Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Heimarbeit - Schwerbehinderte Menschen
Heimarbeit - Schwerbehinderte Menschen
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Schutz von in Heimarbeit Beschäftigten wäre nur unvollkommen, wenn nicht auch der Schutz besonderer Personengruppen gewährleistet wäre. Die schwerbehinderten Heimarbeiter sind so eine Personengruppe, für die sich der Gesetzgeber besonders stark gemacht hat. Das HAG wird in diesem Punkt durch das SGB IX ergänzt - und dort insbesondere durch § 210 SGB IX. Er regelt zum Teil sehr detailliert, welche Rechte in Heimarbeit beschäftigte Schwerbehinderte haben, und bezieht in Heimarbeit beschäftigte schwerbehinderte Menschen in den SGB IX-Schutzbereich ein.
Praxistipp:
Heimarbeit ist für schwerbehinderte Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, eine willkommene Möglichkeit, erwerbstätig zu sein und etwas für ihren Lebensunterhalt zu tun. Sie können von zuhause aus arbeiten und bekommen ihre Arbeit gewissermaßen frei Haus geliefert. Wer Heimarbeit ausgibt, sollte vielleicht daran denken, ob er dabei nicht gezielt schwerbehinderte Menschen in die engere Wahl nimmt.
In diesem Stichwort geht es nur um die Besonderheitenbei den in Heimarbeit beschäftigten Schwerbehinderten. Wegen der Einzelheiten zum Thema Schwerbehinderung - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - wird auf die Stichwörter Schwerbehinderte Menschen - Allgemeines ff. verwiesen. Wichtig zu wissen für Arbeitgeber: Schwerbehinderte Heimarbeiter und ihnen Gleichgestellte werden nach § 210 Abs. 1 SGB IXauf die Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen angerechnet. Sonderregeln gibt es für schwerbehinderte Arbeitnehmer u.a. bei der Kündigungsfrist (§ 210 Abs. 2 SGB IX) und beim Urlaubsentgelt (§ 210 Abs. 3 SGB IX).
2. Anrechnung auf Pflichtplätze
Arbeitgeber haben nach den §§ 154 ff. SGB IX eine Beschäftigungspflicht für schwerbehinderte Arbeitnehmer und müssen dazu bestimmte Quoten erfüllen. Tun sie das nicht, werden sie zu einer Ausgleichsabgabe herangezogen (s. dazu §§ 160 ff. SGB IX und das Stichwort Schwerbehinderte Menschen - Ausgleichsabgabe).
Schwerbehinderte Menschen, die
in Heimarbeit beschäftigt
oder diesen gleichgestellt sind
und in der Hauptsache für den gleichen Auftraggeber arbeiten,
werden auf die Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen dieses Auftraggebers angerechnet (§ 210 Abs. 1 SGB IX). Auf Antrag des Auftraggebers können nach Maßgabe des § 210 Abs. 4 SGB IX auch schwerbehinderte Menschen, die als fremde Hilfskräfte eines Hausgewerbetreibenden oder eines Gleichgestellten beschäftigt sind, auf Pflichtarbeitsplätze angerechnet werden (§ 210 Abs. 4 Satz 1 SGB IX).
Beispiel:
Auftraggeber A hat einen Fertigungsbetrieb und gibt bestimmte Verpackungstätigkeiten an Heimarbeiter (§ 2 Abs. 1 HAG) und Hausgewerbetreibende (§ 2 Abs. 2 HAG) heraus. Heimarbeiter H ist schwerbehindert mit einem GdB von 70. Hausgewerbetreibender G beschäftigt zwei fremde Hilfskräfte, von denen eine mit einem GdB von 50 schwerbehindert ist. H wird nach § 210 Abs. 1 SGB IX auf die Pflichtquote angerechnet. Wegen der schwerbehinderten Hilfskraft, die G beschäftigt, kann A einen Antrag nach § 210 Abs. 4 SGB IX stellen. Er bekommt damit die Möglichkeit, eine fremde Hilfskraft, die nicht einmal "sein" Heimarbeitnehmer ist, auf die Anzahl der Pflichtplätze anrechnen zu lassen.
Die Anrechnungsvorschrift ist notwendig, weil Auftraggeber von Heimarbeit in der Regel keine Arbeitsplätze i.S.d. § 156 SGB IX haben und deswegen keine Arbeitgeber sind. Zudem sind die in Heimarbeit Beschäftigten keine Arbeitnehmer i.S.d. Arbeitsrechts, sondern arbeitnehmerähnliche Personen (s. dazu das Stichwort Arbeitnehmer - Allgemeines).
3. Verlängerung der Kündigungsfristen
Soweit es keine anderweitigen Regelungen gibt, beträgt die Kündigungsfrist für Heimarbeitsverhältnisse, in denen ein in Heimarbeit Beschäftigter von einem Auftraggeber oder Zwischenmeister länger als vier Wochen beschäftigt wird, zwei Wochen (§ 29 Abs. 2 HAG).
Beispiel:
Auftraggeber A hat die Heimarbeiter H1 und H2 neu in den Kreis seiner Heimarbeiter aufgenommen. Bei H1 merkt A schon nach einer Woche, dass er den Anforderungen an die Tätigkeit nicht gewachsen ist. A kann sein Beschäftigungsverhältnis nach § 29 Abs. 1 HAG mit einer Kündigungsfrist von einem Tag zum Ablauf des nächsten Tags kündigen. H2 hinterlässt zunächst einen guten Eindruck, nach sechs Wochen kommt A aber auch bei ihm zu der Überzeugung, dass er nicht sorgfältig genug gearbeitet. A kann das Heimarbeitsverhältnis von H2 nun nach § 29 Abs. 2 HAG nur noch mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen beenden.
Für in Heimarbeit beschäftigte und diesen gleichgestellte schwerbehinderte Menschen wird die in § 29 Abs. 2 HAG festgelegte Kündigungsfrist von zwei auf vier Wochen erhöht (§ 210 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX).
Beispiel:
Wären H1 und H2 in dem voraufgehenden Fall schwerbehindert, gilt Folgendes: A kann das Heimarbeitsverhältnis von H1 trotz der Schwerbehinderung mit einer Frist von einem Tag beenden. § 210 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gilt nicht für die kurze Kündigungsfrist des § 29 Abs. 1 HAG. Bei H2 ist das anders. Wäre er schwerbehindert, würde sich seine ursprünglich zweiwöchige Kündigungsfrist aus § 29 Abs. 2 SGB IX über § 210 Abs. 2 SGB IX auf vier Wochen erhöhen.
"Für die Dauer der Kündigungsfrist nach den Absätzen 2 bis 5 hat der Beschäftigte auch bei Ausgabe einer geringeren Arbeitsmenge Anspruch auf Arbeitsentgelt in Höhe von einem Zwölftel bei einer Kündigungsfrist von zwei Wochen, zwei Zwölfteln bei einer Kündigungsfrist von vier Wochen, drei Zwölfteln bei einer Kündigungsfrist von einem Monat, vier Zwölfteln bei einer Kündigungsfrist von zwei Monaten, sechs Zwölfteln bei einer Kündigungsfrist von drei Monaten, acht Zwölfteln bei einer Kündigungsfrist von vier Monaten, zehn Zwölfteln bei einer Kündigungsfrist von fünf Monaten, zwölf Zwölfteln bei einer Kündigungsfrist von sechs Monaten und vierzehn Zwölfteln bei einer Kündigungsfrist von sieben Monaten des Gesamtbetrages, den er in den dem Zugang der Kündigung vorausgegangenen 24 Wochen als Entgelt erhalten hat. Bei Entgelterhöhungen während des Berechnungszeitraums oder der Kündigungsfrist ist von dem erhöhten Entgelt auszugehen. Zeiten des Bezugs von Krankengeld oder Kurzarbeitergeld sind in den Berechnungszeitraum nicht mit einzubeziehen."
- ist sinngemäß anzuwenden (§ 210 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB IX).
Der besondere Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen i.S.d. §§ 168 ff. SGB IX gilt auch für die in § 210 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannten Personen (§ 127 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Weitere Informationen dazu stehen im Stichwort Schwerbehinderte Menschen - Kündigungsschutz).
4. Bezahlung des zusätzlichen Urlaubs
Schwerbehinderte Arbeitnehmer - nicht Schwerbehinderte nur Gleichgestellte (!), § 151 Abs. 3 SGB IX - haben nach § 208 SGB IX Anspruch auf eine Woche Zusatzurlaub (s. dazu das Stichwort Schwerbehinderte Menschen - Zusatzurlaub).
Beispiel:
Arbeitnehmer N ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Heimarbeiter H ist ebenfalls schwerbehindert, auch er hat einen GdB von 50. Hat N bei einer 5-Tage-Woche einen Urlaubsanspruch von 25 Arbeitstagen (= 5 Wochen), bekommt er über § 208 SGB IX eine weitere Woche (= 5 Arbeitstage) Zusatzurlaub. H hat - ohne besondere Regelung in einem Arbeits- oder Tarifvertrag - über §§ 12 Satz 1, 3 Abs. 1 BUrlG einen gesetzlichen Urlaubsanspruch von 24 Werktagen. Zu diesen 24 Werktagen bekommt er über §§ 210 Abs. 3, 208 Abs. 1 SGB IX eine weitere Woche (= 6 Werktage) dazu.
Die Bezahlung des zusätzlichen Urlaubs der in Heimarbeit beschäftigten oder diesen gleichgestellten schwerbehinderten Menschen erfolgt nach den für die Bezahlung ihres sonstigen Urlaubs geltenden Berechnungsgrundsätzen (§ 210 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Das heißt in der Regel: Heimarbeiter (§ 1 Abs. 1 lit. a) HAG) und - nach § 1 Abs. 2 lit. a) HAG - Gleichgestellte erhalten von ihrem Auftraggeber oder, falls sie von einem Zwischenmeister beschäftigt werden, von diesem bei einem Anspruch auf 24 Werktage Urlaub ein Urlaubsentgelt von 9,1 vom Hundert des in der Zeit vom 01.05. bis zum 30.04. des folgenden Jahres oder bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses verdienten Arbeitsentgelts vor Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ohne Unkostenzuschlag und ohne die für den Lohnausfall an Feiertagen, den Arbeitsausfall infolge Krankheit und den Urlaub zu leistenden Zahlungen (§ 12 Nr. 1 BUrlG).
Beispiel:
Heimarbeiter H aus dem voraufgehenden Beispiel hat Anspruch auf eine Woche Zusatzurlaub. Diese Woche Zusatzurlaub ist - wie der gesetzliche Mindesturlaub - mit 9,1 vom Hundert des nach § 12 Nr. 1 BUrlG zu berechnenden Urlaubsentgelts zu vergüten - wobei die Woche Zusatzurlaub natürlich nur anteilig zu berücksichtigen ist: 9,1 % des Bemessungsentgelts: 24 Werktage Mindesturlaub x 6 Werktage Zusatzurlaub = Vergütungsanteil für die Woche Zusatzurlaub.
Besteht keine besondere Regelung, erhalten Schwerbehinderte als zusätzliches Urlaubsgeld zwei Prozent des in dem Zeit vom 01.05. des vergangenen bis zum 30.04. des laufenden Jahrs verdienten Arbeitsentgelts ausschließlich der Unkostenzuschläge (§ 210 Abs. 3 Satz 2 SGB IX). Urlaubsgeld, um das noch einmal abzugrenzen, ist eine zusätzliche Leistung des Auftraggebers, die über das in § 210 Abs. 3 Satz 1 SGB IX geregelte Urlaubsentgelt hinausgeht
5. Erfassungs- und Auskunftspflichten des Auftraggebers
Der Arbeitgeber schwerbehinderter Menschen hat die Pflicht,
gesondert für jeden Betrieb und jede Dienststelle laufend ein Verzeichnis der bei ihm beschäftigten Schwerbehinderten, Gleichgestellten und sonstigen anrechnungsfähigen Personen zu führenund dieses den Vertretern oder Vertreterinnen der Bundesagentur für Arbeit und des Integrationsamtes, die für den Sitz des Betriebs oder der Dienststelle zuständig sind, auf Verlangen vorzulegen (§ 163 Abs. 1 SGB IX);
der Bundesagentur für Arbeit und dem Integrationsamt auf Verlangen Auskünfte zu erteilen, die zur Durchführung der besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen und ihnen gleichgestellter behinderter Menschen am Arbeitsleben notwendig sind (§ 163 Abs. 5 SGB IX).
Die Verpflichtungen aus § 163 Abs. 1 u. 5 SGB IX gelten auch für die Personen, die Heimarbeit ausgeben (§ 210 Abs. 6 SGB IX).
Wer vorsätzlich oder fahrlässig
entgegen § 163 Abs. 1 SGB IX ein Verzeichnis nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht in der vorgeschriebenen Weise führt oder nicht oder nicht rechtzeitig vorlegt (§ 283 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX),
entgegen § 163 Abs. 5 SGB IX eine Auskunft nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erteilt (§ 283 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX),
handelt ordnungswidrig. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 10.000 EUR geahndet werden (§ 283 Abs. 2 SGB IX). Die Geldbußen fließen in die Kasse der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat (§ 238 Abs. 4 SGB IX). § 66 SGB X - Vollstreckung - gilt entsprechend (§ 238 Abs. 4 Satz 2 SGB IX).