Hintergrund

Pflege-Innovation in Mecklenburg-Vorpommern

Im Landkreis Ludwigslust-Parchim nutzen eine Ärztin und ein Pflegeheim gerätegestützte Telemedizin zur Versorgung schwerstbehinderter Menschen. Im Interview erzählen die Allgemeinmedizinerin Dr. Catharina Brandt und Pflegedienstleiterin Christin Dettmann, wie das im Behandlungsalltag aussieht.

In Mecklenburg-Vorpommern im Landkreis Ludwigslust-Parchim nutzen eine Ärztin und ein Pflegeheim gerätegestützte Telemedizin zur Versorgung schwerstbehinderter Menschen. Über den Behandlungsalltag berichten die Allgemeinmedizinerin Dr. Catharina Brandt und Pflegedienstleiterin Christin Dettmann. 

Frau Dettmann, Sie leiten den Pflegebereich einer Einrichtung für Schwerstbehinderte mit 60 Bewohnerinnen und Bewohnern in Goldberg. Wie kam es dort zur gerätegestützten Telemedizin? 

Christin Dettmann: Kurz gesagt: Weil sie uns hilft, unsere Bewohnerinnen und Bewohner besser betreuen zu können. Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen haben einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Betreuung und können mit Veränderungen in ihrer Tagesstruktur nicht umgehen. Die langen Wege hier auf dem Land ermöglichen da wenig Spielraum, wenn es darum geht, kurzfristig etwas abzuklären. 

Wir waren bisher darauf angewiesen, dass die Ärztin aus dem 20 Kilometer entfernten Dabel vorbeikommt. Alternativ musste die Bewohnerin oder der Bewohner zur Sicherheit ins Krankenhaus Krankenhäuser sind Einrichtungen der stationären Versorgung, deren Kern die Akut- beziehungsweise… gebracht werden. Beides kostet aber Zeit und insbesondere beim Krankenhausaufenthalt sorgt es auch für Stress bei der Bewohnerin oder bei dem Bewohner. Die Möglichkeit, mit gerätegestützter Telemedizin flexibler reagieren zu können, hat uns daher natürlich sehr interessiert. 

Frau Dr. Brandt, wie beurteilen Sie den Nutzen von gerätegestützter Telemedizin im Rahmen Ihrer hausärztlichen Versorgung? 

Catharina Brandt: Am Beispiel von Frau Dettmann können wir das ganz konkret machen. Bevor ich ins Pflegeheim fahre, kann ich mir jetzt ein genaueres Bild machen, was eigentlich vorliegt. In einer reinen Videosprechstunde oder einem Telefonat können wir zwar über Symptome sprechen, als Ärztin brauche ich jedoch diagnostische Informationen für eine Einschätzung. So kann ich beispielsweise ein EKG oder die Lungenbefunde indirekt über die Pflegerin und Technik erheben, wie ich es auch vor Ort machen würde, allerdings ohne den Fahrweg. Anschließend kann ich einschätzen, ob doch ein persönlicher Kontakt für weitere Informationen nötig ist, oder ob ich schon Entwarnung geben kann. 

Ich habe mal geschaut: Es sind 17 Kilometer, das wären 17 Minuten mit dem Auto, eine Stunde mit dem Fahrrad oder vier Stunden zu Fuß. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es gar nicht. Das sind für mich also 17 Kilometer und 17 Minuten, die ich für Besuche im Pflegeheim einplanen muss. Und das ist Zeit, in der ich nicht behandeln kann. 

 Neue Technik im Behandlungs- bzw. Pflegealltag kann ja auch eine Herausforderung sein. Wie lief die Einführung der gerätegestützten Telemedizin?  

Christin Dettmann: Es gehört zur Wahrheit, dass da auch Skepsis dabei ist. Unser Pflegealltag ist eh schon voll, und dann noch Neues einzuführen, sorgt erstmal für Stirnrunzeln: Dafür soll jetzt auch noch Zeit sein? Wir haben aber die Vorteile gesehen, die das perspektivisch bringt, und das einfach mal gewagt. Es war dann auch keine Raketenwissenschaft: Unsere Leute wurden geschult, technisch war alles handelbar. Die Herausforderung liegt eher darin, jetzt im Pflegealltag die Routinen zu etablieren. 

Catharina Brandt: Das war bei uns ähnlich. Etwas Skepsis angesichts neuer Technik, allerdings haben wir da affine Mitarbeitende, die auch eine Portion Enthusiasmus mitgebracht haben. Die rein technische Einführung lief tatsächlich reibungslos. Die Umstellung findet eher organisatorisch statt: Wie bringen wir die Telemedizin mit dem bestehenden Behandlungsalltag zeitlich zusammen? Wir haben dann feste Zeiträume zu den Randzeiten der Sprechstunden eingeführt, das klappt bisher gut. Anpassen können wir im weiteren Verlauf immer noch. 

Es gibt die Befürchtung, durch gerätegestützte Telemedizin würde der persönliche Kontakt ersetzt. Wie beurteilen Sie das? 

Christin Dettmann: Das sehe ich gar nicht - und das wäre auch falsch. Wir sind in vielerlei Hinsicht auf den menschlichen Kontakt angewiesen. Das sind medizinische, aber auch ganz menschliche Gründe. Innerhalb des Repertoires, das uns für die Betreuung zur Verfügung steht, betrachte ich die gerätegestützte Telemedizin einfach als sinnvolle Ergänzung. 

Catharina Brandt: Es bleibt weiterhin wichtig, die Leute zu sehen, bei ihnen zu sein. Die gerätegestützte Telemedizin ermöglicht es aber, zu variieren: Ich kann aus der Ferne mal zwischendurch Entwarnung geben, im nächsten Fall entscheide ich mich dann aber aus Sicherheitsgründen doch für den persönlichen Kontakt. Und das ist eine ärztliche Abwägung, die bleiben muss. Die Flexibilität ist der Gewinn. 

Bereits seit zwei Jahren wird die gerätegestützte Telemedizin im Pflegeheim mit dem Ziel eingesetzt, die ärztliche Versorgung Pflegebedürftiger zu verbessern. Durch die Zusammenarbeit von AOK Nordost und BARMER mit der GoMedicus Group können Pflegeheime und Ärzte ohne großen Aufwand an dem erweiterten Angebot teilnehmen und so die Versorgung…
21.08.2025AOK Nordost2'25 Min