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Herz & Kreislauf

Blutarmut (Anämie) im Alter

Veröffentlicht am:03.11.2022

7 Minuten Lesedauer

Bei einer Anämie ist die Zahl der roten Blutkörperchen oder der Gehalt an Blutfarbstoff zu gering – ein oft unterschätztes Problem bei älteren Menschen. So behandeln Mediziner und Medizinerinnen eine Blutarmut.

Ein älterer Mann fühlt sich müde und schlapp. Er leidet unter Blutarmut.

© iStock / dragana991

Prof. Dr med. habil. Gabriele Röhrig-Herzog, Geriaterin an der Hochschule für Gesundheit, Pädagogik und Soziales EUFH am Campus Köln, leitet die Arbeitsgruppe Anämie im Alter der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG).

© privat

Prof. Dr med. habil. Gabriele Röhrig-Herzog ist Geriaterin an der Hochschule für Gesundheit, Pädagogik und Soziales EUFH am Campus Köln und leitet die Arbeitsgruppe Anämie im Alter der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG). Im Interview erklärt sie, worauf Menschen mit Blutarmut im Alter achten können.

Was ist eine Anämie?

Eine Anämie ist eine Blutarmut. Dabei fehlt es Betroffenen an roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die sich frei im Blut bewegen. Zwar gibt es noch viele andere Bestandteile im Blut, mengenmäßig machen die roten Blutkörperchen aber den größten Anteil aus. Erythrozyten haben eine sehr wichtige Aufgabe – sie transportieren Sauerstoff durch den gesamten Körper. Das machen sie mithilfe des roten Blutfarbstoffs, dem Hämoglobin. Dabei handelt es sich um eine Eiweißverbindung der roten Blutkörperchen, an die Erythrozyten den Sauerstoff mithilfe von Eisen binden. Das Gehirn, der Herzmuskel oder die Nieren – alle Körperbestandteile sind auf die Sauerstoffversorgung mithilfe der Erythrozyten angewiesen. Ohne den Sauerstoff können sie ihre Leistungen nicht mehr reibungslos abrufen, deshalb leiden Menschen mit einer Anämie häufig unter klassischen Beschwerden wie Müdigkeit oder Konzentrationsproblemen. Bei einer Blutarmut können auch genügend rote Blutkörperchen vorhanden sein, jedoch zu wenig vom roten Blutfarbstoff enthalten. Durch den Hämoglobinmangel können die Erythrozyten nicht mehr ausreichend Sauerstoff durch den Körper schleusen. Das kann die gleichen Symptome wie ein Mangel an roten Blutkörperchen verursachen.

Welche Ursachen hat Blutarmut im Alter?

Patienten oder Patientinnen mit Blutarmut können wir grob in vier Gruppen einteilen. Bei der ersten Gruppe liegt ein Nährstoffmangel vor. Dadurch gelingt es dem Körper nicht mehr, ausreichend rote Blutkörperchen oder Hämoglobin zu bilden. Schließlich benötigt der Organismus dafür Nährstoffe wie Eisen, Vitamin B12 und Folsäure. Insbesondere ein Eisenmangel spielt bei der Blutarmut im Alter eine große Rolle. Bei der zweiten Gruppe ist eine Störung im Knochenmark die Ursache – im Knochenmark werden dann zum Beispiel krankhafte weiße Blutzellen gebildet, die gesunde rote Blutkörperchen verdrängen können. Das ist bei Menschen mit Leukämie (Blutkrebs) der Fall. Auch können funktionseingeschränkte Vorläufer von Erythrozyten gebildet werden. Bei der dritten Gruppe liegt eine undefinierbare Anämie vor. Das bedeutet, dass Mediziner oder Medizinerinnen zunächst keine genaue Ursache ausmachen können. Hier hilft es, zunächst abzuwarten und die Werte im Blick zu behalten.

Besonders häufig ist aber die vierte Gruppe – dazu zählen Menschen mit einer Entzündungsanämie. Selbst kleine Infekte, die über längere Zeit andauern, können zu einer Blutarmut führen. Die dabei vorherrschenden Entzündungsgeschehen schließen das für den Sauerstofftransport wichtige Eisen im Speicher ein. Es ist also im Körper vorhanden, kann aber nicht genutzt werden. Auch verhindern die Entzündungsprozesse, dass Eisen aus der Nahrung über den Darm aufgenommen wird. Dadurch besteht – trotz voller Eisenspeicher und genügend Eisen in der Nahrung – ein Eisenmangel, der zu einer Anämie führen kann. Von dieser Anämieform sind vor allem ältere Menschen betroffen, da ihr Immunsystem anfälliger für Infekte ist.

Wie viele ältere Menschen haben eine Anämie?

Die Blutarmut ist unter älteren Menschen recht weit verbreitet und bleibt manchmal unentdeckt. Etwa jede fünfte selbstständig lebende ältere Person weist eine Anämie auf. Bei Menschen, die sich im Krankenhaus aufhalten oder in einem Seniorenheim wohnen, tritt die Blutarmut besonders häufig auf – hier sind es etwa 50 bis 60 Prozent. Eine Anämie ist keine normale Alterserscheinung, sondern gehört immer abgeklärt und behandelt. Schließlich kann eine permanente Unterversorgung mit Sauerstoff ernst zu nehmende Folgen für Patienten oder Patientinnen haben.

„Eine Anämie ist keine normale Alterserscheinung, sondern gehört immer abgeklärt und behandelt.“

Prof. Dr. med. habil. Gabriele Röhrig-Herzog
Geriaterin an der Hochschule für Gesundheit, Pädagogik und Soziales EUFH am Campus Köln und Leitung der Arbeitsgruppe Anämie im Alter der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG)

Gelten bei Senioren andere Grenzwerte als bei jüngeren Menschen?

Für Senioren in Nordeuropa legen Mediziner oder Medizinerinnen die gleichen Grenzwerte wie für jüngere Menschen zugrunde. Dabei halten sie sich an die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bei Frauen liegt demnach eine Anämie vor, wenn ihre Hämoglobinkonzentration weniger als 12 Gramm pro Deziliter beträgt, bei Männern handelt es sich um eine Blutarmut, wenn sie den Wert von 13 Gramm pro Deziliter unterschreitet. Spannend ist, dass Menschen aus Afrika oder Asien andere Grenzwerte haben können. Bei ihnen kann der Hämoglobinwert aufgrund ihrer genetischen Veranlagung niedriger sein, ohne dass eine Anämie vorliegt.

Blässe, Haarausfall und Müdigkeit können auf eine Anämie hindeuten

Welche Symptome treten bei Blutarmut im Alter auf?

Das Knifflige ist, dass es keine Symptome gibt, die eindeutig auf eine Blutarmut hinweisen. Oft wird die Anämie deshalb als geriatrisches Syndrom bezeichnet. Ein geriatrisches Syndrom ist dafür bekannt, dass ein einzelner Befund im Alter ganz viele verschiedene Ursachen und gleichzeitig Folgen für den Patienten oder die Patientin haben kann. Neben der Anämie zählen zum Beispiel der Sturz, die Schluckstörung oder die Inkontinenz (unwillkürlicher Harnverlust) zu den geriatrischen Syndromen. Trotzdem gibt es einige Hinweise, die auf eine Blutarmut hindeuten können. Personen, die sich sehr müde oder unmotiviert fühlen, planen am besten einen Besuch bei einem Arzt oder einer Ärztin ein.

Ein Check auf eine vorhandene Anämie ist auch bei einer auffallend blassen Haut, einem Konzentrationsmangel oder einer Luftnot sinnvoll. Haarausfall oder brüchige Nägel können ebenfalls auf eine Blutarmut hinweisen. Gerade bei älteren Menschen ist es wichtig, in viele Richtungen zu denken. Bei Personen, die beispielsweise aufgrund ihres Bluthochdrucks neuerdings einen Betablocker einnehmen, kann die Müdigkeit an der Medikamenteneinnahme, aber genauso gut an einer Anämie liegen.

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Kann eine Anämie für ältere Personen gefährlich werden?

Wer lange Zeit mit einer unbehandelten Anämie lebt, hat ein erhöhtes Risiko, früher zu sterben, und eine größere Wahrscheinlichkeit, andere gesundheitliche Probleme zu entwickeln. Eine Blutarmut kann beispielsweise die Entwicklung des sogenannten Gebrechlichkeitssyndroms (Frailty-Syndrom) begünstigen. Dabei verringern sich unter anderem Kraft und Ausdauer von Patienten oder Patientinnen und die Muskelmasse nimmt typischerweise ab – sie sind schnell erschöpft. Eine erkrankte Person geht hierbei klassischerweise sehr langsam in vorgebeugter Haltung, meistens mit einem Gehstock in der Hand. Das Gebrechlichkeitssyndrom kann aber nicht nur die Lebensqualität herabsetzen, sondern auch das Risiko für Stürze erhöhen oder Infekte schlechter ausheilen lassen.

Grundsätzlich ist die Anämie für jedes Organ bedrohlich, da sie die Sauerstoffversorgung einschränkt. Besonders gut können das Patienten oder Patientinnen an einer Konzentrationsschwäche erkennen – sie entsteht deshalb, weil das Gehirn nicht mehr genügend Sauerstoff erhält. Das geht so weit, dass eine Blutarmut die Gedächtnisleistung bei einer bestehenden Demenz weiter verschlechtern kann.

„Wer lange Zeit mit einer unbehandelten Anämie lebt, hat ein erhöhtes Risiko, früher zu sterben, und eine größere Wahrscheinlichkeit, andere gesundheitliche Probleme zu entwickeln.“

Prof. Dr. med. habil. Gabriele Röhrig-Herzog
Geriaterin an der Hochschule für Gesundheit, Pädagogik und Soziales EUFH am Campus Köln und Leitung der Arbeitsgruppe Anämie im Alter der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG)

Wie wird eine Blutarmut im Alter behandelt?

Die Blutarmut wird im Alter genauso behandelt wie bei einem jüngeren Menschen. Eisentabletten sind dabei der Goldstandard. Mediziner oder Medizinerinnen verschreiben Betroffenen dazu Präparate, die sie so lange einnehmen, bis die Hämoglobinwerte wieder in einem normalen Bereich sind. Alternativ gibt es auch Eisensaft, der sich vor allem für Menschen mit Schluckbeschwerden eignet. Um die richtige Dosierung zu finden, schaut sich der Arzt oder die Ärztin vorher mit einer Blutuntersuchung die Eisenspeicher an. Die Behandlung mit Tabletten oder Saft hat allerdings ihre Grenzen.

Bei einer Entzündungsanämie kann der Körper die Eisenspeicher verschließen – das macht er, um Keimen den Nährstoff Eisen zu entziehen. Eisentabletten oder Eisensaft erreichen bei diesen Betroffenen deshalb nicht den gewünschten Effekt, da das Eisen nicht mehr über den Darm in das Blut aufgenommen werden kann. In dem Fall kann ein Arzt oder eine Ärztin das Eisen über die Vene geben, also mittels Infusion. Dadurch kann die Blockade im Darm umgangen werden. Gleichzeitig muss der vorliegende Infekt, beispielsweise die Lungenentzündung, behandelt werden, damit sich die Eisenspeicher wieder öffnen. Eine weitere Option bei Blutarmut im Alter ist eine Transfusion von Fremdblut, diese Therapieform wählen Mediziner oder Medizinerinnen aber nur in besonderen Fällen.

Eine Schale mit Haferbrei und Obst.

© iStock / VankaD

Das Vitamin C in vielen Lebensmitteln hilft dem Körper bei der Aufnahme von Eisen.

Was können Betroffene bei Blutarmut im Alter tun?

Menschen mit einer Anämie erfahren von ihrem Mediziner oder ihrer Medizinerin, ob ein Eisenmangel der Grund für die Blutarmut ist. In dem Fall können Betroffene aktiv mitarbeiten, indem sie eisenreiche Lebensmittel verzehren. Fleisch, aber auch pflanzliche Alternativen wie Haferflocken oder Rote Bete enthalten Eisen. Die Aufnahme über pflanzliche Nahrungsbestandteile dauert ein wenig länger, weil der Körper das Eisen zunächst in eine verwertbare Form umwandeln muss. Dabei hilft übrigens Vitamin C – eine Kombination aus Haferflocken und einem Glas Orangensaft ist also eine gute Idee. Außerdem ist es gut, wenn Betroffene trotz der Anämie weiter in Bewegung bleiben. Kleine Spaziergänge können die Müdigkeit vertreiben und wirken einem Verlust von Muskelmasse und damit dem Frailty-Syndrom entgegen.

Wie können Seniorinnen und Senioren einer Anämie vorbeugen?

Das klappt vor allem mit einer ausgewogenen Ernährung. Gelingt es älteren Menschen nicht mehr, Fleischspeisen zu kauen, können Angehörige bei der Zerkleinerung der Nahrung helfen oder Alternativen wie Haferflocken anbieten. Auch Kakaopulver enthält eine große Menge Eisen. Bei Kau- oder Schluckbeschwerden ist es besonders wichtig, dass Betroffene trotzdem genügend Nährstoffe aufnehmen, auch um eine Anämie zu verhindern. Daher ist es wichtig, einen Schlucktherapeuten (Logopäden) zu kontaktieren, der das Schlucken mit einem trainieren kann und sich gleichzeitig für eine passende Kostform von Ernährungstherapeuten und -therapeutinnen beraten zu lassen.

Außerdem ist ein regelmäßiger Check-up beim Hausarzt oder der Hausärztin empfehlenswert. Die dabei durchgeführte Blutuntersuchung kann eine Anämie aufdecken. Danach können Mediziner oder Medizinerinnen den Eisenspeicherwert Ferritin und den Entzündungswert bestimmen, um der Blutarmut auf den Grund zu gehen.


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