Hintergrund

Deutsche schlucken mehr Pillen

Die Verordnungen von Antibiotika liegen erstmals wieder über dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Auch Verordnungen von Reserveantibiotika nehmen zu. Das zeigt eine detaillierte Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

In Deutschland werden wieder mehr Antibiotika verordnet.

Für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind grundsätzlich alle Arbeiter und Angestellten… sind es enorme Kosten: 2023 wurden 36,1 Millionen Packungen Antibiotika im Wert von 792,1 Millionen Euro zulasten der GKV abgerechnet. Damit liegen die Verordnungszahlen in Deutschland nun erstmals wieder über dem Niveau des Jahres 2019. Das zeigt eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… (WIdO Das WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) liefert als Forschungs- und Beratungsinstitut der… ) auf Basis der Arzneimittelverordnungsdaten aller GKV-Versicherten. Nach einem Rückgang der Antibiotikaverordnungen in den sogenannten Corona-Jahren 2020 und 2021 stiegen die Verordnungen 2022 wieder, lagen aber weiterhin unter dem präpandemischen Niveau. Im Jahr 2022 betrug die Anzahl der Verordnungen noch 30,5 Millionen, 2023 stiegen diese dann um 18,4 Prozent an. Somit lagen die Verordnungen der aktuellen Auswertung zufolge um 6,1 Prozent höher als vor der Pandemie im Jahr 2019. Der Anteil der Verordnungen von Reserveantibiotika blieb trotz des insgesamt wieder steigen­den Antibiotikaeinsatzes seit 2020 relativ stabil bei bundes­durchschnittlich 43,4 Prozent.

Besorgniserregende Entwicklung
In Westfalen-Lippe wurden insgesamt 3,73 Millionen Verord­nungen über Antibiotika für GKV-Versicherte abgerechnet. Dies entspricht einem Anstieg um 24,9 Prozent im Vergleich zu den Zahlen des Vorjahres. Im Vergleich zum Bundesdurch­schnitt wurden Reserveantibiotika häufiger verordnet: Deren Anteil lag im Jahr 2023 bei 44,1 Prozent. In Schleswig-Hol­stein wurden insgesamt 1,2 Millionen Verordnungen abge­rechnet. Hier betrug der Anstieg 32,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2022. Der Anteil von Reserveantibiotika lag bei 43,9 Prozent. „Fast jede zweite Antibiotikaverordnung ent­fällt somit auf ein Reserveantibiotikum. Das ist alarmierend und könnte die Gefahr von Resistenzen deutlich erhöhen und die Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen in Zukunft gefährden“, sagt Dr. Andrea Wienecke, Apothekerin bei der AOK NordWest. Das Problem der Antibiotikaresistenzen wer­de noch dadurch vergrößert, dass die pharmazeutische Indus­trie in den vergangenen Jahren nur wenige neue Antibiotika auf den Markt gebracht habe.

Generell sind Antibiotika Medikamente, für deren Einsatz eine strenge Indikation vorgesehen ist. Reserveantibiotika sollten erst dann eingesetzt werden, wenn andere Antibiotika nicht angewendet werden können, zum Beispiel bei nachgewiese­nen Resistenzen, Unverträglichkeiten oder wenn die Schwe­re der Infektion sofortiges Handeln erfordert und ein Erre­gernachweis nicht abgewartet werden kann. Zwar steigt der Anteil der Reserveantibiotika an der Gesamtzahl der Antibio­tikaverordnungen in den letzten Jahren nicht wesentlich an, allerdings werden Reserveantibiotika mit 15,7 Millionen Ver­ordnungen im Jahr 2023 (plus 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) immer noch zu häufig verordnet.

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