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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Arbeitsplatz - Schwerbehinderte
Arbeitsplatz - Schwerbehinderte
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Begriff Arbeitsplatz ist im Sprachgebrauch allgegenwärtig. Dabei werden ihm verschiedene Bedeutungen zugemessen. Während es im Arbeitsrecht allgemein keine Definition des Begriffes gibt, enthält das Schwerbehindertenrecht eine Legaldefinition. Sie spielt insbesondere bei der Abgabepflicht der Betriebe eine Rolle. Der Beitrag geht hierauf ein und gibt Tipps zur Umsetzung der relevanten Bestimmungen.
2. Definition
Arbeitsplätze in diesem Sinne sind alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer, Beamte, Richter, Auszubildende sowie andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden (§ 156 Abs. 1 SGB XI). Der Arbeitsplatz ist in diesem Zusammenhang also nicht im räumlichen Sinne zu verstehen; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Beschäftigung - in der Regel aufgrund eines Arbeitsvertrages oder eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses. Da es auf die tatsächliche Beschäftigung und nicht auf einen Arbeitsplatz im räumlich – gegenständlichen Sinne ankommt, sind auch Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, die Bezieher von Transferkurzarbeitergeld vorübergehend beschäftigen, grundsätzlich beschäftigungs- und ggf. abgabepflichtig (BVerwG, 16.05.2013 – 5 C 20.12). Bei der Berechnung sind nach § 156 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX solche Stellen nicht zu berücksichtigen, auf denen Personen tätig sind, deren Beschäftigung nicht in erster Linie dem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt wird. Ob dies der Fall ist, ist durch eine objektivierte Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu ermitteln. Dabei kommt es nicht darauf an, ob überhaupt eine Gegenleistung für die Arbeit erbracht wird, sondern darauf, ob die Zuwendungen der Gewinnerzielung dienen oder nicht (BVerwG, 30.06.2016 – 5 C 1.15 [in Bezug auf "Ärzte ohne Grenzen"]). Nach der Entscheidung ist eine Beschäftigung i.S.v. § 156 Abs. 2 Nr. 2 Alt.1 SGB IX vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt, wenn auf der Stelle entsprechend ihrer objektiven Zweckbestimmung Personen beschäftigt werden, deren Tätigkeit dadurch geprägt ist, dass für körperlich, geistig oder seelisch leidende Menschen soziale Dienste geleistet werden, die auf die Heilung oder Milderung innerer oder äußerer Nöte des Hilfebedürftigen oder auf deren vorbeugende Abwehr zielen.
Zum Begriff der Schwerbehinderung siehe Schwerbehinderte Menschen - Allgemeines; zu den Gleichgestellten siehe Schwerbehinderte Menschen - Gleichgestellte.
3. Beschäftigungspflicht
Nach § 154 Abs. 1 SGB IX haben Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich mindestens 20 Arbeitsplätzen im Monat auf wenigstens 5 Prozent dieser Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Schwerbehinderte Frauen sind besonders zu berücksichtigen. Für Klein- und Mittelbetriebe mit bis zu 60 Arbeitsplätzen gelten geringere Quoten (§ 154 Abs. 1 S. 3 SGB IX): Haben sie jahresdurchschnittlich weniger als 40 Arbeitsplätze, müssen sie einen, bis weniger als 60 Arbeitsplätze zwei Schwerbehinderte beschäftigen.
Praxistipp:
Für Auszubildende gilt eine Sonderregelung: Sie werden nicht bei der Feststellung der Beschäftigungspflicht berücksichtigt (§ 157 SGB IX). Wird jedoch ein schwerbehinderter Auszubildender beschäftigt, wird er mindestens doppelt auf die zu erfüllende Quote angerechnet (§ 159 Abs. 2 SGB IX).
Teilzeitbeschäftigte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden sowie Aushilfen mit einer Beschäftigungsdauer bis zu acht Wochen werden bei den vorhandenen Arbeitsplätzen nicht mitgerechnet (§ 156 Abs. 3 SGB IX). Dies gilt aber auch für die Anrechnung solcher Mitarbeiter, die schwerbehindert sind, auf die Pflichtquote. Wird für einen Arbeitnehmer, der in Elternzeit ist, eine Vertretung eingestellt, wird für beide nur ein Arbeitsplatz berücksichtigt (§ 21 Abs. 7 BEEG; § 156 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX). Keine Arbeitnehmer und daher nicht mitzuzählen sind Organmitglieder von juristischen Personen sowie arbeitnehmerähnliche Personen. Stellen von Leiharbeitnehmern zählen als Arbeitsplätze des Verleihers.
Praxistipp:
Heimarbeiter, die nur für ein Unternehmen arbeiten, werden nicht auf die Gesamtzahl der Arbeitsplätze angerechnet, da sie keine Arbeitnehmer sind. Soweit bei ihnen aber eine Schwerbehinderung vorliegt, können sie bei der Pflichtquote angerechnet werden (vgl. § 210 Abs. 1 SGB IX). Arbeitnehmer in Altersteilzeit werden, wenn ihre Arbeitszeit mindestens 18 Stunden wöchentlich beträgt, bei der Gesamtzahl der Arbeitsplätze berücksichtigt. Ist ein Arbeitnehmer in Altersteilzeit aber schwerbehindert, kann er auch während der Freistellungsphase auf die Pflichtquote angerechnet werden. Auch die Arbeitsplätze von Mitarbeitern, die im Ausland tätig sind, deren Arbeitsvertrag aber in Deutschland geschlossen wurde, werden mitgerechnet.
Angerechnet werden auch Mitarbeiter, bei denen ein Grad der Behinderung von mindestens 30 anerkannt ist und die nach § 2 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit § 151 Abs. 2 und 3 SGB IX einem Schwerbehinderten gleichgestellt sind (siehe unten, Abschnitt 4). Die Gleichgestellten haben keinen Anspruch auf Zusatzurlaub.
Unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. § 159 SGB IX) kann ein Arbeitsplatz mehrfach auf die zu besetzenden Pflichtarbeitsplätze angerechnet werden.
Berechnungsbeispiel: Der Betrieb A. hat 2020 folgende, bei der Berechnung der Abgabe zu berücksichtigende Arbeitsplätze:
Monat | Arbeitsplätze | Monat | Arbeitsplätze | Monat | Arbeitsplätze |
Januar | 83 | Mai | 64 | September | 90 |
Februar | 76 | Juni | 68 | Oktober | 78 |
März | 61 | Juli | 73 | November | 79 |
April | 56 | August | 88 | Dezember | 74 |
Gesamt | 890 |
890 : 12 = 74,16 jahresdurchschnittliche Arbeitsplätze pro Monat.
Daraus ergibt sich eine Pflichtquote für die Beschäftigung von Schwerbehinderten von 5 %, dies entspricht 3,7; es wird aufgerundet auf 4 Pflichtarbeitsplätze für Schwerbehinderte. Die Jahressumme der monatlich zu besetzenden Pflichtarbeitsplätze ergibt sich aus 890 X 5 % = 44,5 (gerundet 45 Pflichtarbeitsplätze).
Erfüllt der Betrieb die Pflichtquote nicht, muss er eine Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt zahlen (§ 160 SGB IX). Damit werden Leistungen zur Förderung schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben finanziert.
Fortsetzung Berechnungsbeispiel:
Der Betrieb beschäftigt 2020 folgende Schwerbehinderte (die Berücksichtigung erfolgt, sobald das Arbeitsverhältnis mindestens einen Tag in dem jeweiligen Monat bestanden hat):
Monat | Beschäftigte Schwerbehinderte | Monat | Arbeitsplätze | Monat | Arbeitsplätze |
Januar | 0 | Mai | 1 | September | 2 |
Februar | 0 | Juni | 2 | Oktober | 3 |
März | 1 | Juli | 2 | November | 5 |
April | 1 | August | 2 | Dezember | 5 |
Gesamt | 24 |
Jahresdurchschnittlich sind zwei Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt (24:12).
Die Ausgleichsabgabe (§ 160 SGB IX) beträgt je nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz monatlich.
bei einer Beschäftigungsquote von 3 % bis weniger als dem geltenden Pflichtsatz (5 %) = 125 EUR
bei einer Beschäftigungsquote von 2 % bis weniger als 3 % = 220 EUR
bei einer Beschäftigungsquote von weniger als 2 % = 320 EUR
Ausnahmen gelten für Klein- und Mittelbetriebe mit bis zu 60 Arbeitsplätzen (siehe § 160 Abs. 2 SGB IX).
Fortsetzung Berechnungsbeispiel:
Die Beschäftigungsquote des Betriebes A. beträgt 2,7 % (24:890X100). Somit sind für jeden nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz monatlich 220 EUR zu zahlen. Die Zahl der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze ergibt sich aus den nach der Jahressumme zu besetzenden Pflichtarbeitsplätzen (45) minus der Jahressumme der mit Schwerbehinderten besetzten Arbeitsplätze (24). Der Betrieb hat also für 2020 für 21 Monate je 220 EUR = 4.620 EUR zu zahlen.
Für 2021 erhöht sich die Abgabe wie folgt (BAnz AT 30.11.2020 B1):
Je nicht besetztem Pflichtarbeitsplatz monatlich:
bei einer Beschäftigungsquote von 3 % bis weniger als dem geltenden Pflichtsatz (5 %) = 140 EUR
bei einer Beschäftigungsquote von 2 % bis weniger als 3 % = 245 EUR
bei einer Beschäftigungsquote von weniger als 2 % = 360 EUR.
Die neuen Sätze gelten für Arbeitsplätze, die ab dem 01.01.2021 unbesetzt sind. Sie ist erstmals zum 31.03.2021 zu zahlen, wenn die Ausgleichsabgabe für 2021 fällig wird.
Praxistipp:
Vordrucke für die Berechnung gibt es unter www.iw-elan.de; Erläuterungen hält die Bundesagentur für Arbeit bereit.
Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen zudem Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen. Der Arbeitsplatz ist daher entsprechend der individuellen Anforderungen des schwerbehinderten Menschen, insbesondere im Hinblick auf seine Behinderungen, zu gestalten.
4. Verfahren
Der Betrieb hat jeweils bis zum 31. März für das Vorjahr die für die Feststellung der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung der Erfüllung der Pflichtquote und zur Berechnung der Ausgleichsabgabe notwendigen Daten der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu übermitteln (§ 163 Abs. 2 SGB IX).
Praxistipp:
Vordrucke für die Erstattung der Meldungen sowie Software für die elektronische Erstellung der Anzeige (REHADAT Elan) hält die Bundesagentur für Arbeit bereit.
Die Feststellung der Behinderung erfolgt auf Antrag des Mitarbeiters durch die nach Landesrecht zuständige Behörde (z.B. Versorgungsamt, Amt für soziale Angelegenheiten). Schwerbehindert in diesem Sinne sind alle Menschen, bei denen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Beträgt der Grad der Behinderung wenigstens 30, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen erfolgen (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Ihre Arbeitsplätze werden dann ebenfalls auf die Pflichtquote angerechnet.
Praxistipp:
Die Gleichstellung wird von der für den Wohnort zuständigen Agentur für Arbeit vorgenommen und wirkt frühestens ab dem Zeitpunkt der Antragstellung.
Wird eine Gleichstellung zur Erhaltung eines konkreten Arbeitsplatzes geltend gemacht, muss dieser für den behinderten Menschen geeignet sein. Dies erfordert einerseits, dass der Behinderte durch die Tätigkeit gesundheitlich nicht überfordert wird; andererseits führt die behinderungsbedingte Einschränkung für sich genommen noch nicht zum Wegfall der Geeignetheit des Arbeitsplatzes. Dies muss von der Behörde und den Gerichten im Einzelfall anhand der konkreten Gegebenheiten überprüft werden (LSG Baden-Württemberg, 23.10.2015 – L 8 AL 4146/14).
5. Bewerbungsverfahren
5.1 Allgemeines
Auch im Rahmen der Besetzung von freien Arbeitsplätzen sind die Betriebe verpflichtet, schwerbehinderte Menschen besonders zu berücksichtigen (§ 164 Abs. 1 SGB IX): Sie müssen prüfen, ob die vakanten Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt werden können. Insbesondere gilt dies für Schwerbehinderte, die bei der Bundesanstalt für Arbeit arbeitssuchend gemeldet sind.
Praxistipp:
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, frühzeitig vor der Besetzung freier Stellen mit der Bundesagentur Kontakt aufzunehmen. Diese oder ein Integrationsfachdienst können geeignete Schwerbehinderte vorschlagen. Die Pflicht entfällt nach der Rechtsprechung (z.B. LAG Köln, 08.02.2010 – 5 TaBV 73/09), wenn eine Stelle nur intern ausgeschrieben wird.
Eine interne Ausschreibung wird von der Rechtsprechung allerdings nicht anerkannt, wenn die Stelle mit einem Praktikanten besetzt wird (LAG Hamm, 23.01.2015 – 13 TaBV 44/14).
Ist mit dem Betriebsrat generell vereinbart, Stellen zunächst innerbetrieblich auszuschreiben, ergibt sich daraus aber keine Festlegung auf den Kreis der Bewerber aus dem Betrieb. Der Arbeitgeber ist dadurch auch nicht verpflichtet, diese bei der Besetzung des Arbeitsplatzes vorrangig zu berücksichtigen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 03.05.2019 – 4 TaBV 15/18). Vielmehr liegt es grundsätzlich im Ermessen des Arbeitgebers, die Stelle einem Arbeitnehmer seiner Wahl zu übertragen. Er kann sich dabei auch für einen betriebsfremden Bewerber entscheiden, wenn er ihn für den geeigneteren hält (BAG, 18.11.1980 - 1 ABR 63/78).
Liegen entsprechende Bewerbungen vor, sind die Schwerbehindertenvertretung und die Personalvertretung an der Besetzung der Stelle zu beteiligen. Dabei ist es nicht ausreichend, dass der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung alle Bewerbungsunterlagen zugänglich macht. Er muss vielmehr auch darüber informieren, welche Bewerber schwerbehindert sind (LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.2019 – 15 Sa 949/19).
Werden diese Verpflichtungen missachtet, kann dies als Indiz dafür gewertet werden, dass ein abgelehnter Schwerbehinderter wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde (vgl. BAG, 13.10.2011 – 8 AZR 608/10). Voraussetzung dafür ist, dass die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war bzw. sie hätte bekannt sein müssen. Ausreichend für die Kenntnis ist ein Hinweis auf die Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben. Wird dieser übersehen, geht dies zu Lasten des Betriebes (BAG, 16.09.2008 – 9 AZR 791/07). Dagegen ist es nicht erforderlich, ausdrücklich auf den GdB von wenigstens 50 hinzuweisen (BAG, 22.10.2015 – 8 AZR 384/14). Nicht ausreichend für einen Entschädigungsanspruch ist es, wenn ein Bewerbungsschreiben fehlt und die Information über die Schwerbehinderung in den Lebenslauf "eingestreut" ist, also nicht besonders kenntlich gemacht wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 20.08.2015 – 2 Sa 27/15). Werden in diesem Fall alle Interessenten, die kein Bewerbungsschreiben beigefügt haben, aussortiert, liegt die Ursache für die Ablehnung nicht in der Schwerbehinderung, sondern im fehlenden Anschreiben.
Nach dem Auswahlverfahren sind alle Beteiligten vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unverzüglich unter Darlegung der Gründe zu unterrichten (§ 164 Abs. 1 S. 9 SGB IX). Diese Pflicht besteht aber nur, wenn eine Schwerbehindertenvertretung oder ein Betriebsrat besteht. Im Zweifel ist der Bewerber darlegungs- und beweispflichtig, dass ein solches Gremium vorhanden ist (LAG München, 11.04.2018 – 10 Sa 820/17). Die Pflicht zur Unterrichtung eines abgelehnten schwerbehinderten Bewerbers besteht aber nur, wenn alle Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 S. 7 SGB XI vorliegen, also der Arbeitgeber gegen die gesetzliche Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verstößt und die Schwerbehindertenvertretung mit der beabsichtigten Einstellungsentscheidung nicht einverstanden ist (BAG, 28.09.2017 – 8 AZR 492/16). Aus der Verletzung dieser Pflicht kann eine Indizwirkung abgeleitet werden, dass der Arbeitgeber den Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt hat (BAG, 28.09.2017 – a.a.O.). Die Absage mit der Begründung, es habe mehrere Bewerbungen gegeben, die die geforderten Kriterien erfüllen, stellt keine ausreichende Begründung für die getroffene Entscheidung dar. Eine mehr als zwei Monate später erfolgte nähere Erläuterung der Gründe für die Ablehnung der Bewerbung ist nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 164 Abs. 1 S. 8 SGB IX (LAG Niedersachsen, 14.04.2016 – 7 Sa 1359/14).
Beachtet der Arbeitgeber die gesetzlichen Vorgaben nicht, kann damit ein Indiz i.S.d. § 22 AGG vorliegen, dass der schwerbehinderte Bewerber diskriminiert wurde. In diesem Fall sieht § 15 Abs. 2 AGG die Zahlung einer Entschädigung für den immateriellen Schaden vor. Diese hat eine Doppelfunktion. Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Der Anspruch hierauf tritt unabhängig vom Verschulden des Arbeitgebers ein (BAG, 28.05.2020 – 8 AZR 170/19). Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Indizien, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten lassen, darzulegen, Es ist dann an dem Arbeitgeber, nachzuweisen, dass dies nicht zutrifft. Bloße Behauptungen des Arbeitnehmers für eine Benachteiligung, die ins Blaue hinein behauptet werden, reichen nicht aus, um die Benachteiligung vermuten zu lassen (LAG Berlin-Brandenburg, 01.07.2020 – 15 Sa 289/20).
5.2 Öffentliche Arbeitgeber
Besondere Pflichten haben in diesem Zusammenhang öffentliche Arbeitgeber (§ 165 SGB IX). Sie sind verpflichtet, frei werdende und neu zu besetzende Arbeitsplätze der Arbeitsagentur frühzeitig zu melden.
Haben sich Schwerbehinderte im Rahmen des Verfahrens nach § 165 SGB IX auf einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur bzw. einem beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, müssen sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Dies gilt auch, wenn die Stelle nur intern ausgeschrieben wurde (BAG, 25.06.2020 – 8 AZR 75/19). Dies gilt nach dem Urteil jedenfalls dann, wenn Auswahlgespräche stattfinden. Wird das Auswahlverfahren ohne Einladung von Bewerbern abgebrochen und die Stelle im Rahmen eines Wiedereingliederungsverfahrens intern besetzt, liegt keine Diskriminierung des schwerbehinderten Bewerbers vor. Dieser wurde nicht ungünstiger behandelt, als alle anderen externen Bewerber (LAG Rheinland-Pfalz, 03.12.2019 – 8 Sa 187/19). Bei mehreren Bewerbungen eines Schwerbehinderten oder eines Gleichgestellten auf mehrere Stellen desselben Arbeitgebers mit identischem Anforderungsprofil reicht es jedoch aus, wenn der Bewerber einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird (BAG, 25.06.2020 – 8 AZR 75/19).
Der Begriff "öffentliche Arbeitgeber" ist in § 154 Abs. 2 SGB IX legal definiert. Um einen solchen Arbeitgeber handelt es sich nicht bei den Fraktionen des bayrischen Landtages. Daher steht einem Bewerber, der nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu (BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 315/18). Die US-Stationierungsstreitkräfte gelten nicht als öffentlicher Arbeitgeber i.S.d. dritten Teils des SGB IX. Ihnen obliegen daher nicht die Pflichten aus §§ 154 ff. SGB IX(LAG Rheinland-Pfalz, 06.11.2019 - 7 Sa 120/19).
Nur wenn offensichtlich und unzweifelhaft die fachliche Eignung fehlt, kann von einer Einladung abgesehen werden (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.01.2018 – 2 Sa 166/17; 23.12.2019 – 2 Sa 224/18). Offensichtlich nicht geeignet i.d.S. ist, wer unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht (LAG Mecklenburg- Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 128/19). Dagegen muss zwingend eine Einladung auch dann erfolgen, wenn nach einer Durchsicht der Bewerbungsunterlagen feststeht, dass andere Bewerber besser geeignet sind. Der Gesetzgeber verbindet mit der Regelung die Hoffnung, dass durch die Präsentation des Schwerbehinderten im Vorstellungsgespräch für den Arbeitgeber dessen Einstellung vorteilhaft erscheint (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.12.2019 – 2 Sa 224/18). Ein schwerbehinderter Mensch, von dem feststeht, dass er zwar fachlich, aber nicht persönlich geeignet ist, muss nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden; dem stehen § 165 S. 3 und 4 SGB XI nicht entgegen (LAG Düsseldorf, 27.06.2018 – 12 Sa 135/18). Zweifel an fachlichen der Qualifikation reichen aber nicht aus (siehe BAG, 11.08.2016 – 8 AZR 375/15). Nach der Entscheidung trifft den öffentlichen Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Bewerber offensichtlich ungeeignet ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.01.2018 – a.a.O.; BAG, 11.08.2016 a.a.O.). Andererseits muss der Bewerber durch Angaben zu seinem fachlichen Leistungsprofil im Rahmen der Bewerbung es dem Arbeitgeber die Prüfung ermöglichen, ob er zum Vorstellungsgespräch zwingend einzuladen ist.
Praxistipp:
Wegen der bestehenden Beweispflicht ist es sinnvoll, den schwerbehinderten Bewerber im Zweifel zum Vorstellungsgespräch einzuladen.
Eine Bewerbung, die offensichtlich allein darauf abzielt, eine Entschädigung nach dem AGG zu erhalten, ist rechtsmissbräuchlich. Sie kann keinen Entschädigungsanspruch auslösen (ArbG Bonn, 23.10.2019 – 5 Ca 1201/19). Auf Rechtsmissbrauch kann aber nicht bereits geschlossen werden, wenn eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat bzw. führt (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 128/19).
Erwirbt der Bewerber erst im Lauf des Bewerbungsverfahrens die erforderliche Qualifikation, muss er den Arbeitgeber darüber informieren (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.01.2018 – a.a.O.). Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, geht dies zu seinen Lasten. Dann besteht für den öffentlichen Arbeitgeber keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu dem Vorstellungsgespräch einzuladen. Ob der Schwerbehinderte für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet ist, ist anhand eines Vergleichs zwischen dem Anforderungsprofil und dem fachlichen Leistungsprofil des Bewerbers zu ermitteln (BAG, 11.08.2016 – a.a.O.). Dabei ist nicht auf das formelle Anforderungsprofil abzustellen, sondern auf die Anforderung, die der Arbeitgeber an einen Bewerber stellen darf. Das Anforderungsprofil muss im Hinblick auf die zu besetzende Stelle nachvollziehbar, d.h. frei von sachfremden Erwägungen sein (LAG Köln, 02.03.2018 – 10 SaGa 21/17). Die Anforderung einer Hochschulausbildung führt nicht dazu, dass eine Bewerberin offensichtlich ungeeignet ist, wenn sich diese Voraussetzung weder aus dem Anforderungsprofil der Stelle noch aus den Eingruppierungsmerkmalen ergibt (LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.2019 – 15 Sa 949/19). Der Dienstherr muss den Bewerber nur dann nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen, wenn ihm für das Anforderungsprofil offensichtlich die fachliche Eignung fehlt.
Keine Pflicht zur Einladung des schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch besteht auch im so genannten gestuften Ausschreibungsverfahren. Die Stelle wird dabei gleichzeitig sowohl extern wie auch intern ausgeschrieben. Dabei steht eine externe Ausschreibung unter dem Vorbehalt, dass Bewerber nur zum Zuge kommen, wenn sich nicht genügend geeignete interne Bewerber melden. Können die freien Stellen alle mit internen Bewerbern besetzt werden, muss der öffentliche Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen als externen Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch einladen (LAG Schleswig-Holstein, 18.12.2018 – 1 Sa 26 öD/18). Die Nichteinladung ist kein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung.
Sind sehr gute Sprachkenntnisse einer oder mehrerer Sprachen Inhalt des Anforderungsprofils einer Stelle, sind Bewerber, die diese Kenntnisse nicht aufweisen, bereits offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.v. § 165 S. 4 SGB IX. Sie sind daher nicht zu dem Vorstellungsgespräch einzuladen (LAG Berlin-Brandenburg, 08.01.2018 – 4 Ta 1489/17).
Schreibt z.B. ein öffentlicher Arbeitgeber eine Stelle aus und verlangt ein "Hochschulstudium der Informatik, idealerweise Wirtschaftsinformatik", erweitert er damit das Spektrum der IT-Qualifikation und öffnet zugleich die Tür für Wirtschaftswissenschaftler. Denn er hat zu erkennen gegeben, dass neben der Betätigung als Informatiker auch wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse zur Bewältigung der Aufgaben geboten sind. Ein behinderter Bewerber mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium ist daher zum Vorstellungsgespräch einzuladen (LAG Thüringen, 20.12.2016 – 1 Sa 102/16).
Die Verpflichtung zu einem Vorstellungsgespräch entfällt nach der Rechtsprechung nicht deshalb, weil der Bewerber einen schriftlichen Auswahltest nicht bestanden hat. Dies gilt zumindest, wenn der Test bereits Bestandteil des Auswahlverfahrens ist. Dem Bewerber soll durch das Vorstellungsgespräch Gelegenheit gegeben werden, evtl. Defizite in dem persönlichen Gespräch auszugleichen. Wird ihn dazu keine Möglichkeit gegeben, ist dies ein deutliches Indiz für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung (LAG Schleswig-Holstein, 09.09.2015 – 3 Sa 36/15; BAG, 11.08.2016 – 8 AZR 375/15). Aus der Verletzung der Einladungspflicht nach § 165 SGB IX kann aber nicht ohne weiteres die Vermutung abgeleitet werden, es liege eine Benachteiligung wegen der Behinderung vor, wenn es dem Arbeitgeber gerade um die Einstellung eines Menschen mit Behinderung geht (ArbG Ulm, 02.08.2016 – 5 Ca 86/16).
Bei Mehrfachbewerbungen um Stellen mit identischem Anforderungsprofil genügt die Einladung zu einem Gespräch nur dann, wenn das Auswahlverfahren identisch ist, die Auswahlkommissionen sich aus denselben Personen zusammensetzen und zwischen den jeweiligen Entscheidungen nur wenige Wochen liegen (LAG Berlin-Brandenburg, 01.11.2018 – 21 Sa 1643/17).
Bereits wenn der schwerbehinderte Bewerber entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, ist die Verletzung des Anspruchs des Bewerbers eingetreten (LAG Schleswig-Holstein, 29.08.2019 – 5 Sa 375 öD/18). Die Verletzung dieser Pflicht ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, dass der Arbeitgeber an einer Beschäftigung des Schwerbehinderten nicht interessiert ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19). Ein Anspruch auf Entschädigung setzt lediglich voraus, dass die Schwerbehinderung mitursächlich für die negative Auswahlentscheidung war.
Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ergibt sich aber nicht bereits aufgrund der Tatsache, dass der behinderte Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Das Unterlassen der Einladung ist lediglich ein Indiz i.S.v. § 22 AGG, das die Vermutung begründet, dass der Bewerber wegen der Behinderung benachteiligt wurde. Diese Vermutung kann der Arbeitgeber aber widerlegen (BAG, 23.01.2020 – 8 AZR 484/18). Dazu kann der öffentliche Arbeitgeber z.B. die Nichteignung des Bewerbers darlegen oder Gründe außerhalb der fachlichen Eignung vorbringen (LAG Berlin-Brandenburg, 29.08.2019 – 10 Sa 563/19). Er kann sich bei einer Nichteinladung des schwerbehinderten Bewerbers zur Entlastung i.S.v. § 22 AGG jedoch nicht darauf berufen, er habe seine behördeninternen Abläufe so schlecht organisiert, dass den sorgfältig ausgebildeten und geschulten Mitarbeitern wiederholt Bewerbungen abhandengekommen sind (LAG Köln, 23.08.2018 – 6 Sa 147/18 – siehe auch BAG, 23.01.2020 a.a.O.). Dies gilt gleichermaßen für den Fall, dass die Bewerbung falsch zu denen zugeordnet wurde, die nicht eingeladen werden sollen (LAG Rheinland-Pfalz, 03.03.2020 – 8 Sa 259/19). Ein Entschädigungsanspruch besteht aber nicht allein aufgrund des Umstandes, dass der öffentliche Arbeitgeber die Einladung zum Vorstellungsgespräch ordnungsgemäß abgeschickt, der schwerbehinderte Bewerber diese aber nicht erhalten hat. Es besteht insbesondere keine Verpflichtung, die Einladung förmlich zuzustellen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19).
Wird ein Stellenbesetzungsverfahren wegen Umbesetzung eines vorhandenen Mitarbeiters auf die ausgeschriebene Stelle abgebrochen, hat ein schwerbehinderter Bewerber keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG (VG Koblenz, 22.04.2016 – 5 K 56/16.KO). Wird ein schwerbehinderter Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, spricht dies für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. Diese Vermutung ist aber widerlegt, wenn er wegen Überqualifizierung nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird (BAG, 20.01.2016 – 8 AZR 194/14). Die "objektive Eignung" Bewerbers ist kein Kriterium der "vergleichbaren Situation" oder "vergleichbaren Lage" nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG. Daher kommt es nicht darauf an, dass ein Bewerber sich ernsthaft Chancen auf eine Einstellung ausrechnen darf. Die Diskriminierung i.S.d. AGG kann auch bereits im Auswahlverfahren liegen (BAG, 19.05.2016 – 8 AZR 470/14). Ein übergangener Bewerber um ein öffentliches Amt hat einen Anspruch auf Schadenersatz nur, wenn er versucht hat, die Besetzung der Stelle mit einem anderen Bewerber durch ein Rechtsmittel zu verhindern (LAG Berlin-Brandenburg, 07.03.2018 – 17 Sa 7/18). Dies gilt zumindest, wenn diese Vorgehensweise dem übergangenen Bewerber möglich und zumutbar war (BAG, 12.12.2017 – 9 AZR 152/17).
Die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch besteht ausnahmsweise nicht, wenn es dafür Gründe gibt, die weder Benachteiligung des Bewerbers wegen seiner Schwerbehinderung i.S.v. § 1 AGG darstellen noch seine fachliche Eignung berühren. Dies kann der Fall sein, wenn der Bewerber wegen des Vorbeschäftigungsverbotes i.S.v. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG nicht berücksichtigt wurde (LAG Berlin-Brandenburg, 29.08.2019 – 10 Sa 563/19). In diesem Fall besteht kein Entschädigungsanspruch.
Ein Entschädigungsanspruch kann auch in Frage kommen, wenn nach ordnungsgemäßer Durchführung des Bewerbungsverfahrens die Stelle wegen der Behinderung nicht an den schwerbehinderten Menschen vergeben wurde. Allerdings muss dann der Betroffene zunächst den Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen, d.h. ggf. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes versuchen, die Besetzung der Stelle mit einem anderen, weniger geeigneten Bewerber zu verhindern (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 15.09.2020 – 2 Sa 16/20). Der nachrangige Entschädigungsanspruch muss darüber hinaus nach § 15 Abs. 4 AGG innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt mit dem Zugang der Ablehnung. Die Ablehnung i.d.S. setzt eine auf den Beschäftigten bezogene ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Arbeitgebers voraus, aus der sich für den Beschäftigten eindeutig ergibt, dass seine Bewerbung keine Aussicht auf Erfolg hat (LAG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.).
5.3 Gesprächsführung, Absagen
Praxistipp:
Im Vorstellungsgespräch selbst ist es wichtig, auf Fragen, die als diskriminierend ausgelegt werden können, zu verzichten. Fragen zum Gesundheitszustand können aber mit dem AGG vereinbar sein, wenn sie anlassbezogen sind und erkennbar der Prüfung der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers für das angestrebte Amt dienen (VG Trier, 21.07.2015 – 1 K 556/15.TR).
Absagen sollten allgemein gehalten werden, insbesondere besteht keine Pflicht, die Entscheidung zu begründen. Damit werden Angriffsflächen vermieden. Intern sollte aber in einem Vermerk festgehalten werden, weshalb der jeweilige Bewerber nicht geeignet erschien, um bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung argumentieren zu können. Erfolglose Bewerber können von dem Unternehmen keine Auskunft verlangen, weshalb sie nicht zum Zuge kamen. Allerdings kann eine Verweigerung dieser Auskunft ein Indiz für eine Diskriminierung sein (EuGH, 19.04.2012 – C 415/10). Der abgelehnte Bewerber hat auch keinen Anspruch auf Auskunft, wer eingestellt wurde (BAG, 23.11.2017 – 8 AZR 372/16). Dies begegnet auch datenschutzrechtlichen Bedenken. Aufgrund § 22 AGG ist es für einen Anspruch auf Entschädigung ausreichend, wenn der abgelehnte Bewerber Indizien darlegt, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Der Betrieb muss dann beweisen, dass dies nicht der Fall ist.
6. Präventionsverfahren
Nach § 167 Abs. 1 SGB IX hat der Arbeitgeber besondere Pflichten, die darauf abzielen, das Arbeitsverhältnis von Schwerbehinderten möglichst dauerhaft zu erhalten. Auftretende Probleme sollen mit den Beteiligten – dem schwerbehinderten Arbeitnehmer, dem Betriebsrat, der Schwerbehindertenvertretung und dem Integrationsamt erörtert und gelöst werden. Nach der Rechtsprechung des BAG macht aber ein unterlassenes Präventionsverfahren weder eine ansonsten rechtmäßige Kündigung unwirksam noch hat der gekündigte Arbeitnehmer deswegen Anspruch auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung (BAG, 28.06.2007 – 6 AZR 750/06 siehe auch BAG, 21.04.2016 – 8 AZR 402/14).
Der Arbeitgeber muss aufgrund § 167 SGB IX im Zusammenwirken mit der Schwerbehinderten- sowie die Personalvertretung evtl. Problemen im Rahmen seiner Möglichkeiten entgegentreten. Er ist aber nicht verpflichtet, einen "leidensgerechten" Arbeitsplatz erst zu schaffen (vgl. BAG, 28.06.2017 – 5 AZR 263/16).
Gewährt ein Tarifvertrag dem Arbeitgeber das Recht, eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit anzuordnen, setzt dies bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht voraus, dass zuvor ein Präventionsverfahren durchgeführt wird. Zwischen beiden Verfahren besteht kein Rangverhältnis, sondern ein Nebeneinander (BAG, 25.01.2018 – 2 AZR 382/17). Verweigert der Arbeitnehmer die Untersuchung, kann eine daraufhin ausgesprochene, fristlose Kündigung nach dem Urteil aber unverhältnismäßig sein, weil das Präventionsverfahren nicht durchgeführt wurde.
7. Kündigungsschutz
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 168 SGB IX). Der entsprechende Antrag muss von dem Arbeitgeber gestellt werden. Zuständig ist das Integrationsamt am Betriebssitz bzw. am Sitz der Dienststelle (§ 170 Abs. 1 SGB IX). Das Integrationsamt
hört den betroffenen schwerbehinderten Menschen an;
holt eine Stellungnahme des Betriebs- oder Personalrates ein;
fordert eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung an.
Nach § 178 Abs. 2 SGB IX ist eine Kündigung ohne Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam.
Stimmt das Integrationsamt zu, kann der Arbeitgeber kündigen. Die Kündigungsfrist richtet sich nach den arbeitsvertraglichen Regelungen, beträgt aber mindestens vier Wochen (§ 169 SGB IX). Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids des Integrationsamtes die Kündigung zu erklären, ist es ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist (BAG, 23.05.2013 - 2 AZR 991/11; LAG Berlin-Brandenburg, 08.05.2018 – 7 Sa 1588/17).
Wird die Schwerbehinderung erst nach Zugang der Kündigung rückwirkend anerkannt, kann eine betriebsbedingte Kündigung auch ohne Zustimmung des Integrationsamtes rechtswirksam sein (LAG Rheinland-Pfalz, 12.01.2017 – 5 Sa 361/16). Dies gilt insbesondere, wenn der Antrag auf Anerkennung nach Zugang der Kündigung gestellt wird (§ 173 Abs. 3 SGB IX). Der entsprechende Antrag müsste nach dem Urteil des LAG Rheinland-Pfalz aufgrund § 173 Abs. 3 SGB IX spätestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung beim zuständigen Versorgungsamt eingegangen sein. Der Nachweis der Schwerbehinderung ist nur dann entbehrlich, wenn diese – auch hinsichtlich des GdB - offensichtlich ist.