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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Arbeitnehmer - Außerdienstliches Verhalten
Arbeitnehmer - Außerdienstliches Verhalten
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.Einzelheiten
- 3.1
- 3.2
- 3.3
- 3.4
- 3.5
- 3.6
- 3.7
- 3.8
- 4.
Information
1. Allgemeines
Bei ihrer Arbeitsleistung sind Arbeitnehmer den Weisungen des Arbeitgebers im Rahmen des Direktionsrechts (§ 106 GewO) unterworfen. Auf ihr Verhalten in der Freizeit hat der Betrieb in der Regel keinen Einfluss (LAG Niedersachsen, 21.03.2019 – 13 Sa 371/18). Was aber gilt, wenn die Freizeitgestaltung als Leistungsstörung im Rahmen des Arbeitsvertrages einzustufen ist oder gar die Eignung für den Beruf in Frage stellt? Lesen Sie in dem Beitrag alles Wichtige zu diesem Thema.
2. Arbeitsvertrag
2.1 Allgemeines
Die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist durch Art. 2 Abs. 1 GG umfassend gewährleistet. Lediglich soweit Rechte anderer oder die Verfassung verletzt werden, ist die Handlungsfreiheit eingeschränkt. Außerdem ist auch das Recht auf freie Meinungsäußerung i.S.v. Art. 5 GG zu berücksichtigen. Auch dieses ist u.a. durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre eingeschränkt. Durch diese Freiheitsrechte kann der Betrieb in der Regel seinem Mitarbeiter keine Vorschriften machen, was er in seiner Freizeit zu tun und zu lassen hat. Insbesondere ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, ein den Vorstellungen des Arbeitgebers entsprechendes, gesittetes Leben zu führen. Ebenso ist der Arbeitnehmer grundsätzlich frei bei der Äußerung seiner Meinungen, insbesondere auch hinsichtlich seiner politischen Überzeugungen. Jede Partei eines Arbeitsvertrags ist jedoch zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet (vgl. § 241 Abs. 2 BGB). Der Arbeitnehmer muss daher auch im Rahmen seiner Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag die Interessen des Arbeitgebers so wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Er ist danach auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (BAG, 10.04.2014 – 2 AZR 684/13; LSG Berlin-Brandenburg, 20.05.2019 – 5 Sa 2060/18). Auch die Persönlichkeitsrechte von Kollegen dürfen nicht verletzt werden. Diese Verpflichtungen gelten umgekehrt natürlich auch für den Arbeitgeber (BAG, 23.06.1994 – 2 AZR 617/93). Die Meinungsfreiheit ist aber insoweit eingeschränkt, als dadurch der Betriebsfrieden nicht gestört werden darf.
Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann bei Leitungskräften höher sein als bei anderen Arbeitnehmern. Daher kann auch in der Freizeit ein besonderes Loyalitätsverhalten erwartet werden.
2.2 Leistungsstörungen und persönliche Eignung
Einschränkungen der Handlungsfreiheit des Arbeitnehmers bei Freizeitaktivitäten sind aber auch in diesem Rahmen nur unter besonderen, strengen Voraussetzungen zu bejahen. Durch die Gestaltung der Freizeit muss das Arbeitsverhältnis konkret berührt werden. Dies gilt zunächst, wenn das außerdienstliche Verhalten sich als Leistungsstörung im Rahmen des Arbeitsvertrages auswirkt. Damit stellt es sich als Verletzung der vertraglichen Pflichten dar. Nach der Rechtsprechung des BAG ist dem gleichzustellen, wenn die betriebliche Verbundenheit der Mitarbeiter oder das Vertrauensverhältnis tangiert wird (siehe z.B. BAG, 24.09.1987 – 2 AZR 26/87). Außerdem kann das Freizeitverhalten die persönliche Eignung des Mitarbeiters für die betriebliche Tätigkeit in Frage stellen (z.B. einem Kraftfahrer wird durch verkehrswidriges Verhalten in der Freizeit der Führerschein entzogen).
Ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, richtet sich nach den Umständen im Einzelfall. Dabei kann neben den konkreten Freizeitaktivitäten insbesondere auch die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb eine Rolle spielen. An das Verhalten eines leitenden Mitarbeiters sind daher strengere Maßstäbe anzulegen als z.B. bei einem Arbeiter in der Produktion.
2.3 Freizeitverhalten und Arbeitsvertrag
Klauseln in Arbeitsverträgen, die dem Beschäftigten Vorgaben für sein Verhalten in der Freizeit machen, sind in der Regel nicht zulässig, da sie die grundgesetzlich geschützte freie Entfaltung der Persönlichkeit einschränken.
Ausnahmen gelten für Tätigkeiten, bei denen besondere Anforderungen an die Sicherheit zu erfüllen sind. Daher kann der Arbeitsvertrag z.B. regeln, dass ein Busfahrer oder ein Pilot eine bestimmte Zeit vor Dienstbeginn keinen Alkohol konsumieren darf. Hier hat die Sicherheit der Fahr- oder Fluggäste Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters. Einem Berufskraftfahrer kann wirksam gekündigt werden, wenn er am dienstfreien Wochenende im privaten Umfeld Amphetamin und Methamphetamin konsumiert. Dabei ist unerheblich, ob bei den in der folgenden Arbeitswoche durchgeführten Fahrten die Fahrtüchtigkeit konkret beeinträchtigt war. Für die Wirksamkeit der Kündigung spielt es auch keine Rolle, ob die Droge vor oder während der Arbeitszeit eingenommen wurde (BAG, 20.10.2016 – 6 AZR 471/15).
Soweit im Einzelfall entsprechende arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Klauseln zulässig sind, müssen diese hinreichend bestimmt sowie klar und verständlich sein (ErfK 18. Aufl. 2018/Preis/§ 611a BGB, Rn. 732).
Grundsätzlich kann der Arbeitnehmer eine Nebenbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber ausüben. Es kann eine arbeitsrechtliche Verpflichtung bestehen, Nebentätigkeiten anzuzeigen. Ein Verbot ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn durch die Nebentätigkeit die Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt werden (siehe auch 3.2.). Übt die Arbeitnehmer seine Nebentätigkeit während einer Arbeitsunfähigkeit weiter aus und versucht er durch eine Täuschung diesen Sachverhalt zu verschleiern, kann dies ein Grund sein, der an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen (LAG Rheinland-Pfalz, 27.08.2020 – 2 Sa 125/19).
2.4 Corona-Pandemie
Fraglich ist, ob die Nichteinhaltung bestehender Corona-Regeln in der Freizeit (wie z.B. des Abstandsgebotes, der Zugangsregelungen oder der Maskenpflicht) arbeitsrechtlich sanktioniert werden kann. Dies dürfte nur dann der Fall sein, wenn ein Bezug zum Arbeitgeber hergestellt werden kann oder das Verhalten des Mitarbeiters auf das Arbeitsverhältnis ausstrahlt. In einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Osnabrück ging es um das Verhalten eines Mitarbeiters, der ein Selfie per WhatsApp veröffentlichte, das ihn mit mehreren Männern in enger Runde beim Kartenspiel zeigte. Er kommentierte dies mit einem lachenden Smiley und der Bildunterschrift "Quarantäne bei mir". Der Arbeitgeber hatte kurz zuvor in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie eine Betriebsversammlung zu den Sicherheitsbestimmungen durchgeführt. Er nahm das Verhalten des Mitarbeiters zum Anlass, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen. Der Arbeitnehmer erhob Klage und argumentierte, es habe sich um einen Scherz gehandelt. Das Verfahren endete durch Vergleich.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die Teilnahme an Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie arbeitsrechtlich zu beurteilen ist. Grundsätzlich ist die Teilnahme an solchen Veranstaltungen vom Grundgesetz geschützt, sowohl im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit wie auch auf das Recht zur freien Meinungsäußerung. Es darf allerdings kein Bezug zum Arbeitgeber (wie z.B. durch Tragen einer Uniform) hergestellt werden.
Problematisch kann es auch werden, wenn bei solchen Versammlungen – wie häufig - die geltenden Corona-Regeln nicht eingehalten werden. Der Arbeitnehmer kann dann verpflichtet werden, sich zur Vermeidung der Infektion anderer Arbeitnehmer oder der Kunden in Quarantäne zu begeben. Dies gilt insbesondere auch für Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Fraglich ist dann, ob während der Quarantäne ein Anspruch auf Vergütungsfortzahlung nach § 616 BGB geltend gemacht werden kann. Zum einen ist zu prüfen, ob der Ausfall "eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" umfasst, zum anderen ist zu bedenken, dass der Anspruch voraussetzt, dass die Verhinderung unverschuldet eintritt. Ein Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG dürfte nicht bestehen, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Prophylaxe in Form eines Mund-Nasen-Schutzes nicht eingehalten wurde. Besondere Pflichten können in diesem Zusammenhang Mitarbeiter von Tendenzbetrieben und des öffentlichen Dienstes treffen.
Verbringt ein Arbeitnehmer seinen Urlaub in einem Virusvariantengebiet, kann für eine infolge Corona eingetretene Arbeitsunfähigkeit Selbstverschulden i.S.v. § 3 Abs. 1 EFZG vorliegen, mit der Folge, dass kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht. Die Rechtsprechung hat einen Anspruch aber für den Fall bejaht, dass die Inzidenz an dem Wohn- bzw. Arbeitsort höher als an dem zu diesem Zeitpunkt als Hochrisikogebiet ausgewiesenen Urlaubsort ist. Dann kann nicht von einem Selbstverschulden, einem groben Verstoß gegen das Eigeninteresse des Mitarbeiters, ausgegangen werden (ArbG Kiel, 27.06.2022 – 5 Ca 229 f/22).
2.5 Sonderregelungen für Tendenzbetriebe
Ausnahmen gelten für sog. Tendenzbetriebe, wie Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Parteien (§ 118 BetrVG). Bei diesen Unternehmen können aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft für die Mitarbeiter besondere Loyalitätspflichten gelten. Insbesondere für die Kirchen gilt ein besonderes Arbeitsrecht, das auch stärker als üblich in die Privatsphäre des Mitarbeiters eingreift. Da die Verfassung den Kirchen eine eigenständige Rechtsordnung zugesteht (vgl. Art. 140 GG), können sie von ihren Mitarbeitern ein im Verhältnis zu ihrem Selbstverständnis loyales Verhalten verlangen; dies gilt auch in der Freizeit. Insbesondere darf das Leben des Mitarbeiters nicht in krassem Widerspruch zu den grundlegenden Werten des Tendenzbetriebes stehen. Begrenzt sind solche Verhaltensregeln nur insoweit, als sie nicht im Widerspruch zu den verfassungsmäßig garantierten Rechten der Arbeitnehmer und den Festlegungen des Arbeitsvertrages stehen dürfen. Die in diesem Zusammenhang aufgetretenen Probleme wurden u.a. entschärft durch die von der katholischen Bischofskonferenz beschlossene "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" in der aktuellen Fassung vom 22.11.2022. Damit bekennt sich die Kirche zur Vielfalt. Alle Mitarbeiter können unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Alter, ihrer Behinderung, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentanten einer den Menschen dienenden Kirche sein. Voraussetzung ist allerdings eine positive Grundhaltung und Offenheit gegenüber der Botschaft des Evangeliums. Somit obliegt der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung keinen rechtlichen Bewertungen. Die Neuregelung schließt aber nicht aus, dass ein Kirchenaustritt – zumindest im pastoralen und katechetischen Dienst - sanktioniert wird. Ebenso ist eine kirchenfeindliche Betätigung der Einstellung bzw. Weiterbeschäftigung entgegen. Die Grundordnung ist darüber hinaus nicht verbindlich, sondern als Empfehlung an die (Erz-) Bistümer zu verstehen. Durch die neue Grundordnung werden u.a. Konsequenzen aus dem Verhalten in der Privatsphäre, wie z.B. eine zivilrechtliche Wiederverheiratung ohne eine vorherige Annullierung der katholisch geschlossenen Ehe oder das Eingehen einer homosexuellen Lebenspartnerschaft, ausgeschlossen. Generell sind bei Verstößen gegen die Grundordnung vor einer Kündigung mildere Maßnahmen (wie z.B. ein klärendes Gespräch, Versetzung, Änderungskündigung) anzuwenden.
Ein Chefarzt eines konfessionellen Krankenhauses, der nach Scheidung wieder standesamtlich geheiratet hat, begeht nach der Grundordnung der katholischen Kirche einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Weiterbeschäftigung eines leitenden Mitarbeiters ausschließt. Zu den leitenden Mitarbeitern gehören auch Chefärzte. Der Chefarzt klagte gegen die Kündigung und bekam zunächst in allen Instanzen Recht. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch das BAG – Urteil aufgehoben (22.10.2014 – 2 BvR 661/12) und die Sache an das BAG zurückverwiesen. Dieses hat das Verfahren ausgesetzt, um durch den EuGH Rechtsfragen im Zusammenhang mit der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie vorab klären zu lassen (28.07.2016 – 2 AZR 746/14 [A]). Der EuGH hat entschieden, dass die Kündigung des Chefarztes wegen der erneuten Eheschließung nach Unionsrecht eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen kann. Die Anforderung an den Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheine nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. Die ggf. dafür festgelegten Anforderungen an die Mitarbeiter oblägen auch bei den Kirchen der gerichtlichen Kontrolle. Zu entscheiden hätten dies jedoch die nationalen Gerichte (EuGH, 11.09.2018 – C-68/17). Damit musste das BAG endgültig entscheiden. Nach seiner Auffassung war die Kündigung nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Chefarztes sozial gerechtfertigt. Die römisch-katholische Kirche darf Mitarbeiter in leitender Stellung aufgrund besonderer Loyalitätspflichten nur unterschiedlich behandeln, wenn dies im Hinblick auf die Art der beruflichen Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Der Chefarzt habe mit seiner Wiederverheiratung weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung der Kirche verletzt. Die entsprechende Klausel im Dienstvertrag sei unwirksam, weil der Chefarzt gegenüber anderen, nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeitern benachteiligt werde. Nationales Verfassungsrecht stehe dem nicht entgegen (BAG, 20.02.2019 – 2 AZR 746/12).
Im Zusammenhang mit den Loyalitätspflichten der Mitarbeiter von Kirchen stellt sich die Frage, ob diese verlangen dürfen, dass ihre Beschäftigten Mitglied der Kirche sein müssen. Außerdem steht im Focus, ob die Loyalitätspflichten auch für private Unternehmen gelten, die eine enge Anbindung zu einer Kirche haben und deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht.
Zu differenzieren ist hinsichtlich der Loyalitätspflichten der Arbeitnehmer von Kirchen danach, ob es sich um einen Mitarbeiter handelt, der verkündungsnahe Aufgaben im pastoralen und katechetischen Dienst wahrnimmt (Art. 4 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse). Für diese Mitarbeiter ist das persönliche Lebenszeugnis i.S.d. Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Verkündungsnahe Aufgaben nimmt auch ein Kirchenmusiker wahr (LAG Düsseldorf, 12.09.2018 – 12 Sa 757/17). Das BAG hat einen Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verneint, nachdem zuvor der EGMR festgestellt hatte, dass die Kündigung des Arbeitnehmers wegen Eingehung einer neuen Partnerschaft nach Trennung von seiner Ehefrau rechtswidrig war (EGMR, 23.09.2010- 425/03u.28.09.2012 – 1620/03). Der EGMR hatte bereits eine Entschädigung von 40.000 EUR festgesetzt (BAG, 19.12.2019 – 8 AZR 511/18).
Fordert ein kirchlicher Arbeitgeber in einer Ausschreibung für eine verkündungsferne Stelle Interessenten auf, bei einer Bewerbung auch ihre Konfession anzugeben, kann dies den Verdacht einer Benachteiligung wegen der Religion begründen (ArbG Karlsruhe, 18.09.2020 – 1 Ca 171/19).
Das Bundesarbeitsgericht hat den EuGH zur Klärung der Frage eingeschaltet, ob Personen, die bei einem katholischen Krankenhaus beschäftigt sind, bei Kirchenaustritt vor Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Lichte des Europarechts als ungeeignet für die Beschäftigung angesehen werden können. Außerdem soll geklärt werden, ob der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig gemacht werden kann, dass die betroffene Person wieder der Religionsgemeinschaft beitritt. Hintergrund ist auch, dass von dem Krankenhaus im Übrigen nicht verlangt wird, dass ihre Arbeitnehmer der katholischen Kirche angehören (BAG, 21.07.2022 – 2 AZR 130/21 (A)).
Bei Tendenzunternehmen bzw. -betrieben mit einer erzieherischen Konzeption i.S.d. § 118 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BetrVG sind Tendenzträger regelmäßig nur solche Arbeitnehmer, die bei tendenzbezogenen Tätigkeitsinhalten im Wesentlichen frei über die Aufgabenerledigung entscheiden können. Sofern Erzieher nicht zur Mitgestaltung der Tendenzziele verpflichtetet bzw. berechtigt sind, sind die besonderen Regelungen für Tendenzbetriebe nicht anwendbar (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 12.02.2020 – 3 TaBV 7/19).
Kein karitativer Tendenzbetrieb ist ein Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes (BAG, 22.05.2012 – 1 ABR 7/11, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen – BVerfG, 30.04.2015 – 1 BvR 2274/12 – lexetius.com/2015, 1473).
2.6 Sonderregelungen im öffentlichen Dienst
2.6.1 Laufendes Arbeitsverhältnis
Auch für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst gelten besondere Regeln, insbesondere wenn sie hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Sie unterliegen auch beim Verhalten außerhalb des Betriebes besonderen Verhaltenspflichten. Dies gilt in besonderer Weise auch für die Beamten. Beide Beschäftigtengruppen - Arbeitnehmer und Beamte - dürfen insbesondere keine Freizeitaktivitäten ausüben, die auf die Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung abzielen (BAG, 06.09.2012 – 2 AZR 372/11). Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L müssen sich die Tarifbeschäftigten durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung i.S.d. Grundgesetzes bekennen. Ergeben sich aus dem inner- oder außerdienstlichen Verhalten eines Beschäftigten erhebliche Zweifel an dem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, kann sowohl eine außerordentliche als auch eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 21.06.2022 - 5 Sa 256/21). Dafür spricht z.B. die aktive Mitgliedschaft in einer Organisation, die verfassungswidrige Ziele verfolgt. Sie kann zumindest Zweifel an der Eignung für die Tätigkeit auslösen – wobei es auch auf die konkrete Aufgabe des Mitarbeiters ankommt. Die Mitgliedschaft in einer verfassungswidrigen Partei reicht auch im öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis nicht aus, um eine Kündigung auszusprechen (BAG, 12.05.2011 – 2 AZR 479/09).
Ein Mitarbeiter, der während der Arbeitszeit im Pausenraum der Dienststelle die Originalausgabe "Mein Kampf" mit eingeprägtem Hakenkreuz liest, verstößt gegen seine Verpflichtung, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzustehen und kann auch ohne Abmahnung gekündigt werden (LAG Berlin-Brandenburg, 25.09.2017 – 10 Sa 899/17). Wenn die Entscheidung auch einen starken Bezug zum Dienst hat, dürften auch vergleichbare Freizeitaktivitäten ähnlichen Einschränkungen unterliegen.
Auch eine Straftat außerhalb der beruflichen Tätigkeit kann zum Verlust der Eignung für die dienstliche Verwendung führen (BAG, 20.06.2013 – 2 AZR 583/12). Aber auch im öffentlichen Dienst können außerdienstliche Straftaten eine Kündigung nur rechtfertigen, wenn sie ein gewisses Gewicht haben oder sie im Widerspruch zu den Aufgaben der Behörde stehen bzw. die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden können (LAG Hamm, 12.02.2009 – 17 Sa 1567/08; LAG Köln, 14.01.2020 – 7 Sa 79/19). Ein Polizeibeamter kann wegen erheblicher Straftaten im außerdienstlichen Bereich und einer im innerdienstlichen Bereich begangenen Straftat aus dem Dienst entfernt werden (VG Trier, 18.09.2018 – 3 K 14676/17.TR). Belästigt ein Beamter auf Probe eine Kollegin verbal und handgreiflich sexuell und begeht er damit eine Straftat i.S.v. § 184i Abs. 1 StGB, rechtfertigt dies die sofortige Entlassung aus dem Dienstverhältnis (OVG Nordrhein-Westfalen, 04.03.2022 – 1 B 174/22; siehe hierzu auch 3.3.).
Ein Polizeibeamter, der sich mit dem Reichsbürger-Spektrum identifiziert und erklärt, weder die Funktion noch die Legitimation seines Dienstvorgesetzten zu akzeptieren, kann aus dem Dienst entfernt werden (VG Trier, 14.08.2018 – 3 K 2486/18.TR). Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der Polizist von den wesentlichen Wertentscheidungen des Grundgesetzes losgesagt habe. Auch das VG Hannover hat entschieden, dass ein der Reichsbürger-Bewegung anhängender und sich in der "Querdenkerszene" bewegender Polizeibeamter aus dem Dienst entfernt werden kann (VG Hannover, 28.04.2022 – 18 A 3735/21). Auch ein Angestellter, der im Dienst der Polizei im Objektschutz tätig ist und durch Äußerungen im Internet eine Nähe zur Reichsbürgerszene dokumentiert, kann ordentlich gekündigt werden, wenn er dadurch die arbeitsvertragliche Pflicht, sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu bekennen, verletzt. Der öffentliche Arbeitgeber muss keine Arbeitnehmer beschäftigen, die nicht das erforderliche Maß an Verfassungstreue aufweisen (LAG Hamburg, 22.04.2022 – 7 Sa 49/21). Einer beamteten Lehrerin im Ruhestand, die sich gegen die freiheitlich – demokratische Grundordnung betätigt, indem sie das mit ihrer Verfassungstreuepflicht nicht zu vertretende Gedankengut der Reichsbürgerbewegung aktiv nach außen getragen hat, ist das Ruhegehalt abzuerkennen. Die Äußerungen waren nach den Feststellungen des Gerichts auch nicht mit Verweis auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit zu rechtfertigen (OVG Koblenz, 11.03.2022 – 3 A 10615/21.OVG). Auch ein Tarifbeschäftigter, der sich die Ideologie der Reichsbürgerbewegung zu eigen macht und dies auch in sozialen Medien ausführlich propagiert, verletzt seine Pflicht zur Loyalität gegenüber der Verfassung und kann damit ungeeignet für ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst sein (LAG Hamburg, 22.04.2022 – 7 Sa 49/21).
Ein Polizeianwärter, der enge Kontakte zum Rockermilieu hat und diese Kontakte nicht beendet, kann aus dem Dienst entlassen werden. Nach dem Urteil begründen freundschaftliche Beziehungen in das Rockermilieu Zweifel an der charakterlichen Eignung des Anwärters (OVG Nordrhein-Westfalen, 25.11.2021 – 6 A 3742/19).
Ein Lehrer, der privat den Youtube-Kanal "Volkslehrer" betrieb, dort den Rechtsstaat verunglimpft und volksverhetzende Inhalte verbreitet hat, ist für den Schuldienst nicht geeignet. Seine fristlose Kündigung ist daher rechtmäßig (ArbG Berlin, 16.01.2019 – 60 Ca 7170/18 60). Die persönliche Eignung für eine Tätigkeit als Lehrer im öffentlichen Dienst fehlt nach Auffassung des Arbeitsgerichts, weil davon ausgegangen werden muss, dass sich der Kläger auch künftig nicht in ausreichendem Maße zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung i.S.d. GG bekennt. Das Handeln des Lehrers ziele darauf ab, die verfassungsmäßige Ordnung in Frage zu stellen und verächtlich zu machen.
Rassistische und beleidigende Äußerungen, die ein LKA-Mitarbeiter auf Facebook machte, sind kein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung. Nach einer Beschäftigungsdauer von 17 Jahren ohne Beanstandungen sei es dem Arbeitgeber vielmehr zumutbar, zunächst eine Abmahnung auszusprechen, um dem Mitarbeiter die Möglichkeit einer Verhaltensänderung zu geben und damit den Weg zur Beseitigung der Verhaltensstörung zu ebnen. Nach Ansicht des Gerichts zeigten jedoch die Äußerungen auf Facebook und während der Verhandlung, dass dem Mitarbeiter die persönliche Eignung für seine Tätigkeit fehlt. Daher sei unter einer Interessenabwägung eine ordentliche, personenbedingte Kündigung angemessen gewesen (LAG Thüringen, 14.11.2018 – 6 Sa 204/18).
Ein Polizeibeamter, der in der Partei "Bürgerbewegung pro Nordrhein-Westfalen (Pro NRW)" hochrangige Funktionen wahrnimmt, verstößt gegen die politische Treuepflicht und kann daher aus dem Dienstverhältnis entfernt werden (OVG Nordrhein-Westfalen, 27.09.2017 – 3dA 1732/14.0 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen: BVerwG, 20.08.2018 – 2 B 6.18 – Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG, 28.03.2019 – 2 BvR 2432/18).
Ein Mitarbeiter einer Gemeinde, der im Ordnungs- und Verkehrsdienst tätig ist und der Mitglied der Organisation Ansaar International e.V. (die vom Verfassungsschutz beobachtet wird) war, darf nicht außerordentlich gekündigt werden. Dies wurde entschieden im Hinblick darauf, dass der Arbeitnehmer sofort, nachdem er auf seine Mitgliedschaft angesprochen wurde, diese gekündigt und sich somit von der Organisation distanziert und alle Aktivitäten eingestellt hat (LAG Köln, 23.07.2020 - 8 Sa 57/20).
Ein Beamter auf Probe, der u.a. an einer gegen die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gerichteten Demonstration teilnimmt, kann aus dem Dienstverhältnis entlassen werden VGH Hessen, 22.10.2018 – 1 B 1594/18). Der ehemalige Beamte hat nach der Entscheidung daneben durch weitere, im Hinblick auf die Werte der Verfassung kritische Aktivitäten erhebliche Zweifel aufkommen lassen, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt. Damit hat er sich in der Probezeit nicht bewährt.
Einem Polizeianwärter, der in einem Video bei Youtube eine Betrugsmasche nachgestellt hat, verstößt gegen die Kernpflichten als Polizeibeamter; eine Entlassung ist daher aufgrund von Zweifeln an der charakterlichen Eignung für den Polizeidienst gerechtfertigt (OVG Berlin-Brandenburg, 24.10.2019 – 4 S 44.19; 4 M 10.19).
Ein Soldat, der den Hitlergruß zeigt, Parolen geäußert hat, die den Nationalsozialismus verherrlichen und eine Bomberjacke mit der Reichskriegsflagge getragen hat, kann fristlos entlassen werden. Er hat seine Verhaltenspflichten verletzt und dem Ansehen der Bundeswehr geschadet. Auch außerhalb des Dienstes muss er sich so verhalten, dass die Achtung und das Vertrauen, das die dienstliche Stellung erfordert, nicht beeinträchtigt werden (VG Koblenz, 19.12.2018 – 2 K 135/18.KO).
Ein Polizeimeisteranwärter, der einer WhatsApp-Gruppe angehört, in der u.a. Hitlerporträts, das Hakenkreuzsymbol sowie antisemitische, rassistische, gewaltverherrlichende und frauenfeindliche Bilder und Texte verschickt werden, kann wegen mangelnder charakterlicher und persönlicher Eignung für den Polizeidienst entlassen werden. Von einem Polizeibeamten sei zu erwarten, dass er zu jeder Zeit und ohne jeden Vorbehalt für die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Grundwerte eines friedlichen Zusammenlebens eintrete (VG Freiburg, 19.10.2020 - 3 K 2398/20). Dagegen hat das VG Düsseldorf die Suspendierung einer Polizeibeamtin wegen Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Chatgruppe für rechtswidrig erklärt und aufgehoben, da das öffentliche Interesse daran von der Behörde nur formelhaft begründet worden sei. Das Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte stütze sich nur auf eine Bilddatei, die zudem so ausgelegt werden könne, dass sie als Parodie Adolf Hitler verspotte (VG Düsseldorf, 22.10.2020 – 2 L 1910/20). In einem Eilverfahren kommt das VG zu dem Ergebnis, das Verbot der Führung der Amtsgeschäfte gegenüber einer Polizeibeamtin sei rechtmäßig, da diese vier Chatgruppen angehörte und dabei Bilder erhalten habe, die ebenso eindeutige wie unerträglich geschmacklose Anspielungen auf Akteure und Geschehnisse während der nationalsozialistischen Herrschaft enthielten. Die Inhalte habe die Polizeibeamtin längerfristig auf ihrem Handy belassen, ohne sich davon zu distanzieren. Die Bewertung des Dienstherrn, dieses Verhalten führe zu Zweifeln an der charakterlichen Eignung der Beamtin, sei nicht zu beanstanden (VG Düsseldorf, 15.12.2020 – 2 L 2370/20).
Postet ein Kommissaranwärter auf Instagram frauenverachtende Inhalte, kann dies ein Verbot zur Führung von Dienstgeschäften nach sich ziehen. Es bestehen dann massive Zweifel an der charakterlichen Eignung des Anwärters für den Polizeiberuf. Darüber hinaus kann dadurch das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit geschädigt werden. Erschwerend kam in dem entschiedenen Fall noch dazu, dass der Betroffene keine tragfähige Einsicht in sein Fehlverhalten zeigte. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Maßnahme erhobenen Klage wurde daher abgelehnt (OVG Nordrhein-Westfalen, 05.10.2021 – 6 B 1346/21).
Ein Polizeibeamter, der im Dienst Ausländer beleidigt und reichsbürgertypische Ansichten äußert, begeht eine besonders schwere Dienstpflichtverletzung. Dies kann die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen (VG München, 05.07.2022 – M 19 L DK 21.3728).
Die Entlassung eines Kommissaranwärters ist wegen fehlender charakterlicher Eignung gerechtfertigt, wenn dieser während des Dienstes Foto- und Filmaufnahmen für soziale Netzwerke anfertigt, obwohl ihm dies untersagt war (OVG Nordrhein-Westfalen, 06.07.2022 – 6 A 2255/21).
Ein Polizeibeamter, der über mehr als ein Jahr hinaus krankheitsbedingt keinen Dienst verrichtet, zugleich aber in diesem Zeitraum einer nicht genehmigten Nebentätigkeit nachgeht, ist aus dem Dienst zu entfernen (OVG Rheinland-Pfalz, 17.11.2021 – 3 A 10118/21.OVG). Auch ein Beamter, der über einen Zeitraum von drei Jahren während der Dienstzeit – zum Teil auch während krankheitsbedingter Fehlzeiten – einer Nebentätigkeit nachgegangen ist, konnte auch dem Dienst entfernt werden (VG Trier, 17.02.2021 – 3 K 2630/21.TR).
Ein Hausmeister bei der Bundeswehr, der einer rechtsextremen Kameradschaft angehört, sich an mehreren Veranstaltungen der rechten Szene beteiligt und in sozialen Medien seine Zustimmung zu rechtsextremen Inhalten geäußert hat, kann fristlos gekündigt werden (ArbG Berlin, 17.07.2019 – 60 Ca 455/19). Allerdings war im entschiedenen Fall im Hinblick auf das langjährig bestehende Arbeitsverhältnis eine Auslauffrist erforderlich und angemessen.
Erhebliche Zweifel an dem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bestehen, wenn ein Grundschullehrer in einem geheimen Netzwerk auf die Verbreitung antisemitischer Inhalte, die den Holocaust massiv anzweifeln, hinwirkt und sich demokratiefeindlich äußert (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 21.06.2022 - 5 Sa 256/21).
Hat sich ein Lehrer wegen sexuellen Missbrauchs einer minderjährigen Schülerin strafbar gemacht (§ 176 StGB), liegt darin eine erhebliche Pflichtverletzung auch, wenn die Straftat außerhalb der Schule begangen wurde. Eine Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung ist dann grundsätzlich entbehrlich, da die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen ist.
Der strafbare Besitz von Kinderpornographie durch Lehrer führt selbst bei geringer Menge im Rahmen disziplinarischer Maßnahmen in aller Regel zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, 24.10.2019 – 2 C 3/18 und 2 C 4/18). Besteht bei einem Lehrer der Verdacht, er habe kinder- bzw. jugendpornografisches Material besessen, darf ihm der Dienstherr bis zur endgültigen Klärung die Dienstausübung untersagen (VG Gelsenkirchen, 19.10.2022 – 1 L 1301/22).
Eine Steuerhinterziehung in erheblicher Höhe ist bei einem Angestellten einer Finanzbehörde als wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung auch dann geeignet, wenn der Angestellte die Hinterziehung selbst angezeigt hat (BAG, 21.06.2001 – 2 AZR 325/00).
Eine Polizeiärztin, die in einer privaten Anzeige in einer Sonntagszeitung eine wegen der Corona-Pandemie beschlossenen Änderung des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 gleichsetzt, verstößt gegen die Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem betroffenen Bundesland. Auch Arbeitnehmer, die nur eine "einfache" politische Treuepflicht trifft, müssen ein Mindestmaß an Verfassungstreue insoweit aufbringen, als sie sich nicht mit dem Ziel, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen dürfen. Das gilt gleichermaßen für den dienstlichen wie den außerdienstlichen Bereich. Handelt ein Arbeitnehmer diesen Anforderungen zuwider, kann dies ein Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung sein, wenn durch den Loyalitätsverstoß eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist. Die Gleichsetzung des Dritten Bevölkerungsschutzgesetzes vom 18.11.2020 mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 und die nachfolgende Aufzählung in der Anzeige "Zwangsimpfung, Wegnehmen der Kinder, Schutzlos in der eigenen Wohnung, Geschlossene Grenzen, Arbeitsverbot, Gefängnis" macht die gesetzgebenden Organe verächtlich (LAG Baden-Württemberg, 02.02.2022 - 10 Sa 66/21).
Ein Berufsschullehrer, der über viele Monate hinweg permanent im Unterricht die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in Frage gestellt und sich nicht zuverlässig an die Infektionsschutzmaßnahmen hält, kann verhaltensbedingt ordentlich gekündigt werden. Mit angeblich wissenschaftlichen Aussagen vor Schülern, ein Maschendrahtzaun schütze eher vor Mücken als Mund-Nasemasken vor Aerosolen werden die Arbeitssicherheitsbestimmungen ins Lächerliche gezogen und die Schüler so verunsichert, dass dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann. Dies gilt bei einer Vielzahl von Vorfällen insbesondere dann, wenn Infektionsschutzmaßnahmen mit nationalsozialistischen Willkürmaßnahmen, insbesondere mit Euthanasie verglichen werden und behauptet wird, wer sich nicht impfen lasse, komme in ein (Konzentrations-)Lager. Die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs 1 GG berechtigt nicht dazu, Arbeitsschutzvorschriften nicht einzuhalten (ArbG Darmstadt, 09.11.2021 – 9 Ca 163/21).
Eine Kommissaranwärterin, die mehrmals Cannabis konsumiert hat und sich nach der Verfehlung unangemessen gegenüber Vorgesetzen und Kollegen verhält, kann wegen fehlender charakterlicher Eignung aus dem Dienst entlassen werden. Überzahlte Anwärterbezüge muss sie zurückzahlen (BVerwG, 04.07.2022 – 2 B 5.22).
Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht des § 17 Abs. 2 S. 3 SG verlangt von einer verheirateten/verpartnerten und als solchen identifizierbaren Bataillonskommandeurin, dass sie bei der Inanspruchnahme von Partnerschaftsvermittlungsdiensten für sexuelle Zwecke bei der äußeren Gestaltung und Formulierung von Internetauftritten auf Integritätserwartungen Rücksicht nimmt (BVerwG, 25.05.2022 - 2 WRB 2/21). Nach der Entscheidung muss eine Soldatin mit Personalverantwortung den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und einen erheblichen Mangel an charakterlicher Integrität vermeiden.
2.6.2 Einstellungsverfahren
Die Gewähr, dass Beamte jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten, ist auch schon im Einstellungsverfahren Gegenstand der Prüfung, ob der Bewerber persönlich geeignet ist.
Ein Bewerber für eine Ausbildung bei der Bundespolizei kann abgelehnt werden, wenn er in seinem Profil in einem sozialen Netzwerk neben dem Bekenntnis zum islamischen Glauben auch eine Aussage veröffentlicht, es "sei eine größere Sünde, nicht zu beten, als einen Menschen zu töten" (VG Koblenz, 03.11.2016 – 2 L 1159/16 KO). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich der Bewerber von diesen Aussagen nicht distanziert und damit den Eindruck erweckt, er identifiziere sich damit.
Eine Einstellung in den Vorbereitungsdienst für die gehobene Laufbahn kommt nur in Betracht, wenn der Bewerber hierfür nach seiner Persönlichkeit geeignet ist. Diese Eignung wird insbesondere nach einer Straftat in Frage gestellt. Ein Bewerber, der als Fahrradfahrer im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,25 Promille auffällt, ist persönlich ebenso wenig geeignet wie ein Antragssteller, der drei in Deutschland nicht zugelassene Feuerwerkskörper von seinem Balkon in Richtung eines Kinderspielplatzes wirft (VG Berlin, 05.05.2017 – 26 L 151.17 u. 26 L 331.17). In beiden Fällen waren Strafverfahren anhängig. Nach Meinung des Gerichts ist es nicht zu beanstanden, wenn der Dienstherr für den Polizeivollzugsdienst besonders hohe Anforderungen an die charakterliche Stabilität des Bewerbers stelle.
Dagegen rechtfertigt ein einmaliger Erwerb einer geringen Menge Marihuana im Alter von 14 Jahren keinen Ausschluss von der Bewerbung für den Polizeivollzugsdienst. Der reflektierte Umgang des Bewerbers mit dem Fehlverhalten sprach in dem entschiedenen Fall nicht für die fehlende charakterliche Eignung. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich um eine einmalige und wenig strafrechtlich relevante Tat handele, die das Gepräge einer Jugendsünde habe und zeitlich lange zurückliege (VGH Baden-Württemberg, 14.03.2022 – 4 S 3920/21).
Verschweigt ein Bewerber für den Vorbereitungsdienst für den mittleren Dienst bei der Bundespolizei ein gegen ihn wegen Körperverletzung geführtes, aber eingestelltes Ermittlungsverfahren, hat er die Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben verletzt; dies lasse befürchten, dass auch künftig mit vergleichbarem Fehlverhalten zu rechnen sei. Das VG Mainz hat einen Eilantrag des Bewerbers zur vorläufigen Aufnahme in den Vorbereitungsdienst u.a. aus diesen Gründen abgelehnt (VG Mainz, 19.03.2019 – 4 L 105/19.MZ). Die Einstellung eines Bewerbers, bei dem aufgrund eines letztlich eingestellten Strafverfahrens wegen Betruges Zweifel an der charakterlichen Eignung für den Polizeidienst bestehen, kann abgelehnt werden (VG Aachen, 21.06.2019 – 1 L 505/19). Hat der Dienstherr in Kenntnis staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren, die eingestellt wurden, nach einem Eignungstest eine verbindliche Zusage gegeben, ist er grundsätzlich daran gebunden. Dies gilt auch, wenn die Zusagen zwar zurückgenommen wurden, diese Rücknahme aber wegen Anfechtung nicht rechtswirksam ist. Der Dienstherr darf aber seine Eignungsbewertung einer erneuten Prüfung unterziehen, wenn sich hinreichende Gründe dafür ergeben (siehe VG Gießen, 06/07.09.2017 – 5 L 5577/17.GI; 5 L 6579/17.GI; 5 L 6584/17.GI u. 5 L 6602/17.GI). Ein Bewerber für die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst des mittleren Polizeivollzugsdienstes kann abgelehnt werden, wenn im Rahmen der Leumundsprüfung eine große räumliche, freundschaftliche und verwandtschaftliche Nähe zu kriminalitätsbelasteten Milieus festgestellt wird. Den hiergegen gerichteten Eilantrag lehnte das VG Berlin ab. Durch den Verdacht der Nähe zu diesem Milieu seien Zweifel an der charakterlichen Eignung des Bewerbers begründet. Dieser Verdacht könne erst im Rahmen des Hauptverfahrens abschließend geprüft und ggf. ausgeräumt werden. Es bedürfe der Aufklärung, ob es Verbindungen zu einem kriminellen Clan gebe und ob diese die Bedenken an der persönlichen Eignung stützen könnten (VG Berlin, 21.03.2021 – 5 L 78/21).
Ein Bewerber für eine Stelle als Tarifangestellter im öffentlichen Dienst für eine Tätigkeit im Objektschutz kann trotz grundsätzlicher Eignung abgelehnt werden, wenn gegen ihn eine Jugendstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung verhängt wurde (LSG Berlin-Brandenburg, 17.05.2018 – 10 Sa 163/18).
Auch Schwarzfahren kann fatale Folgen haben: Nachdem ein Bewerber um eine Lehrerstelle mehrfach schwarz mit der S-Bahn gefahren war, wurde er wegen versuchten Betruges verurteilt. Aufgrund seiner Bewerbung erhielt er zunächst eine Zusage unter dem Vorbehalt der persönlichen und körperlichen Eignung. Nachdem das Führungszeugnis vorlag, lehnte das Land Berlin im Hinblick auf die Verurteilung die Einstellung wegen mangelnder persönlicher Eignung ab. Das LAG billigte die Entscheidung des Landes; die Ablehnung der Einstellung wegen charakterlicher Mängel sei nicht ermessensfehlerhaft (LAG Berlin-Brandenburg, 31.03.2017 – 2 Sa 122/17).
Infolge von Posts in sozialen Medien, die die charakterliche Eignung für den Dienst bei der Bundespolizei in Frage stellen (homophobe Äußerungen und die Zuschaustellung eines Fahrverbotes) berechtigen den Dienstherren, eine Einstellungszusage zurückzuziehen. Ein Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen die Rücknahme der Zusage wurde abgewiesen (VG Aachen, 26.08.2021 – 1 L 480/21).
3. Einzelheiten
3.1 Gefährliche Sportarten
Eine Klausel im Arbeitsvertrag, die dem Arbeitnehmer bestimmte gefährliche Sportarten untersagt, wäre unwirksam. Denn ob ein Sport gefährlich ist und daher die Gefahr einer Leistungsstörung in sich birgt, ist nur aufgrund des konkreten Einzelfalles zu entscheiden. Dabei spielen die Fitness und Trainingsstand des Sportlers eine wesentliche Rolle.
3.2 Nebentätigkeiten
Der Mitarbeiter ist berechtigt, eine oder mehrere Nebentätigkeiten auszuüben. Daher muss er sich diese in der Regel auch nicht von dem Arbeitgeber genehmigen lassen. Eine Ausnahme gilt, wenn eine entsprechende (tarif)vertragliche Regelung die Anzeige- bzw. Genehmigungspflicht vorsieht. Auch wenn nach dem Arbeitsvertrag eine Genehmigung erforderlich ist, kann der Arbeitgeber diese nicht nach Belieben verweigern. Es muss vielmehr nachvollziehbar sein, dass die Tätigkeit den Interessen des Betriebes entgegensteht (BAG, 11.12.2001 – 9 AZR 464/00).
Der zusätzliche Job darf jedoch nicht dazu führen, dass die Leistungsfähigkeit in der Hauptbeschäftigung beeinträchtigt wird. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn durch Haupt- und Nebenbeschäftigung insgesamt die maximal zulässige Höchstarbeitszeit überschritten wird (vgl. § 3 ArbZG, BAG, 11.12.2001 – 9 AZR 464/00). Außerdem kann eine Nebentätigkeit unzulässig sein, wenn diese für den Arbeitgeber rufschädigend ist (z.B., wenn ein leitender Mitarbeiter einer Bankfiliale nebenher als Türsteher im Rotlichtmilieu arbeitet) oder es sich um eine Konkurrenztätigkeit handelt.
Besonders problematisch ist, wenn der Mitarbeiter arbeitsunfähig krank ist, aber in dem Nebenjob weiterarbeitet. Da sich die Frage der Arbeitsunfähigkeit immer nach der ausgeübten Tätigkeit richtet, ist es durchaus denkbar, dass der Arbeitnehmer in seinem Hauptberuf mit der Arbeit aussetzen muss, aber die Nebentätigkeit auch ohne negative Wirkung auf den Genesungsprozess weiter verrichten kann. Wird jedoch der Heilungsprozess beeinträchtigt, liegt ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten vor (siehe auch Arbeitsunfähigkeit - Freizeitverhalten sowie LAG Köln, 16.10.2013 – 11 Sa 915/12). Ein Polizeibeamter, der über mehr als ein Jahr hinaus krankheitsbedingt keinen Dienst verrichtet, zugleich aber in diesem Zeitraum einer nicht genehmigten Nebentätigkeit nachgeht, ist aus dem Dienst zu entfernen (OVG Rheinland-Pfalz, 17.11.2021 – 3 A 10118/21.OVG).
Übt die Arbeitnehmer seine Nebentätigkeit während einer Arbeitsunfähigkeit weiter aus und versucht er durch eine Täuschung diesen Sachverhalt zu verschleiern, kann dies ein Grund sein, der an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen (LAG Rheinland-Pfalz, 27.08.2020 – 2 Sa 125/19).
3.3 Straftaten
Soweit sich Straftaten auf das Ansehen des Arbeitgebers oder auf das Vertrauensverhältnis auswirken, können sie als Leistungsstörung eingestuft werden und daher auch zur Kündigung berechtigen. Voraussetzung ist also, dass durch das außerdienstliche Verhalten Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt werden (LAG Niedersachsen, 21.03.2019 – 13 Sa 371/18). So riskiert ein Mitarbeiter einer Bank, der als Vereinskassierer eine Unterschlagung begangen hat, dass ihm der Arbeitgeber kündigt. Besonders gravierend sind Straftaten, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit begangen werden, wie z.B. die Annahme von Schmiergeldern (siehe LAG Düsseldorf, 03.02.2012 – 6 Sa 1081/11) oder Fahrerflucht mit einem Dienstfahrzeug.
Eine fristlose Kündigung kann in Betracht kommen, wenn dies die Eignung bzw. Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers für die geschuldete Arbeitsleistung entfallen lässt (BAG, 10.04.2014 – 2 AZR 684/13). Dabei kommt es auf die Art und Schwere der Straftat, sowie die ausgeübte Tätigkeit und die Stellung im Betrieb an (LAG Düsseldorf, 12.04.2018 – 11 Sa 319/17; LAG Berlin-Brandenburg, 19.02.2019 - 7 Sa 2068/18). Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles. Es muss insbesondere auch geprüft werden, ob entsprechend dem Ultima-ratio-Prinzip zunächst mildere Mittel – wie eine Abmahnung – eingesetzt werden können und verhältnismäßig sind.
Ein Straftatbestand liegt auch vor, wenn pornografische Schriften jemanden ohne Aufforderung zugeleitet werden (§ 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Auch sexuelle Belästigungen sind strafrechtlich relevant (§ 184i StGB). Ebenso können fremdenfeindliche Äußerungen Straftatbestände wie Volksverhetzung, Beleidigung oder Verleumdung erfüllen.
Ein Straftatbestand kann auch bei ehrverletzenden Äußerungen vorliegen (§§ 185, 193 StGB). Zu dem Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht siehe BVerfG, 19.05.2020 – 1 BvR 2459/19; 1 BvR 1094/19; 1 BvR 2397/19 u. 1 BvR 362/18; siehe hierzu auch 3.4.
Stalking kann ohne Berücksichtigung der strafrechtlichen Relevanz ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (BAG, 19.04.2012 – 2 AZR 258/11).
Der Straftatbestand der üblen Nachrede ist erfüllt, wenn ehrenrührige Tatsachen zumindest gegenüber einem Dritten behauptet oder verbreitet werden und der Inhalt geeignet ist, den Betroffenen verächtlich zu machen oder ihn in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen (§ 186 StGB). Dabei muss dem Täter die Ehrenrührigkeit der Behauptung bewusst sein; nicht erforderlich ist dagegen, dass der Täter die Unwahrheit seiner Behauptung kannte. Verbreitet eine Mitarbeiterin über einen Kollegen via WhatsApp die (unwahre) Behauptung, dieser sei ein verurteilter Vergewaltiger, kann eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein (LAG Baden-Württemberg, 14.03.2019 – 17 Sa 52/18). Mit der Begehung einer Straftat verletzt der Arbeitnehmer zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG, 10.06.2010 - 2 AZR 541/09). Eine Abmahnung war nach dem Urteil des LAG Baden-Württemberg (a.a.O.) nicht erforderlich, weil offensichtlich gewesen sei, dass der Arbeitgeber diese Straftat nicht dulden würde. Wird ein Arbeitgeber in einem Schreiben des Arbeitnehmers an die Konzernmutter ohne den Versuch einer vorherigen, unternehmensinternen Klärung kritisiert, stellt dies zwar eine Pflichtverletzung dar; dies rechtfertigt aber nicht eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Nicht als Abmahnung zu werten ist eine Aufforderung des Arbeitgebers zur Stellungnahme, auch wenn diese die Missbilligung des Arbeitgebers deutlich zum Ausdruck bringt. Für die Tatsachen, die in einem solchen Fall die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG rechtfertigen sollen, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast auch dann, wenn es sich um eine üble Nachrede i.S.v. § 186 StGB handelt (BAG, 16.12.2021 – 2 AZR 356/21). Ggf. hat das Gericht das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine weitere, den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht erwarten lassen.
Der dringende Tatverdacht einer Unterschlagung, der durch Zeugenaussagen erhärtet wird, kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen (LAG Düsseldorf, 28.06.2019 – 6 Sa 994/18).
Die Verleumdung von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeutet, stellt zugleich einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten dar und kann auch eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen. Eine solche Verleumdung liegt vor bei der wahrheitswidrigen Behauptung, eine Kollegin in einer Pflegeeinrichtung schlage Bewohner (LAG Rheinland-Pfalz, 25.01.2022 – 6 Sa 199/21).
Besteht der Verdacht, dass eine Beamtin auf Probe gewerbsmäßig gefälschte Impfausweise verkauft hat und damit eine Urkundenfälschung gegangen hat, kann sie aus dem Beamtenverhältnis entlassen werden (VG Saarlouis, 04.07.2022 – 2 L 297/22).
Zu Straftaten im Zusammenhang mit rassistischen Äußerungen siehe auch 3.7.
3.4 Rufschädigung
3.4.1 Allgemeines
Eine Leistungsstörung kann auch vorliegen, wenn arbeitsvertragliche Nebenpflichten verletzt werden, z.B. wenn die Freizeitaktivitäten des Arbeitnehmers das Ansehen und den Ruf des Betriebes schädigen. Gibt sich z.B. der Prokurist eines Unternehmens jedes Wochenende übermäßigem Alkoholgenuss mit entsprechend auffälligem Verhalten hin, kann dies Folgen für sein Arbeitsverhältnis haben. Ist ein Lizenzspieler eines Fußballvereins in eine Schlägerei verwickelt, kann dies dem Ruf des Vereins schaden und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Dem Ruf und Ansehen des Arbeitgebers schadet es, wenn in der Presse über eine Verfolgungsjagd berichtet wird, bei der ein alkoholisierter Verkäufer eines Autohauses beteiligt war und dabei eine Vielzahl von Verkehrsverstößen begangen hat. Unabhängig von der Tatsache, ob es sich um ein illegales Straßenrennen handelte oder um eine Verfolgungsjagd eines Diebes, widerspricht dies dem Ruf eines seriösen Autohauses (ArbG Düsseldorf, 12.07.2016 – 15 Ca 1769/16). Die Berufung endete mit einem Vergleich (LAG Düsseldorf, 17.11.2016 – 13 Sa 746/16).
Rufschädigend kann auch ein Auftritt eines Mitarbeiters bei einer Demonstration einer rechtsextremen Partei sein, bei dem der Dienstausweis des Arbeitgebers gut sichtbar am Gürtel getragen wird. Dennoch kann es im Einzelfall erforderlich sein, dass vor einer Kündigung eine Abmahnung ausgesprochen wird. Wird dies unterlassen, ist die Kündigung unwirksam. Dies entschied das ArbG Nürnberg am 25.01.2017.
Die außerdienstliche politische Betätigung eines Arbeitnehmers berechtigt – auch wenn es sich um verfassungsfeindliche Organisationen handelt – bei privaten Arbeitgebern in der Regel nicht zur Kündigung. Nur wenn die berechtigten Interessen des Arbeitgebers sehr stark beeinträchtigt werden, kann es sein, dass die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers dahinter zurücktreten muss. Die politische Betätigung des Arbeitnehmers hat seine Grenzen dort, wo es dadurch zu einer konkreten Beeinträchtigung der Betriebsabläufe kommt.
Ein Verstoß gegen die Verpflichtung aus § 241 Abs. 2 BGB muss sich aus einem Bericht in den Medien über ein außerdienstliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers (Zurschaustellung rechtsradikaler Gesinnung während einer Veranstaltung in einer Großraumdiskothek auf Mallorca), wobei der Name des Arbeitgebers bekannt gemacht worden ist, nicht ergeben, weil dies im konkreten Fall für den Arbeitnehmer nicht vorhersehbar war (LAG Niedersachsen, 21.03.2019 – 13 Sa 371/18).
3.4.2 Freie Meinungsäußerung oder Schmähkritik?
Dagegen sind kritische Äußerungen im privaten Bereich über den Arbeitgeber in der Regel durch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) legitimiert. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Kritik darf auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (LAG Baden-Württemberg, 05.12.2019 - 17 Sa 3/19). Im Arbeitsverhältnis steht die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit naturgemäß im Spannungsverhältnis zu der Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber.
Arbeitnehmer dürfen - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. Auf das Recht auf freie Meinungsäußerung kann sich daher auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre. Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (LAG Rheinland-Pfalz, 06.04.2022 – 7 Sa 181/21).
Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst. Dagegen müssen wahre Aussagen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (LAG Rheinland-Pfalz, 06.04.2022 - 7 Sa 181/21).
Arbeitnehmer dürfen bei einem vertraulichen Austausch von Meinungen darauf vertrauen, dass ihre Äußerungen nicht nach außen getragen werden und der Betriebsfrieden bzw. das Vertrauensverhältnis nicht gestört werden (LAG Rheinland-Pfalz, 22.01.2015 – 3 Sa 571/14). Kann jedoch nach den Umständen und dem Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs nicht davon ausgegangen werden, dass die Äußerungen als vertraulich eingeordnet und behandelt werden, können sie ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein.
Auch eine inhaltlich unvertretbare Interpretation eines (Arbeits)vertragsinhalts kann öffentlich geäußert werden, da sie der Meinungsfreiheit unterliegt (ArbG Mönchengladbach, 15.04.2016 – 5 Ga 7/16). Dem Arbeitgeber steht insoweit kein Unterlassungsanspruch zu. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern wird durch das Recht der persönlichen Ehre gem. Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. Allerdings muss der auch strafrechtlich gewährleistete Ehrenschutz beachtet werden (LAG Baden-Württemberg, 14.03.2019 - 17 Sa 52/18 m.w.N.).
Eine vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre per SMS ist Ausdruck der Persönlichkeit und grundgesetzlich gewährleistet (LAG Rheinland-Pfalz, 22.01.2015 – 3 Sa 571/14); BAG, 10.10.2002 – 2 AZR 418/01; vgl. aber LAG Baden-Württemberg, 14.03.2019 – 17 Sa 52/18). Dies gilt nur dann nicht, wenn es sich um Beleidigungen und Schmähkritik handelt. Ob eine Äußerung als Beleidigung zu bestrafen ist oder von der Meinungsfreiheit geschützt ist, muss im Wege der Abwägung entschieden werden (BVerfG 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17). Werturteile fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BAG, 05.12.2019 - 2 AZR 240/19). Schmähkritik zielt ausschließlich auf Verunglimpfung und nicht auf Meinungsbildung ab (vgl. ArbG Bochum, 09.02.2012 – 3 Ca 1203/11).
Bei Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik tritt die Meinungsfreiheit von vornherein zurück. Es bedarf daher insoweit im Einzelfall keiner Abwägung (BVerfG, 14.06.2019 a.a.O.). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch aufgrund der Verfassung eng auszulegen. Es handelt sich um einen Sonderfall der Beleidigung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer oder überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, 29.06.2016 – 1 BvR 2646/15 u. 08.02.2017 1 BvR 2973/14). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. (LAG Baden-Württemberg, 05.12.2019 – 17 Sa 3/19). Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BVerfG, 30.05.2018 – 1 BvR 1149/17). Jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik steht nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund (BAG, 05.12.2019 - 2 AZR 240/19).
Zu dem Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht siehe BVerfG, 19.05.2020 – 1 BvR 2459/19; 1 BvR 1094/19; 1 BvR 2397/19 u. 1 BvR 362/18. Die Entscheidungen ergingen zum Strafrecht. Das BVerfG hat das Verfahren 1 BvR 2397/19 dazu genutzt, seine Rechtsprechung zur Frage zusammenzufassen, welche Anforderungen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Verhältnis zu ehrbeeinträchtigenden Äußerungen stellt. U.a. wird in der Pressemitteilung dazu ausgeführt: "Da Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedem das Recht gibt, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, auch wenn dies in polemischer oder verletzender Weise geschieht, greifen strafrechtliche Verurteilungen wegen Beleidigung (§ 185 StGB) in das Grundrecht der Meinungsfreiheit ein. Die Anwendung dieser Strafnorm erfordert daher eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung und darauf aufbauend im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Hierfür bedarf es einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung fällt. Eine ehrbeeinträchtigende Äußerung ist daher nur dann eine gem. § 185 StGB tatbestandsmäßige und rechtswidrige (§ 193 StGB) Beleidigung, wenn das Gewicht der persönlichen Ehre in der konkreten Situation die Meinungsfreiheit des Äußernden überwiegt. Eine solche Abwägung kann zwar im Einzelfall entbehrlich sein, wenn herabsetzende Äußerungen die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Die Kammer hat aber in Bekräftigung der ständigen Rechtsprechung noch einmal deutlich gemacht, dass es sich dabei um Ausnahmefälle handelt, die an strenge Voraussetzungen geknüpft sind". Die Ausführungen dürften auch für die arbeitsrechtliche Bewertung solcher Sachverhalte relevant sein. In einer weiteren Entscheidung betont das BVerfG, dass die Meinungsfreiheit jedenfalls dann zurücktritt, wenn herabsetzende Äußerungen die Menschenwürde antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen (BVerfG, 02.11.2020 - 1 BvR 2727/19 ebenso: LAG Hamm, 14.07.2022 – 8 Sa 365/22).
Um eine erhebliche Schmähkritik handelt es sich bei Äußerungen wie "Russen Arschloch" i.V.m. "Flasche" und "Russen Ei" sowie "Russen Idiot"; sie sind an sich ein wichtiger Grund, der eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann (LAG Hessen, 21.09.2018 – 10 Sa 601/18).
Von dem Recht auf freie Meinungsäußerung sind auch emotionale und sogar unbegründete Äußerungen geschützt (LAG Rheinland-Pfalz, 02.03.2017 – 5 Sa 251/16). Allein in dem sinngemäßen Vorwurf an einen Vorgesetzten, ein "Ausbeuter" zu sein, liegt noch keine Schmähkritik (BVerfG, 30.05.2018 – 1 BvR 1149/17). Bei der Einordnung kommt es entscheidend auf den Gesamtzusammenhang einer Äußerung an. Handelt es sich danach um Schmähkritik, ist eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig. Dabei tritt die Meinungsfreiheit grundsätzlich hinter den Ehrenschutz zurück (BVerfG, 08.02.2017 – 1 BvR 2973/14 m.w.N.).
Die bewusst unwahre Äußerung über angebliche Handlungen des Arbeitgebers, von Vorgesetzen oder Kollegen ist nicht von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt (BVerfG, 25.10.2012 – 1 BvR 901/11). Ein wichtiger Grund für eine Kündigung ist auch gegeben, wenn bewusst wahrheitswidrige Behauptungen oder Gerüchte über die Geschäftsentwicklung des Arbeitgebers verbreitet und dadurch berechtigte Interessen des Unternehmens erheblich beeinträchtigt werden (z.B. der Betriebsfrieden oder der Betriebsablauf erheblich gestört oder die Erfüllung der Arbeitspflicht behindert wird – BAG, 10.12.2009 a.a.O.).
Das Gleiche gilt bei groben Beleidigungen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG, 10.12.2009 – 2 AZR 534/08) oder den Ruf schädigen. Dies gilt insbesondere, wenn die Behauptungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG, 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 - siehe auch LAG Baden-Württemberg, 14.03.2019 – 17 Sa 52/18 u. 05.12.2019 – 17 Sa 3/19). Ob eine Äußerung eine grobe Beleidigung darstellt, muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden (LAG Schleswig- Holstein, 24.01.2017 – 3 Sa 244/16). Sie kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden. Dies gilt auch dann, wenn sie sich gegen Kollegen richtet (LAG Rheinland-Pfalz, 18.05.2016 – 4 Sa 350/15).
Eine grobe Beleidigung liegt z.B. vor, wenn einem Betriebsratsvorsitzenden der Hitlergruß mit den Worten "Du bist ein Heil, du Nazi" gezeigt wird (ArbG Hamburg, 20.10.2016 – 12 Ca 348/15). Eine grobe Beleidigung liegt auch vor, wenn Vorgesetzte als "Arsch" bzw. "soziales Arschloch" bezeichnet werden, selbst wenn sich der Mitarbeiter provoziert fühlt (LAG Schleswig-Holstein, 24.01.2017 – a.a.O.). Ebenfalls nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist es, wenn ein Betriebsratsmitglied einen anderen Angehörigen des Gremiums mit dunkler Hautfarbe durch Affenlaute grob beleidigt und dessen Menschenwürde missachtet (BVerfG, 02.11.2020 – 1 BvR 2727/19).
Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter oder Repräsentanten sowie von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen einen erheblichen Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar und sind an sich geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dabei schützt das Grundrecht der Meinungsfreiheit weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen (LAG Hamm, 10.10.2012 – 3 Sa 644/12).
Eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht sozial gerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 1 KSchG, wenn der Arbeitnehmer zwar sein Missfallen über die Länge einer Schicht ausgedrückt hat, jedoch weder behauptet, dass gegen arbeitsschutzrechtliche Vorschriften verstoßen worden ist noch die Grenzen unsachlicher Schmähkritik überschreitet (LAG Rheinland-Pfalz, 25.09.2019 - 7 Sa 39/19).
Anders zu beurteilen sind Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen. Sie können durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt sein. Ggf. ist eine Abgrenzung nach dem Schwerpunkt unter Berücksichtigung des Gesamtkontext, in dem die Äußerung steht, vorzunehmen (BAG, 18.12.2014 – 2 AZR 265/14). Meinungsäußerungen mit beleidigendem und rufschädigendem Charakter können grundsätzlich eine Kündigung rechtfertigen. Dennoch kann im Einzelfall durch die vorzunehmende Interessenabwägung eine Kündigung unzulässig sein, insbesondere, wenn der Arbeitnehmer im Lauf einer langjährigen Beschäftigung bisher keinen Grund zu einer einschlägigen Abmahnung geliefert hat (LAG Düsseldorf, 16.11.2015 – 9 Sa 832/15).
3.4.3 Soziale Netzwerke
Vorsicht ist auch geboten bei negativen Äußerungen über den Betrieb und die Vorgesetzten in sozialen Netzwerken. Soweit die Nachrichten einem großen Nutzerkreis zugänglich sind, kann damit eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten einhergehen (vgl. hierzu VGH Bayern, 29.02.2012 – 12 C 12.264). Beleidigende Äußerungen über Vorgesetze – auch in Form von so genannten Emoticons (drücken Stimmungs- und Gefühlszustände aus) – können einen gewichtigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) und damit an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellten (LAG Baden-Württemberg, 22.06.2016 – 4 Sa 5/16). Dies gilt auf jeden Fall, wenn der Kreis der Adressaten nicht eng begrenzt ist.
Äußerungen eines Arbeitnehmers auf seinem privaten Facebook – Nutzerkonto, die einen rassistischen und menschenverachtenden Inhalt haben, können jedenfalls dann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn sich aus dem Facebook – Nutzerkonto ergibt, dass der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber beschäftigt ist und die Äußerung ruf- und geschäftsschädigend sein kann (ArbG Mannheim, 19.02.2016 - 6 Ca 190/15; siehe auch ArbG Herne, 22.03.2016 – 5 Ca 2806/15 und 3.7). Das ArbG hat trotz der von ihm anerkannten Verletzung der Nebenpflichten im Rahmen der gebotenen Abwägung die Kündigung als unzulässig erklärt, weil den Interessen des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Vorrang vor den Interessen des Betriebes einzuräumen war. Eine außerordentliche Kündigung kann auch gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitnehmer in seinem privaten Facebook-Nutzerkonto, das auch Aufschluss über seinen Arbeitgeber gibt, für jedermann zugänglich gegenüber Ausländern herabwürdigende Äußerungen mit rechtradikalem und fremdenfeindlichem Charakter postet. Solche Aussagen sind nicht von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt und stellen eine schwere Pflichtverletzung des Mitarbeiters dar (ArbG Gelsenkirchen, 24.11.2015 – 5 Ca 1444/15). Dagegen sind private Textnachrichten mit fremdenfeindlichem Inhalt, die in einer kleinen Whats-App-Gruppe gepostet werden, nach Auffassung des ArbG Mainz kein Kündigungsgrund, da der Arbeitnehmer darauf vertrauen kann, dass sie nicht nach außen getragen werden (ArbG Mainz, 15.11.2017 – 4 Ca 1240/17, 4 Ca 1241/17, 4 Ca 1242/17 u. 4 Ca 1243/17; a.M. LAG Baden-Württemberg, 14.03.2019 – 17 Sa 52/18). Veröffentlicht ein Arbeitnehmer auf einer rechtsradikalen Facebook-Seite unter seinem Namen und in Straßenbahnuniform ein Foto mit einer meckernden Ziege mit der Sprechblase "Achmed, ich bin schwanger", so kann dies eine fristlose Kündigung der im Eigentum einer Stadt stehenden Straßenbahngesellschaft rechtfertigen (LAG Sachsen, 27.02.2018 – 1 Sa 515/17).
Fraglich ist, ob eine Verdachtskündigung (siehe 4.3) gerechtfertigt sein kann, wenn dieser Verdacht sich darauf bezieht, dass der Mitarbeiter durch sein außerdienstliches Verhalten nicht mehr tragbar ist, also den Ruf des Unternehmens schädigt.
Der bloße Verdacht eines islamistischen Extremismus, der rein außerdienstlich zu Tage getreten ist, rechtfertigt keine Kündigung (LAG Niedersachsen, 12.03.2018 – 15 Sa 319/17), auch wenn dem Mitarbeiter präventiv der Reisepass entzogen worden ist. Eine Kündigung ist nach dem Urteil nur gerechtfertigt, wenn diese zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses führt.
Verbreitet eine Arbeitnehmerin eine unzutreffende Behauptung, die geeignet ist, den Ruf eines Kollegen erheblich zu beeinträchtigen (hier: die unzutreffende Behauptung, der Kollege sei wegen Vergewaltigung verurteilt worden) per WhatsApp an eine andere Kollegin, kann dies einen Grund darstellen, der den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt (LAG Baden-Württemberg, 14.03.2019 - 17 Sa 52/18).
Die Veröffentlichung von Fotos einer Baustelle im Rahmen einer Facebook-Gruppe stellt keine Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf Belange des Arbeitgebers dar, wenn hierdurch nicht der falsche Eindruck erweckt wird, dass gegen Arbeitsschutz-Vorschriften verstoßen wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 25.09.2019 - 7 Sa 39/19).
3.5 Störung des Arbeitsablaufs bzw. des Betriebsfriedens
Zu den Rücksichtnahmepflichten des Arbeitnehmers gehört es auch, Störungen des Betriebsablaufs oder des Betriebsfriedens zu vermeiden. Ist der Arbeitnehmer Mitglied einer extremistischen Organisation, hat dies bei Privatbetrieben – im Gegensatz zum öffentlichen Dienst – in der Regel keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Denn hier gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG). Allerdings nur so lange, wie dies nicht Verletzung der Rücksichtnahmepflicht führt (vgl. auch LAG Niedersachsen, 21.03.2019 – 13 Sa 371/18). Dabei müssen z.B. die Äußerungen und das Verhalten des Mitarbeiters zu einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs führen. Dementsprechend haben außerdienstliche Aktivitäten in der Regel keine arbeitsrechtlichen Auswirkungen. Der bloße Verdacht eines islamistischen Extremismus, der rein außerdienstlich zu Tage getreten ist, rechtfertigt daher keine Kündigung (LAG Niedersachsen, 12.03.2018 – 15 Sa 319/17), auch wenn dem Mitarbeiter präventiv der Reisepass entzogen worden ist. Eine Kündigung ist auch nach diesem Urteil nur gerechtfertigt, wenn diese zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses führt.
Der Betriebsablauf kann auch durch Äußerungen gegenüber Kunden des Unternehmens beeinträchtigt werden. Die nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers beinhaltet für ranghohe Vertriebsmitarbeiter, bei dienstlichen Veranstaltungen mit potentiellen Kunden auf Äußerungen zu verzichten, die nationalsozialistische Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Frage stellen oder verharmlosen. Dies gilt unabhängig davon, welche Äußerungen außerhalb dienstlicher Veranstaltungen von der allgemeinen Meinungsfreiheit gedeckt wären. Eine Verletzung dieser Rücksichtnahmepflichten kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (LAG Berlin-Brandenburg, 17.01.2020 - 9 Sa 434/19).
Liebesbeziehungen unter Kollegen sind grundsätzlich nicht verboten und Privatsache. Daraus ergibt sich aber zwingend, dass dadurch weder die Arbeitsleistung noch der Betriebsfrieden leiden darf. Problematisch kann es insbesondere sein, wenn eine Beziehung zwischen Vorgesetzen und Untergebenen besteht.
3.6 Verlust der Eignung für den Beruf
Außerdienstliches Verhalten kann zum Verlust der Eignung für den Beruf führen. Verliert z.B. ein Fernfahrer seinen Führerschein, wird seine Leistung damit unmöglich. Damit ist ein Grund zur personenbezogenen Kündigung gegeben.
Das Gleiche gilt, wenn ein Horterzieher ein rechtsextremes Weltbild hat, das durch sein konkretes Verhalten belegt wird (ArbG Mannheim, 19.05.2015 – 7 Ca 254/14). Auch hierdurch hat der Arbeitnehmer seine Eignung für die konkrete Tätigkeit verloren und den Grund für eine personenbedingte Kündigung geliefert.
Das Verfälschen über das eigene Arbeitsverhältnis erstellter Abrechnungen zwecks Täuschung eines Kreditgebers kann die persönliche Eignung des Arbeitnehmers für die ihm übertragenen Aufgaben jedenfalls dann in Frage stellen, wenn im Rahmen einer kaufmännischen Tätigkeit gerade die Vertragsanbahnung zu den Arbeitsaufgaben gehört (LAG Hamm, 19.08.2021 - 8 Sa 1671/19). Ein derartiges Verhalten kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
3.7 Rassistische und beleidigende Äußerungen
Die erhebliche Zuwanderung durch Flüchtlinge hat zu öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Aufnahme von Ausländern geführt. Dabei darf natürlich jeder Arbeitnehmer im außerdienstlichen Bereich seine Meinung zu diesem Thema öffentlich machen. Allerdings darf er durch sein Verhalten weder den Betriebsfrieden stören noch dem Ruf des Unternehmens (siehe 3.4) schaden. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn fremdenfeindliche Äußerungen einen Straftatbestand, wie Volksverhetzung, Beleidigung oder Verleumdung erfüllen. Fallen solche Äußerungen in der Freizeit, liegt eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten nur vor, wenn ein Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn der betreffende Arbeitnehmer in einer herausgehobenen Position steht oder im Zusammenhang mit der Äußerung erkennbar wird, bei wem er arbeitet.
Greift der Arbeitnehmer die Menschenwürde anderer an, indem er Teile der Bevölkerung, nämlich Asylbewerber, in sozialen Medien böswillig verächtlich macht und zum Hass gegen diese aufstachelt, ist dies ein Grund zur außerordentlichen Kündigung, wenn der Arbeitgeber des Verfassers für den Nutzer erkennbar ist (ArbG Herne, 22.03.2016 – 5 Ca 2806/15 – Berufung beim LAG Hamm zurückgenommen).
Eine außerordentliche Kündigung kann auch gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitnehmer in seinem privaten Facebook-Nutzerkonto, das auch Aufschluss über seinen Arbeitgeber gibt, für jedermann zugänglich gegenüber Ausländern herabwürdigende Äußerungen mit rechtsradikalem und fremdenfeindlichem Charakter postet. Solche Aussagen sind nicht von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt und stellen eine schwere Pflichtverletzung des Mitarbeiters dar (ArbG Gelsenkirchen, 24.11.2015 – 5 Ca 1444/15).
Islamfeindliche Äußerungen gegenüber einem Kollegen türkischer Herkunft per WhatsApp können als grobe Beleidigung an sich einen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Der Verfasser kann sich weder auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung noch auf die Kunstfreiheit berufen (LAG Baden-Württemberg, 19.12.2019 – 3 Sa 30/19).
Dagegen sind private Textnachrichten mit fremdenfeindlichem Inhalt, die in einer kleinen Whats-App-Gruppe gepostet werden, nach Auffassung des ArbG Mainz kein Kündigungsgrund, da der Arbeitnehmer darauf vertrauen kann, dass sie nicht nach außen getragen werden (ArbG Mainz, 15.11.2017 – 4 Ca 1240/17, ArbG Mainz, 15.11.2017 – 4 Ca 1241/17, 4 Ca 1242/17 u. 4 Ca 1243/17). Die beteiligten Mitarbeiter hatten für den Austausch private Smartphones benutzt. Nach der Rechtsprechung des BAG darf es nicht zu Lasten eines Arbeitnehmers gehen, wenn ein Gesprächspartner entgegen der Vertraulichkeit von Äußerungen den Arbeitgeber informiert (BAG, 10.12.2009 – 2 AZR 534/08). Dagegen darf nach einem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg der Arbeitgeber das Protokoll eines vertraulichen WhatsApp-Chats, das ihm von einer an dem Chat beteiligten Person zugetragen wird, im Kündigungsschutzprozess verwenden. Dennoch können fremdenfeindliche oder sonst menschenverachtende Äußerungen, die Arbeitnehmer innerhalb einer kleinen geschlossenen WhatsApp-Gruppe - hier: drei Personen - unter Verwendung ihrer privaten Handys tätigen, keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen, da der Mitarbeiter von der Vertraulichkeit der Kommunikation ausgehen konnte. Das gilt auch, wenn es sich um die technische Leitung einer Einrichtung für Geflüchtete handelt. Die in fremdenfeindlichen und sonst menschenverachtenden Äußerungen in einem vertraulichen Chat zum Ausdruck kommende Haltung des technischen Leiters kann jedoch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers in rechtfertigen, wenn dieser durch das Bekanntwerden der Äußerungen in der Verwirklichung des Betriebszwecks im Hinblick auf die Gewinnung von Personal, im Verhältnis zu ehrenamtlichen Mitarbeitern und insbesondere im unmittelbaren Verhältnis zu den zu betreuenden Geflüchteten beeinträchtigt ist (LAG Berlin-Brandenburg, 19.07.2021 - 21 Sa 1291/20).
Voraussetzung für arbeitsrechtliche Konsequenzen ist, dass durch das außerdienstliche Verhalten Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt werden (LAG Niedersachsen, 21.03.2019 – 13 Sa 371/18). Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich die außerhalb des Betriebes erfolgten rassistischen Äußerungen bzw. Handlungen gegen einen Kollegen richten und ein Bezug zu dem Betrieb hergestellt werden kann. Aufgrund § 12 Abs. 1 AGG ist der Arbeitgeber verpflichtet, seine Mitarbeiter vor einer Benachteiligung, u. a. wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, zu schützen. Dazu gehören auch vorbeugende Maßnahmen. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber die Arbeit so gestalten, dass Gefährdungen der Arbeitnehmer vermieden bzw. so gering wie möglich gehalten werden (§ 4 Nr. 1 ArbSchG). Gefährdungen können auch durch psychische Belastungen, die durch diskriminierende Äußerungen von Arbeitskollegen, auch außerhalb des Betriebes, ausgelöst werden. Daher ist der Betrieb gehalten, dagegen vorzugehen.
Deutlich zurückhaltender muss der Mitarbeiter innerhalb des Betriebes sein. Dies ist auch wichtig im Hinblick auf die wachsende Anzahl von Kollegen mit Migrationshintergrund. Stellen sich Äußerungen als schwerwiegende Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten dar, die darüber hinaus auch das Ansehen des Arbeitgebers im Außenverhältnis schädigen, kann auch bei einem Auszubildenden ein wichtiger Grund zu einer außerordentlichen Kündigung vorliegen (BAG, 01.07.1999 – 2 AZR 676/98 – vgl. hierzu auch LAG Hessen, 26.02.2016 – 14 Sa 1772/14). Auch die fortgesetzte verbale Beleidigung und rassistische Herabsetzung von ausländischen Kollegen kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (LAG Düsseldorf, 10.12.2020 – 5 Sa 231/20). Solche Äußerungen können auch gegenüber einem schwerbehinderten Mitarbeiter eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist es, wenn ein Betriebsratsmitglied einen anderen Angehörigen des Gremiums mit dunkler Hautfarbe durch Affenlaute grob beleidigt und dessen Menschenwürde missachtet (BVerfG, 02.11.2020 – 1 BvR 2727/19).
Auch bei beleidigenden Äußerungen gegenüber Kollegen mit Migrationshintergrund muss eine fristlose Kündigung verhältnismäßig sein. Die Bestellung eines "Negerkusses" bei einer aus Kamerun stammenden Kantinenmitarbeiterin durch einen Arbeitnehmer des mittleren Managements kann eine Diskriminierung und Beleidigung darstellen. Zugunsten des Arbeitnehmers hat das Arbeitsgericht Frankfurt jedoch dessen zehnjährige, beanstandungsfreie Beschäftigung im Unternehmen berücksichtigt und der Kündigungsschutzklage stattgegeben (ArbG Frankfurt am Main, 13.07.2016 – 15 Ca 1744/16).
Grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen, die eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, können gegen arbeitsrechtliche Pflichten verstoßen und an sich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG, 27.09.2012 - 2 AZR 646/11; LAG Rheinland-Pfalz, 18.02.2019 – 3 Sa 308/18 u. LAG Köln, 06.12.2021 – 2 Sa 10/21). Dabei kann sich der Mitarbeiter nicht auf das Recht zur freien Meinungsäußerung berufen. Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gem. Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (LAG Rheinland-Pfalz, 15.02.2022 – 8 Sa 164/21 m.w.N.). Wenn es sich um einen einmaligen Vorgang handelt, muss der Arbeitgeber entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip aber zunächst das mildere Mittel der Abmahnung nutzen, um die Vertragsstörung zu beseitigen (LAG Hamm, 03.05.2017 – 15 Sa 1358/16). Beleidigende und herabsetzende Äußerungen gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten sind an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 BGB zu rechtfertigen. Der Aushang eines DIN-A4-Blattes am Arbeitsplatz, auf dem sich ein Arbeitnehmer in überzogener Weise kritisch über Beanstandungen durch seine Vorgesetzten äußert, ohne in Formalbeleidigung oder Schmähkritik zu verfallen, unterliegt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Allerdings ist abzuwägen, ob die Pflicht zur Rücksichtnahme auf berechtigte betriebliche Interessen (§ 241 Abs. 2 BGB) der Meinungsäußerungsfreiheit vorgeht (LAG Düsseldorf, 19.01.2022 – 4 Sa 933/21). Veröffentlicht eine Arbeitnehmerin für jedermann einsehbar in Facebook Posts mit Namen und Fotos von Führungskräften mit herabsetzenden Texten, kann dieses Verhalten ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB sein. Es liegt dann ggf. eine erhebliche Pflichtverletzung vor; in entschiedenen Fall ging das Gericht von einer Schmähkritik aus und verneinte die Notwendigkeit einer Abmahnung (LAG Baden-Württemberg, 17.09.2021 – 12 Sa 23/21). Ist der Mitarbeiter jedoch krankheitsbedingt vermindert schuldfähig, infolge einer Krankheit leicht reizbar und ist das Verhalten einer Therapie zugänglich, ist eine Kündigung nur zulässig, wenn der Betroffene zuvor abgemahnt wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 18.06.2021 – 1 Sa 75/21). Die Beleidigung eines Arbeitskollegen als "Bastard" kann eine ordentliche Kündigung auch denn rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer zuvor nicht einschlägig abgemahnt wurde (LAG Hamm, 20.01.2022 - 18 Sa 645/21). Das Zeigen eines ausgestreckten Mittelfingers ist eine grobe Beleidigung. Grobe Beleidigungen von Vorgesetzten und Kollegen stellen eine erhebliche Verletzung von Nebenpflichten dar. Dadurch ist nach Abmahnung eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt (LAG Rheinland-Pfalz, 18.08.2022 – 5 Sa 458/21).
Grob ehrverletzende, diffamierende und von erheblicher Missachtung der Person geprägte Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen in einem Vier-Augen-Gespräch am Arbeitsplatz können die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer nach den Umständen und dem Inhalt des Gesprächs im Einzelfall nicht davon ausgehen kann, dass seine Äußerungen als vertraulich eingeordnet und behandelt werden. Fehlt es danach an einer begründeten Vertraulichkeitserwartung, steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG der Berücksichtigung dieser Äußerungen als Kündigungsgrund und deren Verwertung im Kündigungsschutzprozess nicht entgegen (LAG Hamm, 14.07.2022 - 8 Sa 365/22).
Fortgesetzte sexuelle Belästigungen einer bzw. mehrerer Praktikantinnen können auch ohne zuvor ergangenen Abmahnung die Rechtfertigung für die fristlose Kündigung eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers darstellen. Das Ausmaß der entsprechenden Pflichtverletzung wird dadurch erheblich erhöht, dass der Belästiger durch Hinweise auf seine bessere betriebliche Eingliederung und seine Kompetenz, das Zeugnis der Praktikantinnen zu schreiben, die Duldung der von ihm ausgehenden Übergriffe zu erzwingen versucht (LAG Niedersachsen, 20.06.2022 – 12 Sa 434/21).
Eine außerordentliche Kündigung eines tarifvertraglich ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers, der seinen langjährigen Arbeitskollegen wegen dessen sexueller Orientierung schwer beleidigt hat, kann dennoch kein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB sein, wenn die Interessenabwägung bei einmaliger Entgleisung in seit über 40 Jahren im Wesentlichen beanstandungsfreiem Arbeitsverhältnis zugunsten des Gekündigten ausfällt (LAG Düsseldorf, 28.04.2021 - 4 Sa 580/20). Es sind mildere Mittel zur Beseitigung der Leistungsstörung anzuwenden.
Eine außerordentliche Kündigung wegen grober Beleidigungen des Vertretungsorgans der Arbeitgeberin und von Kollegen kann unwirksam sein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Klägerin aufgrund vorheriger menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen (verschimmelter Kellerraum, 11 Grad Celsius, Mäuse, Mäusekot) der Blick für die Bedeutung ihrer Äußerungen verstellt gewesen sein könnte. Deshalb war in dem entschiedenen Fall eine Abmahnung nicht von vornherein aussichtslos und daher nicht entbehrlich (LAG Thüringen, 29.06.2022 - 4 Sa 212/21).
Es ist dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, Mitarbeiter zu beschäftigen, die rassistische Tendenzen offen zur Schau stellen (ArbG Berlin, 05.09.2006 – 96 Ca 23147/05).
Die Mitgliedschaft in einer rechtsgerichteten Partei wie der NPD, rechtfertigt an sich auch im Öffentlichen Dienst, keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen (BAG, 12.05.2011 – 2 AZR 479/09). Allerdings können die konkreten Aktivitäten eines Arbeitnehmers, die eindeutig verfassungsfeindlichen Inhalt haben, eine Kündigung rechtfertigen (BAG, 06.09.2012 – 2 AZR 372/11).
Bei Äußerungen wie "Russen-Arschloch" i.V.m. "Flasche" und "Russen Ei" sowie "Russen Idiot" handelt es sich nicht nur um unzulässige Schmähkritik, sondern auch um rassistische Verunglimpfung, weil auf die ethnische Herkunft angespielt wird (siehe auch 3.4.2. LAG Hessen, 21.09.2018 – 10 Sa 601/18).
3.8 Bedrohungen von Kollegen und Vorgesetzten
Auch Bedrohungen von Vorgesetzten und Kollegen, die aus der Privatsphäre des Mitarbeiters heraus vorgenommen werden, können eine Kündigung rechtfertigen (ArbG Düsseldorf, 15.08.2016 – 7 Ca 415/15): Eine Morddrohung gegen den Vorgesetzten ist ein erheblicher Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten, der auch eine Abmahnung entbehrlich macht.
4. Konsequenzen des Unternehmens
4.1 Allgemeines
Welche Konsequenzen das Unternehmen aus dem vertragswidrigen Verhalten zieht, muss sorgfältig bedacht werden. Soweit sich aus dem vertragswidrigen Verhalten eine Konfliktlage im Verhältnis zu den Arbeitskollegen ergibt, ist es unabhängig von den Ursachen allein Sache des Arbeitgebers, wie er darauf reagieren will (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 30.07.2019 – 5 Sa 233/18; LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2019 – 20 Sa 264/19).
Praxistipp:
Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist in diesem Punkt oft eher arbeitnehmerfreundlich. Jede Maßnahme sollte daher sorgfältig bedacht und ggf. mit entsprechenden Belegen dokumentiert werden.
Der erste Schritt sollte daher eine Ermahnung sein – ggf. auch mit einem schriftlichen Protokoll. Soweit dies nicht fruchtet, ist eine formale Abmahnung (Abmahnung – Allgemeines) sinnvoll und – für ggf. weitere Schritte – auch notwendig. Bei vielen Einzelverstößen, die jeweils alleine eine Kündigung nicht rechtfertigen können, summiert sich ohne Abmahnung kein Gesamtverstoß von so erheblichem Ausmaß, dass eine Abmahnung entbehrlich werden könnte (LAG Köln, 06.09.2018 – 6 Sa 64/18). Soweit auch diese nicht fruchtet, ist ggf. eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu umgehen.
Bedacht werden muss im Zusammenhang mit einer Abmahnung, dass durch diese der zugrunde liegende Sachverhalt als Kündigungsvorwurf verbraucht ist. Bei späteren Vorfällen, die zu einer Kündigung führen, kann der bereits abgemahnte Sachverhalt nicht als Begründung dienen (LAG Düsseldorf, 23.01.2019 – 7 Sa 370/18).
Die Maßnahmen des Arbeitgebers dürfen nicht gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB verstoßen. So kann eine Kündigung in der Probezeit unzulässig sein, wenn er Arbeitgeber damit das Verhalten des Mitarbeiters sanktionieren möchte (LAG München, 15.09.2020 – 7 Sa 186/19).
4.2 Kündigung
Ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers ist dann geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn dadurch die Interessen des Arbeitgebers i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB beeinträchtigt werden. Dies ist anzunehmen, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden. Ob eine betriebliche Auswirkung gegeben ist, bestimmt sich vor allem nach der Art des Arbeitsverhältnisses und der Tätigkeit des Arbeitnehmers (LAG Niedersachsen, 21.03.2019 – 13 Sa 371/18). Dabei hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, lassen sich dabei nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (LAG Köln, 18.01.2022 - 4 Sa 329/21).
In der Regel ist aber zunächst eine Abmahnung erforderlich; diese führt dazu, dass der Kündigungsgrund verbraucht ist. Erst bei Wiederholung des Vorfalls kann verhaltensbedingt ordentlich gekündigt werden. Einer Abmahnung bedarf es nur dann nicht, wenn erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (LAG Rheinland-Pfalz, 03.08.2021 - 8 Sa 361/20 m.w.N.). Kriterien sind die Umstände, die die Pflichtverletzung beeinflusst haben, in Bezug auf deren Art und Ausmaß, deren Folgen und den Grad des Verschuldens (BAG, 16.12.2021 – 2 AZR 356/21).
Vor der Kündigung ist auch zu prüfen, ob das Fehlverhalten durch mildere Mittel sanktioniert werden kann, und es ist eine Interessenabwägung durchzuführen.
In der Regel ist nur eine ordentliche Kündigung möglich; eine außerordentliche Kündigung kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben (§ 626 Abs. 1 BGB) müssen dafür ein wichtiger Grund und Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist unzumutbar ist (Beispiel: Sexuelle Belästigung einer 12 Jahre alten Nichte einer Arbeitskollegin – LAG Hessen, 21.02.2014 – 14 Sa 609/13). Es muss eine schwere und schuldhafte Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB vorliegen (LAG Köln, 14.01.2020 – 7 Sa 79/19).
Eine umfassende Interessenabwägung kann dazu führen, dass das Verschweigen einer Anklageerhebung wegen Volksverhetzung und Beleidigung mit anschließender Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße zwar erhebliche Zweifel an der Eignung eines Schichtleiters im IT-Bereich von sicherheitsrelevanten Stellen verursacht, gleichwohl jedoch nicht zu einer Unzumutbarkeit der vorläufigen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist führt (BAG, 27.06.2019 – 2 AZR 28/19). Liegt eine Straftat zu Lasten des Arbeitgebers vor, reicht es im Kündigungsschutzprozess nicht aus, wenn die Täterschaft des Arbeitnehmers lediglich behauptet wird. Es ist Sache des Arbeitgebers zu beweisen, dass die Tat tatsächlich von dem Mitarbeiter begangen wurde. Dafür reicht die Vorlage von EXCEL-Datenblättern und die damit verbundene Darstellung der Ergebnisse von Rechenoperationen nicht aus (LAG Köln, 08.06.2021 - 6 Sa 723/20).
Der das Strafrecht prägende Resozialisierungsgedanke schließt es aus, dass bereits jede Anklage oder Verurteilung wegen einer Straftat automatisch einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Straftäters darstellt. Arbeitsrechtliche Konsequenzen eines strafrechtlichen Fehlverhaltens bedürfen unabdingbar eines sachlichen Zusammenhangs zwischen Fehlverhalten und Arbeitsverhältnis (LAG Köln, 14.01.2020 - 7 Sa 79/19).
Diese Grundsätze gelten auch für Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst. Bei der Beurteilung eines Sachzusammenhangs sind allerdings dessen Besonderheiten zu beachten wie z.B., ob der betreffende Arbeitnehmer hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen hatte oder aufgrund seiner Arbeitsaufgaben oder dienstlichen Stellung von außen als Repräsentant seines öffentlichen Arbeitgebers wahrgenommen wird (LAG Köln, 14.01.2020 a.a.O.).
Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die außerordentliche Kündigung "Ultima Ratio", so dass sie dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, weil dann die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung darstellt. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose, ob weitere Störungen des Vertragsverhältnisses zu erwarten sind. Daher ist nur bei vergeblichem Ausspruch einer einschlägigen Abmahnung von der für den wichtigen Grund notwendigen Beharrlichkeit des Pflichtverstoßes auszugehen (LAG Köln, 07.07.2022 – 6 Sa 115/22). Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann (LAG Rheinland-Pfalz, 03.08.2020 - 3 Sa 52/20 m.w.N.). Daher kann im Einzelfall eine fristlose, verhaltensbedingte Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein (LAG Rheinland-Pfalz, 30.04.2021 – 2 Sa 216/20).
Da ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.d. § 626 BGB nicht nur die objektive und rechtswidrige Verletzung einer bestehenden Pflicht voraussetzt, sondern darüber hinaus auch ein schuldhaftes, vorwerfbares Verhalten des Arbeitnehmers, sind für die erforderliche Interessenabwägung insbesondere der Grad des Verschuldens sowie eine mögliche Wiederholungsgefahr, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf und ferner regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung von Bedeutung (LAG Niedersachsen, 06.10.2021 - 13 Sa 1199/20).
Mehrfache grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und von Kollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar (LAG Köln, 06.12.2021 – 2 Sa 10/21).
Bei Beleidigungen und herabsetzende Äußerungen eines Arbeitnehmers, der krankheitsbedingt leicht reizbar ist und sein Verhalten nicht steuern kann, gegenüber Mitarbeitern oder Vorgesetzten kann ohne Abmahnung unrechtmäßig sein. Kann das krankhafte Verhalten durch eine Therapie geändert werden, besteht keine negative Zukunftsprognose, die die Abmahnung entbehrlich macht (LAG Rheinland-Pfalz, 18.06.2021 – 1 Sa 75/21).
Ist die außerordentliche Kündigung zulässig, muss die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten werden. Die Ausschlussfrist von zwei Wochen beginnt, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen hat (LAG Düsseldorf, 18.06.2019 – 3 Sa 1077/18; LAG Mecklenburg-Vorpommern, 26.08.2020 – 3 Sa 87/20 m.w.N.). Maßgeblich für einen Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist erst die Kenntnis von sämtlichen Tatsachen, die eine Entscheidung dahin erlauben, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zugemutet werden kann oder nicht. Zu den in diesem Sinne maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG, 05.05.2022 - 2 AZR 483/21). Auch eine fahrlässige oder grob fahrlässige Unkenntnis des Arbeitgebers über den Kündigungsgrund setzt die Zwei-Wochen-Frist nicht in Gang (BAG, 27.02.2020 – 2 AZR 570/19). Eine Arbeitsunfähigkeit als solche hemmt den Lauf der Frist nicht. Der Kündigungsberechtigte kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören. Ergeben die Ermittlungen weitere Erkenntnisse, die die Kündigung rechtfertigen, läuft die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erst von dem Tag an, an dem der Kündigungsberechtigte von diesen neuen Tatsachen Kenntnis erlangt. Verlaufen die Ermittlungen jedoch ohne neue Erkenntnisse, läuft die Zwei-Wochen-Frist von der Kenntnis der ursprünglichen Kündigungsgründe an. Ggf. ist dann die Frist bereits abgelaufen und die außerordentliche Kündigung allein deshalb unwirksam.
Der Arbeitgeber kann sich entsprechend § 242 BGB nicht auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB berufen, wenn er es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte, oder wenn sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die späte Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt. Dies hindert aber ein Unternehmen nicht, den Sachverhalt gründlich aufzuklären; daher können auch umfassende Compliance – Untersuchungen und – Bewertungen den Beginn der Kündigungsfrist hinauszögern (BAG, 05.05.2022 - 2 AZR 483/21).
Soll der zu Kündigende angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als 1 Woche betragen. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie überschritten werden (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 27.07.2021 - 2 Sa 25/21). Bei einer Verdachtskündigung ist immer eine Anhörung des Betroffenen erforderlich. Der Arbeitgeber muss ggf. zumindest versuchen, den Arbeitnehmer auch während der Arbeitsunfähigkeit anzuhören.
§ 626 Abs. 2 BGB findet jedoch keine Anwendung, wenn nachträglich bekannt gewordene Gründe für eine außerordentliche Kündigung nachgeschoben werden. Dies gilt (abweichend von BAG, 23.05.2013 – 2 AZR 102/12) auch dann, wenn die Kündigung als solche nicht rechtzeitig erklärt worden ist. Daher ist ein Nachschieben nachträglich bekannt gewordener Gründe auch dann zulässig, wenn die (nicht durchgreifenden) Gründe, die den Arbeitgeber ursprünglich zum Ausspruch der Kündigung motiviert haben, verfristet waren (LAG Köln, 16.10.2019 - 5 Sa 221/19).
Falls es sich um ein Betriebsratsmitglied handelt, ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist die Zustimmung des Betriebsrates zu beantragen bzw. ggf. das Ersetzungsverfahren einzuleiten (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 16.10.2018 – 5 TaBV 7/18 m.w.N.). Eine Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers muss bei einer außerordentlichen Kündigung innerhalb einer kurzen Frist (maximal innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes) erfolgen (BAG, 27.06.2019 – 2 ABR 2/19; LAG Mecklenburg-Vorpommern, 05.03.2020 – 5 TaBV 9/19). Eine Überschreitung ist nach der Entscheidung vertretbar, wenn der Arbeitgeber aus Rücksicht auf den von dem Verhalten des zu kündigenden Mitarbeiters betroffenen Arbeitnehmer länger zuwartet. Eine Vertraulichkeitsklausel in einer Betriebsvereinbarung verlagert die Kenntnis des zur Kündigung Berechtigten nicht zeitlich (Einzelheiten hierzu siehe auch Kündigung – außerordentliche: wichtiger Grund).
Kommt es zu einem Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht, muss das vertragswidrige Verhalten des Gekündigten bewiesen werden. Zumindest wenn private Emails in dem Unternehmen erlaubt sind, kann deren Inhalt unter das Beweisverwertungsverbot fallen. Denn deren Inhalt darf der Arbeitgeber nicht lesen. Nur ausnahmsweise – z.B. beim Verdacht auf schwere Straftaten – gilt etwas Anderes (LAG Hessen, 21.09.2018 – 10 Sa 601/18). Das Lesen einer offensichtlich an einen anderen Adressaten gerichtete E-Mail sowie das Kopieren und die Weitergabe des Emailanhangs (privater Chatverlauf) an Dritte kann im Einzelfall eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen, auch wenn eine Zugriffsberechtigung auf das E-Mailkonto für dienstliche Tätigkeiten vorliegt. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines anderen Mitarbeiters stellt "an sich" einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar. Ein kündigungsrechtlich relevanter Pflichtverstoß kann auch vorliegen, wenn nachvollziehbare Motive für das Handeln des Arbeitnehmers bestehen (LAG Köln, 02.11.2021 - 4 Sa 290/21).
Soll eine Kündigung wegen übler Nachrede i.S.v. § 186 StBG ausgesprochen werden, ist auch für diesen Tatbestand der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig (BAG, 16.12.2021 – 2 AZR 356/21). Dies ist wichtig im Hinblick darauf, dass es im Rahmen des § 186 StGB zu Lasten des Beschuldigten geht, wenn er die Wahrheit seiner Äußerungen nicht beweisen kann. Evtl. für den Arbeitgeber bestehende Schwierigkeiten bei der Beweisführung kann dieser dadurch begegnen, dass der Prozessgegner im Rahmen der sekundären Beweisführung vortragen muss, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen der behaupteten Tatsache sprechen. Der Arbeitgeber kann dann ggf. den Nachweis führen, dass die Darstellung nicht zutrifft.
Auch eine personenbedingte Kündigung kann durch außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt sein. Durch § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KSchG wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung oder Fähigkeit nicht (mehr) besitzt, die geschuldete Arbeitsleistung vertragsgerecht zu erbringen. Auch strafbares außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers kann Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Beschäftigten begründen. Sie können dazu führen, dass es ihm - abhängig von seiner Funktion - an der Eignung für die künftige Erledigung seiner Aufgaben mangelt. Ob daraus im Einzelfall ein in der Person liegender Kündigungsgrund folgt, hängt von der Art des Delikts, den konkreten Arbeitspflichten des Arbeitnehmers und seiner Stellung im Betrieb ab. So können außerdienstlich begangene Straftaten eines im öffentlichen Dienst mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Arbeitnehmers auch dann zu einem Eignungsmangel führen, wenn es an einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis fehlt (LAG Sachsen, 11.09.2020 - 2 Sa 343/19).
Das Verschweigen einer Anklageerhebung wegen Volksverhetzung und Beleidigung mit anschließender Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße kann erhebliche Zweifel an der Eignung eines Schichtleiters im IT-Bereich von sicherheitsrelevanten Stellen verursachen (BAG, 27.06.2019 – 2 AZR 28/19).
4.3 Verdachtskündigung
Bei einer Verdachtskündigung muss ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder einer Straftat vorliegen (LAG Baden-Württemberg, 20.04.2018 – 11 Sa 45/17). Sie kann daher nur gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (BAG, 17.03.2016 – 2 AZR 110/15). An die Darlegung der schwerwiegenden Verdachtsmomente sind besonders strenge Anforderungen zu stellen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 10.07.2018 – 2 TaBV 1/18): Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gegründet sein, die vom Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen sind (ArbG München, 03.02.2016 – 5 Ca 9803/14; LAG Düsseldorf, 19.02.2019 – 3 Sa 559/17; LAG Hamm, 13.05.2020 - 6 Sa 1930/19). Es muss damit eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben sein, dass er zutrifft. Die bloße Möglichkeit eines Geschehensablaufs stellt noch keinen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar; sie muss sich vielmehr derart verfestigen, dass von einem dringenden Verdacht ausgegangen werden kann (LAG Baden-Württemberg, 20.04.2018 – a.a.O.). Daraus folgt, dass bloße Vermutungen und Spekulationen ohne konkrete Umstände für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung nicht ausreichen (LAG Hamm, 13.05.2020 - 6 Sa 1930/19). Der Arbeitgeber muss im Gerichtsverfahren Tatsachen vortragen, die nicht lediglich Fragen aufwerfen, Zweifel aufkommen lassen und mehr oder weniger starke Vermutungen indizieren. Es müssen schwerwiegende Tatsachen angeführt werden, die einen dringenden Verdacht begründen, der Arbeitnehmer habe die behauptete Pflichtverletzung begangen (LAG Hamm, 11.03.2020 - 6 Sa 1182/19).
Die in solchen Fällen zwingend vorzunehmende Anhörung des Arbeitnehmers muss sich auf den konkreten Sachverhalt beziehen. Es ist ihm Gelegenheit zu geben, die Verdachtsgründe zu entkräften und Entlastungstatsachen anzuführen (LAG Schleswig-Holstein, 30.04.2019 – 1 Sa 385/18). Die Anhörung ist Voraussetzung dafür, dass die Verdachtskündigung wirksam wird (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 611/17). Sinnvoll ist es, dem Arbeitnehmer die Vorwürfe im Vorfeld der Anhörung mitzuteilen, damit er sich mit diesen konkret auseinandersetzen und seine Sicht der Dinge schildern kann. (LAG Baden-Württemberg, 20.04.2018 a.a.O.). Dafür ist ihm ausreichend Zeit zu geben; ein Zeitraum von weniger als zwei Arbeitstagen dafür ist in der Regel unangemessen kurz. Das gilt umso mehr, wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, dass sich der Arbeitnehmer regelmäßig anwaltlich vertreten lässt und er zudem arbeitsunfähig krank ist (LAG Schleswig-Holstein, 21.03.2018 – 3 Sa 398/17). Er muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen (BAG, 25.04.2018 – a.a.O.). Bei der Einstufung eines Geschehens als Grundlage für einen dringenden Verdacht sind nicht nur die den Arbeitnehmer belastenden, sondern auch die entlastenden Indizien zu würdigen (LAG Mecklenburg – Vorpommern, 10.07.2018 – 2 TaBV 1/18).
Praxistipp:
Das BAG hat jedoch entschieden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Vorfeld der Anhörung nicht unbedingt den Verdacht und dessen Gründe mitteilen muss (BAG, 12.02.2015 – 6 AZR 845/13 und 25.04.2018 – 2 AZR 611/17).
Steht eine außerordentliche Verdachtskündigung im Raum, muss der Arbeitgeber zumindest auch während einer Arbeitsunfähigkeit versuchen, den Mitarbeiter zu den Vorwürfen anzuhören. Insoweit ist der Arbeitgeber nach einer angemessenen Frist gehalten, mit dem Arbeitnehmer Kontakt aufzunehmen, um zu klären, ob dieser gesundheitlich in der Lage ist, an der gebotenen Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken. Diese Anfrage kann der Arbeitgeber mit einer kurzen Erklärungsfrist verbinden. Wartet der Arbeitgeber, dem der Arbeitnehmer mitteilt, er könne sich wegen einer Erkrankung auch nicht schriftlich äußern, dessen Gesundung ab, um ihm eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu ermöglichen, liegen in der Regel hinreichende besondere Umstände vor, aufgrund derer der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend lange hinausgeschoben wird (BAG, 11.06.2020 - 2 AZR 442/19). Das BAG weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung ein Zeitraum von drei Wochen für die Kontaktaufnahme mit einer arbeitsunfähig erkrankten Zeugin wegen der Entbindung von einer Vertraulichkeitsvereinbarung noch als ausreichend angesehen und wurde nicht beanstandet wurde (siehe BAG, 27.06.2019 - 2 ABR 2/19). Soweit dem Arbeitnehmer das Gespräch krankheitsbedingt nicht unmöglich ist, kann eine Verpflichtung bestehen, daran teilzunehmen (LAG Düsseldorf, 18.06.2019 - 3 Sa 1077/18).
Der Betriebsrat muss auch bei der Verdachtskündigung angehört werden (§ 102 BetrVG). Es müssen ihm die Gründe, insbesondere die Umstände, aus denen sich der Verdacht ergibt, mitgeteilt werden.
Auch bei einer Verdachtskündigung muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein: Es darf kein milderes Mittel zur Beseitigung der Vertragsstörung, wie z.B. die Versetzung oder eine Abmahnung in Betracht kommen. Allerdings kann eine Untersuchungshaft oder eine Freiheitsstrafe aus einem anderen Grund eine Kündigung rechtfertigen. Denn dadurch tritt eine Arbeitsverhinderung und damit eine Leistungsstörung ein. Bei einer Untersuchungshaft kommt es darauf an, ob die der vorläufigen Inhaftierung zugrunde liegenden Umstände bei objektiver Betrachtung mit hinreichender Sicherheit eine längerfristige Arbeitsverhinderung erwarten lassen. Da ohne rechtskräftige Verurteilung nicht auszuschließen ist, dass sich die Annahme als unzutreffend erweist, muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Die prognostizierte Nichterfüllung der Arbeitspflicht muss sich nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber durch den Arbeitsausfall seinerseits leistungsfrei wird (BAG, 23.05.2015 – 2 AZR 120/12). An eine Verdachtskündigung kann sich eine auf Tatsachen gestützte, außerordentliche Kündigung anschließen.
Der Verdacht, Mitglied oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung zu sein, kann nur dann als Kündigungsgrund in Betracht kommen, wenn dieser Verdacht dringend ist. Selbst bei dringendem Verdacht liegt ein Kündigungsgrund nur vor, wenn eine Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis durch eine konkrete Beeinträchtigung im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im betrieblichen Aufgabenbereich vorliegt. Auch kann durch den dringenden Verdacht die Eignung des Arbeitnehmers für die Arbeitsleistung entfallen oder es können durch greifbare Tatsachen zu belegende berechtigte Sicherheitsbedenken gegen die Weiterbeschäftigung bestehen. Eine konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses liegt nicht schon dann vor, wenn Arbeitsablauf oder Betriebsfrieden abstrakt oder konkret gefährdet sind, sondern nur dann, wenn insoweit eine konkrete Störung tatsächlich eingetreten ist (LAG Niedersachsen, 12.03.2018 – 15 Sa 319/17).
Eine Verdachtskündigung kann sich auch auf Zufallsfunde bei der Überprüfung des dienstlichen Rechners des Arbeitnehmers stützen (BAG, 31.01.2019 – 2 AZR 426/18).
Zu berücksichtigen ist bei noch laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, dass diese selbst nicht als Anlass für eine Kündigung ausreichen. Die im Strafprozess geltende Unschuldsvermutung wirkt sich auch im Arbeitsrecht aus. Besteht der Verdacht, dass eine Mitarbeiterin vier Bewohner der Einrichtung, in der sie beschäftigt ist, ermordet hat, muss der Kündigungsschutzprozess nicht bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt werden. Für das Arbeitsgerichtsverfahren kommt es nicht auf die strafrechtliche Bewertung, sondern auf den Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten und einen ggf. vorliegenden Vertrauensbruch an (LAG Berlin-Brandenburg, 06.10.2021 – 11 Ta 1120/21).
4.4 Druckkündigung
Bei einer Druckkündigung wird von dem Arbeitgeber die Kündigung von Dritter Seite verlangt. Dabei gilt, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss und es muss entsprechend dem Ultima-ratio Prinzip das letzte Mittel sein, das der Arbeitgeber ergreift, um die Situation zu bereinigen. Die Drohung von dritter Seite muss nicht objektiv begründet sein (BAG, 15.12.2016 – 2 AZR 431/15). Eine Druckkündigung z.B. eines wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Arbeitnehmers kann gerechtfertigt sein, wenn sich eine Vielzahl von Arbeitskollegen weigert, mit dem Mitarbeiter weiter zusammenzuarbeiten. Der Arbeitgeber ist jedoch verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung zu prüfen, ob die Drohung der Arbeitskollegen nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Er hat sich aktiv schützend vor den Betroffenen zu stellen und alles Zumutbare zu versuchen, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen (BAG, 19.07.2016 – 2 AZR 637/15, 15.12.2016 – a.a.O.). Insbesondere wenn eigentlich kein Kündigungsgrund vorhanden ist, muss der Arbeitgeber versuchen, den oder die Dritten, die Druck ausüben, davon zu überzeugen, dass die Forderung unangemessen ist. Arbeitnehmer, die ihre Arbeit verweigern, weil der Arbeitgeber einem - unberechtigten - Kündigungsverlangen nicht nachkommt, verletzen ihre arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten. Es ist dem Arbeitgeber stets zumutbar, sie darauf hinzuweisen, dass ihr Verhalten einen schwerwiegenden, nach Abmahnung ggf. zur Kündigung berechtigenden Vertragsbruch darstellt und ihnen für die ausfallende Arbeit kein Entgelt zusteht. Nur wenn es nicht gelingt, diejenigen, die Druck ausüben, von der Unangemessenheit der Forderung zu überzeugen und schwere wirtschaftliche Schäden zu erwarten sind, gleichzeitig aber keine milderen Mittel (z.B. Versetzung) zu Verfügung stehen, ist die Druckkündigung zulässig (LAG Hessen, 13.07.2016 – 18 Sa 1498/15; BAG, 15.12.2016 – 2 AZR 431/15). Die Kündigung muss das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel sein, um die Schäden abzuwenden. Der Arbeitgeber muss im Gerichtsverfahren insbesondere darlegen, dass er alles Zumutbare getan hat, um einen Ausgleich zwischen den Arbeitnehmern herbeizuführen. Deshalb kann eine bloße Weigerung von Arbeitskollegen, mit einem bestimmten Mitarbeiter zusammenzuarbeiten, bzw. eine Aufforderung, sich von ihm zu trennen, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses allein nicht rechtfertigen (LAG Niedersachsen, 21.03.2019 – 13 Sa 371/18). Zu berücksichtigen ist auch das eigene Verhalten des Arbeitgebers. Insbesondere kann er sich nicht auf eine Drucksituation berufen, die er selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat – etwa, wenn er für die ablehnende Haltung der Belegschaft gegenüber dem Arbeitnehmer selbst den Anlass gegeben hat. Umgekehrt kann auch das Verhalten des Arbeitnehmers von Bedeutung sein. Auch er muss aufgrund der ihn treffenden Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) nach Möglichkeit Nachteile für den Arbeitgeber vermeiden und vermeiden helfen (LAG Rheinland-Pfalz, 17.03.2022 – 5 Sa 358/21 m.w.N.).
Das Arbeitsgericht Nordhausen hat entschieden, dass im Fall einer sog. echten Druckkündigung aufgrund Eigenkündigungsandrohungen einer Vielzahl von Mitarbeitern sich der Arbeitgeber grundsätzlich auch dann schützend vor den Arbeitnehmer zu stellen hat, wenn zeitlich vor den Eigenkündigungsandrohungen Gespräche und Mediationen wegen eines Konflikts mit dem betroffenen Arbeitnehmer durchgeführt wurden (ArbG Nordhausen, 13.07.2022 – 2 Ca 199/22).
Der Arbeitgeber kann sich insbesondere nicht auf die Drucksituation berufen, wenn er diese selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat (BAG, 19.07.2016 – 2 AZR 637/15). Andererseits ist das Ausmaß der Bemühungen des Arbeitgebers, sich schützend vor den Arbeitnehmer zu stellen, auch davon abhängig, in welchem Umfang der Arbeitnehmer zu dem eingetretenen tiefgreifenden Zerwürfnis mit anderen Arbeitnehmer und Dritten einen Verursachungsbeitrag geleistet hat (LAG Baden-Württemberg, 26.08.2016 – 1 Sa 14/16).
Der Betriebsrat kann die Entlassung eines betriebsstörenden Arbeitnehmers verlangen (Einzelheiten siehe § 104 S. 1 BetrVG). Dieses Recht kann ggf. auch vor dem Arbeitsgericht durchgesetzt werden. Die Entscheidung präjudiziert ein folgendes Kündigungsschutzverfahren, wenn der betriebsstörende Arbeitnehmer an diesem Verfahren beteiligt war (BAG, 28.03.2017 – 2 AZR 551/16).
Siehe auch
Abmahnung – AllgemeinesArbeitsunfähigkeit - FreizeitverhaltenKündigung – außerordentliche: wichtiger GrundKündigung – personenbedingt: AllgemeinesKündigung – verhaltensbedingt: AllgemeinesKündigung – verhaltensbedingt: betriebliche BeeinträchtigungKündigung – verhaltensbedingt: Darlegungs- und Beweislast