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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Zuschläge - Berücksichtigung bei der Entgeltfortzahlung
Zuschläge - Berücksichtigung bei der Entgeltfortzahlung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Für die Weiterzahlung der Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit gilt das sogenannte Entgeltausfallprinzip. Zweifelhaft ist häufig, ob dem Arbeitnehmer auch Zuschläge, die er neben seiner eigentlichen Vergütung erhält, weiter zu zahlen sind. Der Beitrag informiert Sie über die Einzelheiten.
2. Entgeltausfallprinzip
2.1 Zeitfaktor und Geldfaktor
Bei Arbeitsunfähigkeit ist dem Arbeitnehmer das ihm unter Berücksichtigung der maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt weiterzuzahlen (§ 4 Abs. 1 EFZG). Basis ist also der Verdienst, den der Mitarbeiter erzielt hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig geworden wäre. Maßgebend für die Ermittlung des zustehenden Betrages ist zum einen die ausgefallene Arbeitszeit ("Zeitfaktor"), zum anderen der Verdienst pro Zeiteinheit ("Geldfaktor"). Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf den Geldfaktor.
2.2 Rechtsgrundlage der Vergütung
Für die Berechnung heranzuziehen ist der Bruttoverdienst, wie er sich aus den maßgebenden Regelungen ergibt. Die zustehende Vergütung lässt sich ableiten aus
dem Arbeitsvertrag,
einem Tarifvertrag,
einer Betriebsvereinbarung,
aus dem gesetzlich (ggf. für die Branche) festgelegten Mindestlohn oder
im öffentlichen Dienst auch aus Gesetz und Verordnung.
Der Mindestlohn ist auch maßgebend für die durch Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit ausgefallenen Arbeitsstunden (§ 4 Abs. 1 EFZG; BAG, 06.12.2017 – 5 AZR 699/16).
Der Anspruch kann sich aber auch aus einer betrieblichen Übung ergeben. Für die Zahlung von Entgeltbestandteilen aufgrund betrieblicher Übung (meist als "Zuschläge" bezeichnet) gibt es keine gesetzliche Grundlage. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG liegt eine solche betriebliche Übung vor, wenn bestimmte Verhaltensweisen des Arbeitgebers regelmäßig wiederholt werden, sodass die Arbeitnehmer daraus schließen können, ihnen solle auf Dauer eine bestimmte Leistung oder Vergünstigung zukommen (vgl. z.B. BAG, 19.05.2005 - 3 AZR 660/03). Auf die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers kommt es nicht an; es reicht aus, wenn der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers dessen Verpflichtungswillen ableiten kann (Gratifikation - Freiwilligkeitsvorbehalt und Betriebliche Übung - Freiwilligkeitsvorbehalt).
Praxistipp:
Will der Arbeitgeber seinen Verpflichtungswillen für die Zukunft ausschließen, kann er das mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt tun. Dieser muss aber eindeutig formuliert sein und das Fehlen eines Rechtsbindungswillens zweifelsfrei erkennen lassen.
Ein solcher Ausschluss kann jedoch den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen und daher unwirksam sein, wenn er sich auf die laufenden Bezüge bezieht (BAG, 25.04.2007 - 5 AZR 627/06).
2.3 Abweichende tarifvertragliche Regelungen
Nach § 4 Abs. 4 EFZG kann die Bemessungsgrundlage der Entgeltfortzahlung abweichend von der gesetzlichen Regelung in einem Tarifvertrag festgelegt werden. Dabei können sowohl die Berechnungsmethode als auch die einzubeziehenden Bestandteile der Vergütung verändert werden. Zulässig sind auch Regelungen, die sich zu Ungunsten der Arbeitnehmer auswirken (BAG, 13.03.2002 - 5 AZR 648/00). Gerade die Fortzahlung von Zuschlägen bei Arbeitsunfähigkeit ist häufig in Tarifverträgen geregelt. Die Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien findet dort ihre Grenze, wo der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in seiner Substanz angetastet wird (BAG, 20.08.2014 - 10 AZR 583/13). Sie müssen insbesondere darauf achten, dass sie nicht gegen die anderen, nach § 12 EFZG zwingenden und nicht tarifdispositiven Bestimmungen des EFZG verstoßen. Dabei ist insbesondere der Grundsatz der vollen Entgeltfortzahlung zu berücksichtigen (BAG, 24.03.2004 – 5 AZR 346/03). So kann über- oder außertarifliche Vergütung nicht nach § 4 Abs. 4 S. 1 EFZG von der Entgeltfortzahlung ausgenommen werden (BAG, 27.04.2016 – 5 AZR 229/15).
3. Berücksichtigung von Zuschlägen
Zuschläge, die zusätzlich zu der laufenden Vergütung gezahlt werden, gehören entsprechend dem Entgeltausfallprinzip grundsätzlich zu der bei Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlenden Vergütung (BAG, 14.01.2009 - 5 AZR 89/08). Nach dieser Entscheidung des BAG sind Zuschläge für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen in die Krankheitsvergütung einzubeziehen, wenn der Arbeitnehmer laut Dienstplan oder Vereinbarung an diesen Tagen gearbeitet hätte. Die Zuschläge sind als Gegenleistung für die besonders belastende Arbeit an Sonn- und Feiertagen zu betrachten. Dabei spielt deren steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung keine Rolle. Ebenfalls als unbeachtlich sahen die Richter, dass der Arbeitnehmerin als Ausgleich für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen durch Zeitgutschriften Ersatzruhetage gewährt wurden.
In seinem Urteil vom 14.01.2009 hat das BAG ausdrücklich offen gelassen, ob in Bezug auf Sonn- und Feiertagszuschläge Freiwilligkeitsvorbehalte rechtswirksam vereinbart werden können. Darüber hinaus hat es betont, dass Leistungen, die nicht an die Erbringung der Arbeitsleistung in einem bestimmten Zeitabschnitt gekoppelt sind, sondern hiervon unabhängig aus besonderem Anlass gezahlt werden, bei der Entgeltfortzahlung unberücksichtigt bleiben. Neben dieser Klarstellung gibt es eine Reihe von Urteilen bzw. Verlautbarungen zu anderen Zuschlägen (siehe hierzu die folgenden Ausführungen).
4. Beispiele
4.1 Zuschläge, die einzubeziehen sind
In die Berechnung der Entgeltfortzahlung sind - vorbehaltlich eines wirksamen Ausschlusses durch Tarifvertrag - folgende Zuschläge einzubeziehen:
Antrittsgebühr im Druckereigewerbe, soweit die Einbeziehung in das Bemessungsentgelt nicht tarifvertraglich ausgeschlossen ist (BAG, 21.09.1971 - 1 AZR 336/70 Antrittsgebühr; Krankenlohn; Sonderleistung).
Anwesenheitsprämien, wenn sie zum laufenden Entgelt gehören. Andernfalls siehe § 4a EFZG und BAG, 25.07.2001 - 10 AZR 502/00.
Auslösungen an Montagearbeiter, soweit sie nicht als pauschaler Aufwendungsersatz gezahlt werden.
Erschwerniszulagen.
Familienzuschläge.
Feiertagszuschläge (BAG, 14.01.2009 - 5 AZR 89/08 - siehe auch oben).
Gefahrenzulagen.
Inkassoprämien, die Mitarbeitern nach einer Betriebsvereinbarung für den Einzug fälliger Rechnungsbeträge zustehen (BAG, 11.01.1978 - 5 AZR 829/76).
Kinderzuschläge.
Leistungszulagen.
Rufbereitschaft: Das im Referenzzeitraum erzielte Entgelt für die tatsächliche Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft nach § 22 Satz 2 TV-Ärzte/VKA ist in die Berechnung der Entgeltfortzahlung einzubeziehen (BAG, 06.09.2017 – 5 AZR 429/16).
Nachtarbeitszuschläge (§ 6 Abs. 5 ArbZG; BAG, 13.03.2002 - 5 AZR 648/00).
Naturalleistungen, siehe Sachbezüge
Prämien bei Berufssportlern (BAG, 06.12.1995 - 5 AZR 237/94; BAG, 22.08.1984 - 5 AZR 539/81).
Provisionen (BAG, 05.06.1985 - 5 AZR 459/83; siehe auch § 4 Abs. 1a S. 2 EFZG). Bei Umsatzprovisionen muss für die Entgeltfortzahlung auf den Verdienst abgestellt werden, den der Arbeitnehmer wahrscheinlich durch Abschlüsse erreicht hätte, wenn er an den ausgefallenen Tagen gearbeitet hätte. Bei Abschlüssen, die nur alle paar Wochen oder Monate zustande kommen, muss ein längerfristiger Referenzzeitraum zugrunde gelegt werden. Dieser muss nach Möglichkeit alle Schwankungsursachen umfassen und ausgleichen. In einem Verfahren vor dem LAG Köln wurde ein Zeitraum von zwölf Monaten als angemessen und sachgerecht angesehen (LAG Köln, 08.11.2018 – 6 Sa 256/18). Wird eine monatliche Abschlagszahlung geleistet und diese bei Arbeitsunfähigkeit weitergezahlt, ist damit der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht vollständig erfüllt. Zur Schätzung bei stark schwankenden Provisionen im Referenzzeitraum und einer vereinbarten monatlichen Mindestprovision siehe LAG Köln, 08.05.2020 – 4 Sa 662/19.
Sachbezüge sind in der Regel weiterhin in Natur zur Verfügung zu stellen (z.B. ein Dienstwagen, der auch privat genutzt werden kann). Können sie während der Arbeitsunfähigkeit nicht in Anspruch genommen werden, sind sie - ggf. nach den im Steuer- und Sozialversicherungsrecht festgelegten Werten - bar abzugelten.
Schichtzulagen: Bei der Berechnung des wegen Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlenden Bruttoverdienstes sind auch die Zuschläge für Schichtarbeit zu berücksichtigen (LAG Rheinland-Pfalz, 18.01.2018 – 5 Sa 305/17)
Sonderzahlungen, die eine Vergütung für geleistete Arbeit sind. Diese können aufgrund von § 4a EFZG nicht gekürzt werden, da sie nicht "zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt" erbracht werden. Will der Arbeitgeber andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben (LAG Niedersachsen, 17.01.2019 – 7 Sa 490/18). Die Sonderzahlung kann aber auch in diesem Fall ohne gesonderte arbeitsvertragliche Vereinbarung für die Zeiten gekürzt werden, in denen infolge von Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch (mehr) auf Entgeltfortzahlung besteht (siehe auch BAG, 15.08.2018 - 10 AZR 419/17).
Sonntagszuschläge (BAG, 14.01.2009 - 5 AZR 89/08 - siehe auch oben).
Treueprämien, die im Rahmen einer betrieblichen Gesamtzusage vereinbart sind (BAG, 22.03.2017 – 5 AZR 424/16).
Trinkgelder, auf die ein arbeitsvertraglicher Anspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Keine Berücksichtigung, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, von den Kunden des Arbeitgebers freiwillig gegebene Trinkgelder zu erlangen.
Vermögenswirksame Leistungen
Zuschläge zur Erreichung des Mindestlohnes. Soweit die Vergütung pro Arbeitsstunde unter dem Mindestlohn liegt und der Arbeitgeber dies durch Zahlung einer Zulage ausgleicht, ist diese Zulage auch für die Stunden zu leisten, für die dem Mitarbeiter Entgeltfortzahlung an Feiertagen und wegen Arbeitsunfähigkeit zusteht (BAG, 06.12.2017 – 10 AZR 699/16).
4.2 Zuschläge, die nicht einzubeziehen sind
Folgende Zuschläge sind nicht einzubeziehen:
Abgeltung für außerhalb der Arbeitszeit geleistete Betriebsratsarbeit. Leistet ein Betriebsratsmitglied außerhalb der individuellen Arbeitszeit Betriebsratsarbeit, ist diese - soweit die Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 BetrVG vorliegen - wie Mehrarbeit zu vergüten. Nach dem Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 1a EFZG und kann sie grundsätzlich bei der Entgeltfortzahlung nicht berücksichtigt werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Betriebsratsmitglied ständig zusätzlich zu seiner individuellen Arbeitszeit Betriebsratsarbeit leistet und eine bezahlte Arbeitsbefreiung nach näherer Maßgabe von § 37 Abs. 3 BetrVG nicht gewährt werden kann. Die Zeit der Betriebsratsarbeit ist dann als Arbeitszeit i.S.v. § 4 Abs. 1 EFZG zu behandeln. Das Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG lässt die Vereinbarung einer pauschalen Stundenvergütung zur Abgeltung von Betriebsratstätigkeiten nicht zu, wenn sie ohne sachlichen Grund gewährt wird und zu einer Verdiensterhöhung führt. Eine solche Vereinbarung ist nach § 134 BGB nichtig (BAG, 08.11.2017 – 5 AZR 11/17).
Aufwandsentschädigungen, die einen tatsächlichen Aufwand des Arbeitnehmers abgelten, der bei Arbeitsunfähigkeit nicht entsteht (z.B. Reisekostenerstattungen, Spesen, Werkzeuggeld - § 4 Abs. 1a EFZG).
Freizeitgutschriften, die nach Tarifvertrag an die tatsächliche Arbeitsleistung geknüpft sind (BAG, 20.10.1993 - 5 AZR 715/92).
Mehrarbeitsverdienst (§ 4 Abs. 1a EFZG). Ständig geleistete Überstunden können aber zu einer höheren regelmäßigen Arbeitszeit und daher zu höherer Entgeltfortzahlung führen (vgl. Entgeltfortzahlung - Überstunden).
Schmutzzulagen, mit denen lediglich ein erhöhter Reinigungsaufwand des Arbeitnehmers abgedeckt werden soll. Handelt es sich aber um eine Vergütung für erschwerte Arbeitsbedingungen in besonders verschmutzter Umgebung, ist die Zulage als Erschwerniszulage einzubeziehen.
Sonderzahlungen (wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, 13. Monatsgehalt), die nicht in Zusammenhang mit der laufenden Arbeitsleistung stehen (vgl. dazu auch § 4a EFZG). Will der Arbeitgeber andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben (LAG Niedersachsen, 17.01.2019 – 7 Sa 490/18). Die Sonderzahlung kann aber auch in diesem Fall ohne gesonderte arbeitsvertragliche Vereinbarung für die Zeiten gekürzt werden, in denen infolge von Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch (mehr) auf Entgeltfortzahlung besteht (siehe auch BAG, 15.08.2018 - 10 AZR 419/17).