ADHS in Brandenburg: Diagnosen bei Erwachsenen haben sich fast verdreifacht
Datenanalyse zeigt: Anstieg vor allem bei jungen Frauen
In Brandenburg holen sich deutlich mehr erwachsene Menschen Unterstützung bei ADHS – besonders Frauen. Die Diagnosen haben sich laut einer Datenanalyse der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… Nordost seit 2013 fast verdreifacht. Dass ADHS eine Modediagnose ist, lässt sich aus den Daten aber nicht ableiten. Die Studienlage spricht vielmehr dafür, dass bislang unerkannte Fälle sichtbar werden und Betroffene häufiger gezielte Hilfe erhalten.
Im Jahr 2013 hatten nur 0,11 Prozent der AOK-versicherten erwachsenen Menschen in Brandenburg eine ADHS-Diagnose. 2023 waren es bereits 0,29 Prozent. Beim Blick auf die Geschlechter fällt auf, dass sich die Diagnosehäufigkeit von Männern und Frauen angenähert hat.
Im Jahr 2013 wurden männliche Brandenburger im Alter von 18 bis 24 noch mehr als dreimal so häufig mit ADHS diagnostiziert wie erwachsene Brandenburgerinnen dieser Altersgruppe. Im Jahr 2023 lagen Männer in dieser Altersgruppe bei rund 2,4 Prozent, bei Frauen bei rund 1,4 Prozent.
Bei den 25- bis 44-Jährigen haben inzwischen 0,6 Prozent der Brandenburger Männer und 0,4 Prozent der Frauen eine ADHS-Diagnose. Aber: Studien schätzen die „wahre“ ADHS‑Häufigkeit bei Erwachsenen in der Allgemeinbevölkerung auf deutlich höhere rund zwei bis drei Prozent.
Das Dunkelfeld bei ADHS in Brandenburg wird heller
„Unsere Datenanalyse zeigt vor allem eines: Das Dunkelfeld bei ADHS wird in Brandenburg heller. Ärztlich diagnostiziertes ADHS ist ausdrücklich keine ‚Modediagnose‘. Wir begrüßen, dass mehr Betroffene – insbesondere jüngere Frauen – sich Unterstützung suchen“, ordnet Dr. Sylvia Böhme, Psychotherapeutin bei der AOK Nordost, die Zahlen ein.
Jungen werden früher erkannt – Mädchen rutschen oft durch
ADHS galt lange als Krankheit wird in der Medizin als Abweichung von Gesundheit oder Wohlbefinden verstanden. Allerdings stößt die… , die nur Kinder und Jugendliche betrifft und sich dann „auswächst“. Doch durch viele Forschungsarbeiten ist inzwischen gesichert, dass rund drei von vier Betroffenen auch im Erwachsenenalter weiterhin Symptome zeigen.
Die Datenanalyse zeigt: Bei Kindern und Jugendlichen bleiben die Raten der ADHS-Diagnosen in Brandenburg über die Jahre stabil. Rund 6,7 Prozent der Jungen hatten 2023 eine ADHS-Diagnose, aber nur rund 2,7 Prozent der Mädchen. Expertinnen und Experten gehen jedoch davon aus, dass Mädchen in gleichem Ausmaß wie Jungen von ADHS betroffen sind.
„Bei Mädchen wird ADHS viel seltener diagnostiziert, weil sie mit den klassischen, eher Jungen zugeschriebenen Symptomen – Hyperaktivität und Impulsivität – seltener auffallen. Viele wirken nach außen ruhig, sind dann eher unaufmerksam oder ‚verträumt‘. Auch, weil bei Mädchen impulsives Verhalten gesellschaftlich viel stärker sanktioniert wird. Bei einem Mädchen, das den Unterricht nicht stört, wird dann oft nicht erkannt, dass dieses Mädchen ADHS haben könnte“, ordnet Dr. Lenka Staun ein. Die Berliner Psychotherapeutin hat sich auf Diagnostik und Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter spezialisiert und bietet Fortbildungen zu diesem Thema für Fachpersonen an.
Psychotherapie und bei Bedarf Medikation helfen
Bei erwachsenen ADHS-betroffenen Frauen, die noch keine Diagnose haben, werden Probleme häufig bei Lebensumbrüchen sichtbar – Studienwechsel, Berufseinstieg oder Schwangerschaft. Ohne Diagnose und Therapie haben Betroffene ein signifikant höheres Risiko, psychisch oder an einer Sucht zu erkranken.
„In den vergangenen Jahren hat sich der Blick auf Frauen mit ADHS-ähnlichen Symptomen geschärft. In der Vergangenheit bekamen viele junge Frauen andere Diagnosen wie Depression, Angststörungen oder Borderline. Heute prüfen die Therapeutinnen und Therapeuten konsequenter, ob ADHS die bessere Erklärung ist – auch dank aktualisierter Leitlinien werden definiert als systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für Ärzte und Patienten, die eine… und Fortbildungen“, erläutert Dr. Staun.
Psychoedukation, bei Bedarf Verhaltenstherapie und tiefenpsychologische Therapie sowie eine leitliniengerechte Medikation helfen ADHS-Betroffenen, Alltag und Beruf besser zu bewältigen. Die Stärken, die oft mit ADHS einhergehen – wie kreatives Denken, Spontanität und eine feine Wahrnehmung für Details – können durch die Behandlung oft voll zur Geltung kommen.
Bei ADHS-Verdacht kann Hausarztpraxis Diagnostik vermitteln
Wer den Verdacht auf ADHS hat, sollte das in der hausärztlichen Praxis ansprechen. Dort kann eine erste strukturierte Einschätzung erfolgen und bei Bedarf die Überleitung in eine fachärztliche oder psychotherapeutische Diagnostik erfolgen.
Im ausführlichen Interview berichtet Dr. Lenka Staun, warum ADHS oft mit erheblichem Leidensdruck einhergeht – und mit welcher neuen Behandlungsmethode Betroffene es schaffen können, ihre Emotionen besser zu regulieren.
Hinweise für Redaktionen:
Für die Datenanalyse wurden die Abrechnungsdaten von AOK Nordost-Versicherten ab dem Alter von drei Jahren mit Wohnsitz in Brandenburg ausgewertet. Im Jahr 2023 hatten rund 4.800 dieser Personen eine ADHS-Diagnose. Berücksichtigt wurden dabei nur jene Personen, bei denen im jeweiligen Jahr eine gesicherte Diagnose in den Abrechnungsdaten dokumentiert ist, etwa im Zusammenhang mit einer Kontrolluntersuchung oder mit der Verschreibung eines Medikaments. Das bedeutet, das Versicherte auch aus der Diagnose ADHS „herausfallen“ können, wenn Sie keine entsprechende Behandlung mehr erhalten.
Die AOK Nordost ist eine der größten Krankenkassen in Brandenburg, runde jede und jeder Vierte in Brandenburg ist bei der AOK Nordost versichert. Die Daten sind somit annähernd repräsentativ.