Bulimie: zwischen Essattacken und Schlankheitswunsch

„Ich bin zu dick“, „Ich darf auf keinen Fall zunehmen“, „Ich bin nur etwas wert, wenn ich schlank bin“ – solche Gedanken sind typisch für Menschen, die unter der Essstörung Bulimie leiden. Sie sind unzufrieden mit ihrem Körper und ihrem Gewicht, obwohl sie meist Normalgewicht haben. „Im Frühstadium wird die Erkrankung daher nur selten erkannt“, warnt Dr. Christiane Roick, stellvertretende Leiterin des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband.

Eine Frau isst eine Torte.

Erkrankung beginnt meist in der Jugend

Etwa 15 von 1.000 Mädchen und jungen Frauen haben eine Bulimie. Die Zahlen für Jungen und junge Männer sind deutlich niedriger. „Bulimie ist eine schwerwiegende psychische Krankheit“, sagt AOK-Ärztin Roick. Sie  fängt meist in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter an. 

Die Betroffenen beginnen ein Doppelleben: In der Öffentlichkeit essen sie kontrolliert, sind gepflegt und angepasst. Im Verborgenen haben sie Essattacken und verlieren die Kontrolle über ihr Essverhalten: Sie schlingen große Mengen in kurzer Zeit kaum zerkaut herunter, meist ohne besonders auf den Geschmack zu achten, und schämen sich dafür später. Da sie gleichzeitig eine krankhafte Furcht davor haben, dick zu werden, tun sie nach den Attacken alles, um eine Gewichtszunahme zu verhindern: Sie erbrechen, schlucken Abführmittel oder nehmen Appetitzügler ein, fasten oder treiben exzessiv Sport. Je länger die Krankheit fortschreitet, desto mehr vernachlässigen sie Kontakte und ziehen sich zurück, um den Heißhungerattacken nachgehen zu können. Da das selbst ausgelöste Erbrechen typisch für eine Bulimie ist, wird die Erkrankung von manchen auch „Ess-Brech-Sucht“ genannt.

Risikofaktoren

Eine Bulimie entwickelt sich, wenn mehrere Risikofaktoren zusammentreffen. Einfluss auf die Entstehung der Krankheit haben sowohl die genetische Veranlagung als auch entsprechende Bedingungen im Umfeld und in der Familie sowie bestimmte individuelle Merkmale. Eine wichtige Rolle spielt das Schlankheitsideal in der Gesellschaft. Menschen mit Bulimie haben oftmals ein geringes Selbstwertgefühl, einen Hang zum Perfektionismus und Unzufriedenheit mit den eigenen Leistungen. Manche Betroffene tun sich schwer, mit Gefühlszuständen umzugehen, und neigen zu Selbstverletzungen.

Folgen

Wie schwer die Folgen der Bulimie sind, hängt von der Anzahl der Essattacken und der Art und Weise ab, wie die Erkrankten versuchen, einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken. Folgen können sein:

  • Schäden am Zahnschmelz und Schwellung der Speicheldrüsen durch den sauren Mageninhalt bei selbst ausgelöstem Erbrechen,
  • Störungen in Magen und Darm durch die großen Essensmengen,
  • Mineralstoffhaushalt gerät aus dem Gleichgewicht, was zu Nierenschäden und Herz-Rhythmus-Störungen führen kann,
  • Regelblutung bleibt aus,
  • Haarausfall, Schwindel, Müdigkeit durch Nährstoffmangel,
  • psychische Begleit- und Folgeerkrankungen, unter anderem depressive Verstimmungen und Substanzmissbrauch.

Warnzeichen

Angehörige sollten sich keine Vorwürfe wegen der Entstehung der Erkrankung machen, sondern bei Verdacht auf eine Essstörung die Betroffenen ansprechen und motivieren, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Folgende Warnzeichen können auf eine Bulimie hinweisen:

  • Lebensmittel verschwinden aus dem Kühlschrank,
  • die Essensmengen stimmen nicht mit dem Gewicht der Person überein,
  • ständige Gewichtskontrolle durch die Betroffenen,
  • lange Toilettengänge häufig nach dem Essen,
  • auffällig viel Sport.

Was Angehörige tun können

Charakteristisch für eine Bulimie ist, dass die Erkrankten zunächst versuchen, ihre Probleme zu vertuschen und zu leugnen. Dennoch sollten Eltern ihr Kind auf die Essstörung ansprechen. Statt Vorwürfe zu machen, sollten sie sagen, was ihnen aufgefallen ist und dass sie sich Sorgen machen. Wichtig ist, dass Angehörige ein Verhalten vermeiden, dass die Krankheit aufrechterhält. Sie sollten etwa wie gewohnt einkaufen und nicht auf Extrawünsche der Erkrankten eingehen. Sie sollten ihnen auch nicht erlauben, sich an Essensvorräten zu bedienen.

Sinnvoll ist es auch, sich über die Krankheit bei einer Beratungsstelle für Essstörungen zu informieren und dieses Wissen an Betroffene weiterzugeben. „Ermutigen Sie Ihr Kind, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen“, sagt Dr. Roick. „So können bei rechtzeitiger Behandlung körperliche Komplikationen vermieden oder eine Verschlimmerung verhindert werden.“

Wo Betroffene Hilfe finden

Für die Betroffenen selbst ist die Hausärztin oder der Hausarzt eine gute erste Anlaufstelle. Spezielle Hilfe gibt es in einer psychotherapeutischen Sprechstunde oder auch in einer Beratungsstelle für Essstörungen. 

Behandlung

Da eine Bulimie ohne Behandlung meist chronisch verläuft, ist es sinnvoll, dass Betroffene frühzeitig Hilfe suchen.

„Als Therapie der Wahl gilt die kognitive Verhaltenstherapie, die in der Regel ambulant durchgeführt wird. Ergänzend kann gegebenenfalls eine medikamentöse Behandlung, zum Beispiel mit einem dafür zugelassenen Antidepressivum, erfolgen“, so Medizinerin Roick. Die Therapie dauert in der Regel mehrere Monate und hilft den meisten Betroffenen sehr gut.