Hintergrund

Meinungsbeitrag: „Es muss einen Finanzausgleich für die Kassen geben“

Seit Anfang Mai haben wir eine Neubesetzung im Gesundheitsministerium. Auf Prof. Dr. Karl Lauterbach ist jetzt Nina Warken ins Amt als Bundesgesundheitsministerin gefolgt. Eines fiel gleich zu Beginn auf: Die gelernte Juristin agiert bei festen Zusagen an die gesetzlichen Krankenkassen deutlich vorsichtiger als ihr Vorgänger. Ein Kommentar dazu von Knut Lambertin, Vorsitzender des Verwaltungsrates der AOK Nordost und Vertreter der Versicherten.

Porträt von Knut Lambertin, alternierender Verwaltungsratsvorsitzender für die Versicherten der AOK Nordost

Ein Kommentar von Knut Lambertin, dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates der AOK Nordost und Vertreter der Versicherten.

Seit Anfang Mai haben wir nicht nur eine neue Bundesregierung, sondern auch eine Neubesetzung im Gesundheitsministerium. Auf Prof. Dr. Karl Lauterbach ist jetzt Nina Warken ins Amt als Bundesgesundheitsministerin gefolgt. Eines fiel gleich zu Beginn auf: Die gelernte Juristin agiert bei festen Zusagen an die gesetzlichen Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… deutlich vorsichtiger als ihr Vorgänger. Es gehe darum, ein finanzielles Gesamtpaket zu schnüren, um Beitragserhöhungen möglichst zu vermeiden, sagte sie. Das Wort „möglichst“ lässt allerdings Spielräume offen, welche die Krankenkassen nicht haben. Allein im vergangenen Jahr betrug das Defizit 6,2 Milliarden Euro.

Was schief lief in den vergangen acht Jahren

In den vergangenen beiden Legislaturperioden wurde die Finanzkraft der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Sozialen Pflegeversicherung Die Pflegeversicherung wurde 1995 als fünfte Säule der Sozialversicherung eingeführt. Ihre Aufgabe… mehrfach auf die Probe gestellt. So wurden beitragszahlende Versicherte in diesem Zeitraum über Gebühr belastet. Verantwortlich waren zwei Bundesregierungen, die sich finanziell immer weniger an gesamtgesellschaftlichen Aufgaben beteiligten. Das wiederum führte zu historischen Beitragssatzsprüngen und wachsenden Defiziten.

Und wie reagiert die neue Bundesregierung darauf? Zunächst arbeitet sie mit einem längerfristigen Ausblick. Die schwarz-rote Koalition kündigt an, die strukturelle Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben schließen und „die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung langfristig stabilisieren“ zu wollen. Gesundheitsministerin Warken gibt dazu an, sie wolle Leistungskürzungen bei den Krankenkassen vermeiden. Der Weg zum Ziel ist bisher nicht klar umrissen. Es bedarf hoher Aufwendungen, um das Milliardendefizit in der GKV abzufedern. Anstatt etwa mit einem Sofort-Programm zur Stabilisierung zu starten und feste Zusagen zu treffen, wird zunächst eine Experten-Kommission eingesetzt. Erste Ergebnisse sind nicht vor 2026 zu erwarten.

Bei der Stabilisierung der Finanzen der GKV ist höchste Eile geboten

Der Verwaltungsrat der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… Nordost will trotzdem hoffnungsvoll in die Zukunft blicken und versichert, sich auch weiterhin für die Anliegen der Versicherten einzusetzen. Immerhin: Die neue Bundesregierung sieht die Gefahr weiterer Beitragssteigerungen, wenn nicht politisch gegengesteuert wird. Bei der Krankenhausreform soll der hälftige Betrag nicht mehr wie ursprünglich geplant aus dem Gesundheitsfonds Der Gesundheitsfonds wurde durch das 2007 verabschiedete GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführt.… finanziert werden. Die bisher kalkulierten Kosten von 50 Milliarden Euro sollen aus dem Sondervermögen bezahlt werden, das der Bundestag beschlossen hat. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Unklar bleibt, ob sich die neue Regierung zweier weiterer, wichtiger Forderungen annehmen wird: Zum einen sieht das Bundesamt für Soziale Sicherung Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) ist eine selbstständige Bundesbehörde, die dem… handwerkliche Fehler beim Risikostrukturausgleich Der Risikostrukturausgleich (RSA) wurde mit dem Gesundheitsstrukturgesetz zum 1. Januar 1994 in die… . Schon seit längerer Zeit fordern die Krankenkassen mehr Bundesmittel für Beziehende einer Erwerbsminderungsrente. Zum anderen könnten die Beiträge sogar gesenkt werden, würde sich der Bund mit rund zehn Milliarden Euro an den Kassenbeiträgen für Bürgergeldbeziehende beteiligen. Darüber hinaus gäbe es noch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen, die die Versicherten der AOK Nordost und anderer Kassen vor weiteren Beitragserhöhungen bewahren könnte.

Wichtig ist, dass die von der Bundesregierung vorgesehene Kommission zur Stabilisierung des Beitragssatzes und die Arbeitsgruppe zur Pflegereform nach ihrer Gründung zügig konkrete Ergebnisse liefern.