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Psychologie

Wie toxische Männlichkeit der Gesundheit von Männern schaden kann

Veröffentlicht am:21.09.2022

5 Minuten Lesedauer

Toxische Männlichkeit ist zu einem großen gesellschaftlichen Thema geworden. Meist geht es darum, wie destruktives Verhalten von Männern anderen Schaden zufügt. Doch auch für Männer selbst kann es mit negativen gesundheitlichen Folgen einhergehen.

Toxische Männlichkeit ist nicht selten ein großes Problem in einer Beziehung.

© iStock / gorodenkoff

Definition: Was ist toxische Männlichkeit?

Unter dem Begriff „toxische Männlichkeit“ versteht man vereinfacht gesagt das Festhalten an traditionell männlichen Denk- und Verhaltensweisen, mit denen Männer und männlich gelesene Personen sich selbst und anderen Menschen schaden können. Das Ausüben dieser Denk- und Verhaltensweisen ist meist der Sozialisation geschuldet: Durch das Aufrechterhalten veralteter Rollenbilder ist der Begriff „Männlichkeit“ nach wie vor mit bestimmten Eigenschaften verknüpft. So heißt es etwa, Männer dürfen keine Gefühle oder Schwäche zeigen, sondern müssen stattdessen hart und unnahbar sein. Toxische Männlichkeit bedeutet also nicht, dass Männer an sich schädlich sind; es sind verschiedene Aspekte, die aufgrund von Gesellschaft und Kultur vorgeben, wie Männer sein sollen. Das Aufwachsen mit diesen Rollenbildern kann dazu führen, dass man keine wirkliche Verbindung zu sich selbst, seinem Körper oder seinen Emotionen aufbaut – und somit auch die Grenzen anderer Menschen nicht einschätzen kann. Infolgedessen kann es unter anderem zu aggressivem Verhalten, emotionaler Distanzierung, Selbstvernachlässigung und daraus resultierenden gesundheitlichen Schäden kommen.

Männer profitieren auch von toxischer Männlichkeit

Toxische Männlichkeit und patriarchale Strukturen sind eng miteinander verbunden.

Mit toxischer Männlichkeit geht auch eine gewisse „Macht über Frauen“ einher, die wiederum die patriarchalen Strukturen, in denen die Bevorteilung der Männer über die Frauen fest verankert ist, beeinflusst. Letztere verleihen Männern Macht und Privilegien, während sie diese Frauen und anderen Menschen marginalisierter, also an den Rand der Gesellschaft gedrängter, Gruppen verweigern – nicht zuletzt, weil „männliche“ Eigenschaften und Verhaltensweisen im Vergleich zu „weiblichen“ als gut und Erfolg bringend angesehen werden.

Durch welches Verhalten äußert sich toxische Männlichkeit?

Toxische Männlichkeit ist auch im Alltag allgegenwärtig. Es ist das Unterbrechen oder Übergehen von Frauen oder marginalisierten Menschen in Gesprächen und Diskussionen. Es ist das Verkaufen einer Idee als die eigene, obwohl sie von einer anderen Person stammt. Es ist das Konzentrieren auf die eigene Sexualität und das Ignorieren der sexuellen Bedürfnisse einer Frau. Es ist das Rechtfertigen von Fehlverhalten mit den Sätzen „Ich bin nun mal ein Mann“ oder „Er ist eben ein Junge“.

Toxische Männlichkeit kann sich aber auch dahingehend äußern, dass Männer Frauen zugeschriebene Verhaltensweisen als „weich“ oder „schwach“ bezeichnen – zum Beispiel Weinen oder Verletzlichkeit – und sich dadurch überlegen fühlen. Oder dass sie Gewalt nutzen, um Autorität, Dominanz und Kontrolle zu erlangen. Toxische Männlichkeit hat viele Gesichter. Dennoch haben sich vor allem in den letzten Jahren verschiedene Begriffe geprägt, die einzelne Verhaltensweisen konkretisieren:

  • Mansplaining

    Wortursprung: man (deutsch: Mann) + explain (deutsch: erklären)

    Die Ursprünge des Begriffs „mansplaining“ lassen sich bis zu einem Blogeintrag mit dem Titel „Männer erklären mir Dinge“ aus dem Jahr 2008 zurückverfolgen. Die US-amerikanische Schriftstellerin Rebecca Solnit beschreibt hier ihre Erfahrungen während einer Party, bei der der männliche Gastgeber versuchte, Solnits Buch zu erklären. Der Gastgeber wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass Solnit die Autorin des Buches war, und ging davon aus, dass er mehr über das Thema wisse – schließlich hatte er die Buchrezension in der „New York Times“ gelesen. Solnits Blogeintrag führte zur Prägung des Begriffes „mansplaining“. Er beschreibt eine bevormundende, herablassende Erklärung, die normalerweise von einem Mann gegeben wird und die die Erfahrung sowie das Wissen von Frauen ignoriert.

  • Manterruption

    Wortursprung: man (deutsch: Mann) + interrupt (deutsch: unterbrechen)

    Mansplaining inspirierte eine Vielzahl ähnlicher sprachlicher Neuworte, von denen „manterruption“ als Erstes bekannt wurde. Dem Begriff geht die Annahme der Sprach- und Genderforschung voraus, dass Männer häufiger als Frauen dazu neigen, ihr Gegenüber zu unterbrechen – vor allem in gemischtgeschlechtlichen Gesprächsgruppen. Ergebnisse zeigten jedoch, dass dies unter anderem abhängig vom Gesprächsthema sowie der Gruppenzusammenstellung ist. Trotzdem ist die Vorstellung, dass Männer in Gesprächen allgemein dominant sind und Beiträge von Frauen unterbrechen, weit verbreitet. Die Einführung des Begriffes „manterruption“ verlieh damit Unterbrechungen einen expliziteren geschlechterspezifischen Charakter, als dies zuvor der Fall war.

  • Manspreading

    Wortursprung: man (deutsch: Mann) + spread (deutsch: ausbreiten)

    Während „mansplaining“ und „manterruption“ das Verhalten von Männern auf Gesprächsebene betonen, konzentriert sich das „manspreading“ auf die männliche Kontrolle öffentlicher Räume – wie beispielsweise in Zügen, Flugzeugen, Bussen oder Wartezimmern. Dahinter steckt, dass Männer in diesen Räumlichkeiten mehr Platz einnehmen, weil sie ihre Beine beim Sitzen spreizen. Der Begriff bezieht sich auf die physische Verkörperung männlicher Privilegien und die Herrschaft von Männern über den öffentlichen Raum. Tatsächlich wird manspreading inzwischen in einigen Städten als Ordnungswidrigkeit angesehen und untersagt, darunter New York, Madrid, Los Angeles und Tokio.

  • Hepeating

    Wortursprung: he (deutsch: er) + repeat (deutsch: wiederholen)

    Beim sogenannten „hepeating“ geht es darum, dass die Aussage oder Idee einer Frau übergangen wird, jedoch dann Gehör findet und wertgeschätzt wird, wenn ein Mann sie wiederholt. Geprägt wurde der Begriff von der Astronomin Nicole Gugliucci und einigen ihrer Freunde und Freundinnen.

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Welche gesundheitlichen Folgen kann toxische Männlichkeit haben?

Wer von toxischer Männlichkeit spricht, spricht meistens hauptsächlich darüber, wie diese Frauen, marginalisierten Gruppen und der Gesellschaft schadet. Dabei kann sich toxische Männlichkeit genauso auf Männer und männlich gelesene Personen selbst negativ auswirken. Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2014 zeigte, dass toxische Männlichkeit mit der psychischen Gesundheit von Männern zusammenhängen kann. Ergebnisse einer weiteren Studie deuten darauf hin, dass Männer bei Bedarf seltener eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen – aus Angst, schwach zu erscheinen oder nicht in der Lage zu sein, für ihre Familie zu sorgen. Diese Denkweise kann Männer auch davon abhalten, wichtige Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Es zeigt sich außerdem, dass toxische Männlichkeit mit einem gesteigerten Risikoverhalten, vermehrten Suchtmittelmissbrauch sowie einer erhöhten Suizidrate assoziiert sein kann. Nicht zu vergessen sind die Männer und männlich gelesenen Personen, die keine Merkmale toxischer Männlichkeit aufweisen und infolgedessen unter sozialer Ausgrenzung leiden können.

Wie kann ich als Mann Verhaltensweisen toxischer Männlichkeit vermeiden?

Es gibt nicht die eine Antwort, die das Problem der toxischen Männlichkeit in der Gesellschaft löst. Trotzdem können Männer und männlich gelesene Personen auf einige Dinge achten, um mögliche unerwünschte Auswirkungen der toxischen Männlichkeit sowohl auf ihr eigenes Leben als auch auf das ihrer Mitmenschen zu verringern:

  • Gestehen Sie Fehler ein: Niemand kann Veränderung oder Vorankommen bewirken, ohne ehrlich zu den Eigenschaften und Verhaltensweisen zu stehen, die er ändern möchte. Vielleicht haben Sie in früheren Beziehungen nicht ausreichend kommuniziert; vielleicht haben Sie sich in Konfliktsituationen auf Ihre körperliche Größe oder Stärke verlassen, um andere einzuschüchtern. Machen Sie sich deshalb keine Vorwürfe, sondern konzentrieren Sie sich stattdessen darauf, diese Verhaltensweisen zu erkennen und abzulegen.
  • Führen Sie Gespräche: Fragen Sie Freunde und Freundinnen nach ihren Sichtweisen – insbesondere diejenigen mit anderen Geschlechteridentitäten. Versuchen Sie in diesen Gesprächen, sich nicht zu verteidigen oder Ihr Verhalten zu rechtfertigen. Erfragen Sie, wie sich Ihre Handlungen auf andere ausgewirkt haben, und versuchen Sie, Verständnis aufzubringen.
  • Arbeiten Sie kontinuierlich an sich: Um sich von toxischen Denk- und Verhaltensmustern zu lösen, müssen Sie ehrlich zu sich selbst sein und Geduld haben. Es ist ein Prozess, der Zeit braucht.
Vater und Sohn sitzen gemeinsam auf dem Sofa und sprechen über toxische Männlichkeit.

© iStock / Wavebreakmedia

Um Kinder vor toxischer Männlichkeit zu schützen, ist es wichtig, dass Eltern eine Beziehung auf Augenhöhe vorleben.

Wie kann ich meine Kinder vor toxischer Männlichkeit schützen?

Wenn Sie Ihr Kind vor toxischer Männlichkeit schützen möchten, gilt es zunächst, die Risikofaktoren zu kennen. Dazu gehören folgende:

  • Gewalt zu Hause, in Beziehungen, in den Medien oder im persönlichen Umfeld
  • fehlende Behandlung von traumatischen Erlebnissen und Stress
  • soziale Ausgrenzung unter Gleichaltrigen
  • ungünstige Verhaltenskontrolle (zum Beispiel übermäßig sexualisierte Einstellungen und Verhaltensweisen)
  • soziale Normen, die männliche Gewalt und Dominanz dulden

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Diese Präventionsstrategien können außerdem dabei helfen, toxische Männlichkeit zu vermeiden:

  • Informieren Sie sich über die negativen Folgen von körperlicher Bestrafung und Demütigungen gegenüber Kindern.
  • Schaffen Sie eine sichere und gesunde Umgebung sowie eine vertrauensvolle Beziehung zu Ihren Kindern, indem Sie es vermeiden, ihnen Gewalt vorzuleben.
  • Bringen Sie Ihren Kindern bei, ihre Emotionen auszudrücken und zu regulieren.
  • Erkennen und behandeln Sie psychischen Stress Ihrer Kinder, der auch durch die Sozialisierung der Geschlechterrolle ausgelöst werden kann.
  • Informieren Sie sich über Programme, die dabei helfen können, Jungen und Männer auf eine nicht toxische Weise in die Gesellschaft zu integrieren.

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