„Die Vorsorge hat Tausenden Frauen das Leben gerettet“
Zum Tag der Krebsvorsorge am 28.11.2025 erläutert Prof. Lars Bullinger, Vorstand der Berliner Krebsgesellschaft, wie stark die Vorsorgeuntersuchung den Gebärmutterhalskrebs zurückgedrängt hat. Und was getan werden muss, um die maue Impfquote gegen den HP-Virus (HPV) in Deutschland zu steigern.
Herr Professor Bullinger, eine Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigt, dass eine vollständig durchgeführte HPV-Impfung gut wirkt. Geimpften Frauen musste im Vergleich zu ungeimpften Frauen nur halb so häufig eine Krebsvorstufe in der Gebärmutter entfernt werden. Wie bewerten Sie diese Ergebnisse?
Prof Bullinger: Die Daten belegen, dass eine HPV-Impfung das Auftreten von Gebärmutterhalskrebs signifikant verringern kann. Die Ergebnisse zeigen ebenfalls, dass man mit Impfungen Aufgrund des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes sind Leistungen für bestimmte Schutzimpfungen seit dem… nicht alles erreichen kann. Es ist deshalb wichtig, dass auch Frauen, die geimpft sind, die Vorsorgeuntersuchungen zu Gebärmutterhalskrebs in der Frauenarztpraxis wahrnehmen. Bei Frauen zwischen 20 und 34 wird diese Form der Krebsvorsorge jährlich empfohlen, ab dem 35. Lebensjahr alle drei Jahre.
Wer ist eigentlich…
Prof. Dr. med. Lars Bullinger ist Direktor der Medizinischen Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie an der Berliner Charité. Zudem ist er Vorstandsvorsitzender der Berliner Krebsgesellschaft.
Warum verhindert die HPV-Impfung zu etwa 50 Prozent Gebärmutterhalskrebs, aber nicht in jedem Fall?
Die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs ist multifaktoriell. Gerade die humanen Papillomviren, kurz HPV, die hauptsächlich durch Sexualkontakte übertragen werden, können Tumorerkrankungen auslösen. Die Viren können nicht nur Gebärmutterhalskrebs bei Frauen auslösen, sondern auch Peniskarzinome bei Männern. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Mädchen und Jungen sich im Alter zwischenneun und 14 gegen HPV impfen lassen. Es gibt darüber hinaus aber noch andere Risikofaktoren für Gebärmutterhalskrebs. Zu nennen sind hier häufige Partnerwechsel. Sie erhöhen das Risiko, Geschlechtskrankheiten zu bekommen, wie zum Beispiel eine Chlamydieninfektion. Auch diese Infektionen können zu Gebärmutterhalskrebs führen. Zudem sind Rauchen und dadurch hervorgerufene DNA-Schäden weitere Risikofaktoren. Diese Risiken lassen sich nicht alle mit einer Impfung eindämmen – sie können aber durch das eigene Verhalten minimiert werden.
Die Vorsorge gegen Gebärmutterhalskrebs wurde in Deutschland im Jahr 1971 eingeführt. Damals war diese Krankheit noch die häufigste Krebsart bei Frauen. Seither ist die Anzahl der Neuerkrankungen um rund drei Viertel zurückgegangen. Die Zahl der Todesfälle hat sich mehr als halbiert. Ist das ein Erfolg der Vorsorge?
Ja, das ist ein schönes Beispiel dafür, wie gut Vorsorge Für die medizinische Vorsorge und die Rehabilitation gilt der Grundsatz ambulant vor stationär – das… wirkt. Wenn der Gynäkologe oder die Gynäkologin bei der Vorsorge eine Tumorerkrankung frühzeitig erkennt, lässt sich das über eine Konisation, also eine Entfernung des betroffenen Gewebes, praktisch heilen. Die Vorsorge hat mehreren Tausend Frauen in Deutschland das Leben gerettet. Das Gleiche gilt auch für Brustkrebs. Wenn dieser in einem frühen Stadium erkannt wird, kann man diese Erkrankung heute in den allermeisten Fällen heilen.
Die Teilnahmequote bei der Früherkennungsuntersuchung gegen Gebärmutterhalskrebs liegt in Berlin bei rund 80 Prozent. Bei der HPV-Impfung jedoch unter 60 Prozent. Wie kommt das?
Die Vorsorge findet im Rahmen des routinemäßigen Besuchs in der Gynäkologie-Praxis statt, den die meisten Frauen auch wahrnehmen. Es ist also keine zusätzliche Terminvereinbarung für die Krebsvorsorge nötig. Zudem dient die Vorsorge der Erkennung von Krebsvorstufen. Das wird von manchen offenbar als dringlicher empfunden als eine präventive Impfung. Für die Impfung müssen die Eltern heute noch einen gesonderten Termin beim Kinder- und Jugendarzt vereinbaren: Die erste Impfung sollte dabei vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgen. Manche Eltern scheuen davor zurück, sich mit der HPV-Impfung und dem Thema Sexualität auseinanderzusetzen, wenn ihre Kinder 10 oder 11 Jahre alt sind.
In anderen europäischen Ländern liegt die HPV-Impfquote weit höher als in Deutschland – in Portugal, Norwegen und Island sogar über 90 Prozent. Was muss getan werden, um die Impfquote in Deutschland zu steigern?
Mehr Aufklärung durch Fachpersonen! Generell haben Teenager aber eher selten Kontakt mit Ärzten, denn gerade im Alter zwischen 9 und 15, wenn die erste HPV-Impfung ansteht, gehen sie nur noch selten zum Kinderarzt. Es wäre deshalb sehr wichtig, dass im kommenden Jahr die geplante U10-Vorsorgeuntersuchung eingeführt wird. Diese neue U10-Untersuchung soll zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr stattfinden, da könnten die Kinderärzte künftig gezielt die HPV-Impfung anbieten. Wichtig wäre auch, Impfprogramme an Schulen zu stärken und Eltern über die Schulen gezielter zur HPV-Impfung zu informieren. Länder, die solche Impfprogramme in Schulen durchführen, haben viel bessere Zahlen als wir in Deutschland.
Wenn Sie im Bekanntenkreis über das Thema Krebsvorsorge reden – wie argumentieren Sie gegenüber Eltern, die vielleicht noch skeptisch sindgegenüber der HPV-Impfung ihres Kindes?
Die Impfung ist so etwas wie ein Airbag im Auto. Gut, wenn man ihn nicht braucht – aber bei einem Unfall kann er das Leben retten. Stärken wir das Immunsystem unserer Kinder mit einer Impfung, verringern wir das Risiko, dass sie eine böse Erkrankung bekommen, die eben auch tödlich verlaufen kann. 120 Berliner Frauen sind im Jahr 2023 an Gebärmutterhalskrebs gestorben. Viele weitere haben ihre Gebärmutter verloren. Wenn ich keine Kinder mehr kriegen kann als junge Frau, ist das ein einschneidendes Ereignis. Oder wenn ich als junger Mann Peniskrebs bekomme und meinen Penis dadurch verliere. Dann muss ich deshalb nicht zwingend sterben. Aber ich werde definitiv weniger Spaß haben in meinem weiteren Leben.
Vielen Dank für das Interview.