde hat es geschafft: Das Europaparlament, der Rat der EU-Gesundheitsminister (Epsco) und die EU-Kommission einigten sich am 11. Dezember und damit noch vor Ablauf der dänischen EU-Ratspräsidentschaft (31. Dezember) auf die Kernpunkte einer neuen EU-Arzneimittelgesetzgebung. Das sogenannte Pharma-Paket soll sicherstellen, dass neue Medikamente bezahlbar bleiben, zeitnah in allen 27 Mitgliedsländern auf den Markt kommen und die Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln sicherer wird.
Zugleich will die EU die Pharmaindustrie durch wirtschaftliche und strukturelle Förderung stärken und dazu bewegen, wieder mehr in Europa zu forschen und zu produzieren. Geplant sind Abstriche beim Verwaltungsaufwand, einfachere Zulassungsverfahren und effizientere Arbeitsabläufe bei der EU-Arzneimittelagentur (EMA). Unternehmen, die dringend benötigte Medikamente entwickeln, darunter besonders neue Antibiotika, sollen durch längeren Schutz vor Generikawettbewerb belohnt werden. Als Erfahrung aus der Pandemie wird das „Rolling Review“ aufgegriffen: Hersteller könnten noch während der klinischen Prüfungen erste Ergebnisse bei der EMA einreichen. Für das Entwickeln innovativer Arzneimitteltherapien soll es überdies „regulatorische Sandkästen“ geben: eine kontrollierte Umgebung zum Bewerten von Chancen und Risiken neuer Medikamente.
Das Europaparlament hatte seine Prioritäten bereits im Frühsommer 2024 festgezurrt. Der Rat der EU-Gesundheitsminister wurde sich erst im Sommer dieses Jahres einig. Die Verhandlungsführer des Parlaments, Tiemo Wölken (Sozialdemokraten) und Dolors Montserrat (Europäische Volksparteien, EVP), sprachen nach der Trilog-Einigung von einer Gewinnsituation für alle Beteiligten. Es sei gelungen, Arzneimittelsicherheit Zielsetzung der Arzneimittelsicherheit ist, die Arzneimittelanwendung so zu gestalten, dass nach dem… , Verfügbarkeit, Finanzierbarkeit und Pharmaförderung in Einklang zu bringen. Die Einigung zeige, „dass Europa in der Lage ist, die notwendigen Entscheidungen zum Schutz europäischer Interessen zu treffen“, sagte Ratsvorsitzende Løhde.
Umstritten waren bis zuletzt die Regelungen zum Daten- und Marktschutz für neue Medikamente. Die EU-Kommission hatte ursprünglich einen kürzeren Unterlagenschutz von sechs statt bisher acht Jahre vorgeschlagen, die Pharmaindustrie forderte dagegen längere Schutzfristen. Laut Kompromiss bleibt es nun bei einer achtjährigen Schutzfrist für Daten aus präklinischen Tests und klinischen Prüfungen. Generika sind Nachahmerprodukte, die nach Ablauf des Patentschutzes für ein Originalpräparat auf den Markt… - oder Biosimilar Als Biosimilars oder Follow-on-Biologicals werden biotechnologisch erzeugte Nachahmer-Wirkstoffe… -Hersteller dürfen erst danach die Unterlagen einsehen, um Nachahmer-Präparate an den Start bringen zu können.
Den Originalherstellern bleibt noch ein weiteres Jahr Marktexklusivität – bisher sind es zwei Jahre. Generika müssten dann „am Tag eins nach Auslaufen der Schutzfristen zur Verfügung stehen“, betonte Montserrat. Bringe ein Hersteller ein neues Medikament in einem EU-Land nicht auf den Markt, müsse dort der Generikawettbewerb früher einsetzen. Unterlagenschutz und Marktexklusivität werden zusätzlich zum eigentlichen Patentschutz gewährt, der maximal 20 Jahre dauert, aber bereits mit der Entwicklung eines neuen Wirkstoffs beginnt. Die Schutzfrist in der EU läuft erst, wenn ein neues Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… in der EU auf den Markt kommt.
Zwei Jahre Marktexklusivität will die EU nur noch für „Durchbruch-Medikamente“ gewähren – Arzneimittel zur Behandlung von Erkrankungen, für die es bisher keine Therapiemöglichkeiten gibt. Die Antibiotika-Entwicklung soll zusätzlich ein „Exklusivitätsvoucher“ pushen, der ein drittes Jahr Marktexklusivität beinhaltet. Unternehmen könnten den Voucher für ein Medikament ihrer Wahl einsetzen. Sie dürften ihn auch verkaufen, um die eigene Forschungstätigkeit gewinnbringend zu refinanzieren. „Dadurch soll das Problem gelöst werden, dass neue Antibiotika für die Industrie unter normalen Umständen nicht wirtschaftlich interessant sind, weil sie aus guten Gründen nur sehr selten eingesetzt werden dürfen“, erläuterte der EU-Gesundheitspolitiker Peter Liese (EVP). Der Käufer dürfte die Marktexklusivität für ein eigenes Produkt einsetzen, wenn der Umsatz damit in den vergangenen vier Jahren unter 490 Millionen Euro geblieben ist (Blockbuster-Klausel).
Das Pharma-Pakte beinhaltet außerdem Neuregelungen für mehr Patientensicherheit. So ist zusätzlich zur Papierform ein digitaler Beipackzettel Pharmazeutische Unternehmen sind nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) verpflichtet, Arzneimitteln eine… vorgesehen. Zudem sollen die Arzneimittelinformationen künftig in allen 24 Amtssprachen der EU abgefasst sein. Um die wachsende Gefahr von Antibiotika-Resistenzen einzudämmen, soll der Antibiotika-Einsatz strenger geregelt werden. Dazu gehören nach Angaben Lieses „eine grundsätzliche ärztliche Verschreibung, der Einsatz besserer Diagnostik vor der Anwendung sowie die Einführung einer verpflichtenden Informationskarte in Antibiotika-Packungen, die über einen verantwortungsvollen Umgang aufklärt“.
Für eine sichere Arzneimittelversorgung müssen die Unternehmen künftig frühzeitig vor Engpässen warnen und Gegenmaßnahmen ergreifen. Die EMA soll das Verfahren koordinieren und die Lieferfähigkeit eng überwachen.
Die Europavertretung der Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… (DSV) reagierte verhalten. Die Reform könne „Transparenz, Koordination und Rechtssicherheit auf EU-Ebene stärken. Positiv seien die Begrenzung der Schutzfristen auf maximal elf Jahre, bessere Bedingungen für den Generika-Wettbewerb sowie die Maßnahmen für eine sichere Versorgung und Vermeidung von Engpässen. „Gleichzeitig bleibt die Reform dort hinter den Erwartungen zurück, wo eine konsequentere Stärkung von Bezahlbarkeit, Zugang und der finanziellen Tragfähigkeit solidarisch finanzierter Gesundheitssysteme Der Zugang aller Bürger zu einer umfassenden gesundheitlichen Versorgung unabhängig von ihrem… erforderlich gewesen wäre“, kritisierte die DSV. Ob der Anspruch, Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, eingelöst werden könne, müsse sich in der praktischen Umsetzung entscheiden.
EU-Booster für die Biotechnologie
An Visionen mangelt es EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi nicht: Bis 2023 soll sich Europa zum weltweit attraktivsten Standort für Biowissenschaften und -technologien entwickeln. Nach der Ankündigung einer Life-Science-Strategie für die EU im Juli dieses Jahres legte der Ungar am 17. Dezember den konkreten Vorschlag für ein Biotechnologie-Gesetz (Biotech-Act) vor. „Die Biotechnologie kann bahnbrechende Medikamente und Therapien für Patienten entwickeln“, sagte der Gesundheitskommissar. Er nannte als Beispiele „die Pionierarbeit in der Gentherapie und der personalisierten Medizin sowie die Entwicklung zahlreicher lebensrettender Biopharmazeutika, etwa synthetisches Insulin“.
Die Initiative überschneidet sich in Teilen mit den im Pharma-Paket geplanten Neuregelungen. Várhelyis Biotech-Act-Vorschlag konzentriert sich jedoch weitgehend auf industrie- und finanzpolitische Maßnahmen. Das beinhaltet insbesondere einen besseren Zugang zu Finanzkapital für Start-Ups sowie kleine und mittlere Unternehmen. Bereits in den nächsten beiden Jahren will die Kommission in Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank Investitionen von bis zu zehn Milliarden Euro mobilisieren. Die Biotechnologie sei für die Wettbewerbsfähigkeit, die strategische Autonomie und die wirtschaftliche Sicherheit der EU unerlässlich, so Várhelyi. „Sie zählt zu den am schnellsten wachsenden Innovationsbranchen und wuchs in den letzten zehn Jahren doppelt so schnell wie die EU-Wirtschaft. Dabei trug sie fast 40 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt der EU bei und schuf über 900.000 Arbeitsplätze.“
Neben wirtschaftlichen Anreizen für Forschung und Entwicklung in der EU beinhaltet der Kommissionsvorschlag regulatorische Maßnahmen. Klinische Studien sollen fast doppelt so schnell wie bisher zugelassen, bisher unterschiedliche EU-Zulassungswege bei komplexen Produkten branchenübergreifend vereinheitlicht werden. Das Ziel: Biotechnologie-Produkte schneller auf den Marktzu bringen. Im Blickpunkt stehen dabei besonders Arzneimittel-Therapien, die auf Genen, Zellen oder Gewebe basieren (ATP). Deren Entwicklung will die Kommission durch den Aufbau von Kompetenzzentren, Reallaboren und KI-Testumgebungen fördern. Auch längere Patentrechte sind Teil des Konzepts. Zugleich soll der Biotech-Act verhindern, dass Biotechnologien missbraucht werden. Geplant sind deshalb auch Projekte für eine bessere Verteidigungsfähigkeit der EU in diesem Bereich.
Herzgesundheit bekommt EU-Priorität
62 Millionen EU-Bürger leiden an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, jedes Jahr sterben rund 1,7 Millionen an den Folgen. Mit einem „Safe Hearts Plan“ will die EU-Kommission jetzt stärker gegen die häufigste Todesursache in Europa vorgehen. Ohne Gegenmaßnahmen sei bis 2050 mit doppelt so vielen Todesfällen zu rechnen, sagte EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi am 16. Dezember in Straßburg. Seine im Europaparlament vorgestellte Initiative hatten das Europaparlament und der Rat der EU-Gesundheitsminister bereits mehrfach angemahnt.
Konkretes Ziel des „Safe Hearts Plan“ ist es, die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der EU bis 2035 um 25 Prozent zu senken. Dabei setzt die Kommission vor allem auf einen jährlichen Check von Blutdruck-, Cholesterin- und Blutzuckerspiegel ab dem 25. Lebensjahr. Das Konzept beinhaltet Zielmarken für die Altersgruppen von 25 bis 64 Jahren und ab 65 Jahren. Auch Impfungen Aufgrund des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes sind Leistungen für bestimmte Schutzimpfungen seit dem… sollen präventiv zu Einsatz kommen: „Dem Rat wird eine Empfehlung zur Förderung der Immunisierung von Risikogruppen und gefährdeten Bevölkerungsgruppen gegen Grippe, Covid-19, Atemwegserkrankungen und andere Infektionen vorgeschlagen“, heißt es im Vorschlag. Überdies soll die EU den Mitgliedsländern beim Umsetzen nationaler Herz-Kreislauf-Pläne helfen. Zudem sollen „Forschungslücken geschlossen werden“.
„Innovation ist entscheidend für die Prävention von Krankheiten, bessere Diagnostik und Behandlung chronischer und neu auftretender Erkrankungen“, sagte der Gesundheitskommissar. Für die Gesundheitssysteme seien die alternde Bevölkerung und die steigende Belastung durch chronische Krankheiten eine enorme Herausforderung. Allein Herz-Kreislauf-Erkrankungen belasteten die EU-Wirtschaft mit 282 Milliarden Euro pro Jahr. „Obwohl fast 80 Prozent dieser Erkrankungen durch Lebensstiländerungen vermeidbar wären, entfallen in der EU nur knapp sechs Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben Das Statistische Bundesamt erstellt im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eine… auf Prävention“, kritisierte der Kommissar.
Das Programm für mehr Herzgesundheit überschneidet sich mit „Europas Kampf gegen den Krebs“ – etwa bei den Maßnahmen gegen zu viel Tabakgenuss, Alkohol und ungesundes Essen. 2026 will Várhelyi die Aktualisierung der EU-Tabakgesetzgebung angehen. Dies stand bereits auf der To-do-Liste seiner Amtsvorgängerin Stella Kyriakidis, entsprechend drängeln Parlament und Rat. Das Ziel ist bereits im Krebs-Plan formuliert: 2040 sollen weniger als fünf Prozent der erwachsenen Europäer rauchen. Aktuell liegt die Quote bei 23 Prozent.
Einen Neuanlauf plant die Kommission beim Umgang mit hochverarbeiteten Lebensmitteln, die sehr viel Fett, Zucker und Salz enthalten. „Es wird geprüft, welche geeigneten Instrumente, einschließlich möglicher finanzieller Maßnahmen, eingesetzt werden können, um Maßnahmen im Bereich der Primärprävention Prävention bezeichnet gesundheitspolitische Strategien und Maßnahmen, die darauf abzielen,… zu unterstützen und zu finanzieren sowie die Reformulierung von Lebensmitteln und gesündere Verbraucherentscheidungen zu fördern“, heißt es im Papier. Im Gespräch mit Europaabgeordneten schloss der Gesundheitskommissar eine Besteuerung ungesunder Produkte nicht aus. Zugleich müssten Kinder und Jugendliche vor „schädlicher Werbung“ geschützt werden.
Es werde bereits „an einem neuen, umfassenden Bewertungssystem für die Lebensmittelverarbeitung gearbeitet, um Verbrauchern transparente, wissenschaftlich fundierte digitale Informationen zur Lebensmittelverarbeitung bereitzustellen und so eine Umstellung auf gesündere Ernährung zu fördern“, erläuterte Várhelyi. Zum Plan gehöre außerdem, durch nationale Programme und EU-Kampagnen regelmäßige körperliche Aktivität zu fördern.
DSV plädiert für maßvolle Reform des EU-Normungssystems
Im Schatten der großen politischen Linien und Ereignisse hat die EU-Kommission begonnen, das europäische Normungssystem zu überarbeiten. Die Reform soll bis 2030 abgeschlossen sein. Zweck des EU-Normungssystems sind einheitliche technische Regeln (EN) für Produkte, aber auch für Dienstleistungen. Die Einheitlichkeit ermöglicht freien Warenverkehr im EU-Binnenmarkt, soll der EU-Wirtschaft im globalen Wettbewerb den Rücken stärken und gewährleistet gemeinsame Standards bei Qualität und Sicherheit – zum Beispiel durch die CE-Kennzeichnung.
Im öffentlichen Beteiligungsverfahren hat sich die Europavertretung der deutschen Sozialversicherung Die Sozialversicherung in ihrer heutigen Form geht auf die "Kaiserliche Botschaft" von 1881 und die… (DSV) für ein maßvolles Vorgehen ausgesprochen, das „die bewährten Strukturen eines erfolgreichen Systems“ nicht gefährden dürfe. Es dürfe nicht zu Überregulierung kommen. So spricht sich die DSV in ihrer am 15. Dezember 2025 veröffentlichten Stellungnahme im Bereich Arbeitsschutz für eine klare Abgrenzung zwischen produktbezogenen Normen und dem betrieblichen Arbeitsschutz aus: „Die Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten ist gesetzlich geregelt und sollte nicht durch Normen weiter ausgestaltet werden.“
Skeptisch sieht die DSV den Vorschlag, die Liste der derzeit tätigen EU-Normungsorganisationen „regelmäßig zu überarbeiten“ und auch Organisationen außerhalb der EU „mit der Entwicklung harmonisierter europäischer Normen zu beauftragen oder deren Normen zu übernehmen“. Das gefährde ohne Not ein gut funktionierendes System und berge die Gefahr, dass die EU nicht mehr selbst Standards setze, sondern von außen übernehme. Der „Einkauf von Standard“ widerspreche dem Anspruch, „Normen weltweit im Einklang mit europäischen Werten zu gestalten“. Eine Vergabe nach Außen erschwere auch die Beteiligung der Interessenvertreter.
Die DSV warnt vor einem Aufweichen des bisher gut funktionierendes Konsensprinzips. „Ausreichend Zeit und eine ausgewogene Beteiligung aller relevanten Interessenträger“ sorge für Qualität, Akzeptanz und Rechtssicherheit. Die Kritik richtet sich gegen das Vorhaben, Normungsprozesse zu beschleunigen und dazu „gemeinsame Spezifikationen“ als Normen-Ersatz einzuführen. „Normen und sicherheitsrelevante Spezifikationen dienen unmittelbar dem Schutz von Beschäftigten vor Verletzungen und Todesfällen. Schnelligkeit darf daher niemals Vorrang vor Sorgfalt haben“, betont die DSV. Insofern müssten „gemeinsame Spezifikationen“ eine eng begrenzte Ausnahme bleiben.
Parlament sieht bei Barrierefreiheit noch Luft nach oben
Menschen mit Behinderungen stoßen in der EU noch immer auf Barrieren beim Zugang zu Arbeit, sozialer Absicherung, Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohnraum und digitalen Diensten. Das kritisiert das Europaparlament in einem Ende November mit großer Mehrheit verabschiedeten Bericht. Darin fordern die Abgeordneten von EU-Kommission und Rat „eine ambitionierte und wirksame Strategie bis 2030 mit konkreten Maßnahmen sowie rechtlichen Instrumenten“.
Der Bericht bezieht sich auf die im März 2021 von der EU-Kommission vorgelegte Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen für den Zeitraum 2021 bis 2030. Diese beinhaltete zunächst Programme und Leitinitiativen bis 2024, darunter das Projekt AccessibleEU, die Einführung eines EU-Behindertenausweises und die Disability Platform.
Um die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern, plädieren die Abgeordneten für „eine EU-finanzierte Gewährleistung von Beschäftigung und Qualifizierung sowie Maßnahmen für besseren Zugang zu Aus- und Weiterbildung“. Um allen EU-Bürgerinnen und -Bürgern mit Behinderungen gleiche Rechte gewähren zu können, müsse die Kommission zeitnah eine EU-weit gültige Definition von „Behinderung“ vorlegen.
Für Verstöße öffentlicher Einrichtungen und der Privatwirtschaft gegen Vorgaben zur Barrierefreiheit müsse es „klare Strafen und Sanktionen“ geben. Deutlichen Verbesserungsbedarf in Sachen Barrierefreiheit sieht das Parlament in den Bereichen Sport, Verkehr, Produkte und Digitaltechnologie. Der Bericht widmet sich besonders der Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen.