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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Schwerbehinderte Menschen - Allgemeines
Schwerbehinderte Menschen - Allgemeines
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Die Rehabilitation und die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen werden durch das SGB IX geregelt. Es legt auch fest, welche Besonderheiten der Arbeitgeber bei der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen beachten muss. Durch das Bundesteilhabegesetz, das bereits Ende 2016 beschlossen wurde und das in vier Teilschritten bis 01.01.2023 die Vorschriften des SGB IX verändert, soll die Lebenssituation von behinderten Menschen weiter verbessert werden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die jeweils aktuelle Fassung des SGB IX.
Das Behindertenrecht ist Ausfluss des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Neben dem SGB IX schützt auch das AGG, indem es die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen verbietet.
2. Ziel des Behindertenrechts
Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach dem SGB IX, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden und ihnen entgegenzuwirken (§ 1 S. 1 SGB IX). Nachteile im Beruf sollen vermieden werden, indem die Arbeitgeber gesetzliche Auflagen beachten müssen. Nach einer im Jahr 2022 veröffentlichten Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sehen viele Betriebe mit schwerbehinderten Menschen in ihrer Belegschaft keine bzw. geringe Unterschiede in Bezug auf Arbeitsmotivation, Leistungsfähigkeit, Einarbeitung und Fehlzeiten zwischen Menschen mit und ohne Schwerbehinderung. 80 Prozent der Betriebe, die die Schwerbehindertenquote nicht erfüllen, nennen als Begründung einen Mangel an geeigneten Bewerbern.
Der behinderte Mensch hat zum Ausgleich von Nachteilen eine Reihe von Rechten. Ihn treffen aber auch Pflichten. Hat eine Arbeitnehmerin bei Einstellung dem Arbeitgeber gegenüber Mitteilung über das Bestehen einer Schwerbehinderung gem. § 2 Abs. 2 SGB IX gemacht, so trifft sie die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, den Arbeitgeber zu informieren, wenn sich der Grad der Behinderung so ändert, dass der Status als schwerbehinderter Mensch entfällt. Es stellt einen Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB dar, wenn sich eine Arbeitnehmerin in einem Antrag auf Teilnahme an der Telearbeit und bei Gesprächen über eine mögliche Versetzung auf den Status als schwerbehinderter Mensch beruft, obwohl sie weiß, dass dies nicht mehr zutrifft (LAG Hessen, 08.08.2018 – 13 Sa 1237/17).
3. Begriffe
3.1 Schwerbehinderung
Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen Personen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50, sofern sie ihren Wohnsitz bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i.S.v. § 156 SGB IX rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland haben.
3.2 Behinderung
Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische oder geistige Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (§ 2 Abs. 1 SGB IX).
Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Körper- oder Geisteszustand von dem für das Lebensalter typischen abweicht (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Keine Behinderung liegt daher vor, wenn z.B. ein Kleinkind noch nicht laufen kann oder die Bewegungsfähigkeit eines sehr alten Menschen eingeschränkt ist. Unerheblich für das Vorliegen der Behinderung ist, auf welchem Ereignis (z.B. Unfall, Krankheit, Geburtsfehler) die Beeinträchtigung beruht. Dies gilt auch, wenn das zur Beeinträchtigung führende Ereignis selbst verschuldet sein sollte.
3.3 Grad der Behinderung
3.3.1 Rechtsgrundlagen
Nach § 152 Abs. 1 S. 5 SGB IX wird der Grad der Behinderung (GdB) und damit auch die Schwerbehinderteneigenschaft anhand der Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei kommt es nicht auf die aktuell ausgeübte Erwerbstätigkeit an. Entscheidend für die Feststellung des GdB ist die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, nicht aber die ihr zugrunde liegenden Erkrankungen (LSG Nordrhein-Westfalen, 03.04.2020 – L 13 SG 93/19). Über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus sind auch weitere Umstände auf gesamt-gesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (LSG Bayern, 26.09.2019 – L 18 SB 119/16). Die Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Das SGB IX enthält keine eigenen Maßstäbe für die Feststellung des GdB. Vielmehr ist aufgrund der gesetzlichen Verweisung das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung anzuwenden. In entsprechender Anwendung des § 30 Abs. 1 BVG ist der GdB nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die bestehenden körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Zur konkreten Bestimmung des GdB kommen folgende Vorschriften zur Anwendung:
Die aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 16 BVG erlassene Versorgungsmedizin – Verordnung vom 10.12.2008 und
die als Anlage 2 zu dieser Verordnung erlassenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze.
Nach § 153 Abs. 2 SGB IX kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch eine Rechtsverordnung Grundsätze u.a. für den Grad der Behinderung regeln. Soweit dies – wie bisher - nicht geschehen ist, gelten die oben genannten Regelungen weiter (§ 241 Abs. 5 SGB IX).
Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze haben eine hohe Verbindlichkeit auch bei der Überprüfung der Verwaltungsentscheidungen durch die Sozialgerichtsbarkeit. In ihnen ist "der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben und (sie ermöglichen) auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügt. Eine Abweichung von den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen kann daher nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ansonsten ist es nicht zulässig, eine vom Gutachter festgestellte Behinderung mit einem GdB-Wert zu bemessen, der nicht im Einklang mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen steht." (LSG Nordrhein-Westfalen, 03.09.2018 – L 21 SB 102/16).
Zur Feststellung des GdB bei kindlichem Entwicklungsrückstand siehe LSG Sachsen-Anhalt, 12.09.2018 – L 7 SB 53/14.
Im Schwerbehindertenrecht kommt es nicht darauf an, durch welche Ursachen die Erkrankung verursacht wird: Ob es eine Multiple Chemikalien-Sensitivität, eine durch Umwelteinflüsse veranlasste Erkrankung, oder eine psychiatrische Erkrankung ist, ist für die Entscheidung schwerbehindertenrechtlicher Verfahren daher ohne Belang (LSG Niedersachsen-Bremen, 28.04.2022 - L 10 SB 106/18).
3.3.2 Mehrere Beeinträchtigungen
Bei mehreren Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist deren Gesamtauswirkung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen maßgeblich (§ 152 Abs. 3 SGB IX; LSG Berlin-Brandenburg, 26.09.2019 – L 13 SB 233/18). Dabei sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander entscheidend (vgl. LSG Bayern, 15.01.2020 – L 2 SB 178/18 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 14.12.2020 – B 9 SB 22/20 B). Eine Addition der verschiedenen GdB scheidet also aus (siehe auch BSG, 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R).
In solchen Fällen ist nach der Rechtsprechung wie folgt vorzugehen:
In einem ersten Schritt sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen i.S.v. regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gem. § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Im zweiten Schritt sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche (Gesamt-)GdB zu bilden (BSG, 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R). Es ist zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (LSG Baden-Württemberg, 19.11.2018 – L 8 SB 3021/17; LSG Berlin-Brandenburg, 24.10.2019 – L 13 SB 158/17; LSG Nordrhein-Westfalen, 04.03.2021 – L 17 SB 143/20). Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R; LSG Baden-Württemberg, 22.10.2021 – L 12 SB 211/21 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 23.02.2022 – B 9 SB 74/21 B). Außerdem sind nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen, Teil A Nr. 3 b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der Tabelle dieser Grundsätze feste GdB-Werte angegeben sind (BSG, 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R – siehe auch LSG Nordrhein-Westfalen, 21.09.2018 – L 21 SB 164/16). Aus Einzel-GdB von 40 und 10 folgt in aller Regel ein Gesamt-GdB von 40, aus Einzel-GdB von 40 und 20 ein Gesamt-GdB von regelmäßig 40 und nur ausnahmsweise von 50 und aus Einzel-GdB von 40 und 30 in aller Regel ein Gesamt-GdB von 50. Eine Erhöhung kommt auch in Betracht, wenn ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betroffen sind (LSG Berlin-Brandenburg, 06.01.2020 - L 11 SB 177/17). Eine schlichte Addition der Einzel-GdB kommt nicht in Betracht; dies gilt auch für andere rechnerische Modelle (BSG, 19.12.2019 – B 9 SB 38/19 B). Nach Teil A Nr. 3 ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung (LSG Nordrhein-Westfalen, 04.02.2019 – L 17 SB 122/18).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen vor, sind für die Erhöhung des Gesamt-GdB nur diejenigen relevant, die für sich gesehen einen GdB von mehr als 10 bedingen (LSG Nordrhein-Westfalen, 20.11.2020 – L 13 SB 236/19). Dies gilt auch, wenn mehrere solcher Beeinträchtigungen mit einem GdB von nicht mehr als 10 nebeneinander bestehen (LSG Baden-Württemberg, 13.11.2020 – L 8 SB 2/19).
3.4 Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt oder Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland
Weitere Voraussetzung für die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch ist, dass die behinderte Person ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland hat. Die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt sind in § 30 Abs. 3 SGB I legal definiert. Bei Ausländern und Staatenlosen bedarf es eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Ausreichend ist auch eine ausländerrechtliche Duldung. Der Aufenthalt in diesem Fall bleibt zwar rechtswidrig, durch die Aussetzung der Abschiebung kann der Betroffene aber von den Vergünstigungen aufgrund des GdB nicht ausgeschlossen werden (BSG, 29.04.2010 - B 9 SB 1/10 R).
4. Verfahren zur Feststellung der Behinderung
4.1 Rechte der Betroffenen
Der Status des Schwerbehinderten gehört zu den Persönlichkeitsrechten. Der Betroffene kann frei entscheiden, wie er damit umgeht. Es bleibt z.B. in sein Belieben gestellt, ob er die Behinderung feststellen lässt, einen Schwerbehindertenausweis beantragt, ob er ihn vorlegt und ob er einzelne Behinderungen von der Feststellung ausnimmt (BSG, 22.10.1986 - 9a RVs 3/84). Eine Herausnahme einzelner Behinderungen aus der Anerkennung kann aber nur dann wirksam vorgenommen werden, wenn dem behinderten Menschen die fragliche Behinderung bereits bekannt ist (LSG Baden-Württemberg, 21.02.2019 – L 5 SB 4715/17).
4.2 Versorgungsverwaltung
Ob eine Behinderung vorliegt und welchen Grad sie hat, stellt auf Antrag des Betroffenen die zuständige Versorgungsverwaltung fest (§ 152 Abs. 1 SGB IX). Der Antrag ist an das örtlich zuständige Versorgungsamt zu richten. Durch Landesrecht kann die zuständige Stelle auch abweichend festgelegt werden; davon haben viele Länder Gebrauch gemacht. So ist z.B. in Sachsen und Thüringen die Stadtverwaltung oder das Landratsamt zuständig; in Rheinland-Pfalz das Amt für soziale Angelegenheiten. Für den Antrag werden Formulare bereitgehalten, mit denen umfangreiche Angaben über die gesundheitliche Situation erhoben werden. Eine Vertretung ist zulässig (§ 13 SGB X). Der Bevollmächtigte hat seine Vollmacht aber auf Verlangen schriftlich nachzuweisen.
4.3 Verfahren
Die Versorgungsverwaltung ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie kann sich dabei auf eine Anhörung der behandelnden Ärzte des Antragstellers stützen, wenn diese unter Berücksichtigung der weiteren vorliegenden medizinischen Unterlagen ein schlüssiges und überzeugendes Bild von den Funktionsbeeinträchtigungen des Antragstellers vermitteln (LSG Baden-Württemberg, 22.04.2020 - 6 Sa 361/19). Der Grundsatz der Amtsermittlung i.S.v. §§ 20 und 21 SGB X gilt auch im Rahmen sogenannter Massenverfahren wie die Feststellung des GdB. Der Verzicht auf Beweismittel kann nicht mit Arbeitsbelastung oder Personalmangel gerechtfertigt werden. Wenn verwaltungsseitig bewusst in Kauf genommen wird, dass aus Gründen der Arbeitsersparnis möglicherweise rechtswidrig ein zu hoher GdB festgestellt wird, lässt sich dies nicht mit der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz vereinbaren (LSG Baden-Württemberg, 03.12.2020 - L 3 SB 2455/20 B).
Im Übrigen bedient sie sich bei ihrer Entscheidung eines ärztlichen Sachverständigen. Dafür werden insbesondere Befundberichte der behandelnden Ärzte angefordert. Es kann auch auf Unterlagen von Renten-, Pflege- oder Unfallversicherung zurückgegriffen werden. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze enthalten Tabellen, die für die verschiedenen Gesundheitsstörungen Anhaltswerte und Beurteilungsspielräume vorgeben. Von den Tabellenwerten kann aber aufgrund der individuellen Gegebenheiten abgewichen werden.
4.4 Antragstellung
Gesetzlich festgelegt ist, dass sich die Feststellung auf den Zeitpunkt der Antragstellung bezieht. Auf Antrag kann aber auch festgestellt werden, dass ein GdB oder gesundheitliche Merkmale (für Nachteilsausgleiche siehe Schwerbehinderte Menschen - Nachteilsausgleich) bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Ein solches besonderes Interesse könnte z.B. mit den Sonderregelungen hinsichtlich des Kündigungsschutzes begründet werden (§ 168 SGB IX). Ebenfalls kann ein besonderes Interesse durch eine beabsichtigte Inanspruchnahme konkreter Steuervorteile glaubhaft gemacht werden (LSG Baden-Württemberg, 21.02.2019 – L 6 SB 4715/17). Das LSG Sachsen-Anhalt hat offen gelassen, ob ein beabsichtigtes Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens, das zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis geführt hat, ausreichend ist, um ein besonderes Interesse an der rückwirkenden Feststellung des GdB zu begründen (LSG Sachsen-Anhalt, 18.05.2020 – L 7 SB 83/15 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 27.11.2020 – B 9 SB 29/20 B).
Eine rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft scheidet aber aus, wenn dazu früher ein rechtswirksamer und rechtmäßiger Bescheid ergangen ist (LSG Niedersachsen-Bremen, 27.12.2019 – L 10 SB 122/16; Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 16.09.2020 - B 9 SB 6/20 B).
4.5 Verwaltungsakt, Widerspruch und Klage
Die Versorgungsverwaltung entscheidet durch Verwaltungsakt über das Vorliegen einer Behinderung, den Grad der Behinderung und über die Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche. Der Bescheid kann befristet werden. Dies ist insbesondere bei Erkrankungen der Fall, bei denen nach der Behandlung eine gewisse Zeit abgewartet werden muss, um festzustellen, ob die Heilung von Dauer ist (insbesondere nach Krebs, sogenannte Heilungsbewährung - siehe BSG, 12.10.2018 – B 9 SB 1/17 R). Die Rechtmäßigkeit des Bescheides der Versorgungsverwaltung bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, spätere eventuelle Veränderungen während des Gerichtsverfahrens werden nicht berücksichtigt (siehe hierzu LSG Berlin-Brandenburg, 28.03.2019 - L 13 SB 101/16). Ggf. kann gegen den Verwaltungsakt nach dem erfolglosen Widerspruch Klage beim Sozialgericht erhoben werden. Dabei kann sich der Behinderte vertreten lassen. Registrierte Rentenberater dürfen jedoch Rechtsdienstleistungen im Schwerbehindertenrecht nur in Angelegenheiten mit Bezug zu gesetzlicher Rente erbringen (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 RDG) bzw. zu Versorgungleistungen. Dies ist frühestens drei Jahre von dem möglichen Beginn einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen der Fall (SG Stuttgart, 10.04.2019 – S 22 SB 6940/17).
Alterlaubnisinhaber dürfen dagegen weiterhin unter ihrer bisher geführten Berufsbezeichnung Rechtsdienstleistungen in allen Bereichen des Rechts erbringen, auf die sich ihre bisherige Erlaubnis erstreckt (LSG Niedersachsen-Bremen, 22.07.2021 – L 10 SB 2/18 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 11.05.2022 – B 9 SB 67/21 B).
Soweit der Betroffene die Kosten eines Verfahrens nicht selbst bestreiten kann, besteht ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe.
Im Rahmen eines Klageverfahrens können auch nachträglich eingetretene Gesundheitsverschlechterungen geltend gemacht werden. Dies entfällt nicht durch die bloße Möglichkeit, im Verwaltungsweg einen Antrag auf Neufeststellung des GdB zu stellen. Beide Verfahren sind eigenständig und schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich funktions- und bereichsspezifisch. Dementsprechend darf die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht mit der Begründung versagt werden, die nachträgliche Gesundheitsverschlechterung könne außergerichtlich in einem Verfahren zur Neufeststellung des GdB geltend gemacht werden (LSG Thüringen, 19.04.2022 – L 5 SB 1045/21 B).
Im Rahmen eines Gerichtsverfahrens kann auch ein Gutachter hinzugezogen werden. Dabei steht es dem zu Begutachtenden im Grundsatz frei, eine Vertrauensperson zu einer Untersuchung mitzunehmen. Das Gericht kann jedoch den Ausschluss der Vertrauensperson anordnen, wenn ihre Anwesenheit im Einzelfall eine geordnete, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwert oder verhindert. Dabei sind Differenzierungen, z.B. nach der Beziehung der Beteiligten zur Begleitperson, dem medizinischen Fachgebiet oder unterschiedlichen Phasen der Begutachtung in Betracht zu ziehen (BSG, 27.10.2022 - B 9 SB 1/20 R).
4.6 Aufhebung des Bescheids
Der Bescheid kann auch aufgehoben werden, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die bei dem Erlass des Bescheides vorgelegen haben, wesentlich geändert haben (§ 48 Abs. 1 SGB X; siehe auch LSG Sachsen, 07.02.2019 – L 9 SB 36/17). Das ist aber nicht der Fall, wenn an sich gleichbleibende Verhältnisse später abweichend beurteilt werden (LSG Niedersachsen-Bremen, 12.04.2018 – L 13 SB 76/17). Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, dass in dem Gesundheitszustand des Betroffenen Änderungen eingetreten sind, die nachvollziehbar die betreffenden Funktionsbeeinträchtigungen verringert oder verschlechtert haben. Für das Vorliegen dieser Änderung trifft die Versorgungsbehörde, die sich in dem Aberkennungsbescheid hierauf beruft, die materielle Beweislast (LSG Berlin-Brandenburg, 28.03.2019 - L 13 SB 101/16). Eine "wesentliche Änderung" i.S.d. § 48 Abs. 1 SGB X ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades um wenigstens 10 ergibt (LSG Sachsen-Anhalt, 12.09.2018 – L 7 SB 53/14; LSG Nordrhein-Westfalen, 13.03.2020 – L 13 SB 115/18). Dabei ist auf einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten abzustellen (LSG Hamburg, 19.05.2022 - L 3 SB 7/19). Dabei ist auf einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten abzustellen (LSG Hamburg, 19.05.2022 - L 3 SB 7/19). Die Rechtmäßigkeit eines bloßen Herabsetzungsbescheids bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, spätere eventuelle Veränderungen während des Gerichtsverfahrens werden nicht berücksichtigt (LSG Berlin-Brandenburg, 28.03.2019 - L 13 SB 101/16). Eine Aufhebung des Verwaltungsaktes ist in der Regel für die Zukunft möglich. Eine rückwirkende Aufhebung ist nur ausnahmsweise, unter den in § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X genannten Voraussetzungen zulässig (vgl. BSG, 16.12.2021 – B 9 SB 7/19 R).
Ein Verwaltungsakt, der unzulässig einen GdB ab einem Zeitpunkt herabsetzt, der vor der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes liegt, ist in der Weise zeitlich teilbar, dass er auch die zulässige Herabsetzung des GdB ab dem Bekanntgabezeitpunkt beinhaltet (BSG, 16.12.2021 - B 9 SB 6/19 R u. B 9 SB 7/19 R). Zu der gleichen Rechtsfrage ist unter dem Az. B 9 SB 3/20 R ein weiteres Revisionsverfahren anhängig.
Soweit im Klageverfahren ein höherer Grad der Behinderung durch das Sozialgericht festgestellt wird, ist diese Entscheidung auch dann zu vollziehen, wenn die Versorgungsverwaltung dagegen Berufung eingelegt hat. Soweit sie dagegen Bedenken hat, kann sie bei der Berufungsinstanz die Aussetzung der Vollstreckung beantragen (§ 199 Abs. 2 S. 1 SGG – LSG Bayern, 01.12.2020 – L 18 SB 160/20 ER).
Das Gesetz sieht eine Feststellung eines GdB von 0 nicht vor, sodass ein solches Verlangen nicht gerichtlich durchgesetzt werden kann (LSG Nordrhein-Westfalen, 20.05.2021 – L 6 SB 172/20).
4.7 Mitwirkungspflicht
Der Antragsteller hat im Verwaltungsverfahren eine Mitwirkungspflicht (§ 60 SGB I). Die Grenzen der Mitwirkung sind in § 65 SGB I festgelegt. Will die Versorgungsverwaltung den GdB herabsetzen und wirkt der Bürger nicht in dem erforderlichen Umfang mit, ist aus diesem Grund die Herabstufung nach § 66 SGB I nur zulässig, wenn zuvor auf die Folgen der fehlenden Mitwirkung hingewiesen wurde (BSG, 12.10.2018 – B 9 SB 1/17 R). Der Hinweis der Behörde muss nach § 66 Abs. 3 SGB I über die konkreten Rechtswirkungen der fehlenden Mitwirkung informieren. Der Leistungsträger muss also unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die beabsichtigt ist, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommt (BSG, 12.10.2018 – B 9 SB 1/17 R). Etwas Anderes kann jedoch gelten, wenn bei einer psychischen Erkrankung eine an sich durchzuführende Psychotherapie nicht zustande kommt, weil schwere soziale Anpassungsprobleme bestehen und dem Erkrankten die notwendige Einsichtsfähigkeit fehlt. Auch die fehlende Mitwirkung an einer gerichtlich angeordneten psychiatrischen Begutachtung muss dann nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (SG Stuttgart, 30.05.2018 – S 25 SB 1515/17).
Auch im Rahmen eines Sozialgerichtsverfahrens besteht eine Mitwirkungspflicht an der Aufklärung des (medizinischen) Sachverhalts. Kommt der Kläger dem nicht nach, ist die (weitere) Rechtsverfolgung durch den Kläger missbräuchlich. Ein Missbrauch ist dann anzunehmen, wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und sie von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (vgl. auch § 34 Abs. 2 BVerfGG). Für jeden verständigen Beteiligten ist offensichtlich, dass Feststellungen im Zusammenhang mit einem Verschlimmerungsantrag betreffend die Höhe des GdB sowie einem Antrag auf Nachteilsausgleiche nur auf der Grundlage aussagekräftiger medizinischer Befunde und diese auswertende sachverständiger Feststellungen möglich sind. Kann durch die fehlende Mitwirkung der medizinische Sachverhalt nicht geklärt werden, geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren herrschenden Grundsatz der objektiven Beweislast prozessual zu Lasten des Klägers, so dass er diese gegen sich gelten lassen muss (LSG Nordrhein-Westfalen, 19.05.2022 - L 13 SB 162/18).
5. Schwerbehindertenausweis
Gem. § 152 Abs. 5 SGB IX wird auf Antrag dem Behinderten ein Ausweis mit Lichtbild über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch sowie den Grad der Behinderung ausgestellt. Der Schwerbehindertenausweis dient nicht nur dem Nachweis der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, sondern auch anderer gesundheitlicher Merkmale wie der erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Die Einzelheiten zu dem Ausweis sind in der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 15.05.1981 geregelt. Wie auch der Bescheid der Versorgungsbehörde kann der Schwerbehindertenausweis befristet werden. Nach § 152 Abs. 5 S. 3 SGB IX soll der Ausweis befristet werden. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift soll sogar im Regelfall eine Befristung erfolgen; ein unbefristeter Ausweis kommt nach dem Willen des Gesetzgebers nur ausnahmsweise in Betracht. Dementsprechend hat das LSG Baden-Württemberg entschieden, dass ein Schwerbehindertenausweis ist auch bei unbefristeter Feststellung des GdB nach § 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX grundsätzlich zu befristen ist; ein behinderter Mensch könne nicht beanspruchen, dass der GdB unabhängig von möglichen künftigen Veränderungen seines Gesundheitszustandes auf Dauer unveränderbar festgestellt und ein entsprechender Ausweis ausgestellt wird (LSG Baden-Württemberg, 18.02.2022 - L 8 SB 2527/21).
Der Betroffene hat auch bei einer GdB von 100 keinen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Ausweises. Dies gilt selbst dann, wenn eine Änderung in seinem Gesundheitszustand nicht zu erwarten ist (LSG Thüringen, 14.10.2021 – L 5 SB 1259/19).
6. Rechtsprechung
Die Anerkennung einer Behinderung bzw. einer Schwerbehinderung ist oft umstritten. Die folgende Übersicht gibt wichtige Entscheidungen der Gerichte wieder, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
Stichwort | Inhalt der Entscheidung/ (redaktioneller) Leitsatz bzw. Rechtsfrage | Urteil |
Anpassungsschwierigkeiten - soziale | Die Frage, ob "mittelgradige" und "schwere" soziale Anpassungsschwierigkeiten vorliegen, stellt sich im Rahmen von Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV überhaupt nur, wenn eine schwere psychische Störung vorliegt. Zur Auslegung der Begriffe "leichte", "mittelgradige" und "schwere" soziale Anpassungsschwierigkeiten können die vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales am Beispiel des "schizophrenen Residualzustandes" entwickelten Abgrenzungskriterien herangezogen werden. | LSG Berlin-Brandenburg, 10.05.2022 - L 11 SB 125/18 |
Asperger-Syndrom | Eine Teilhabebeeinträchtigung ist bei einem Asperger-Syndrom erst anzunehmen, wenn die Krankheit manifest wird. | LSG Baden-Württemberg, 21.02.2019 - L 6 SB 4715/17 |
Beeinträchtigungen – mehrere | Bewertung des Grades der Behinderung nach dem SGB IX beim Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft: Eine schematische Bewertung dahingehend, dass bei einem Einzel-GdB von 30 ein weiterer Einzel-GdB von 30 regelmäßig nur zu einer Erhöhung um 10 Punkte und nur ausnahmsweise zu einer Erhöhung um 20 Punkte führt, steht mit den in den VG, Teil A, Nr. 3 aufgestellten und vom BSG in ständiger Rechtsprechung gebilligten Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB nicht in Einklang. | LSG Baden-Württemberg, 24.10.2018 - L 3 SB 5/17 |
Liegen mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gem. § 152 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach A 3c der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. | LSG Berlin-Brandenburg, 26.09.2019 - L 13 SB 233/18 LSG Berlin-Brandenburg, 12.02.2022 - L 13 SB 173/21 | |
Liegen mehrere Beeinträchtigungen vor, sind für die Erhöhung des Gesamt-GdB nur diejenigen relevant, die für sich gesehen einen GdB von mehr als 10 bedingen. | LSG Nordrhein-Westfalen, 20.11.2020 - L 13 SB 236/19; LSG Baden-Württemberg, 13.11.2020 - L 8 SB 2/19 | |
Bei der Bildung eines Gesamt-GdB ist eine Erhöhung nicht gerechtfertigt, wenn es sich um nur leichte Behinderungen handelt. Dies kann der Fall sein, wenn neben depressiven Störungen orthopädische Funktionsbeeinträchtigungen bestehen. | LSG Schleswig-Holstein, 13.11.2020 - L 2 SB 59/19 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 04.11.2021 - B 9 SB 76/20 B | |
Nach den Vorgaben der VersMedV (Anlage Teil B Nr. 14.1) sind auch Operations- und Bestrahlungsfolgen nach einer Chemotherapie im Funktionssystem "Weibliche Geschlechtsorgane" zu bewerten, sodass eine Zuordnung der therapiebedingten Funktionseinschränkungen zu anderen Funktionssystemen, an denen die Folgen manifest werden, ausscheidet. Dies führte im Ergebnis nämlich dazu, dass die Funktionseinschränkungen jeweils nicht mehr bewertungsrelevant sind, was mit der vorgegebenen Konstruktion nicht vereinbar ist. | LSG Baden-Württemberg, 14.10.2021 - L 6 SB 2703/20 | |
Aus einem Teil-GdB von 50 für eine psychische Störung, einem solchen von 30 für den Verlust eines Fingers und den Teilverlust eines weiteren Fingers, einem Teil-GdB von 10 für ein Wirbelsäulenleiden und einem solchen von 20 für ein Schlaf-Apnoe-Syndrom ist eine Gesamt-GdB von 60 zu bilden. | LSG Hamburg, 19.05.2022 - L 3 SB 7/19 | |
Colitis ulcerosa | Nach dem VMG wird bei mittelschwerer Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger andauernde Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige Durchfälle) die Colitis ulcerosa mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40 und eine Colitis ulcerosa mit schwerer Auswirkung (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle) mit einem Einzel-GdB von 50 bis 60 bewertet. Die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen hierbei in der Weise nachgewiesen werden, dass vernünftige Zweifel nicht verbleiben und das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Auch hinsichtlich des geltend gemachten Ausmaßes einer Gesundheitsstörung ist für den Ausspruch einer entsprechenden Feststellung eine jeden vernünftigen Zweifel ausschließende volle Überzeugung erforderlich, dass die Funktionsstörung in diesem Ausmaß vorliegt und die Möglichkeit einer lediglich mit einem geringeren GdB zu bewertenden Störung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausscheidet. Verbleiben insoweit Zweifel, ist auch im Falle überwiegender Wahrscheinlichkeit eines höher zu bewertenden Ausmaßes eine Höherbewertung nicht möglich, so lange deren Erforderlichkeit auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht mit dem entsprechenden Beweismaß der vollen richterlichen Überzeugung als erwiesen gelten kann. | LSG Niedersachsen-Bremen, 24.02.2021 – L 13 SB 83/18 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 13.01.2022 – B 9 SB 27/21 B. |
Depressionen | Bei depressiven Störungen handelt es sich nicht um im engeren Sinne nachweisbare Störungen, diesbezüglich kann auch ein Sachverständiger letztendlich nur anhand von Plausibilitätskriterien urteilen. Bei Störungen dieser Art sind stringente, plausible und zweifelsfrei glaubhafte Angaben der zu beurteilenden Personen insbesondere zu ihren Lebensumständen unentbehrlich. | LSG Niedersachsen-Bremen, 14.07.2021 - L 13 SB 13/21 |
Bei einer depressiven Erkrankung spricht die Tatsache, dass bei schwankendem Verlauf weiterhin eine niedrigfrequente Therapie mit supportiven Gesprächen maximal einmal im Monat durchgeführt wird und die antidepressive Medikation unverändert bleibt, außerdem durchgehend eine Nebentätigkeit ausgeübt wird und konkrete Urlaubsplanungen bestehen, gegen schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Ein GdB von 30 ist insoweit angemessen und sachgerecht. | LSG Baden-Württemberg, 13.11.2020 - L 8 SB 2/19 | |
Diabetes mellitus | Bei einer Behinderten, die ihre Blutzuckerwerte zweimal am Tag messen und täglich nicht nur das Medikament Januvia in Tablettenform, sondern auch das Langzeitinsulin Lantus injizieren muss, ist für den Diabetes mellitus einen Einzel-GdB von 40 anzusetzen, wenn es nach den medizinischen Feststellungen eines Sachverständigen durch die Insulintherapie nachts und bei leichter körperlicher Bewegung zu einem vermehrten Auftreten von Hypoglykämien kommt. | LSG Berlin-Brandenburg, 24.10.2019 - L 13 SB 158/17 |
Nach den Versorgungmedizinischen Grundsätzen zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbständiges Anpassen der Insulindosis. Zusätzlich muss es - sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand, die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) - zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen (BSG, 25.10.2012 - B 9 SB 2/12 R). Die Formulierung in Teil B Nr. 15.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze "und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind" ist daher nicht nur therapiebezogen gemeint, sondern dahingehend zu verstehen, dass neben dem eigentlichen Therapieaufwand durch die notwendigen Insulininjektionen und die selbständige Dosisanpassung eine zusätzliche Wertung notwendig ist, um die Schwerbehinderung zu rechtfertigen. Der am insulinpflichtigen Diabetes mellitus Erkrankte muss daher wegen des reinen Therapieaufwandes und/oder der durch die Erkrankung eingetretenen weiteren Begleitfolgen generell gravierende Einschritte in der Lebensführung erleiden. | LSG Sachsen-Anhalt, 30.01.2019 - L 7 SB 41/17; LSG Hessen, 19.11.2019 – L 3 SB 78/18 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 01.07.2020 – B 9 SB 5/20 B; LSG Nordrhein-Westfalen, 15.12.2021 - L 17 SB 43/19; Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 30.08.2022 - 9 SB 9/22 B | |
Eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung durch erhebliche Einschnitte in der Lebensführung ist nur unter strengen Voraussetzungen bejahen. Das ergibt sich bereits aus der Formulierung der Regelung in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen, die eine seltene Häufung einschränkender Merkmale enthält ("erheblich", "gravierend", "ausgeprägt"). Andererseits kann auch ein unzureichender Therapieerfolg die Annahme einer ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung rechtfertigen. Letztlich sind auch alle anderen durch die Krankheitsfolgen herbeigeführten erheblichen Einschnitte in der Lebensführung zu beachten. | LSG Nordrhein-Westfalen, 22.01.2021 - L 13 SB 29/20 | |
Auch weitere Gesundheitsstörungen, die auf den Diabetes zurückzuführen sind, sind bei der Feststellung des GdB wegen des Diabetes im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Lebensführung zu berücksichtigen, auch wenn sie selbst nicht mit einem GdB zu bewerten sind. | LSG Schleswig-Holstein, 14.02.2020 - L 2 SB 54/18 | |
Dickdarm- und Enddarmentfernung | Eine Störung der Defäkationsfunktion nach Verlust des Dickdarms und des Enddarms ist in der GdB-Tabelle der VMG nicht aufgeführt und muss deshalb nach B 1b VMG in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen beurteilt werden. Es wurde ein GdB von 50 anerkannt. | LSG Berlin-Brandenburg, 23.09.2021 - L 13 SB 218/20 |
Entstellung | Eine Entstellung kann eine für die Bewertung des Grades der Behinderung relevante Teilhabebeeinträchtigung darstellen. Im Schwerbehindertenrecht sind die vom BSG zum Krankenversicherungsrecht entwickelten Grundsätze, wann eine Entstellung anzunehmen ist, entsprechend anzuwenden (vgl. BSG, 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R). Für die Frage der Entstellung ist auf den bekleideten Zustand in alltäglichen Situationen abzustellen. | LSG Baden-Württemberg, 21.07.2022 - L 6 SB 1696/21 |
Entwicklungsstand – kindlicher | Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei kindlichem Entwicklungsrückstand. | LSG Sachsen-Anhalt, 12.09.2018 - L 7 SB 53/14 |
Geschlechtsumwandlung (Mann zu Frau) | Eine Frau kann nach Genital-Operation (Mann zu Frau) regelmäßig nicht nach Teil B Nr. 13.1 und Nr. 13.2 der Anlage zu § 2 VersMedV einen Einzel-GdB für den Verlust des Penis mit vollständiger Entfernung der Schwellkörper und den Verlust beider Hoden beanspruchen. Denn der Verlust des Penis mit vollständiger Entfernung der Schwellkörper bzw. der Verlust beider Hoden bzw. das Nichtvorhandensein dieser ist für eine Frau kein Körper- und Gesundheitszustand, der von dem für das Lebensalter typischen Zustand - einer durchschnittlichen Frau - abweicht. | LSG Berlin-Brandenburg, 10.05.2022 - L 11 SB 125/18 |
Haltungs-/Bewegungsapparat | Bewertung des GdB bei Funktionsbeeinträchtigungen des Haltungs-/Bewegungsapparates. | LSG Nordrhein-Westfalen, 01.04.2019 – L 17 SB 87/18 |
Heilungsbewährung | Die Heilungsbewährung bei Krebserkrankungen kann auch in atypischen Fällen nicht länger als fünf Jahre dauern. | LSG Baden-Württemberg, 21.02.2019 – L 6 SB 2892/18 |
LSG Hessen, 20.05.2019 – L 3 SB 69/17 (Revision als unzulässig verworfen – BSG, 27.05.2020 – B 9 SB 67/19). | ||
Hepatitis B, chronisch mit Leistungsschwäche | Die Leiden sind mit einem Gesamt-GdB von 30 zu bewerten. | LSG Nordrhein-Westfalen, 04.10.2021 - L 1 SB 312/18; Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 01.09.2022 - B 9 SB 1/22 B. |
Herabsetzung des GdB | Ein Aufhebungsbescheid ist hinreichend bestimmt i.S.v. § 33 SGB X, wenn erkennbar ist, ab wann die Aufhebungsentscheidung gelten soll. Zu der Frage, ob ein Bescheid, welcher den Grad der Behinderung herabsetzt und die Schwerbehinderteneigenschaft entzieht, hinreichend bestimmt i.S.v. § 33 Abs. 1 SGB X ist, wenn er seine Wirksamkeit nicht zu einem konkreten Datum, sondern "ab Bekanntgabe" erklärt, sind unter den Az. B 9 SB 2/22 R u. B 9 SB 3/22 Revisionsverfahren beim BSG anhängig. | LSG Nordrhein-Westfalen, 16.11.2018 - L 13 SB 280/17 |
Wird der GdB überprüft, ist der Betroffene zur Mitwirkung verpflichtet. Fordert die Behörde zur Mitwirkung auf und teilt mit, dass sie nach Aktenlage entscheidet, wenn keine weiteren Unterlagen vorgelegt würden, reicht dies nicht, um eine Herabsetzung vorzunehmen. Der Hinweis der Behörde muss nach § 66 Abs. 3 SGB I über die konkreten Rechtswirkungen der fehlenden Mitwirkung informieren (z.B. "Falls Sie keine weiteren Unterlagen vorliegen, beabsichtigen wir, den GdB auf .… festzulegen"). Der Leistungsträger muss also unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die beabsichtigt ist, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommt. | BSG, 12.10.2018 - B 9 SB 1/17 | |
Die Rechtmäßigkeit eines Bescheides über die Herabsetzung des GdB bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, evtl. spätere Veränderungen während des Gerichtsverfahrens werden nicht berücksichtigt. | LSG Berlin-Brandenburg, 28.03.2019 - L 13 SB 101/16 | |
Eine Herabstufung des GdB kann auch erfolgen, wenn eine Höherstufung beantragt wird und wenn bei den maßgebenden Gesundheitsstörungen zwischenzeitlich durch eine Änderung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein geringerer GdB vorgesehen ist. Dies kann auch zum Wegfall des Merkzeichens G führen. | LSG Sachsen, 07.02.2019 - L 9 SB 36/17 | |
Hirnblutung | Neufestsetzung der GdB und Entzug der Merkzeichen aG und B nach Besserung der Behinderung beim Gehen. | LAG Nordrhein-Westfalen, 13.03.2020 - L 13 SB 115/18 |
Knieleiden | Hinzutritt zu Beeinträchtigungen des Gehörs und der Wirbelsäule. | LSG Nordrhein-Westfalen, 04.02.2019 – L 17 SB 122/18 |
Knieprothese | Die beidseitige Knieprothese rechtfertigte nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen in dem entschiedenen Fall keinen höheren GdB als 30. | LSG Sachsen, 21.07.2020 – L 4 SB 120/18 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 11.12.2020 – B 9 SB 52/20 B). |
Lungenerkrankung in Heilungsbewährung | Für eine Karzinoiderkrankung der Atmungsorgane ist vorübergehend ein GdB von 80 anzuerkennen, auch wenn hierfür die Bezeichnung "semimaligner Tumor" verwendet wird, das Streuungsrisiko geringer und eine Chemotherapie häufig nicht erforderlich ist. | LSG Baden-Württemberg, 18.06.2021 - L 8 SB 2649/20 |
Merkzeichen G | Anforderungen an eine Gleichstellung anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke: Teil D Nr. 1 Buchst. d S. 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist nicht so zu verstehen, dass er für die dort genannten Einschränkung "Behinderung an den unteren Gliedmaßen" abschließend ist. Festgestellte Einschränkungen müssen aber vergleichbar mit den genannten Regelbeispielen sein. Für eine derartige Vergleichbarkeit trägt der Antragsteller die materielle objektive Beweislast. | LSG Nordrhein-Westfalen, 11.01.2019 - L 21 SB 224/16 |
Keine Analogbewertungen von Gesundheitsstörungen nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen. Der Katalog der Regelfälle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist abschließend und lässt die Einbeziehung von Gesundheitsstörungen, die nicht unmittelbar zu einer Einschränkung des Gehvermögens führen auch nicht im Wege der Analogbewertung zu. | LSG Baden-Württemberg, 24.10.2018 – L 3 S 2660/16 | |
Migratorisches Knochenödem | Eine Funktionsstörung des rechten Kniegelenks in Form eines sogenannten Migratorischen Knochenödems, die nicht dauerhaft Beschwerden bereitet, ist mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. | LSG Hamburg, 28.07.2020 - L 3 SB 42/16 |
Morbus Chron | Allein aus dem Umstand, dass ein Kläger aufgrund eines amtsärztlichen Gutachtens aus einem Beschäftigungsverhältnis entlassen wurde, kann kein Rückschluss auf die Schere der Erkrankung (hier Morbus Crohn) und den vorliegenden GdB gezogen werden. | LSG Sachsen-Anhalt, 18.05.2020 – L 7 SB 83/15 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: B 9 SB 29/20 B |
Multiple Chemikalien-Sensitivität | Im Schwerbehindertenrecht kommt es nicht darauf an, durch welche Ursachen die Erkrankung verursacht wird: Ob es eine Multiple Chemikalien-Sensitivität, eine durch Umwelteinflüsse veranlasste Erkrankung, oder eine psychiatrische Erkrankung ist, ist für die Entscheidung schwerbehindertenrechtlicher Verfahren daher ohne Belang. Anerkannt wurde ein GdB von 70; Voraussetzungen für Merkzeichen G, B und RF liegen nicht vor. | LSG Niedersachsen-Bremen, 28.04.2022 - L 10 SB 106/18 |
Multiple Sklerose | In Verbindung mit anderen, zu berücksichtigenden Erkrankungen wurde ein GdB von 40 anerkannt | LSG Baden-Württemberg, 22.10.2021 - L 12 SB 3075/18; Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 31.03.2022 - B 9 SB 76/21 B |
Operations- und Bestrahlungsfolgen nach Chemotherapie | Nach den Vorgaben der VersMedV (Anlage Teil B Nr. 14.1) sind auch Operations- und Bestrahlungsfolgen nach einer Chemotherapie im Funktionssystem "Weibliche Geschlechtsorgane" zu bewerten, sodass eine Zuordnung der therapiebedingten Funktionseinschränkungen zu anderen Funktionssystemen, an denen die Folgen manifest werden, ausscheidet. Dies führte im Ergebnis nämlich dazu, dass die Funktionseinschränkungen jeweils nicht mehr bewertungsrelevant sind, was mit der vorgegebenen Konstruktion nicht vereinbar ist. | LSG Baden-Württemberg, 14.10.2021 - L 6 SB 2703/20 |
Persönlichkeitsstörung – dissoziale | Bei einer dissozialen Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und emotional instabilen Anteilen kann nicht von einer schweren Störung ausgegangen werden, wenn die vorhandenen Anpassungsstörungen nicht auf jeder Ebene der sozialen Interaktion bestehen. Daher ist ein GdB zwischen 80 und 100 nicht gerechtfertigt. | LSG Hamburg, 13.07.2021 - L 3 SB 30/19 |
Prostata-Karzinom | Herabsetzung der GdB nach Heilungsbewährung | LSG Baden-Württemberg, 20.03.2020 - L 8 SB 2115/19 |
Restless-Legs-Syndrom | Bei der Bewertung sind die Vorgaben in B 3.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze heranzuziehen. Dort genannte, "andere extrapyramidale Syndrome", zu denen auch das Restless-Legs-Syndrom zählt, sind analog nach Art und Umfang der gestörten Bewegungsabläufe und der Möglichkeit ihrer Unterdrückung zu bewerten. | LSG Berlin-Brandenburg, 20.12.2018 - L 13 SB 303/16 |
Schlafapnoesyndrom | Zuerkennung eines GdB von 50, wenn eines nasale Überdruckbeatmungstherapie wegen Maskenunverträglichkeit nicht durchgeführt werden kann. | LSG Baden-Württemberg, 20.03.2020 - L 8 SB 3405/18 |
Auch die mangelnde Durchführbarkeit einer nasalen Überdruckbeatmung aus psychischen Gründen kann die Bewertung eines Schlaf-Apnoe-Syndroms mit einen GdB von 50 bedingen. Ist eine Panikreaktion beim nächtlichen Tragen einer Gesichtsmaske, die auch in anderen, vergleichbaren Situationen auftritt, sicher ärztlich bestätigt, ist eine Bewertung mit einem GdB von 50 vorzunehmen, wenn eine Überdruckbeatmung medizinisch indiziert ist und alternative Behandlungsmethoden, wie das Tragen einer Unterkieferprotrusionschiene, nicht durchführbar sind. Die mögliche zukünftige Minderung der Auswirkungen einer Behinderung durch deutliche Gewichtsreduktion kann der aktuellen GdB-Bewertung nicht entgegenhalten werden. | LSG Schleswig-Holstein, 05.11.2021 - L 2 SB 78/20 | |
Schmerzwahrnehmungs- und -verarbeitungsstörung - chronische | Für eine bestehende chronische Schmerzwahrnehmungs- bzw. -verarbeitungsstörung ist ein Teil-GdB von 40 angemessen. Nach Teil B. Ziffer 3.7 VersMedV zählen ausgeprägtere somatoforme Störungen zu den stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die einen GdB von 30-40 rechtfertigen. | LSG Hamburg, 28.07.2020 - L 3 SB 42/16 |
Seelische Leiden mit körperlichen Beschwerden | Verschlimmerung kann ohne ärztliche Begutachtung nicht festgestellt werden, daher bleibt es bei einem GdB von 50. | LSG Nordrhein-Westfalen, 04.03.2021 – L 17 SB 143/20 |
Sehstörung ohne morpholoischem Befund | Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist ein objektiver Nachweis eines organischen (morphologischen) Befunds zwingend erforderlich, wenn damit ein GdB nach dem Funktionssystem des Auges begründet werden soll. Eine jahrelang gelebte Sehstörung ohne nachgewiesenen organischen Befund genügt demgegenüber nicht. | BSG, 27.10.2022 - B 9 SB 4/21 R |
Siehe auch
Schwerbehinderte Menschen - Ansprüche gegen ArbeitgeberSchwerbehinderte Menschen - AusgleichsabgabeSchwerbehinderte Menschen - BenachteiligungsverbotSchwerbehinderte Menschen - EingliederungszuschussSchwerbehinderte Menschen - GleichgestellteSchwerbehinderte Menschen - KündigungsschutzSchwerbehinderte Menschen - NachteilsausgleichSchwerbehinderte Menschen - Pflichten des ArbeitgebersSchwerbehinderte Menschen - SchwerbehindertenvertretungSchwerbehinderte Menschen - Zusatzurlaub