Keine Zeit mehr verlieren
Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken von der CDU hat vergangene Woche im Bundestag ihr Regierungsprogramm vorgestellt. Sie betonte die Notwendigkeit eines modernen und leistungsfähigen Gesundheitssystems, das den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Die aus Sicht der AOK Hessen erforderlichen Reformschritte erläutert Vorstandsvorsitzender Detlef Lamm.

Herr Lamm, erkennen Sie in den ersten Äußerungen der neuen Ministerin einen neuen gesundheitspolitischen Ansatz?
Nina Warken hat eine komplett andere Basis als ihr Vorgänger Karl Lauterbach, der aus dem Gesundheitswesen Das Gesundheitswesen umfasst alle Einrichtungen, die die Gesundheit der Bevölkerung erhalten,… und der Wissenschaft kam. Sie vertrat bislang andere Themengebiete und betritt mit der Gesundheitspolitik Die Gesundheitspolitik ist ein facettenreiches Gebiet, das weit über die in der Öffentlichkeit mit… politisches Neuland. Und Neues zu wagen, darin liegt ja auch eine besondere Chance. Vermeintliche Selbstverständlichkeiten werden noch einmal hinterfragt und neue Blickwinkel eingebracht. Sie hat schon angedeutet, dass sie den Dialog mit allen Akteuren suchen und eine Vertrauenskultur schaffen will. Auf die AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… kann sie dabei zählen.
Und wie beurteilen Sie die Ankündigungen inhaltlich?
Die ersten Äußerungen haben im Kern die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag widergespiegelt. Positiv ist, dass sie die Dringlichkeit und Gewichtung der aktuellen Herausforderungen unterstreicht. Die Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung Die Pflegeversicherung wurde 1995 als fünfte Säule der Sozialversicherung eingeführt. Ihre Aufgabe… muss kurz- und langfristig gesichert und echte Strukturreformen müssen konsequent angegangen werden. Nur so können wir dauerhaft eine gute und bedarfsgerechte Versorgung sichern. Mit einer liquiditätswirksamen vorgezogenen Tranche des Bundeszuschusses für den Gesundheitsfonds Der Gesundheitsfonds wurde durch das 2007 verabschiedete GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführt.… hat sie bereits schnell gehandelt und die Mindestliquiditätsreserve abgesichert. Das sollte nicht die einzige kurzfristig wirksame Maßnahme bleiben, wir haben keine Zeit zu verlieren.
Wie bewerten Sie diese kurzfristige Unterstützung des Bundes in Höhe von 800 Millionen Euro?
Zunächst einmal positiv, denn die Finanzmittel werden dringend benötigt. Zugleich bleibt festzuhalten, dass es sich hier nicht um zusätzliche Mittel handelt. Es geht um eine rein vorgezogene Auszahlung, um sich abzeichnenden Liquiditätsengpässen beim Gesundheitsfonds zu begegnen. Aber dies macht deutlich, wie angespannt die Finanzsituation der GKV ist – worauf wir in der vergangenen Zeit immer wieder aufmerksam gemacht haben. Die Beitragssituation der Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… spricht Bände. Es gab im Jahresverlauf 2024 sowie zum Jahreswechsel 2024/2025 enorme Beitragssatzanpassungen. Der vom Bundesgesundheitsministerium für 2025 festgelegte durchschnittliche Zusatzbeitragssatz von 2,5 Prozentpunkten, der an sich bereits einen signifikanten Anstieg um 0,8 Prozentpunkte bedeutete, wird in der Realität noch deutlich überschritten. Der tatsächlich erhobene durchschnittliche Zusatzbeitragssatz liegt derzeit bei über 2,9 Prozentpunkten.
Was schlagen Sie vor?
Konkrete Vorschläge zur kurzfristigen Stabilisierung der Finanzen – wie die sachgerechte Übernahme der GKV-Kosten für Bürgergeldbeziehende aus Steuermitteln oder die Dynamisierung des Bundeszuschusses – liegen seitens der GKV auf dem Tisch. Aber auch die mittelfristig wirkenden Strukturreformen müssen angegangen werden. Gut ist, dass die Krankenhausreform weiter umgesetzt und „verbessert, nicht verwässert“ werden soll. Auch die Überlegungen für eine bessere Patientensteuerung über eine Primärversorgung Unter Primärversorgung wird die gesundheitliche Grundversorgung und Beratung verstanden, in der auch… machen Sinn. Offen lässt die Koalition, wie die extremen Ausgabensteigerungen für neue Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… gebremst werden können. Hier brauchen wir dringend am Nutzen orientierte Preisfindungsmodelle.
Gibt es besondere Themen mit dem Blick auf Hessen?
Die gesundheitspolitischen Herausforderungen sind deutschlandweit schon sehr ähnlich – im Kern geht es da eher um Unterschiede zwischen Stadt und Land. Für die Länder generell ist natürlich die Umsetzung der Krankenhausreform von besonderer Bedeutung, da die konkrete Krankenhausplanung Die Planung von Krankenhäusern steht in der Verantwortung der Bundesländer, die damit die… Ländersache ist. Hessen hat sich auf den Weg gemacht, die Krankenhausreform umzusetzen. Zu Beginn des Jahres fanden in allen sechs hessischen Versorgungsgebieten Gesundheitskonferenzen hierzu statt. Jede Verzögerung der Reform auf Bundesebene hat jetzt unmittelbare Auswirkungen auf den weiteren Fortschritt in den Ländern. Die Koalition im Bund sollte also schnell für Planungssicherheit sorgen, das wäre auch für uns in Hessen gut.