10 Thesen zur Zukunft der Pflege und Pflegeversicherung

So wie wir ein breites, stabiles Netz und eine passende Umfeldgestaltung brauchen, um Kinder großzuziehen, benötigen wir auch ein breites, stabiles Netz für Menschen, die pflegebedürftig sind oder Erkrankungen mit weitgehenden Einschränkungen haben.

Eine Pflegerin misst den Blutdruck bei einer Pflegebedürftigen.
Eine Pflegerin misst den Blutdruck bei einer Pflegebedürftigen.

Einführung: Die Pflegeversicherung als Erfolgsgeschichte

30 Jahre Soziale Pflegeversicherung sind ein Grund zu feiern. Die Einführung der Pflegeversicherung als neue Säule der Sozialversicherung war wegweisend und vorausschauend. Mitnichten handelte es sich um ein Erbenschutzprogramm. Die Soziale Pflegeversicherung bildet eine Voraussetzung und ist ein stabiles Fundament für eine äußerst beachtliche Leistungsentwicklung und positive Professionalisierung der Pflege. Dazu gehören auch Wissenschaft und Forschung, Ausbildung und Management. Genauso wie die gesetzliche Krankenversicherung erweist sich die Soziale Pflegeversicherung als robust, dynamisch und entwicklungsfähig.

In den vergangenen Jahren hat sich bereits einiges getan. Ungeachtet der bestehenden Herausforderungen ist die Pflege heute deutlich stärker an den Zielen der Selbstbestimmung, Teilhabe und Privatsphäre ausgerichtet als noch vor dreißig Jahren. Mit den Pflegestärkungsgesetzen hat sich auch der gesetzliche Rahmen verbessert. Der vorher geltende Pflegebedürftigkeitsbegriff war eng auf körperliche Einschränkungen ausgerichtet und stand somit einer ganzheitlichen Ausrichtung entgegen. Mit der neuen Definition werden die Kompetenzen und Defizite der Menschen umfassend erfasst und in der Bestimmung des Pflegegrads berücksichtigt. Der Gesetzgeber hat zudem den Leistungsanspruch auf soziale Betreuung gestärkt. Damit ist bereits einiges auf den Weg gebracht.

Die Pflegeversicherung hat sich inzwischen von dem vereinfachten vorgetragenen Dreiklang eines „warm, satt und sauber“ zu einer Pflege mit einem zeitgemäßen Pflegebedürftigkeitsbegriff entwickelt. Dieser ist nicht mehr rein somatisch orientiert, sondern erkennt mentale Einschränkungen ebenso an und verspricht mehr Gesicht, Zuwendung und menschliche Wärme. Damit wird den Bedarfslagen, den individuellen Fähigkeiten und Ressourcen der pflegebedürftigen Menschen entsprochen. Allerdings war die Einführung der Pflegereform von einem gravierenden Webfehler begleitet: Den Rückzug der Kommunen.

Die soziale Pflegeversicherung ist keine Vollversicherung, sondern eine Teilleistungsversicherung. Sie stellt „eine Grundsicherung in Form von unterstützenden Hilfeleistungen dar, die die Eigenleistung nicht entbehrlich machen.“ Entscheidend ist nicht, ob die soziale Pflegeversicherung Voll- oder Teilleistungssystem ist, sondern dass dieses Teilleistungssystem ausbau- und entwicklungsfähig ist. Ein progressiver Begriff von Subsidiarität schafft geeignete Rahmenbedingungen, siehe zum Beispiel Finanzierung und verfügbare Fachkräfte. Sehr viel hängt auch davon ab, wie wir unser Leben mit älteren pflegebedürftigen Menschen gestalten und wie wir es organisieren. Darunter fallen auch Teilhabe, nachbarschaftliches und bürgerschaftliches Engagement, Caring Communities (CC) und Care In All Policies (CIAP). Das ist bestenfalls randständig eine Kostenfrage. Darüber hinaus bedarf es eines neuen wertschätzendes Bildes von älteren Menschen in unserer Gesellschaft.

Anforderungen durch den gesellschaftlichen Wandel: Der soziale Wandel und die Gesellschaft des langen Lebens stellen wichtige Weichen für die Organisation und Finanzierung der Pflege. Die familiale Pflege wird durch den sozialen Wandel an Bedeutung verlieren und die Servicebasierung in der Pflege an Relevanz gewinnen. So wie wir ein breites, stabiles Netz und eine passende Umfeldgestaltung brauchen, um Kinder großzuziehen, benötigen wir auch ein breites, stabiles Netz für Menschen, die pflegebedürftig sind oder Erkrankungen mit weitgehenden Einschränkungen haben. Vernetzung und die frühzeitige Erfassung von Pflegebedarfen sind wichtige Erfolgsfaktoren, damit Pflege gelingen kann. Insbesondere gilt es dem ambulanten Bereich der Pflege größere Aufmerksamkeit zu geben, weil etwa 84 % der Pflege in häuslichen Settings stattfindet.

Anspruch und Erwartung: Große Erwartungen an die Reform der Pflege waren in der Regierungszeit 2022-2025 durch die Koalitionsvereinbarungen verbunden. In der Realität sind nur punktuelle Verbesserungen feststellbar, die sich zum Beispiel auf die Ausbildung (Pflegekompetenzgesetz, kurz PKG) und Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten beziehen. Hier sind zum Beispiel Anknüpfungspunkte zur Community Health Nurse (CHN) und zur Caring Community geschaffen worden. Eine große Reform der Pflege, die substanzielle, finanzielle und strukturelle Modernisierung beinhaltet hätte, ist aber durch Spielen auf Zeit und Verzögerungsstrategien ausgeblieben. Vor allem wurde bei allen bestehenden politischen Herausforderungen nichts getan, um eine zukünftige Durchsetzbarkeit einer finanziell ausbalancierten Pflegereform zu ermöglichen.

1. Care in all Policies (CIAP) - Pflege als Querschnittsaufgabe in allen politischen Bereichen verankern

Pflege, Pflegebedürftigkeit und Pflegekompetenz sind nach Ansicht der AOK Rheinland/Hamburg eine Querschnittsaufgabe verschiedener Politikfelder. Pflege und Pflegebedürftigkeit müssen von Anfang an in verschiedenen Politikbereichen mitgedacht werden.

Der "Care In All Policies (CIAP)-Ansatz" betrifft Politikfelder wie Bildung, Wohnungsbau, Quartiersentwicklung und Umweltpolitik, Verkehr und Mobilität, Soziales und Gesundheit, Vernetzungsangebote oder Plattformen für Serviceangebote, Barrierefreiheit, die Schaffung von Teilhabe- und Begegnungsmöglichkeiten.

Ebenso haben soziale Rahmenbedingungen starken Einfluss, z. B. gleiche Bildungs- und Teilhabechancen, der Zugang zu Kultur- und Freizeitangeboten sowie ein guter Zugang zu Pflege- und Gesundheitsleistungen. Es ist als gemeinsamer Gestaltungsauftrag von Bund, Ländern und Kommunen zu verstehen. Es muss vor allem aber als zentrales Element der Daseinsvorsorge vor Ort verstanden und umgesetzt werden. Dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), der Sozialpolitik und den sozialen Aktivitäten der Kommunen kommt ggf. dabei eine Schlüsselrolle zu. Der ÖGD muss ein zentraler Akteur auf kommunaler Ebene werden, wenn es darum geht, allen Menschen gesunde Lebensgrundlagen bzw. eine hohe Lebensqualität zu ermöglichen. Auf Basis der regionalen Sozial-, Pflege und Gesundheitsberichterstattung, die weiter auszubauen ist, müssen politische Entscheidungsprozesse vor Ort getroffen werden. Neben breitgefächertem fachlichem Knowhow muss der ÖGD künftig besser in die kommunalen Entscheidungsstrukturen eingebunden werden.

Bei der Vereinbarung von Pflege- und Gesundheitszielen auf kommunaler Ebene sind auch die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen.

2. Bürgerschaftliches Engagement und Caring Communities fördern

Die in Deutschland bereits entwickelte Kultur des bürgerschaftlichen Engagements bietet ein solides Fundament. Diese Basis kann gestärkt und ergänzt werden, um eine gesellschaftliche Kultur des Helfens zu etablieren, beispielsweise durch die Förderung von Seniorengenossenschaften, Gesunde Nachbarschaften und Zeitbanken (gegenseitige Unterstützung mit Zeit). Die Beteiligung dieser Personengruppen als Caring Communities an Entscheidungsprozessen können wichtige Impulse geben und das bürgerliche Engagement stärken. Insbesondere die Gruppe der älteren Menschen als eine zentrale Caring Community stellt ein wichtiges Potenzial für gegenseitige Hilfe, gesellschaftliches Engagement und Zusammenhalt dar.

3. Prävention als Ziel einer nachhaltigen Pflegepolitik

Viel stärker als bisher sollten z. B. Prävention und Rehabilitation gelebte Praxis im Pflegealltag werden. Aufbauend auf dem Zusammenspiel der gesellschaftlichen Akteure der Nationalen Präventionskonferenz sind Ansätze zu Vermeidung, Verzögerung und Milderung von Pflegebedürftigkeit weiterzuentwickeln und umzusetzen mit dem Ziel, das Prinzip „Prävention vor und in der Rehabilitation, Rehabilitation vor und in der Pflege“ erfahrbar zu machen und dessen Wirksamkeit zu fördern.

Für den Erfolg ist eine gemeinsame Verantwortung von Kommune und Kasse wesentlich, um für die Lebenswelt Pflege die Verknüpfung von Verhaltens- und Verhältnisprävention konkret auszugestalten. Aufbauend auf dem Zusammenspiel der gesellschaftlichen Akteure der Nationalen Präventionskonferenz müssen Ansätze zur Vermeidung, Verzögerung und Milderung von Pflegebedürftigkeit auf regionaler Ebene weiterentwickelt und umgesetzt werden.

Konzept im Sinne einer „Präventionspflege“ (Pflege Plus): Der Versorgungsauftrag von Pflegeeinrichtungen wird zu einem ressourcenorientierten, pflegerisch-therapeutischen Versorgungsansatz im Sinne einer „Präventionspflege (Pflege Plus)“ für alle pflegebedürftigen Menschen erweitert. Dieser Ansatz hat die Aufrechterhaltung oder Wiedererlangung der größtmöglichen Selbstständigkeit des pflegebedürftigen Menschen in einem weitestgehend selbstbestimmten Alltag zum Ziel. Dies folgt dem Prinzip „Prävention vor Rehabilitation, Rehabilitation vor Pflege“.

Pflegebedürftige Menschen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie einen umfassenden und kontinuierlichen Langzeitversorgungsbedarf haben und dieser eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere von Pflege, Medizin und Heilmitteln, erfordert. Zeitlich begrenzte Interventionen wie eine Rehabilitation geben Impulse zur Wiederherstellung und Beibehaltung von Fähigkeiten. Für eine Langzeitwirkung bedarf es aber gerade bei pflegebedürftigen Menschen einer dauerhaften Form der pflegerisch-therapeutischen Versorgung. Als strukturelle Voraussetzungen für diesen sektorenübergreifenden Ansatz ist die Einbindung von Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie unerlässlich.

Pflegeheim mit rehabilitativem Angebot:  Pro Kommune sollte eine Pflegeeinrichtung bestehen, die ein rehabilitatives Angebot aufweist (in Analogie zu SGB Reha). Pflegeeinrichtungen in den Niederlanden gaben schon früh Aufschluss darüber, dass eine Rückkehr aus dem Pflegeheim in die eigene Häuslichkeit möglich ist. Das Projekt „Sektorenübergreifende gerontopsychiatrische Behandlung und Rehabilitation in Pflegeheimen (SGB Reha)“ kombiniert die tägliche Pflege und Betreuung mit einem therapeutisch-rehabilitativen, multiprofessionellen Behandlungsansatz. Auch dieses Projekt zeigt, dass gezielte Maßnahmen die Alltagsfertigkeiten, kognitive Leistungsfähigkeit sowie die Lebensqualität der Pflegebedürftigen stärken können - und dass eine Rückkehr in die eigene Häuslichkeit eine mögliche Option ist. Gemeinsame Bedarfs- und Sorgestrukturplanung. Obligatorische Übernahme der Planungsverantwortung durch die Kommunen. Krankenkassen und soziale Pflegeversicherungen sollen verpflichtet werden, die Kommunen bei der Pflegeplanung zu unterstützen. Umgekehrt muss auch die Pflegeplanung bei den Kommunen verbindlich erfolgen.

4. Gemeinsame Bedarfs- und Sorgestrukturplanung (infrastrukturelle Sicherstellung)

Die AOK Rheinland/Hamburg bietet sich als Partnerin für die Kommunen an, um eine gemeinsame Bedarfs- und Sorgestrukturplanung zu entwickeln. Eine Landesstrukturplanung bildet den Rahmen für die kommunale Bedarfs- und Sorgestrukturplanung. Die Altenhilfe ist im Rahmen der Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge eine Pflichtaufgabe; die Konnexität von Aufgaben- und Finanzverantwortung wird gewährleistet.

Es sollte für alle Krankenkassen und ihren sozialen Pflegeversicherungen verpflichtend sein, die Kommunen bei der Pflegeplanung zu unterstützen. Der Kontrahierungszwang der Pflegekassen zum Abschluss von Verträgen mit Leistungserbringern sollte aufgehoben werden. Für den Abschluss von Versorgungsverträgen beziehen die Pflegekassen die Erkenntnisse aus der Bedarfs- und Sorgestrukturplanung ein (Vermeidung von Fehlversorgung). Damit kann gezielt eine bedarfsgerechte Pflegeangebots- und Unterstützungsstruktur (z. B. Angebot von Kurzzeitpflegeplätzen, Alltagsangebote) aufgebaut werden.

Entsprechend den Bedarfslagen von pflegebedürftigen Menschen sind die sozialräumlichen Sorgestrukturen lokal zu gestalten. Damit kommt nicht nur den Kranken- und Pflegekassen eine Verantwortung zu, sondern in besonderem Maße dem Land, den Kommunen und den Sozialhilfeträgern. Allerdings stehen den Kommunen mit der Infrastrukturplanungsverantwortung und den Pflegekassen mit ihrem individuellen Sicherstellungsauftrag jeweils nur begrenzte Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Die AOK Rheinland/Hamburg unterstützt die Kommunen mit ihren Informationen bei der Bedarfs- und Sorgestrukturplanung und leistet einen Beitrag zu einer integrierten Sozialplanung und der Sicherung und Verbesserung von Pflegearrangements. Dadurch kann eine gemeinsame Umsetzung von Pflegestruktur- und Sicherstellungsverantwortung und eine bessere Verzahnung der kommunalen Aufgaben im Rahmen der Daseinsvorsorge und der Beratungs- und Sicherstellungsaufgaben der Pflegekassen erreicht werden. Die Pflegekassen stellen unter Berücksichtigung der kommunalen Bedarfs- und Sorgestrukturplanung die Versorgung sicher, der individuelle Sicherstellungsauftrag liegt weiterhin bei der Pflegekasse. Diese schließen weiterhin gemeinsam und einheitlich Verträge mit den Pflegeeinrichtungen, und auch die Sozialhilfeträger bleiben unverändert Vertragspartner.

5. Konsequenter Umbau der Pflegelandschaft

Ausbau von Angeboten für altersgerechte Wohnraumflexibilität und abgestufte Wohnkonzepte je nach Pflegebedarf. Schaffung von Anreizen für Regionen mit einem Mangel an Kurzzeit- und Langzeitpflegeplätzen - Einzelzimmer als Standard für Pflegelandschaft und Pflegeeinrichtungen. Der Ausbau der Wohngemeinschaften und Service-Wohnen ist bereits eingeleitet und vielerorts vorangeschritten. Er sollte konsequent weiterverfolgt werden, um allen pflegebedürftigen Menschen ein hohes Maß an Lebensqualität und Privatsphäre zu ermöglichen.

6. Flexibilisierung des Leistungsrechts und Aufhebung der Sektorengrenzen (ambulant/stationär) zur Stärkung der Personenzentrierung und Selbstbestimmung

Zur Flexibilisierung des Leistungsrechts sowie zur Stärkung der Personenzentrierung und Selbstbestimmung soll unabhängig vom Ort der Leistungserbringung (Setting), aber abhängig vom Pflegegrad, ein Anspruch auf ein Basisbudget (Geldleistung) und ein Sachleistungsbudget bestehen. Bei ausschließlich informeller Pflege soll ein Case-Management aus einer Hand Bestandteil der Inanspruchnahme der Sozialen Pflegeversicherung werden. Der Leistungskatalog der Pflegeversicherung erschwert heute eine passgenaue und individualisierte Gestaltung des Pflegesettings. Mit einer Flexibilisierung des Leistungsrechts, das heißt durch die Zusammenfassung in Budgets, werden individuelle Versorgungslösungen besser möglich, die auch Angehörige entlasten und die Mittel der zuständigen Versicherung effizienter einsetzen.

Die AOK Rheinland/Hamburg spricht sich deshalb für die Flexibilisierung des Leistungsrechts und eine weitgehend ausgabenneutrale Aufhebung der ambulanten und stationären Sektorentrennung innerhalb der Pflegeversicherung aus. Insgesamt erfolgt damit eine generelle Neuordnung des Leistungsrechts unabhängig vom Ort der Leistungserbringung. Das Leistungsrecht kann dadurch insgesamt vereinfacht und durch die pflegebedürftigen Menschen flexibel und bedarfsgerecht in Anspruch genommen werden.

7. Beratung und Begleitung aus einer Hand, um Zielgenauigkeit zu erhöhen – Systemlotse der Kranken- und Pflegekassen

Die bisherigen Beratungsansprüche gegenüber der Kranken- und Pflegekasse werden zu einem Beratungsanspruch zusammengefasst und aus einer Hand gewährt. Pflegebedürftige Menschen, die ausschließlich durch informelle Pflege (An- und Zugehörige, Ehrenamtliche) versorgt werden, erhalten künftig standardmäßig ein erweitertes Case-Management zur Stabilisierung des Pflegesettings und zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Pflege.

Durch die Zusammenführung der Beratungsansprüche und die Beratung aus einer Hand verringert sich der Aufwand für die zu Beratenden und die Kassen. Die Belastungsfaktoren für pflegebedürftige Menschen und Angehörige können minimiert werden, indem insbesondere die Pflege- und Selbstpflegekompetenzen durch Beratung, Begleitung, Anleitung und Befähigung gestärkt werden.

8. Stärkung der Pflegeberufe und interprofessionelle Zusammenarbeit

Gute Arbeit fördert Pflegequalität. Wir wollen eine menschliche Pflege. Hierzu bedarf es ausreichend Pflege- und Betreuungspersonals mit sensibler Fachkompetenz. Es ist eine große Herausforderung für die Pflegebranche und die Politik, die Personalanforderungen in der Zukunft zu erfüllen. Mit einer inhaltlichen und finanziellen Aufwertung des Pflegeberufs kann dies gelingen. Die Weiterentwicklung der Pflegeberufe ist erforderlich, um diese an die im täglichen Alltag gestellten Anforderungen im Berufsleben auszurichten und im Zusammenwirken mit anderen Berufsgruppen zu stärken.

Zu einer fachlich angemessenen Pflege gehört ein effizienter Einsatz der Kompetenzen unterschiedlicher Berufsbilder in der Pflege. Dabei sollen sich Pflegefachpersonen auf Kernkompetenzen konzentrieren und stärker die Zusammenarbeit mit An- und Zugehörigen, Ehrenamtlichen und weiteren an der Versorgung Beteiligten gestalten.

Die Attraktivität der Pflegeberufe ist hinsichtlich ihrer Kompetenzen und Entwicklungschancen zu verbessern. Dies umfasst u. a. in der Ausbildung (sozialpsychologische Kompetenzen, Animation, Kultursensibilität), Aufstiegschancen und Weiterbildung, mehr Handlungsautonomie und Verantwortung. Die Ausbildung und Karrierestruktur sollen Anknüpfungsmöglichkeiten zu anderen Bereichen aufweisen.

Die Pflege in der interprofessionellen Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen ist zu stärken. Die Pflegefachprofession steht in interdisziplinären Beziehungen; sie sichert die Versorgungskontinuität über Sektorengrenzen hinweg. Die Nutzung ihrer Kompetenz ist eine Chance für niedrigschwelligen Zugang zur Medizin, für individuelle Betreuung, klare Kommunikation und koordinierende Unterstützung. Ausbildung und Berufschancen sind miteinander zu verbinden. Das zeigt sich zum Beispiel bei den Community Health Nurses. Es gibt zwar mehrere Studiengänge, aber die heutige Praxis fragt dieses Berufsbild in Deutschland noch nicht entsprechend ab. Dies betrifft auch den AOK-Systemlotsen, der ein entsprechendes Pendant auf der kommunalen Ebene braucht.

Sofern Community Health Nurses/Gemeindeschwestern im Rahmen kommunaler Verantwortung agieren, benötigen sie dazu eine gefestigte rechtliche Basis und Finanzierungsgrundlage. Gleiches gilt für Kommunen, die im Rahmen der Daseinsvorsorge, z. B. über erweiterte soziale Dienste oder den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), speziell ausgebildete Pflegefachpersonen (Community Health Nurses) vor allem in die Planung, Steuerung und Gestaltung von gesundheitsbezogenen sozialräumlichen Strukturen einbinden können. Schließlich muss die aufsuchende Beratung und das Pflege- und Fallmanagement von Arztnetzen und anderen Gesundheitsberufen konsequent ausgebaut werden.

9. Digitale Unterstützung und Robotik

Die Digitalisierung ist Voraussetzung für eine zeitgemäße Gestaltung der Arbeitsprozesse und des Bürokratieabbaus (Dokumentation, Abrechnung) in der Pflege. Das spart Zeit, die für die eigentliche Pflege aufgewendet werden kann und verbessert zugleich Behandlungssicherheit. Die Nutzung technikgestützter Assistenzsysteme trägt auch zur Entlastung des Pflegepersonals in der direkten Pflege bei. Das Gesundheitsmonitoring erleichtert die digitale Beobachtung von Vitalparametern und ihrer Kommunikation mit anderen Leistungserbringern (Vermeidung von Krankenhauseinweisungen). Die Robotik in Pflege kann das Pflegepersonal (körperlich) entlasten.

Digitale Unterstützungsangebote und Ambient Assisted Living: Evidenzbasierte digitale Unterstützungsangebote tragen zur Stabilisierung pflegerischer Settings bei und werden Bestandteil der Pflegehilfsmittelversorgung. Systeme für Ambient Assisted Living werden mittels bundeseinheitlicher Rahmenvorgaben und Abgrenzungskriterien in die Leistungen zur Verbesserung des Wohnumfeldes aufgenommen. (Frühzeitige) Wohnraumberatung und digitale Beratung sollten möglichst Hand in Hand erfolgen.

Gerätegestützte Telemedizin: Die flächendeckende Integration gerätegestützter telemedizinischer Versorgungswege verhindert, dass pflegebedürftige Menschen vermeidbare Krankenhauseinweisungen erfahren. Das ist häufig der Fall, wenn die persönliche Begutachtung durch ärztliches Personal am Telefon hinreichend möglich und der Weg zur nächsten Hausarztpraxis zu weit ist. Die Folge sind erhebliche Belastungen der pflegebedürftigen Menschen und finanzielle Kosten für das Gesundheitssystem. Zu diesem Zweck zugelassene, digital vernetzte Medizingeräte machen eine Messung des Blutdrucks und Pulses möglich. Dabei führt die Pflegeperson die Maßnahme vor Ort im Pflegeheim oder dem Zuhause der pflegebedürftigen Person durch, während die Begutachtung dank neuester Mobilfunkstandards und Breitbandanbindungen asynchron oder im Bedarfsfall sogar in Echtzeit durch ärztliches Personal in den Praxen erfolgt.

Robotik in der Pflege: Die Robotik hat das Potenzial, das Pflegepersonal in Zukunft erheblich zu entlasten, indem sie körperlich anstrengende Aufgaben wie das Heben und Umlagern von Patienten übernimmt und bei alltäglichen Tätigkeiten wie Essen, Anziehen oder der Mobilität hilft. Roboter können zudem Vitaldaten überwachen, Routineaufgaben automatisieren und bei der Rehabilitation oder sozialen Interaktion mit Patienten unterstützen.

Digitale und technische Unterstützungssysteme können unter Wahrung der Privatsphäre zur Stärkung der Gesundheitskompetenz, zu mehr Selbstständigkeit und einer höheren Lebenserwartung beitragen. Sie haben das Potenzial, pflegebedürftige Menschen dabei zu unterstützen, länger selbstbestimmt, selbstständig und auf eigenen Wunsch in ihrem gewohnten privaten Umfeld zu verbleiben. Eine größere Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Menschen schafft Lebensqualität und entlastet in der Regel auch die informell und beruflich Pflegenden.

10. Nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung

Bei allen Überlegungen muss der Grundsatz im Vordergrund stehen, dass die Pflegebedürftigen bei der Eigenbeteiligung nicht finanziell überfordert werden dürfen. Um dies zu gewährleisten, müssen die finanziellen Lasten auf viele Schultern verteilt werden. Dies erfordert auch eine Weiterentwicklung des bewährten, robusten und krisenresistenten Umlagesystems.

Darüber hinaus benötigt die SPV langfristig einen zweckgebundenen, verlässlichen und dynamisierten Bundesbeitrag, um die gesamtgesellschaftlichen Leistungen auszugleichen, die von ihr getragen werden. Diese Leistungen fallen in die staatliche Finanzierungsverantwortung und müssen klar abgegrenzt und durch eine vollständige staatliche Finanzierung abgesichert werden. Dazu zählen unter anderem die Übernahme der Rentenzahlungen für pflegende Angehörige sowie Ausbildungskosten und Investitionskosten.